Narn I Chîn Húrin (deutsch: Die Geschichte der Kinder Hurins) ist eine unvollendete Geschichte des englischen Schriftstellers J. R. R. Tolkien, die in unterschiedlichen, aus den Fragmenten rekonstruierten Versionen von seinem Sohn Christopher Tolkien in mehreren Fassungen und in mehreren Büchern herausgegeben wurde.
Zuletzt erschien die Geschichte 2007 als eigenständige Veröffentlichung unter dem Titel Die Kinder Húrins (englischer Originaltitel: The Children of Húrin).
Inhalt
Die folgende Inhaltsangabe will keine Nacherzählung einer einzelnen Version sein, sondern das Gemeinsame aller Versionen herausstellen.
Inhaltsangabe
In der Geschichte, die im Ersten Zeitalter spielt, geht es um Túrin Turambar und Nienor, die Kinder des Menschen Húrin. In der Schlacht der ungezählten Tränen, der Nirnaeth Arnoediad wird Húrin lebend gefangen genommen und vor Morgoth gebracht. Morgoth versucht von Húrin zu erfahren, wo der Elb Turgon die verborgene Stadt Gondolin errichtet hat. Húrin kennt die Lage, da er mit Huor dort war. Er verweigert aber jede Auskunft. Darauf setzt ihn Morgoth in einen Sessel an den Berggipfeln der Thangorodrim, damit er von dort aus das Schicksal seiner Familie verfolgen kann, ohne eingreifen zu können.
Húrins Ehefrau Morwen sieht sich und ihre Familie nach der verlorenen Schlacht in Hithlum den Schergen Morgoths ausgeliefert. Sie beschließt, ihren Sohn Túrin zum Elbenkönig Thingol in Doriath in Pflege zu geben. Nach dem Abschied Túrins wird sie Mutter einer Tochter Nienor. Túrin wird von zwei Gefolgsleuten nach Doriath gebracht und von Thingol als Ziehsohn aufgenommen. Einer der beiden Führer geht nach Hithlum zurück, kann aber Morwen nicht überreden, ebenfalls nach Doriath zu kommen, bringt aber Geschenke von ihr zurück. Thingols Frau Melian die Maia erkennt bereits hier das üble Schicksal, das der Familie bevorsteht.
Túrin wächst im Wald von Doriath auf. Der Elb Beleg Cuthalion bringt ihm alles bei, was er wissen muss. Bei einem Essen an der Tafel Thingols wird er von einem Gefolgsmann [1] Thingols so provoziert, dass Túrin dessen Tod verursacht[2]. Daraufhin flieht Túrin vom Hofe Thingols. Nachdem Thingol alle Einzelheiten erfahren hat, spricht er Túrin frei vom Tod des Provokateurs und wirft ihm nur Stolz vor.
Túrin hat Unterschlupf bei einer Bande von Gesetzlosen gefunden. Beleg findet ihn dort, kann aber nicht eingreifen, als Túrin durch den Verrat des Kleinzwergs Mîm an Orks ausgeliefert wird. Beleg verfolgt die Ork-Bande und verliert deren Spur. Stattdessen trifft er auf einen Elb [3], der aus der Gefangenschaft Morgoths geflohen ist. Zusammen finden sie die Orks wieder. Túrin ist so erschöpft, dass er tief schläft und Albträume von den Orks hat. Als Beleg ihm die Fesseln zerschneiden will, wacht Túrin auf, hält Beleg für einen Ork und tötet ihn. Der andere Elb kann ihn bändigen und zu einer nahegelegenen Quelle bringen, wo Túrin wieder zu sich kommt und erkennt, dass er Beleg getötet hat. Zusammen gehen sie nach Nargothrond, dem verborgenen Reich des Elben Orodreth.
Dort unternimmt Túrin viele Streifzüge mit den Elben. Es entwickelt sich eine tragische Liebesbeziehung zur Elbin Finduilas, der Tochter Orodreths. Morgoth entsendet den Drachen Glaurung. Nargothrond wird niedergebrannt. Túrin blickt Glaurung ins Auge und glaubt den Worten des Drachens, dass seine Mutter und Schwester in Gefahr sind. Er macht sich auf nach Dor-lomin und verschuldet so den Tod von Finduilas, die die Orks gefangengenommen hatten.
In der Zwischenzeit ist Morwen doch mit Nienor aufgebrochen und nach Doriath gezogen. Thingol nimmt sie auf. Sie kommen nach Nargothrond, wo sie Glaurung begegnen. Beide werden getrennt. Niniel irrt ohne Erinnerung an ihr früheres Leben umher.
Túrin und Niniel treffen beide in einem Walddorf ein. Sie werden von den Einwohnern aufgenommen und beginnen eine Beziehung. Glaurung greift das Dorf an. Túrin übernimmt die Verteidigung. Er lauert dem Drachen in einem engen Flusstal auf. Als Glauring über die Klamm hinwegrobbt, stößt Túrin ihm sein Schwert in den Bauch. Niniel vermisst Túrin und findet den Drachen und den bewusstlosen Túrin. Glaurung wälzt sich zur Seite und offenbart im Sterben Niniel Túrins wahre Identität. Darauf flieht Niniel und stürzt zu Tode. Als Túrin den Inzest mit Niniel erkennt, stürzt er sich in sein Schwert.
Nachdem Morgoth auf diese Weise die Familie Húrins vernichtet hat, lässt er Húrin frei. Húrin wandert durch Hithlum und weiter zu dem Walddorf, wo er Morwen am Grab seiner Kinder findet, die in seinen Armen stirbt. Er geht weiter nach Nargothrond und kommt nach Doriath zu Thingol. Dort wirft er Thingol das Nauglamir[4] aus den Schätzen Nargothronds vor die Füße, als Kostgeld für seine Familie.
Zeittafel zum Ersten Zeitalter
Annals of Beleriand I | Annals of Beleriand II | Grey Annals | |
Schlacht der Ungezählten Tränen; Gefangennahme Húrins; Túrin ist acht Jahre alt; Morwen ist schwanger | 172 | 272 > 472 | 472 |
Anfang des Jahres wird Nienor geboren; Túrin geht nach Doriath | 173 | 273 > 473 | 473 |
Túrin mit Beleg unterwegs | 181 | 281 > 481 | 481 |
Túrin erschlägt Saeros | 184 | 284 > 484 | 484 |
Túrin bei den Gesetzlosen | 184 - 7 | 284 - 7 > 484 - 7 | |
Beleg taucht bei den Gesetzlosen auf | 187 | 287 > 487 | 487 |
Túrin wird von Orks gefangen genommen; Beleg folgt ihm; Gwindor taucht auf; Túrin erschlägt Beleg | 189 | 289 > 489 | 489 |
Túrin an der Quelle Ivrin; mit Gwindor nach Nargothrond | 190 | 290 > 490 | 490 |
Aufenthalt in Nargothrond | 190 - 5 | 290 - 5 > 490 - 5 | 490 - 5 |
Morwen und Nienor verlassen Hithlum und kommen nach Doriath | 194 | 294 > 494 | 494 |
Glaurung greift Nargothrond an; in Doriath wird Túrins Teilnahme an der Schlacht bekannt | 195 | 295 > 495 | 495 |
Túrin geht nach Hithlum, findet aber Morwen nicht; er kommt zu den Waldmenschen | 195 -6 | 295 - 6 > 495 - 6 | 495 - 6 |
Morwen geht nach Nargothrond; Nienor folgt ihr; sie verirren sich; Nienor kommt zu den Waldmenschen | 196 | 296 > 496 | 496 |
Nienor lebt bei den Waldmenschen; Beginn der Beziehung zu Túrin | 197 - 8 | 297 - 8 > 497 - 8 | 497 - 8 |
Túrin heiratet Nienor | 198 | 298 > 498 | 498 |
Glaurung sucht Túrin und wird von ihm erschlagen; Húrin wird freigelassen | 199 | 299 > 499 | 499 |
Húrin kommt nach Nargothrond und nach Doriath | 200 | 300 > 500 | 500 - 502 |
Wie deutlich zu sehen ist, hat Tolkien an der inneren Chronologie wenig verändert; die Verschiebung resultiert aus Veränderungen, die vor dieser Geschichte liegen.
Fiktive Entstehungsgeschichte
Wie alle Geschichten aus dem Ersten Zeitalter, hat Tolkien auch die Túrin-Saga nicht allein als solche dargeboten, sondern hat sie mit einer fiktiven Überlieferungsgeschichte versehen. In den Tales wird sie Eriol von einem Elben erzählt.[5] Die Narn hat eine Einleitung, in der erklärt wird, dass ein Mensch namens Dirhaval (zuerst: Dirhavel) die Überlieferungen über Túrin am Ende des Ersten Zeitalters gesammelt hätte und in einem eigens dafür entwickelten Strophenform niedergeschrieben hätte. Dirhaval verschwindet bei einem Angriff der Feanor-Nachkommen auf die Anfurten am Sirion. Dieses Gedicht wurde Aelfwine (Nachfolger Eriols) vorgetragen. Die Gedichtform erinnerte ihn an eine Form, die er aus Gedichten der Menschen kannte. Dabei kann es sich nur um die Stabreime handeln. Er selbst hat den Text aber dann in Prosa in die Menschensprache übertragen.[6] Alle anderen großen Gedichte wurden Aelfwine von Pengolodh von Gondolin vorgetragen, der an den Anfurten am Sirion alle Gedichte gesammelt hat und mit Anmerkungen versehen hat. Er wird zwar bei der Narn nicht ausdrücklich erwähnt, es ist aber stark anzunehmen, dass auch hier er als Vermittler zu denken ist. Letztlich muss der Text in den Übersetzungen Bilbos aus dem Elbischen landen. [7] Dafür hat Tolkien zwei Möglichkeiten erwogen [8]. Entweder nimmt Pengolodh seine Bücher mit nach Tol Eresseä, liest sie dort Elendil vor, der Abschriften davon mit nach Gondor nimmt. Oder Pengolodh bleibt nach dem Ende des Ersten Zeitalters bei Elrond, wo er die Geschichten direkt an Bilbo weitergeben kann.
Entstehungsgeschichte
Die Kinder Húrins ist eine der ersten Geschichten Tolkiens, die seine fiktive Mythologie um Mittelerde zum Thema hat. Im Laufe seines Lebens schrieb er mehrere Fassungen, die jedoch meist unvollendet oder unvollständig geblieben sind. Sein Sohn und literarischer Nachlassverwalter Christopher Tolkien hat nach dem Tod seines Vaters einige dieser Versionen in verschiedenen Büchern herausgegeben
Tale
Während des Ersten Weltkrieges hat Tolkien einen ganzen Zyklus geschrieben, der die ersten Fassungen seiner Mythen enthält. [9] Der gesamte Zyklus ist in eine Rahmenerzählung eingebettet, in der ein gewisser Eriol die Geschichte erzählt bekommt. Eine davon ist Turin and the Foalókë. [10] Diese Fassung wurde zwischen Ende 1918 [11] und Mitte 1919 [12] niedergeschrieben, zuerst mit Bleistift, dann darüber mit Tinte, wobei Edith oft die Endfassung geschrieben hat.
Lay
Nach seinem Umzug nach Leeds hat Tolkien zwischen 1920 und 1925 versucht, den Stoff in ein Stabreim-Gedicht umzuarbeiten: The Lay of the Children of Húrin [13]. Bei einem Lay handelt es sich nicht einfach um ein Lied, das hätte Tolkien auch song nennen können. Vielmehr handelt es sich um eine spezielle Form, die im Mittelalter im Französischen als Lai und im Deutschen als Laich bekannt war. Besonders bekannt war der Zyklus von Lais einer Marie de France, der Themen der Artus-Sage zum Inhalt hatte, der Tolkien mit Sicherheit bekannt war. Von diesem Lay sind zwei Fassungen erhalten, von denen jeweils ein Manuskript und ein Typoskript existiert. [14] Von Fassung zu Fassung hat Tolkien den Titel geändert: The Golden Dragon > Túrin Son of Húrin & Glórund the Dragon > Túrin > The Children of Húrin. [15] Die erste Fassung erzählt in 2276 Zeilen oder 56 Druckseiten die Geschichte bis zum Aufenthalt in Nargothrond. [16] Die zweite Fassung erzählt in 817 Zeilen oder 20 Druckseiten die Geschichte bis zur Flucht aus Doriath. [17]
Quenta
Nach seiner Rückkehr nach Oxford hat Tolkien eine Zusammenfassung aller seiner Epen geschrieben, um dem Leser die Zusammenhänge deutlicher zu machen.[18] Darin nimmt die Túrin-Saga einen breiten Raum ein. [19] Aus dieser Zusammenfassung wurde die Quenta Noldorinwa [20], die ebenfalls die Túrin-Geschichte einbezieht [21]. Schließlich entstand daraus die Quenta Silmarillion [22] die aber im Kapitel über Túrin abbricht.[23]
Narn
Nach Veröffentlichung des Herrn der Ringe hat Tolkien seine alten Epen erneut überarbeitet. Die Túrin-Saga hat er zu der fast vollendeten Narn I Chîn Húrin[24] ausgeweitet.[25] Bei einer Narn handelt es sich um ein Wort aus Tolkiens fiktiven Sprachen, womit er ein Gedicht bezeichnet, das zwar in Versen geschieben ist, aber erzählt und nicht gesungen wird. Diese Erklärung findet sich nur in der Einleitung der Narn.[26]
Die Teile der Narn und ihre Veröffentlichung
Tale | Lay I | Lay II | Skizze | Quenta Noldorinwa | Quenta Silmarillion | Narn |
fehlt | fehlt | fehlt | Einleitung (in: War of the Jewels) | |||
fehlt | fehlt | fehlt | Túrins Kindheit (in: Nachrichten aus ME & Die Kinder Hurins) | |||
Úrin & Melko | Húrin & Morgoth | Húrin & Morgoth | Húrin & Morgoth (in: Nachrichten aus ME & Die Kinder Hurins) | |||
Túrin in Doriath | Túrin in Doriath | Túrin in Doriath | Túrin in Doriath (in: Nachrichten aus ME & Die Kinder Hurins) | |||
Beleg | Beleg | fehlt | Bei den Gesetzlosen (in: Nachrichten aus ME & Die Kinder Hurins) | |||
Failivrin | Failivrin | fehlt | In Nargothrond (in: Silmarillion & Die Kinder Hurins) | |||
In Brethil | fehlt | fehlt | In Brethil (in: Nachrichten aus ME & Die Kinder Hurins) | |||
Úrins Wanderungen | fehlt | fehlt | Húrins Wanderungen (in: War of the Jewels) |
Entstehungszeiten der Teile
Die folgende Tabelle gibt an, welche Texte wann geschrieben wurden und inwiefern sie nebeneinander zu lesen sind.
Rahmenerzählung | Langfassung | Kurzfassung | Annalen | Entstehungszeit |
Eriol | Tale | fehlt | fehlt | 1918 - 1919 |
Lay | fehlt | fehlt | 1920 - 1925 | |
Skizze | fehlt | 1926 - 1929 | ||
Quenta Noldorinwa | Annals of Beleriand I | 1930 | ||
Aelfwine | Quenta Silmarillion | Annals of Beleriand II | 1931 - 1937 | |
Narn | Quenta Silmarillion | Grey Annals | ca.1950 -1960 |
Veröffentlichungsgeschichte und Rezeption
Zu Lebzeiten Tolkiens wurde nichts von der Túrin-Saga veröffentlicht.
Erst nach seinem Tod machte sich sein Sohn Christopher Tolkien daran, den Nachlass zu publizieren. Zuerst stand er vor dem Problem, dass er viele unabhängige und unvollendete lange Erzählungen und eine kurze Zusammenfassung (die Quenta Silmarillion) vor sich hatte. Entweder hätte er alle Texte in der ihm vorliegenden Form veröffentlichen können oder gar nichts unternehmen können.[27] Die bereits vorhandene Leserschaft, die an Texte wie den Hobbit oder den Herrn der Ringe gewöhnt war, hätte das eine nicht genießen und das andere nicht verstehen können. Also beschloss er die Zusammenfassung als Grundlage zu nehmen und die Kapitel, von denen Langfassungen vorhanden waren, mit deren Hilfe auszubauen. Das Ergebnis war das Silmarillion von 1977. Die für Túrin wichtigen Kapitel XX (Nirnaeth Arnoediad) und XXI (Túrin Turambar) wurden mit Stücken aus der Narn erweitert.[28] In dieser Form entsprach das entstandene Buch nicht den Vorstellungen Tolkiens. Christopher Tolkien war sich dessen bewusst, die Leserschaft hätte aber eine andere Form damals nicht goutiert. Dennoch galt bereits diese Veröffentlichung als schwieriges Buch.[29]
Wenige Jahre später 1980 nahm Christopher Tolkien die am weitesten ausgearbeiteten Erzählungen (Tuor und Túrin) und veröffentlichte sie in einem Band, mit weiteren Texten, den Unfinished Tales. Darin verwendete er zwar die Narn nahezu wörtlich, ließ aber die Stellen aus, die er bereits im Silmarillion verwendet hatte. [30] Hier und schon im vorausgegangenen Silmarillion änderte er den Titel von Narn I Chîn Húrin zu Narn I Hîn Húrin, da er befürchtete, dass der englische Leser das Chîn wie chin aussprechen könnte. Dies hat er später wieder zurückgenommen.[31] Die Lektüre dieser Texte war schon erheblich erschwert, da sie fragmentarisch und mit Zwischenkommentaren Christopher Tolkiens geboten wurden. Dieses Buch wurde unter dem Titel Nachrichten aus Mittelerde ins Deutsche übersetzt.
Nach diesen beiden Bänden begann Christopher Tolkien dann doch das gesamte (oder zumindest nahezu gesamte) Material vorzulegen. Dies tat er in der dreizehnbändigen Serie History of Middle-Earth. Im zweiten Band den Lost Tales Part II (1984) veröffentlichte er die älteste Fassung, die Tale of Turambar. Von den 13 Bänden der englischen Ausgabe wurden nur die ersten beiden auf deutsch unter dem Titel Das Buch der verschollenen Geschichten (1986/87) veröffentlicht. Im dritten Band den Lays of Beleriand (1985) veröffentlichte er die verschiedenen Fassungen des unvollendeten Stabreimgedichts. In den Bänden vier und fünf, The Shaping of Middle-Earth und The Lost Road und schließlich im elften Band The War of the Jewels veröffentlichte er verschiedene Fassungen des Kapitels aus der ursprünglichen Quenta Silmarillion , die er für die Veröffentlichung von 1977 durch Stücke aus der Narn ersetzt hatte. In letzteren druckte er auch endlich die Einleitung der Narn, die er schon in den Unfinished Tales erwähnt hatte und das Abschlusskapitel die Wanderungen Húrins ab. Damit lag Stück für Stück der gesamte Text der Narn und aller Vorstufen vor, allerdings verstreut über verschiedene Bände. Bis auf die beiden Bände der Lost Tales ist diese Serie nicht ins Deutsche übersetzt worden. Deshalb und wegen der komplexen Struktur und Darbietung der Texte haben diese Bände nur wenige Leser gefunden.
Jetzt (2007) hat Christopher Tolkien erneut ein Buch zur Túrin-Saga veröffentlicht: The Children of Húrin (deutsch: Die Kinder Húrins). Grundlage des neuen Textes ist die Narn. Allerdings fehlen die Einleitung und die Wanderungen Húrins, die bereits in War of the Jewels veröffentlicht sind. Auch die Namen der Personen entsprechen nicht dem Zustand von letzter Hand, was Christopher Tolkien selbst schreibt. Damit muss die Beurteilung zwiespältig ausfallen. Wer die Bände der History of Middle-Earth nicht gelesen hat, hat hiermit völlig überraschend seit 1980 wieder einen gut lesbaren Text in Händen. Wer sich allerdings durch die Bände der Histoy of Middle-Earth gearbeitet hat, weiß, dass auch diese neue Veröffentlichung nicht den vollständigen Text bietet.
Vorlagen
- Völsunga-Saga: Um den Drachen Glaurung zu töten hebt Sigurd (Mythologie) eine Grube aus, um die ungeschützte Unterseite des Drachens treffen zu können.
- Kalevala: Es scheint Parallelen zu Kullervo zu geben. Túrin tötet seinen Kameraden Beleg, heiratet seine Schwester Nienor und das alles auf der Flucht vor dem verhängten Schicksal. Sein Vater Húrin muss alles mitansehen und kann nicht eingreifen.
- Die Geschichte von Sinuhe: In der aus der 12. Dynastie Ägyptens überlieferten Geschichte flieht der Held Sinuhe, da er befürchtet, verurteilt zu werden. Nachdem er sich mehrere Jahre unter den Beduinen Syriens aufgehalten hat, erreicht ihn ein Bote des Königs Sesostris I., der ihm mitteilt, dass er in Ehren an den Hof zurückkehren kann. Tolkien könnte die Geschichte über seinen ägyptologischen Kollegen Gardiner in Oxford bekannt gewesen sein.
- Oidipûs tyrannos (König Ödipus) von Sophokles: Zwar tötet Oidipus seinen Vater Laios und heiratet seine Mutte Iokaste, allerdings sind diese Parallelen nicht so überzeugend, da Tolkien die griechische Mythologie auch sonst außer Acht lässt und die Ähnlichkeiten zur Kalevala viel größer sind (Schwester nicht Mutter), die er auch sonst häufig herangezogen hat. [32]
Weitere Epen aus dem Ersten Zeitalter
Tolkien benennt selbst drei der Geschichten seiner fiktiven Welt als die zentralen unter den Erzählungen des Ersten Zeitalters. Tatsächlich sind Teile davon (z.B. Namen und einzelne Elemente der Geschichten) schon in seinen frühesten Aufzeichnungen aus den 1910er Jahren nachweisbar. Es sind dies neben der Turin-Sage:
Tolkien hat diese drei Geschichten intensiv und immer wieder überarbeitet und leider in sehr unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung hinterlassen. In der Veröffentlichung der Turin-Geschichte 2007 weist Christopher Tolkien darauf hin, dass der Zustand der anderen beiden Epen weit fragmentarischer ist und an ihre Veröffentlichung deswegen nicht zu denken sei.
Einzelnachweise
- ↑ Der Name des Mannes variiert stark von Fassung zu Fassung
- ↑ Die Fassungen unterscheiden sich hier erheblich: In der Tale bewirft Túrin den Provokateur mit einem Trinkgefäß, worauf dieser umfällt und sofort stirbt; in der Narn spuckt der Provokateur nur etwas Blut, kann Túrin aber nach Verlassen der Halle aus dem Hinterhalt angreifen und wird von Túrin zu Tode gehetzt
- ↑ Der Name variiert stark in den verschiedenen Fassungen.
- ↑ Die Fassungen unterscheiden sich hier stark. Ist es eine Kiste mit Gold, ist es ein Zwergenhalsband oder sind es mehrere Kisten mit Gold, woraus Thingol erst das Zwergenhalsband fertigen lässt?
- ↑ The Book of Lost Tales. Part II
- ↑ The War of the Jewels
- ↑ The Lord of the Rings I. Prologue
- ↑ The Peoples of Middle-earth
- ↑ Christopher Tolkien hat diesen Zyklus in zwei Bänden veröffentlicht: The Book of Lost Tales. Part I und The Book of Lost Tales. Part II
- ↑ in: The Book of Lost Tales. Part II, p. 67 - 116 Text, p. 116 - 118 Anmerkungen, p. 119 - 143 Kommentar; deutsch Band 2 von Das Buch der verschollenen Geschichten
- ↑ The Lays of Beleriand, p. 3
- ↑ The Book of Lost Tales II, p. 67
- ↑ Christopher Tolkien hat die Texte in: The Lays of Beleriand, p. 3 - 130 veröffentlicht.
- ↑ Lays of Beleriand, p. 4.
- ↑ Lays of Beleriand, p. 5.
- ↑ The Lays of Beleriand, p. 6 - 20 Text des Prologs (Húrin und Morgoth) und des Ersten Abschnitts (Túrin als Ziehsohn Thingols), p. 21 - 23 Anmerkungen, p. 23 - 29 Kommentar; p. 29 - 48 Text des Zweiten Abschnitts (Beleg), p. 48 - 49 Anmerkungen, p. 50 - 56 Kommentar; p. 56 - 79 Text des Dritten Abschnitts (Ankunft in Nargothrond), p. 79 - 82 Anmerkungen, p. 82 - 94 Kommentar.
- ↑ The Lays of Beleriand, p. 94 - 95 Einleitung Christophers; p. 95 - 101 Text des Ersten Abschnitts, p. 102 Anmerkungen, p. 102 - 104 Kommentar; p. 104 - 118 Text des Zweiten Abschnitts, p. 118 - 123 Anmerkungen, p. 124 - 127 Kommentar.
- ↑ Von Christopher in: The Shaping of Middle-earth, p. 11 - 75 veröffentlicht.
- ↑ The Shaping of Middle-Earth, p. 26 - 33 bzw. § 11 - § 14.
- ↑ Von Christopher in: The Shaping of Middle-Earth, p. 76 - 218 veröffentlicht
- ↑ The Shaping of Middle-Earth, p. 116 - 135 bzw. § 11 - § 14
- ↑ Von Christopher nicht etwa, wie man annehmen könnte in The Silmarillion. Chapter XXI veröffentlicht, dort hat der die entsprechenden Kapitel durch Texte aus der Narn ersetzt, sondern in: The Lost Road, p. 199 - 337, Morgoth's Ring, p. 141 - 300 und The War of the Jewels.
- ↑ The Lost Road, p. 306 - 323 bzw. § 16 und § 17 und einzelne Textvarianten in: The War of the Jewels, p. 243 - 247 bzw. § 16 und § 17.
- ↑ Christopher hat den Titel im Simarillion und in den Unfinished Tales zu Narn I Hîn Húrin verballhornt, da er eine Aussprache wie chin vermeiden wollte. In seinen späteren Veröffentlichungen nimmt er diese Veränderung wieder zurück.
- ↑ Christopher hat den Text völlig zerlegt und über alle seine Veröffentlichungen verstreut. Die Einleitung befindet sich in: The War of the Jewels, p. 311 - 315; der Anfang der Erzählung in: Unfinished Tales, bis p. 104 (Stücke sind aus dem Silmarillion zu ergänzen, p. 158 - 159 (Huor und Húrin in Gondolin), p. 190 - 195 (Nirnaeth Arnoediad), p. 201 - 201 (bei den Gesetzlosen)); die Mitte der Erzählung ist prinzipiell nur im Silmarillion abgedruckt, p. 204 - 215 mit Zusatzmaterial in den Unfinished Tales, p. 150 - 162; der Schluss der Erzählung wieder in den Unfinished Tales, p. 104 - 146; dann folgt noch der Nachklapp mit der Befreiung Húrins, in: War of the Jewels, p. 251 - 310, der bereits in der Tale vorbereitet war.
- ↑ The War of the Jewels, p.275.
- ↑ Unfinished Tales, p.6 und öfter.
- ↑ Unfinished Tales p. 6 und öfter im ganzen Anmerkungsapparat.
- ↑ Lost Tales I, p. 1.
- ↑ Unfinished Tales, p. 6 und öfter.
- ↑ Lost Road, p. 322.
- ↑ Carpenter: J. R. R. Tolkien
Literatur
- J. R. R. Tolkien (1977): The Silmarillion.
- deutsch: Das Silmarillion, Klett-Cotta 1978
- J. R. R. Tolkien (1980): Unfinished Tales.
- deutsch: Nachrichten aus Mittelerde, Klett-Cotta 1983
- J. R. R. Tolkien (1983): The Book of Lost Tales. Part I History of Middle-Earth vol. I
- deutsch: Das Buch der Verschollenen Geschichten. Band 1, Klett-Cotta 1986
- J. R. R. Tolkien (1984): The Book of Lost Tales. Part II History of Middle-Earth vol. II
- deutsch: Das Buch der Verschollenen Geschichten. Band 2, Klett-Cotta 1987
- J. R. R. Tolkien (1985): The Lays of Beleriand History of Middle-Earth vol. III
- J. R. R. Tolkien (1986): The Shaping of Middle-earth History of Middle-Earth vol. IV
- J. R. R. Tolkien (1987): The Lost Road History of Middle-Earth vol. V
- J. R. R. Tolkien (1993): Morgoth's Ring History of Middle-Earth vol. X
- J. R. R. Tolkien (1994): The War of the Jewels History of Middle-Earth vol. XI
- J. R. R. Tolkien (2007): The Children of Húrin. HarperCollins, 2007, ISBN 0007246226 (englische Originalausgabe)
- deutsch: Die Kinder Húrins. Klett-Cotta, Stuttgart 2007, ISBN 3608936033