Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat

Notverordnung im nationalsozialistischen Deutschland
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Die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 setzte die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und war ein wichtiger Meilenstein bei der Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats. Vordergründiger Anlass war der Reichstagsbrand in der Nacht zuvor.

Die weitreichende Regelung wurde unter dem irreführenden Titel "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" als Rechtsverordnung erlassen. Paul von Hindenburg nutzte dabei das Notverordnungsrecht des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung.

Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen waren somit legitim. Die Reichstagsbrandverordnung bot die Grundlage für eine Verhaftungswelle von Regimegegnern und war der Ausgangspunkt für die Umwandlung der Weimarer Republik in eine totalitäre Diktatur.

Der zweite Teil der Verordnung begründete das Recht des Reiches, auf die Länderebene durchzugreifen. Er bildete die Grundlage für die Gleichschaltung und Zentralisierung des gesamten staatlichen Gefüges des Deutschen Reiches in der Folgezeit, da er jegliche föderalistische Reservatrechte in Gänze zur Disposition stellte.

Die Verordnung wurde zunächst nur im Kampf gegen die Kommunisten als Legitimation verwendet, ganz so, wie es ihr Wortlaut suggerierte. Allerdings wurde ihr Wirkungsbereich im Rahmen der Volksgemeinschaftslehre der Nationalsozialisten bald erweitert. Diese „erweiterte Interpretation“ fußte darauf, dass letztlich praktisch alle politischen Entwicklungen, die nicht im Sinne des Nationalsozialismus waren, auf die Agitation der Kommunisten zurückgehen würden. Dadurch konnten mit Berufung auf den Text der Verordnung plötzlich alle politischen Gruppen bekämpft werden, die das Regime ins Visier nehmen wollte. Auch solche Gruppen, die im schärfsten Widerstand zu den Kommunisten fielen darunter, wie katholische Jugendgruppierungen, da argumentiert wurde, dass Tätigkeiten, die die nationalsozialistische Volksgemeinschaft durch partikularistische Tendenzen in irgendeiner Form schwächten, im Umkehrschluss die kommunistische Gefahr stärkten – womit diese Handlung wieder unter die Notverordnung fielen.

In der zweiten Stufe der „erweiterten Interpretation“ wurden dann praktisch alle Handlungen und Tätigkeiten Einzelner und Gruppen als letztlich politisch definiert, da es nach nationalsozialistischem Verständnis keinen unpolitischen Bereich in der Volksgemeinschaft geben konnte. Dies bedeutete, dass fortan de facto alles und jeder unter den Geltungsbereich der Verordnung fielen, und somit alles und jeder praktisch aller Grundrechte verlustig ging, wenn das Regime das wünschte.

Daher bildet diese Verordnung de facto das metaphorische „Grundgesetz“ des NS-Regimes. Sie allein begründete fast vom ersten Tage an den dauerhaften zivielen Ausnahmezustand und damit die willkürliche Macht, die alle späteren staatlichen Verbrechen und Umbauten des Staates legitimierte.

Die Nationalsozialisten versuchten, diesem Vorgang, genau wie der „Machtergreifung“, einen Anstrich von Legalität zu geben. In der Tat war die Notverordnung im ersten Moment eine legale Notverordnung des Reichspräsidenten wie jede andere zuvor auch. Allerdings wurde sie in einer Form interpretiert und umgesetzt, die jeden Verfassungsrechtler zu dem Schluss kommen lässt, dass sie ihrem Wesen nach illegal war.


Nach klassischem Verfassungsrecht musste einen rechtsstaatlichen Ausnahmezustand dreierlei charakterisieren:

1) Die rechtstaatliche Ordnung musste offensichtlich gefährdet sein.

2) Der Ausnahmezustand musste das klar erkennbare Ziel der Wiederherstellung der Ordnung haben

3) Er musste auch auf diese Zeit begrenzt sein.


Die Anwendung der Verordnung vom 28. Februar 1933 widersprach diesen Auflagen in jedem Punkt.

1) Eine Gefährdung des Rechtsstaates wurde durch die Regierung eigentlich erst erzeugt, von der vorher keine Rede sein konnte.

2) Der Ausnahmezustandzustand wurde durch seine „erweiterten Interpretationen“ benutzt, um die Ordnung zu zerstören, statt sie wiederherzustellen.

3) Und trotz aller propagandistisch motivierten Stabilitätsbekundungen wurde der Ausnahmezustand aufrechterhalten.


Damit handelten die Nationalsozialisten allen verfassungsrechtlichen Schranken für den Ausnahmezustand zuwider, und setzten die ursprünglich formal legale, wenn auch in ihrer Begründung zweifelhafte Notverordnung, und damit sich selbst und ihr Regime dauerhaft in die Illegalität.

Die Nationalsozialisten haben der Grundlage ihrer Macht also nur den Anstrich von Legalität gegeben. Tatsächlich haben sie sich willentlich jenseits jeglichen Rechtsverständnisses willentlich in die Illegalität gestellt.

Die Legende von der „Legalität“ der nationalsozialistischen Handlungen in der Stabilisierungsphase des Regimes wurde allerdings so glaubhaft verbreitet, dass sie bis heute noch wirkungsmächtig nachschwingt. Genau wie die Machtergreifung und teils sogar das Ermächtigungsgesetz, steht auch die Reichtagsbrandverordnung im Ruch, „legal“ gewesen zu sein.