Unter angelsächsischer Religion ist die vorchristliche Religion des germanischen Sammelvolks der Angelsachsen in England zu verstehen. Religionswissenschaftlich klassifiziert stellt sich die angelsächsische Religion als ein Teil der kontinentalen Südgermanischen Religion dar, und ist darüber hinaus insgesamt ein Teil der Germanischen Religion.[1] Quellenlage zur angelsächsischen ReligionWie für die gesamte germanische Religion gilt auch für die angelsächsischen Verhältnisse zum Einen, dass die Religion dezentral und regional angesiedelt war, mit den sich daraus ergebenden lokalen Verschiebungen und Schichtungen. Und zum Anderen gilt ein nur geringes Vorhandensein von zuverlässigen Quellentexten, unter anderen in Glossen, Zaubersprüche und Stammbäume. Bei späteren Berichten (klerikales Schrifttum, Historien - insbesondere Kirchenhistorien, besonders Beda Venerabilis in Historia ecclesiastica gentis Anglorum) ist zu unterscheiden zwischen den Einflüssen aus nordischen Mythologien und nordgermanischer Religion der heidnischen Dänen (Danelag) zur Wikingerzeit, die in Englands Nordosten siedelten, und alter authentischer, einheimischer Überlieferung. Hier sind besonders die Ortsnamen mit Gottesbezug (theophor) zu nennen, die zu dieser Zeit regional auch mit den nordischen Namensformen der Hauptgottheiten belegt wurden. Einen wichtigen Beitrag zur Ermittlung Religion der Angelsachsen hinsichtlich Ritus und Kult hat die archäologische Forschung und deren Untersuchungen von Fundorten in ehemaligen Opfermooren außerhalb der angelsächsischen Gebiete in Deutschland und Skandinavien ergeben, wodurch es erlaubt ist, vergleichende Rückschlüsse zu ziehen. Grabungsbefunde von Bestattungsweisen in England lassen anhand von Grabbeigaben und allgemeine Gestaltung auf die geistig-religiöse Haltung der Angelsachsen schließen. Die GottheitenDie Angelsachsen kannten folgende Gottheiten und mythische Helden: Ærta, Éarendel, Éastre, Erce, Folde, Géat, Hengist / Horsa, Hréðe, Ing, Mæðhilde, Seaxnéat, Tíg, Þunor, Wéland, Wóden, Wyrd. (Nicht bezeugt, aber häufig erwähnt, sind *Fríg, *Fréa, *Grím.)
Geister und Wesen der Mythologie |
Neunkräutersegen Vs.31-34 Wyrm com snícan, tóslát he man; ða genam Wóden VIIII wuldortánas, slóh ðá þa næddran, þæt heo on VIIII tófleah.
Eine Schlange kam gekrochen, biss einen Mann. Da nahm Wóden 9 Glanzzweige, schlug damit die Natter, so dass sie in 9 [Stücke] zerfiel.“ Deor Vs.15-17 We þæt Mæðhilde monge gefrugnon, wurdon grundléase Géates frige, þæt hi seo sorglufu slæp ealle binom.
Manche von uns erfuhren von Mathilde: Bodenlos wurde Géats Liebe, so dass Kummer ihnen allen Schlaf raubte.“ Flursegen Vs.30-32 Hál wes þú, Folde, fira módor! Beo þú grówende on Godes fæþme, fóddre gefyllet firum tó nytte!
Heil sei dir, Folde, der Menschen Mutter! Sei du grünend in Gottes Umarmung, gefüllt mit Speisen, den Menschen zu Nutze.“ Crist A Vs.104-108 Éala Éarendel engla beorhtast! ofer middangeard mannum sended and sódfæsta sunnan leoma torht ofer tunglas, þú tída gehwane of sylfum þe symle inlíhtes.
Oh, Éarendel, der Engel glänzendster! Über Midgard den Menschen gesendet und wahrlich Sonnenstrahlen strahlend über Sterne, du allzeiten. aus dir selbst leuchtest. |
Kult
Der Mönch Beda Venerabilis, selbst angelsächsischer Herkunft, berrichtet von einem Brief den Papst Gregor I. im Jahr 601 an dem anglischen Abt Mellitus für den Bischof Augustinus von Canterbury sendete. Indirekt wird darin über die religiös-kultischen Gebräuche der Angelsachsen berichtet:
„...videlicet quia fana idolorum destrui in eadem gente minime debeant, sed ipsa quae in eis sunt idola destrunatur... Et quia boves solent in sacrificio daemonum multos occidere, debet eis etiam hac de re aliqua sollemnitas immutari: ut die dedicationis... tabernacula sibi circa easdem ecclesias, quae ex fanis commutatae sunt, de ramis arborum faciant, et religiosis conviviis sollemnitatem celebrant“
„...nämlich, dass man die Heiligtümer der Götzen in diesem Volk sehr wenig zerstören soll, sondern nur die Götzenbilder selber, die dort sind, zerstören. Und weil sie den Dämonen viele Ochsen zum Opfer zu schlachten pflegen, soll ihnen auch dafür irgendein Fest umgestaltet werden, so dass sie sich am Tage der Kirchenweihe... um die Kirchen herum, die aus veränderten Heiligtümern entstanden sind, Hütten aus Baumzweigen machen und das Fest durch religiöse Schmäuse feiern.“
Die Angelsachsen feierten an bestimmten Orten öffentliche kultische Feste, begleitet durch Opferriten und Opfermahlen, dies in Perioden mit unterschiedlichen Bestimmungen und Zwecken. Zu diesen öffentlichen, und gemeinschaftlichen religiösen Riten kommt der private Kult.
Tempel und Priester
Tempel, Kultorte
Wie bei den kontinentalen südgermanischen Stämmen und Stammesverbänden lagen auch die angelsächsischen Heiligtümer im Freien, an markanten Orten wie Quellen, Steinen die als Kultorte neu erschlossen wurden, oder von den nichtchristianisierten heidnischen Briten übernommen wurden. Ursprünglich im Wald beziehungsweise auf Waldlichtungen angelegt, oder solche als baumbestandene Haine separiert und kultiviert (Tac. Germ. Kap.39 Opferhain der Semnonen), wurde diese später eingehegt und stehen eng mit dem indogermanisch ererbten Baumkult in Verbindung.[2]
In der angelsächsischen Sprache wird der „Tempel, Hain“ mit „ealh, alh“ bezeichnet, zum Vergleich in der gotischen Sprache als alhs. Beide Begriffe bedeuten ursprünglich „heiliger Hain“ und sind auf die indogermanische Wurzel *eleq – „heiliger Baum, Holzgötze“ zurückzuführen, aber auch zu Bedeutungen von „Kraft, Macht und Schutz“.
Ein anderer Begriff ist „bearu“ – „Wald“ der mit „heiliger Hain“ übersetzt werden kann, da nach Beda „æt Bearwe“, also dort vor Ort, Kirchen errichtet wurden (Hist. Ecc. IV, 3; V, 2).
Ein Dritter angelsächsischer Begriff für „Tempel“ ist „hearg“[3] und hat die Bedeutung von „Steinhaufe, Opferstätte“. Bei alten Opferstätten sind Steinhaufen archäologisch festgestellt worden, vermutlich als Altar oder Sitz eines Idols, verehrten Pfahls, oder Götterfigur.[4]
Auf die germanischen Kultstätten in England deuten zahlreiche Ortsnamen hin die von ealh, hearg abzuleiten sind. Bedas Bericht über die Bekehrung des anglischen Priesters Coifi nennt den den Standort des Tempels Godmundingaham aus der Zusammensetzung mit God. Viele Kirchen sind auf ehemaligen heidnisch genuzten Orten errichtet worden, so unter anderen auch die Kathedrale von Canterbury, die auf dem Boden eines ehemaligen angelsächsischen Tempelbezirks errichtet wurde. Zwar wurde von päpstlicher Seite aus geraten heidnische „Tempel“ in christliche Kirchen umzuwandeln, es ist jedoch bis heute kein Nachweis erbracht das tatsächlich ein germanischer Tempelbau kirchlichen Zwecken zugeführt wurde, eher wird von deren Zerstörung berichtet. Dem päpstlichen Brief an Augustin ist letztlich nicht zu entnehmen, dass die Angelsachsen „Tempel“ mit Wänden und Dächern gemäß dem lateinischen Verständnis nutzten.[5] Der zum Christentum bekehrte Coifi verbrannte in Folge den Haupttempel und andere Heiligtümer, was nicht nur für eine hölzerne Einhegungung, sondern auch für eine massive hölzerne Gesamtstruktur spricht. Zum anderen sind deshalb auch keine konstruktiven Spuren erhalten geblieben beziehungsweise archäologisch nachweisbar.[6]
Die eigentliche, und spezifisch angelsächsische Begriffsneubildung ist „friðgeard“ „heiliger eingefriedigter Ort“, der Frieden der am Kultort herrschte hängt direkt mit dem germanischen Rechtsverständnis zusammen wie der Vergleich zu dem isländischen „Thingfrieden“ zeigt und auch zum kultischen Selbstverständnis der unbedingten Gebundenheit. Eine Verletzung dieses Friedens hatte drastische Sanktionen zur Folge. Die angelsächsischen Begriffe für „Tempel“ werden somit alle unter dem Gesichtspunkt des gemeingermanischen Charakters von Kultstätten, als einen eingefriedeten Hain gesichert bestätigt.[7]
Priester, andere sakrale Personengruppen
Die gottesdienstlichen Handlungen der Germanen werden bei Tacitus (Germ. Kap.10) unterteilt in öffentliche Kulthandlungen eines Staatspriesters „sacerdos civitates“, und die eines „pater familias“, dem Familienoberhaupt als Hauspriester.[8] Die priesterlichen Aufgaben, von Tacitus beschrieben, bilden ein gemeingermanisches Muster mit lokalen Verschiebungen. Diese Aufgaben beinhalten vor allem die Leitung der Opferhandlungen, von feierlichen Riten und Umzügen an Festtagen, okulten Handlungen von Viehbesprechungen und Exorzitien, die medizinische Betreuung, richterliche Befugnisse, Eheschließungen, Eröffnung der Thingversammlung. In Island hatte das Hof- und Familienhaupt diese Funktion inne als „Gode“, Besitzer des privaten Tempels und Götterbildes. Vermutlich hatten die angelsächsischen Eigennamen Gode, Goda und die Bezeichnung „heargweard“ die Nebenbedeutung von der des „Tempelbesitzers“. Andere Eigennamen sind vermutlich mit Priestertitel in Verbindung zu setzen.[9]
Die Frage einer weiblichen Priestschaft bleibt unbeantwortet, aus dem Wortschatz des angelsächsischen und aus den zeitgenössischen Quellen ist dies nicht zu entnehmen. Die angelsächsischen Priester durften keine Waffen tragen, sie gehörten nicht zu den Kriegern, und durften nur Stuten als Reitiere benutzen (Beda, Hist. Eccl. II, 13). Neben der zentralen Aufgabe der Verrichtung von Opferhandlungen, war die Position des Ratgebers, besonders für den Adel und den politischen Entscheidungsträgern, eine weitere bedeutende Funktion. Ausgehend vom Begriff für Opfer/Opfern blōtan, und vergleichend der späteren christlichen Wortbildung „wēofod-pegn“ „Altardiener“, bedeutet der Begriff „pyle“ „Kultredner“ in den schriftlichen Quellen aber „Rat der Fürsten“.[10]
Wie der gemeingermanische Adel, so hatte auch der angelsächsische Adel, insbesondere der König, neben der offiziellen politischen Macht und Gewaltenausübung immer auch eine sakrale Bedeutung und Funktion.[11]
Opfer und kultische Feste und Festzeiten
Seelen, Ahnen und Totenkult
Christianisierung
Wohl ab dem 6. Jahrhundert begann die Christianisierung der angelsächsischen Völker. Es waren zuerst die Adeligen, die sich dem neuen Glauben zuwandten. Beda berichtet, welche Gründe sie bewegten: Im Rat von König Edwin vergleicht einer seiner Gefolgsleute das Leben, wie sie es bisher kannten, mit dem Flug eines Spatzes, der aus einem eiskalten Sturm in eine warme, erhellte Met-Halle fliegt – und wieder hinaus in den Sturm.
„Ipso quidem tempore, quo intus est, hiemis tempestate non tangitur, sed tamen paruissimo spatio serenitatis ad momentum excurso, mox de hieme in hiemem regrediens, tuis oculis elabitur. Ita haec uita hominum ad modicum apparet; quid autem sequatur, quidue praecesserit, prorsus ignoramus. Unde si haec noua doctrina certius aliquid attulit, merito esse sequenda uidetur.“
- Übersetzung:
„Während der Zeit, in der er sich drinnen aufhält, wird er vom Wintersturm nicht berührt, doch nach einem kurzen Moment der Heiterkeit verschwindet er bald aus deinen Augen, geht zurück in den Winter, aus dem er gekommen ist. So erscheint das Leben der Menschen für kurze Zeit; was aber darauf folgt, oder was ihm vorausging, darüber wissen wir nicht das Geringste. Wenn nun diese neue Lehre (=das Christentum) irgendwelches sichereres Wissen beiträgt, verdient sie es, befolgt zu werden.“
Bis zum 9. Jahrhundert hatte das Christentum den ursprünglichen Glauben der Angelsachsen verdrängt; dieser lebte nur im Volksglauben weiter.
Siehe auch
Literatur
- Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. Ullstein, Berlin 1999, ISBN 3-548-26513-8.
- Jan De Vries: Altgermanische Religionsgeschichte (2 Bände). Walter De Gruyter, Berlin 19703.
- Karl Helm: Altgermanische Religionsgeschichte (2 Bände). Carl Winter, Heidelberg 1913 – 1953.
- Rudolf Much, Herbert Jankuhn, Wolfgang Lange: Die Germania des Tacitus. Carl Winter, Heidelberg 1967.
- Ernst Alfred Philippson: Germanisches Heidentum bei den Angelsachsen (Kölner anglistische Arbeiten Bd.4). Verlag Bernh. Tauchnitz, Leipzig 1929.
- Louis J. Rodrigues: Anglo-Saxon Verse Charms, Maxims & Heroic Legends. Pinner, 1993, ISBN 1-898281-01-7.
- Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. Kröner Verlag, Stuttgart 1984 – 20063, ISBN 3-520-36802-1.
- Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. WBG, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-16910-7.
- Ake V. Ström, Haralds Biezais: Germanische und Baltische Religion. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1975, ISBN 3-17-001157-X.(?!).
Einzelnachweise
- ↑ Die wissenschaftliche Klassifizierung wird u. a. bei A.Ström, Karl Helm und in der Theologischen Real-Enzyklopädie unter dem Stichwort Germanische Religion erläutert.
- ↑ Philipsson: S.183, 184. die Begriffe der lateinisch sprechenden, oder schreibenden zeigen diesen Umstand an, templum et castrum, und meistens als lucus, fanum, nemus wiedergegeben. Zum Vergleich, Franz Rolf Schröder: Ingunar-Freyer Tübingen 1941, S. 9–15. Betreffend des germanischen Baumkultes.
- ↑ In althochdeutscher Sprache harug(c), haruch, altnordisch hórgr
- ↑ Ström, Biezais: S. 110, 111. Walter Baetke: Das Heilige im Germanischen, Tübingen 1942, S. 90 – 92. Das altenglische wēoh und anglische wíg gehört zum urgermanischen *wīhaz und könnte auch in England „Heiligtum“ bedeutet haben.
- ↑ Philipsson: S. 185 incl. Fußnoten
- ↑ Simek:Religion und Mythologie der Germanen, S. 89.
- ↑ Philipsson: S.190
- ↑ Much, Jankuhn, Lange: S. 192; u.a. Priester am Stammesheiligtum.
- ↑ Ealhweard, Ealhmund, Oshelm (Os vergl. altnordisch Ase), Godmund u.a.
- ↑ Philipsson: S. 182
- ↑ Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. S. 358 – 360 „Sakralkönigtum“. Philipsson: S. 182.