Bertha Leverton

deutsche Autorin und Gründerin des Vereins Reunion of Kindertransport (1923–2020)
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Bertha Leverton (* 23. Januar 1923 in München) M.B.E., Autorin und Gründerin des Vereins „ROK“ (Reunion of Kindertransport). Sie widmete einen Großteil ihres Lebens der Sammlung von Geschichten der „Kinder des Kindertransports“ und organisierte zum 50. Jahrestag der Kindertransporte das erste Treffen der Überlebenden. Sie ist eines der 10.000 jüdischen Kinder, die mit Hilfe der so genannten „Kindertransporte“ 1938–1939 vor den Nationalsozialisten nach Großbritannien flüchten konnte.

Frau Leverton bei Filmvorführung "Into the Arms of Strangers" 04.03.2008 zum Interview mit der Landespolizeischule Berlin

Leben

Kindertransport und Aufenthalt in der Gastfamilie

Bertha Leverton, geborene Engelhard, ist das älteste Kind einer fünfköpfigen polnisch-jüdischen Familie. Zusammen mit ihren Geschwistern Theo (1926–1966) und Inge ( * 27. Januar 1930) wuchs sie in München auf.

Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden Transporte für jüdische Kinder unter 17 Jahren nach Großbritannien organisiert, um der drohenden Gefahr durch das NS-Regime zu entgehen. Jeder Familie standen zwei Plätze zu. Berthas Vater, Moses Engelhard, ließ sich diese daraufhin für die damals 15-jährige Bertha und den 12-jährigen Theo zusprechen. Mit lediglich einem Koffer und einem Handgepäckstück pro Person brachen die beiden am 4. Januar 1939 mit dem aus Wien kommenden Zug Richtung neue Heimat auf.

„Jede Familie versprach ihren Kindern: ‚Wir werden bald nachkommen.‘ Wie sonst hätten die Eltern ihre kleinen Kinder dazu bringen können, in die Waggons einzusteigen?“

Über Frankfurt, Berlin und die Niederlande kamen sie nach einer dreitägigen Reise im Parkinston Quay, dem Hafen von Harwich (England) an, wo man sie und andere Kinder, die ebenfalls keine Pflegefamilie gefunden hatten, in das Flüchtlingslager Dovercourt brachte. Dort wurde Bertha nach einem harten und kalten Winter von einer christlichen Familie auf Grund ihrer Arbeitskraft als Hausmädchen ausgesucht. Obwohl ein solcher Missbrauch der Kinder untersagt war, erfüllte Bertha bereitwillig alle Arbeiten, um ihrer kleinen Schwester die Ausreise aus Nazi-Deutschland zu ermöglichen. Inge konnte daraufhin 9 Monate später folgen und fand bei „Onkel Billy“ und „Tante Vera“, wie die drei ihre Pflegeeltern zu nennen hatten, eine Unterkunft. Sie wohnten anfangs in Coventry, zogen aber nach Bombardierung der Ortschaft 1940 nach Yorkshire um.

Mit den Eltern hielten die Geschwister anfangs über Briefe im Lager, nach Kriegsausbruch über Telegramme durch das Rote Kreuz Kontakt. Als 1942 die Kommunikation abbrach, wussten sie bereits, dass die Eltern ins Ausland geflohen waren. Berthas Leben bei der Pflegefamilie war geprägt durch die harte Arbeit im Haushalt und in der Baumwollspinnerei in Yorkshire. Das Geld, welches sie verdiente, wurde anfangs anteilig, später jedoch komplett von den Gasteltern einbehalten, obwohl diese, wenn auch geringfügig, für die Aufnahme der Kinder vom jüdischen Flüchtlingskomitee entschädigt wurden. Man entzog Bertha komplett jegliche Schulbildung. Bücher gab es in dem Haushalt nicht und das Radio durfte sie nur in seltenen Fällen nach Erfüllung aller „Pflichten“ anschalten. Auch die Religionsausübung wurde von den Pflegeeltern stark unterdrückt. Während die Kinder in Coventry noch Kontakt zu anderen Juden hatten und dadurch hin und wieder an Zeremonien oder am jüdischen Religionsalltag teilnehmen konnten, beschränkte sich dies in Yorkshire auf den zwei Mal jährlichen Besuch eines Rabbis.

1943 wurde in Großbritannien ein Gesetz erlassen, welches nahen Verwandten von Flüchtlingskindern unter 15 Jahren erlaubte, aus neutralen Ländern nach England einzureisen. Inge, zum damaligen Zeitpunkt 13 Jahre alt, erfüllte diese Voraussetzungen. Berthas Eltern befanden sich da bereits in Portugal und setzten Weihnachten 1943 nach England über, wo sie nach mehrtägiger Befragung durch die Regierung am 27. Januar 1944 ihre Kinder wieder sahen. Die wiedervereinte Familie zog zu Verwandten nach Birmingham. Theo absolvierte eine Ausbildung und fand in einer Fabrik in London Arbeit. Inge beendete in Birmingham die Schule und zog dann ebenfalls der Arbeit willen nach London. Die Eltern folgten, um ihre jüngste Tochter nicht allein zu lassen.

Nach Kriegsende 1945

Bertha lernte im jüdischen Ausschuss ihren späteren Ehemann kennen, gründete mit ihm eine Familie und half diesem bei dem Betrieb seiner kleinen Fabrik. In den Folgejahren bekam sie drei Kinder und zog diese auch in Birmingham groß. Die älteste Tochter lebt heute in London, die jüngste in Israel . Der Sohn ist im Alter von 21 Jahren verstorben. Als der erste Ehemann verstarb, zog Bertha ebenfalls nach London. Dort arbeitete einige Zeit als Händlerin von Schmuck im Großraum Birmingham, bis sie ihren zweiten Ehegatten kennen lernte und sich dem Haushalt zuwandte. Die Ehe wurde nach 13 Jahren geschieden.

Lebenswerk

Während ihres gesamten Lebens ließen Bertha die Erinnerungen an den Kindertransport nicht los. Als sich der 50. Jahrestag ihres Aufenthalts in England näherte, keimte die Frage auf, was mit den anderen „Kindern des Kindertransport“ passiert war. Um dies zu beantworten, gründete und organisierte Bertha Leverton 1988 den Verein „ROK“ (Reunion of Kindertransport), welcher zu den ehemaligen „Kinder“ und Holocaust - Überlebenden Kontakt aufnahm. 1989 fand daraufhin das erste Treffen der der „Kinder“ in London statt. In den Jahren danach folgten weitere, die Bertha mitorganisierte. Für die Überlebenden war dies die Möglichkeit, ihre traumatische Lebensgeschichte zu verarbeiten und sich nach Jahren der Verdrängung dieser Erlebnisse wieder mitzuteilen. Diese Arbeit führen heute Organisationen wie die Assosiation of Jewish Refugees (AJR) oder The Kindertransport Association (KTA) weiter.

Bertha Leverton sammelte die Geschichten der einzelnen „Kinder“, welche erstmalig 1990 in dem Buch „I came alone“ publiziert worden. 2000 erschien durch ihr Mitwirken der Film „Into the Arms of Strangers“ in Deutschland, welcher unter anderem auch Berthas Geschichte erzählt.

Sie selbst bekam von der AJR ein Büro gestellt, durch welches sie auch heute noch alle zwei bis drei Monate einen Newsletter über die aktuelle Arbeit und Neuigkeiten für jüdische Holocaust- Überlebende veröffentlicht. Außerdem

  • hält sie häufig Vorträge über die Kindertransporte und ihre eigene Geschichte,
  • macht sich für Denkmäler zur Erinnerung an die Kindertransporte stark, wie der Skulptur der losfahrenden Kinder des Kindertransports, die ähnlich dem Kindertransport Memorial an der Liverpool Street Station, London geschaffen werden und ihren Platz am S- Bahnhof Friedrichstraße in Berlin finden soll,
  • besucht Schulen in Deutschland und spricht mit den Jugendlichen über die NS-Zeit,
  • ist bei Filmvorstellungen des Films „Into the Arms of Strangers“ anwesend, wo sie mit den Zuschauern diskutiert und gibt Interviews.

Auszeichnungen

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verlieh am 23. Mai 2005 den vom "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" alljährlich ausgelobten Preis in Höhe von je 5000 Euro unter anderem an Bertha Leverton als „Botschafterin für Toleranz“ für ihre Arbeit mit und für die „Kinder der Kindertransporte“.

Königin Elisabeth II verlieh am 11. Juni 2005 Bertha Leverton in London den Titel „Angehöriger des Ordens des Britischen Weltreiches“ (Member of the Order of the British Empire „M.B.E.”) für die Gründung des ROK und ihren Einsatz für das jüdische Volk.

Das Buch und der Film wurden ebenfalls mehrfach ausgezeichnet.

Literatur

  • „I came alone“, herausgegeben von Bertha Leverton und Shmuel Lowensohn, England 1990 ISBN 9781857762167, S.181ff.(ihre eigene Geschichte) sowie S.284ff. (die Geschichte ihrer Schwester Inge Sadan),

deutsche Fassung: „Ich kam allein“ von Rebekka Göpfert, dtv- Verlag 1997 ISBN 3423304391