Großbürger

käufliches und auch erbliches Handelsprivileg in reichsfreien Städten
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Großbürger waren Bürger einer Stadt, die das große Bürgerrecht der Stadt erworben hatten.

Erwerb des Großbürgerrechts

Das Großbürgerrecht wurde wie das Bürgerrecht entgeltlich erworben. Es mußte ein Bürgergeld entrichtet werden, das ein Vielfaches des normalen Bürgergeldes zum Erwerb des Bürgerrechts ausmachte. Das Großbürgerrecht ging - jedenfalls in Hamburg - automatisch auf die männlichen Nachkommen eines Großbürgers über. Diese brauchten also nicht erneut Großbürgergeld zu zahlen.

Rechtsnatur des Großbürgerrechts

Es ist umstritten, ob es sich bei dem Großbürgerrecht im eigentlichen Sinn um eine von der sog. kleinen oder normalen Bürgerschaft rechtlich verschiedene Bürgerstellung handelt oder lediglich um eine Handelskonzession. Denn jeder, der Handel großen Umfangs betreiben wollte, bedurfte dazu des großen Bürgerrechts.

Rechte des Großbürgers

Großbürger waren regelmäßig zuvor Bürger einer Stadt. Als Großbürger behielten sie naturgemäß die allgemeinen Befugnisse eines Bürgers. Aufgrund ihrer Großbürgerstellung erlangten sie jedoch weitere Befugnisse. Regelmäßig verbunden und der Auslöser für den Erwerb des Großbürgerrechts war die damit verbundene Berechtigung, einen umfangreichen Handel zu tätigen. In Hamburg durfte der Großbürger, wohl als Ausfluß der Befugnis, einen großen Handel führen zu dürfen, im Gegensatz zum einfachen Bürger Bankkonten unterhalten. Als vermutlich nicht ausschlaggebendes Sonderrecht hatte der Großbürger das freie Jagdrecht auf den Ländereien der Hansestadt.

Soziale Stellung des Großbürgers

Soziologisch ist die Frage, ob Großbürger Bürger im strengen Sinn rechtlich zu unterscheiden sind, unerheblich. Regelmäßig war der Bürger, der die große Bürgerschaft erlangte, schon zu einem gewissen Wohlstand gelangt, der es ihm erlaubte, das erhöhte Bürgergeld zu entrichten. Aus dem durch die große Bürgerschaft ermöglichten Großhandel wird er regelmäßig weiteren Wohlstand gezogen haben. So folgte aus den unterschiedlichen Geschäften, die den Bürgern einerseits und den Großbürgern andererseits möglich waren, eine fortschreitende Differenzierung nach auseinanderdriftenden wirtschaftlichen Möglichkeiten.

Als Folge seines Wohlstands konnte der Großbürger einen nicht zuletzt der Repräsentation dienenden "großbürgerlichen Lebensstil" führen, also ein aufwendiges [Leben]] mit Stadt- und Landsitz, Personal und gesellschaftlichen Veranstaltungen. Seine finanziellen Möglichkeiten einerseits und der Niedergang des landgesessenen Adels andererseits ermöglichten es dem Großbürger, adelige Landsitze zu erwerben. Überhaupt glichen sich in dieser Schicht die Lebensweisen des Bürgers und des niederen Adels weitgehend an. Oft war das Bestreben, adeligen Grundbesitz zu erwerben auch mit dem Bestreben verbunden, selbst nobilitiert zu werden. Eine Ausnahme bilden insoweit die Hamburger, bei denen die Annahme von Adelstiteln bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts verpönt war.

Soziale Abgrenzung: Kleinbürger

Der einfache Bürger hingegen war Handwerker oder führte nur ein kleines Handelsgeschäft, war also Kramer. Er lebte aufgrund seiner materiell eingeschränkten Möglichkeiten "kleinbürgerlich", wobei der Begriff Kleinbürger als Reflex auf den Begriff Großbürger entstanden sein wird. Während dem oft international tätigen Großkaufmann schon aufgrund seiner grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen eine weltläufige Denk- und Lebensweise beigemessen wurde, steht der Begriff "kleinbürgerlich" heute zugleich für eine beschränkte, regelmäßig auf die eigene kleine Welt beschränkte Weltsicht.

Ein Beispiel für die im Laufe der Zeit durch die unterschiedlichen Bürgerrechte entstandene gesellschaftliche Differenzierung ist Hamburg. Hamburg war stets eine rein bürgerliche Stadt, in welcher der Adel keine Rechte haben durfte. Ursprünglich handelte es sich um ein probates Mittel, von vornherein möglichen Konflikten mit den Adeligen und ihren Herren im Umland der Stadt vorzubeugen. Im Laufe der Zeit wurde die Distanz zu Adel und Orden Bestandteil des [[hanseat]ischen Wesens Hamburger Ausprägung. Eine Auswirkung dieses Prinzips war beispielsweise, daß Bürger, die ungeachtet dieses Grundkonsenses auswärtige Standeserhebungen entgegennahmen, keine städtischen Ehrenämter mehr ergreifen durften. Die Bürgerlichkeit der Stadt ging soweit, daß der Oberkommandierende des Militärs lediglich den Rang eines Obersten bekleiden durfte, weil die Bürger der Stadt keine höheren Militärchargen mit ihrem gesellschaftlichen Geltungsanspruch in der Stadt haben wollten.

Ungeachtet dieses auf den ersten Blick egalitären Ansatzes war Hamburg tatsächlich eine Klassengesellschaft deutlichster Ausprägung. Es wurde strengstens darauf geachtet, daß die drei Stände "Handelsadel" (Großbürger), wohlhabende Industrielle und kleine Kaufleute (Kleinbürger) und der regelmäßig arme Rest der Bevölkerung (Plebs) auf das strengste getrennt waren (vgl. Meyer's Conversations-Lexicon, 1840ff, 14. Band, S. 922).

Andere Länder, andere Entwicklungen

Die Entwicklung in anderen Ländern ist nicht mit der Entwicklung in Deutschland identisch. In Südeuropa spielte der wieder stadtsässig gewordene Adel in Handel und Gewerbe eine beträchtliche Rolle. In England bildeten die jüngeren Adelssöhne mit dem gehobenen Bürgertum die Middle Class aus.

Der aus Frankreich stammende Klassenbegriff "Bourgeois" (schon von Diderot negativ gebraucht) im Fall des Deutschen "Bürgers" nicht von dem "Citoyen" der Revolution zu trennen. Die kapitalistischen Großbürger als sozial wahrnehmbare Gruppe wurden polemisch als "Bourgeoisie" zum Kampfbegriff des Klassenkampfes, in dem das Proletariat als "Abfallprodukt" der Technisierung nach oben strebte.

Niedergang des Großbürgertums

Zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise zwischen den Kriegen sowie der fortschreitende Industrialismus - als Abkehr vom individualistischen Wirtschaftsstil des bürgerlichen Unternehmers - und der damit einhergehende Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft haben die wirtschaftlichen Grundlagen des Großbürgertums soweit zerstört, daß es als gesellschaftlich unterscheidbare Gruppe nicht mehr vorhanden ist.

Im 20. Jahrhundert wurden die Formen des Honorationen-Bürgertums preisgegeben, weil sie in einer auf einen Durchschnittsstil ausgerichteten Gesellschaft als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurden. Diese Entwicklung hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer mehr oder weniger bewußten Antibürgerlichkeit radikalisiert,

Der moderne Wohlfahrtsstaat mit seiner nivellierenden Funktion und hohen Besteuerung, verbunden mit dem Streben vieler Frauen ist ein weiterer Grund für das Zurückweichen "großbürgerlicher" Lebensform, die voraussetzt:

Die unverminderte Attraktivität großbürgerlicher Attribute- ohne allerdings von einem in eigentlichen Sinn großbürgerlichen Lebensstil begleitet zu sein - belegen die Bestrebungen neu aufgestiegener Mitglieder der Gesellschaft, einzelne großbürgerliche Lebenselemente zu kopieren, wie beispielsweise die Wappenannahme Joschka Fischers (aus einer Metzgerfamilie] stammend oder Gerhard Schröders (aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie stammend) Attitüde, aufwendige Maßanzüge zu tragen und Cohiba-Zigarren zu rauchen.

Literatur

  • Köhler, Oskar: Artikel "Bürger, Bürgertum" in: Staatslexikon Band 1, Spalten 1040ff, Freiburg im Breisgau 1985 ISBN 3-451-19301-9 mit weiterführenden Literaturangaben

Siehe auch: