Psyche

Gesamtsystem mentaler Regungen
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Psyche (altgr. Vorlage:Polytonisch, psychä oder psyché, für ursprüngl. Atem, Atem-Hauch – von Vorlage:Polytonisch ich atme, hauche, blase, lebe) wurde schon im Altgriechischen in sehr umfassendem Sinn verstanden und sogar zur Umschreibung der ganzen Person verwendet[1] – bis hin zur Bezeichnung des Kostbarsten, des Wertvollsten überhaupt.[2]

In der erlebnismäßig naheliegenden und deswegen wohl ursprünglichen Auffassung von atmen und Atem als Zeichen für Belebtheit [3] stand Vorlage:Polytonisch als Atmen und Atem möglicherweise immer schon oder von Anfang an undifferenziert auch für Lebendigkeit und sogar Lebenskraft. Insofern konnte Vorlage:Polytonisch auch als Lebensprinzip aufgefasst und sogar mit Leben gleichgesetzt werden.

Im Speziellen konnte Vorlage:Polytonisch dabei die wichtigsten Erscheinungen (Phänomene) von Lebendigkeit bezeichnen, insbesondere alle von einem selbst "ohne weiteres" wahrnehmbaren Einzelerscheinungen oder Ausformungen der eigenen Lebendigkeit und Lebhaftigkeit.

Dann konnte Gemüt, Herz, Mut und Herzhaftigkeit gemeint sein, der "Sitz" der Leidenschaften (oder vielleicht "Leidenschaftlichkeit" als solche), das Begehrungsvermögen ganz allgemein, Lust und sogar Appetit, und über Sinn in jedem Sinn (wie z.B. Absicht wie bei der Wendung im Sinn haben) auch Denkvermögen, Verstand und sogar Klugheit sowie allgemein dann Geist.

Daneben und darüber hinaus wurde unter Vorlage:Polytonisch in animistischer Tradition auch der abgeschiedene, dann in einem eigenen Reich, dem Hades verortete Schatten von Toten verstanden. Über diese Vorstellung kam es dann auf bisher ungeklärtem Wege[4]möglicherweise über Elemente aus der Ägyptische Mythologie – im weiteren dazu, dass Vorlage:Polytonisch mit noch weiter ausphantasierten religiösen Vorstellungen von einer Seele verbunden und mit diesen dann – ungeachtet der eigentlichen, insb. ursprünglichen Bedeutung des Wortes – auch gleichgesetzt wurde.

Das heute sachlich vorherrschende Verständnis von Psyche dürfte sich am ehesten auf das Gesamtsystem[5] aller eigenen Regungen [6] beziehen, das "der Volksmund" seit langem als Innenleben bezeichnet: das Gesamt aller "Lebensäußerungen" oder genauer Eigenreaktionen, die der Selbst- oder Eigenwahrnehmung zugänglich sind und damit aus der subjektiven oder heute sog. "Ersten Person-Perspektive" beobachtet und folglich auch sprachlich beschrieben werden können: angefangen vom erlebenden Wahrnehmen, über das vorstellende Erinnern vorgängiger Erfahrungen und Ausdenken oder Phantasieren möglicher oder andersartiger Erfahrungen aller "denk- oder vorstellbaren" Art, bis hin zum emotionalen Reagieren darauf (und ggf. damit in Zusammenhang stehendem gewohnheitsmäßigen Verhalten und absichtlichen oder "bewussten" und evtl. sogar geplanten bis strategischen Handeln).


Mythologie

 
Psyche (Wolf von Hoyer, 1842, neue Pinakothek in München)

Psyche ist in der hellenistischen Bilderwelt die Personifikation der Seele.[7] Bekannt ist besonders die Darstellung als Seelenvogel mit Schmetterlingsflügeln. In der griechischen Mythologie ist Psyche als Figur nur im Märchen Amor und Psyche[8] des römischen Dichters Apuleius belegt. Dieses beschreibt ihre Liebesbeziehung mit Amor. Die Deutung und die Verbindung mit der Seelenfigur ist umstritten.<ref>Vgl. Johannsen, Nina: Art. Psyche, in: Der Neue Pauly. Ausführlicher: M. Zimmerman et al. (Hg.): Aspects of Apuleius' Golden Ass, Bd. 2: Cupid and Psyche, 1998.

Allgemein

Unter Psyche wird ein Wirklichkeitsphänomen bezeichnet, das Lebewesen zu bewusstseinsfähigen Lebewesen macht (nicht zu Lebewesen, wie in der Griechischen Philosophie gedacht). Auch Tiere haben eine Psyche: eine Affekt-, Gefühls- und Wahrnehmungswelt. Bei Menschen kommt in der Psyche eine Wirklichkeitsstufe vor, die die meisten anderen Tiere nicht haben (siehe Bewusstsein bei Tieren), und die der Grund dafür ist, dass man Menschen für ihre Taten verantwortlich macht und andere Tiere nicht.

In der Psyche als dem Grund unseres Wahrnehmens, Träumens und Denkens gibt es bewusst rationale als auch emotionale Inhalte als Motive von Handlungen. Vegetative Körperfunktionen (Atmung, Herzschlag, Verdauung), also somatische Teile unserer Person, stehen zwar im Zusammenhang mit der Psyche (Psychosomatik), aber theoretisch ist es sinnvoll, diese Personen-Bereiche zu unterscheiden und somit begrifflich zu trennen. Instinktive Reflexe, Triebe und bestimmte Bedürfnisse gehören aber zur Psyche, die man ihrem unbewussten Bereich zuschreibt, der jedoch mehr oder weniger bewusst gemacht und kontrolliert werden kann.

Rein sensorische Funktionen unseres Körpers, wie z. B. Informationswahrnehmung durch die Netzhaut des Auges, sind keine psychischen Prozesse; erst die Auswahl eines bestimmten Sehbereiches ist wieder ein psychischer Akt. Da Signale im Körper über das Nervensystem und über Hormone übertragen werden, ist ein intakter Körper Grundlage einer funktionierenden Psyche. Nach wissenschaftlicher Auffassung sind psychische Aktivitäten nach dem Tod nicht mehr möglich.

Der Begriff Psyche ist eng verwandt mit den Begriffen Seele oder Geist. Er fasst auch all das zusammen, womit sich die Psychologie und die Tiefenpsychologie beschäftigen. Mit den Krankheiten der Psyche und deren Heilung beschäftigen sich die Psychiatrie, die Psychotherapie und die Psychoanalyse. Das Eigenschaftswort psychisch ist mit den deutschen Worten seelisch und geistig fast gleichgesetzt und hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch gegenüber seelisch durchgesetzt. Der Begriff Seele wird oft im theologischen Sinne verwendet. Psychisch heißt hier das seelische Erleben und den seelischen Zustand betreffend. Im Gegensatz dazu stehen die Wörter physisch oder somatisch (körperlich). Beide Ausdrücke (seelisch und körperlich) vereint der Begriff psychosomatisch.

Seit Computer allgegenwärtig sind, wird die Psyche gerne mit dem Betriebssystem verglichen. Diese Vorstellung geht auf die im Zeitalter der Wissenschaft aufgekommene Frage, wie sich denn ein organisch aufgebauter Mensch von einer physikalischen Maschine unterscheide, zurück (Maschinenparadigma). Die mechanistische Sichtweise, wie sie etwa von Thomas Hobbes vertreten wurde, degradierte den Menschen nach Ansicht mancher Wissenschaftler zum deterministischen Automaten. René Descartes versuchte, den Freien Willen des Menschen mit Hilfe eines dualistischen Zugangs sicherzustellen: Im Menschen wohne ein vom Körper separater Geist, der auch als "Geist in der Maschine" bezeichnet wird. Nach diesem Verständnis steuert dieser Geist (Seele, Psyche) den Körper und kann das Gehirn nach eigenem Willen gestalten. Die Psyche wird damit Sitz des menschlichen Willens und der menschlichen Verantwortung. Je nach Weltbild ist die Psyche völlig autonom (in vielen Religionen) oder von genetischen Grundlagen und der Umwelt geprägt (siehe auch: Leib-Seele-Problem). Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Psyche und Seele siehe auch die Begriffsklärung im Artikel Seele.

Psyche nach Freud

Allen unseren Handlungen liegen Motive aus unserer Psyche zu Grunde. "Motive" bezeichnet Antriebsgründe und Beweggründe, die unseren Handlungen psychisch letztlich zugrunde liegen. "Psyche" bezeichnet das System, in dem Wahrnehmen und Denken gründen, also das, worin die affektiven und rationalen Motive unserer Handlungen gründen. "System" (Organismus) bezeichnet ein Gebilde, dessen wesentliche Elemente (Teile) so aufeinander bezogen sind, dass sie eine Einheit (ein Ganzes) abgeben. Systeme organisieren und erhalten sich durch Strukturen. >Struktur< bezeichnet das Muster (Form) der Systemelemente und ihrer Beziehungsgeflechte, durch die ein System funktioniert (entsteht und sich erhält). Die Motive unserer Handlungen können gemäß der freudianischen Theorie in drei prinzipiell unterscheidbaren Strukturen wurzeln: in Es, Über-Ich und Ich.

"Es" bezeichnet jene psychische Struktur, in der die

Die Triebe, Bedürfnisse und Affekte sind auch psychische Muster (psychische „Organe“), mittels derer wir weitgehend unwillentlich bzw. unbewusst wahrnehmen und die das menschliche Handeln leiten.

"Über-Ich" bezeichnet jene psychische Struktur, in der die aus der erzieherischen Umwelt verinnerlichten Handlungsnormen, Ich-Ideale, Rollen und Weltbilder gründen.

"Ich" bezeichnet jene psychische Strukturinstanz, die mittels des selbstkritischen Denkens und mittels kritisch-rational gesicherter Normen, Werte und Weltbild-Elementen realitätsgerecht vermittelt "zwischen den Ansprüchen des Es, des Überich und der sozialen Umwelt mit dem Ziel, psychische und soziale Konflikte konstruktiv aufzulösen (= zum Verschwinden zu bringen)." (Rupert Lay, Vom Sinn des Lebens, 212)

Nach den ersten Lebensmonaten erfährt ein Neugeborenes immer deutlicher, dass es von Dingen und anderen Menschen unterschieden ist. Es entwickelt ein erstes Bewusstsein von den eigenen Körpergrenzen und Selbstgefühlen. "In den folgenden vier Lebensjahren lernt ein Kind (vorsprachlich und deshalb auch unbewusst) die Fragen zu beantworten: 'Wer bin ich?' - 'Was kann ich?' und somit sein Selbstbewusstsein auch inhaltlich zu füllen." (Rupert Lay, Ethik für Wirtschaft und Politik, 68) Um das Es herum wird also eine Zone aufgebaut, die man als >frühes Ich< bezeichnen kann. Das frühe Ich, das sich wie eine Hülle um das Es legt, wird somit von den frühen Körperrepräsentanzen und den frühen Selbstrepräsentanzen gebildet. Die frühen Körperrepräsentanzen sind die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte über Körperbereiche. Zu den frühen Selbstrepräsentanzen zählen die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte bezüglich der eigenen Person. Sie bestimmen den Sozialcharakter und all unsere später erworbenen Selbstvorstellungen (wer wir sind, was wir fürchten und erhoffen, was wir uns zutrauen...) auf unterschiedliche Weise mit.

Zum frühen Ich zählte Freud auch den sozialisationsgebildeten Charakter eines Menschen: die bewusstseinsfähigen Emotionen und Bedürfnisse, die in Art und Intensität aus den Grundtrieben des Es durch den Sozialisationsprozess geformt worden sind. Dabei bezeichnete Freud die sozialisationsgeformten Emotionen und Bedürfnisse als >Triebabkömmlinge des Es im Ich<. Das Es mit seinen angeborenen Triebimpulsen wird hier mit einem Baumstamm verglichen, aus dem das frühe Ich als Krone herauswächst. Deswegen nennt Freud diesen Teil des Ichs ein Produkt des Es: er ist aus dem Material des Es (Grundtrieben) entwickelt worden. Man sollte die Emotionen und Bedürfnisse aber unter das Es subsumieren, weil dies begrifflich klarer und weniger verwirrend ist. Man ist vielleicht verführt, die Emotionen und Bedürfnisse zum Ich zu zählen, weil man alles Bewusste mit dem Ich gleichsetzen möchte und die Emotionen und Bedürfnisse ja bewusst werden können. Aber nicht alles Bewusste gehört zum Ich, denn Überichinhalte können bewusst werden. Und nicht alles Unbewusste gehört zum Es, wie die Überichinhalte zeigen. Bei allen drei psychischen Strukturen gibt es Bewusstes, Unbewusstes und Vorbewusstes ( = was bewusst gelernt wurde, aber zu einem unbewussten Habitus wurde wie Autofahren, Fremdsprache...). Zum Beispiel kann ein durch Ich-Einsatz bewusst eingeübtes Handeln automatisiert werden und damit vorbewusst sein. Und was man bewusst erlebt hat, kann im Gedächtnis versinken, es kann vergessen werden und damit unbewusst sein, aber auch wiedererinnert werden.

Zu den Elementen des Ichs zählt man zuallererst die Bewusstseinsleistungen des Wahrnehmens, des Denkens und des Gedächtnisses, weil sie dem Ich helfen, seiner spezifischen Aufgabe gerecht zu werden, nämlich realitätsgerecht (konfliktauflösend) zwischen den Ansprüchen aus dem Es, dem Über-Ich und dem Sozial-Außen zu vermitteln, also um psychische und soziale Konflikte konstruktiv zu lösen. Ein Kriterium dafür, ob das Ich realitätsdicht oder realitätsfern an der Entfaltung des Lebens orientiert ist, ist das Freisein von destruktiven Sozial- und Individualkonflikten über längere Zeit und die Fähigkeit des Ich, Konflikte konstruktiv lösen zu können. Weil nur das Ich realitätsgerechtes Handeln zu sichern vermag, heißt das, dass nur das Ich ein wahrhaft menschliches Handeln zu sichern vermag. Diese Teile der Psyche sind keine Produkte des Es wie die Emotionen und Bedürfnisse, weil diese nicht aus dem Es hervorgehen durch den (An)Passungskonflikt zwischen Trieben und sozialisierender Umwelt, sondern weil sie ihre eigene, davon abgehobene spezifische Entwicklung durchlaufen.

Literatur

  • Aristoteles: Über die Seele. (Griechisch – Deutsch) Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hrsg. von Horst Seidl; Griech. Text in der Ed. von Wilhelm Biehl und Otto Apelt. Hamburg 1995
  • Alfons Lehmen: Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage. Band I: Logik, Kritik, Ontologie. 6., verb. Aufl. 1923; Bd. II,1: Kosmologie. 5., verb.u.verm. Aufl. 1920; Bd. II.2: Psychologie. 5., verb.u.verm. Aufl. 1921; Band III: Theodizee. 5. verb. Aufl. 1923; Band IV: Moralphilosophie. 3., verb.u.verm. Aufl. 1919: Freiburg i.Br.
  • Arno Ros: Materie und Geist. Eine philosophische Untersuchung. Mentis, Paderborn 2005

Einzelnachweise

  1. ähnlich wie im Deutschen Mein Seelchen, Du, meine Seel' u.ä.
  2. Diese und folgende Angaben nach: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch von Wilhelm Gemoll. Freyta, München 1959 (7. Aufl.), kurz Gemoll S. 815
  3. Julian Jaynes Psyche in seinem Werk Der Ursprung des Bewußtseins., (Rowohlt, Reinbek 1993) S. 329-331 (online hier oder hier und hier zu finden, wg. fehlender Seitenkonkordanz hier dagegen in Buch II, Kap.5 auf S. 371-373)
  4. s. Jaynes Die Erfindung der Seele in Buch II, Kap.5 Das intellektuelle Bewußtsein der Griechen seines Werkes Die Entstehung des Bewußtseins S. 350-356 (online hier, auch hier oder hier zu finden; wg. fehlender Seitenkonkordanz hier dagegen auf S. 394-401 kurz vor Buch II, Kap.6): Jaynes spekuliert hier, dass über die einflussreiche Lehre des vielgereisten Pythagoras altägyptische Seelenvorstellungen bis hin zu der von einer Seelenwanderung in das griechische Denken eingedrungen sein könnte, die zuvor dort lange unbekannt gewesen seien; insb. zieht er in Betracht, dass Vorlage:Polytonisch gebraucht worden sein könnte, ägyptische Vorstellungen zu vermitteln, die dort mit den Worten Ka und Ba zum Ausdruck zu bringen versucht wurden, wobei er (im II. Buch, 2. Kap. Bikamerale Theokratien mit Schriftkultur) auf S. 234-239 "Eine neue Theorie des Ka" entwickelt (falls online hier oder hier und hier zu finden, wg. fehl. Seitenkonkordanz hier dagegen auf S. 263-269)
  5. so z.B. das DWDS gibt unter Psyche an: "Gesamtheit der an ein Subjekt gebundenen Erscheinungen der Widerspiegelung der Umwelt durch die höhere Nerventätigkeit"
  6. s. Dirk Hartmann Philosophische Grundlagen der Psychologie. WBG, Darmstadt 1998 S. 46f; umgangssprachlich gleichbedeutende Ausdrücke für das Gemeinte wie innere Ereignisse, innere Vorgänge oder innere Geschehnisse werden wegen der Gefahr zahlreicher irreführender Assoziationen hier ausdrücklich vermieden: es handelt sich auch bei Vorgängen "im eigenen Innern" immer um eigene Aktivitäten oder Eigenaktivitäten, und zwar ungeachtet dessen, wie sie zustande kommen: als reflexartige oder – sei es durch gezieltes Üben sei es durch gewöhnliche Konditionierung – zustande gekommene "automatische (habituierte) Abläufe" und gewohnheitsmäßiges Verhalten oder wie z.B. beim bewussten Denken selbst in Gang gesetzte Handlungen.
  7. Vgl. N. Icard-Gianolio, s. v. Ps., LIMC 7.1, 569-585
  8. Metamorphosen 4,28-6,24

Siehe auch