Holocaust (Begriff)

Begriff
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Der Begriff Holocaust (von griech. holokautoma: „vollständig Verbranntes“) bezeichnete im Altertum ursprünglich ein Brandopfer von Tieren.[1] Er ging über verschiedene Bibelübersetzungen zuerst in den französischen und englischen Wortschatz, von da aus auch in andere Sprachen Europas ein. Seit dem späten 16. Jahrhundert bezeichnete er den Feuertod vieler Menschen, sei es als Brandkatastrophe, sei es als außergewöhnliches Verbrechen.

Seit dem Völkermord an den Armeniern (1909; 1915-1917; 1919) wurde der Begriff auch für ethnische Vernichtung in der Dimension eines Völkermords verwendet. Seit 1942 im Vereinigten Königreich, seit etwa 1970 in den Vereinigten Staaten und seit 1979 auch in der Bundesrepublik Deutschland wird er vor allem auf die systematische industrielle Ausrottung der europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus bezogen. Dieses Thema behandelt der Artikel Holocaust, dessen hebräische Bezeichnung und Besonderheiten der Artikel Shoa.

Heute wird der Begriff in Europa nur noch selten für andere Ereignisse und Vorgänge verwendet. Diese Verwendung wird zudem häufig als gewollte oder ungewollte Verharmlosung und Relativierung der Judenvernichtung kritisiert.

Begriffsgeschichte

Herkunft aus dem Opferkult

Das Wort Holocaust ist eine Transliteration des griechischen Substantivs holokautoma und des dazugehörigen Adjektivs holókauston, die sich aus Vorlage:Polytonisch holos („ganz, vollständig“) und Vorlage:Polytonisch kausis („Brand, Verbrennung“) zusammensetzen. Es bedeutet wörtlich „vollständig verbrannt/Verbranntes“. Erstmals überliefert ist es bei dem griechischen Historiker Xenophon für ein Tieropfer. Die um 250 v. Chr. begonnene griechische Bibelübersetzung, die Septuaginta, verwendete es etwa 200 mal für die im hebräischen Tanach oft nebeneinander stehenden Worte olah (עלה) und kalil („das, was ganz in Rauch zum Himmel aufsteigt“). Gemeint sind Tieropfer, bei denen alle Körperteile und Innereien eines geschlachteten und zerteilten Opfertieres auf einem Altar verbrannt wurden, wie es Lev 9,12ff EU beschreibt. In diesem Sinn heißt es z.B. in [[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|1_Sam]] 7,9 EU:

Da nahm Samuel ein junges Lamm und brachte es dem Herrn als Ganzopfer dar. Er rief zum Herrn für Israel und der Herr erhörte ihn.

In der Bibel wird der Begriff nur einmal, in der Geschichte von der Beinahe-Opferung Isaaks, für ein unausgeführtes Menschenopfer, das dann durch das Brandopfer eines Widders ersetzt wird, verwendet (Gen 22,2 EU):

Gott sprach zu Abraham: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer dar auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

Die Vulgata - die lateinische Übersetzung der Septuaginta - übernahm den im Lateinischen unbekannten Begriff als holocaustum. In dieser Form drang er in das Französische und Englische, von dort aus in weitere europäische Sprachen ein. Die Lutherbibel dagegen, die die Entwicklung zum Hochdeutschen maßgeblich vorantrieb, übersetzte den ursprünglichen hebräischen Wortlaut mit Brand- oder Ganzopfer.

Neuzeitliche Säkularisierung

1189 übertrug ein englischer Chronist das Wort anlässlich der Thronbesteigung von König Richard I. an einem Karfreitag auf ein damaliges durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen durchgeführtes Judenpogrom:[2]

Am Krönungstag, etwa zu der Stunde, da der Sohn geopfert wurde, begann man in London, die Juden ihrem Vater, dem Teufel, zu opfern. Dabei konnte [...] man das Brandopfer [lat. holocaustum] erst am anderen Tag zu Ende bringen.

Der italienische Jurist Andrea Alciati kritisierte die damals verbreitete Verbrennung von als Hexen geltenden Personen nach Folterprozessen 1515 als Holocaustum. Seit 1583 (erster Nachweis) wird das Wort im englischen Sprachraum auch im übertragenen Sinn verwendet, etwa für Großbrände mit vielen Todesopfern oder für Massenmorde.

Im 20. Jahrhundert wurden sowohl menschengemachte Geschichts- wie Naturkatastrophen im Englischen als Holocaust bezeichnet, zuerst der Völkermord an den Armeniern in der Türkei, der mit einem Massaker in Adana 1909 seine Schatten vorauswarf. Dazu veröffentlichte der Brite Ducket Ferriman 1913 in London das Buch The Young Turks and the Truth about the Holocaust in Asia Minor during April 1909[3]. Später wurden auch andere Völkermorde so bezeichnet, ebenso andere historische Katastrophen wie der Erste und der drohende Zweite Weltkrieg, das Erdbeben in San Francisco 1917 sowie auch kleinere Ereignisse.

Dieser allgemeine Wortgebrauch setzte sich fort, nachdem auch die nationalsozialistische Judenvernichtung bereits als Holocaust bezeichnet wurde. So schrieb die jüdische Palestine Post 1947 über einen „holocaust of war, with its toll of 30 million victims of whom six million were Jews“.[4] Weitere Beispiele sind englische Buchtitel wie Abortion, the Silent Holocaust (1981), Execution by Hunger: The Hidden Holocaust (1985), The Forgotten Holocaust: The Poles Under German Occupation, 1939-1944 (1986), And the Violins Stopped Playing: A Story of the Gypsy Holocaust(1986) und The Rape of Nanking: The Forgotten Holocaust of World War II (1997).[4]

Konzentration auf die Judenvernichtung

1942 brachte erstmals eine britische Tageszeitung die von Adolf Hitler geplante Judenvernichtung (extermination) mit dem Holocaustbegriff in Verbindung. Seit einer Rede von Sir Herbert Samuel 1943 im britischen Oberhaus etablierte sich der Begriff allmählich auch als Sammelbezeichnung für die deutschen Verbrechen an den Juden. 1944 schrieb Morris Cohen in seinem Buch Legal Claims against Germany:

Millionen überlebender Opfer des Naziholocaust, Juden wie Nichtjuden, werden vor uns stehen in den kommenden Jahren.

Wegen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wurde der Begriff in den USA nach 1945 zunächst vorwiegend auf einen möglichen und befürchteten Atomkrieg bezogen. Für die nationalsozialistische Judenvernichtung wurde er hier erst um 1960 üblich und in den 1970er Jahren vorherrschend.[4]

Im Deutschen gab es zwar schon länger das kaum bekannte Fremdwort Holokaust. Doch erst die Übertragung des US-amerikanischen Fernsehfilms Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß machte das Wort in englischer Schreibweise in der Bundesrepublik 1979 allgemein bekannt und populär. Seitdem wird es hier fast ausschließlich auf die Judenvernichtung im Dritten Reich bezogen. Damit ist ein Bewusstsein für die Ausnahmestellung dieses nationalsozialistischen Völkermords verbunden.

Manchmal werden auch NS-Massenmorde an anderen Opfergruppen in den Begriff eingeschlossen, vor allem an den Roma, Sinti und Jenischen (siehe Porajmos), weniger an den Homosexuellen (siehe Rosa Winkel) und den Zeugen Jehovas (siehe Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus). Diese Ausdehnung ist umstritten; wo sie vertreten wird, wählt man für die Judenvernichtung meist das hebräische Wort Shoa. Deren Überlebende und Nachfahren von Shoa-Opfern, aber auch Holocaustleugner und Geschichtsrevisionisten verbinden mit dem Holocaustbegriff vor allem die Verbrechen, für die symbolisch der Name Auschwitz, das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten, steht.

Relativierung und Inflationierung

Nationalisten und Rechtsextremisten benutzen den Holocaustbegriff seit 1945 oft für andere Ereignisse, um diese als mit der Shoa vergleichbar zu interpretieren und eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Damit versuchen sie das Außergewöhnliche der Judenvernichtung zu verdrängen oder einzuebnen und als „normalen“ Teil der deutschen Geschichte erscheinen zu lassen, um so ein nationalistisches und antisemitisches Selbstbewusstsein zu restaurieren. Dies deuten Antisemitismusforscher wie Wolfgang Benz als Teil eines sekundären Antisemitismus, der Schuldgefühle abwehren oder gegen ein vermeintliches Tabu rebellieren soll.

Verschiedene Gruppen benutzen den Holocaustbegriff für gesellschaftlich umstrittene Vorgänge wie Abtreibung, Artensterben, Massentierhaltung oder andere historische Massenmorde, um dafür eine gesteigerte Aufmerksamkeit, moralische Betroffenheit und Empörung zu erreichen. Diese Instrumentalisierung beschädigt jedoch nach Ansicht vieler Historiker und Zeitbeobachter die Menschenwürde der Überlebenden und Opfernachfahren der Shoa, das unaufgebbare Gedächtnis an diese und schwächt die Abwehrkräfte gegen eine Wiederholung ähnlicher Verbrechen.

„Hunger-Holocaust“

Der Ausdruck „Hunger-Holocaust“ ist ein anderer Begriff für Holodomor, eine große Hungersnot zu Beginn der 1930er Jahre in der Ukraine. Er stammt aus der ukrainischen Nationalhistoriografie, wird in der wissenschaftlichen Debatte um die Gründe der Hungersnot heute aber selten verwendet (s. jedoch die Literaturangaben zum Artikel „Holodomor”). Ob die Hungersnot eine gezielte Maßnahme der sowjetischen Führung oder aber bloß ein Ergebnis rücksichtloser oder fehlerhafter Politik war, ist in der Geschichtsforschung umstritten.

„Atomarer Holocaust“

Hauptartikel: Nuklearer Holocaust

Der Ausdruck atomarer oder nuklearer Holocaust wurde 1961 durch Erich Fromm in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt und in den 1980er Jahren - parallel mit Euroshima - als politisches Schlagwort verwendet. Er bezeichnete in der damaligen Friedensbewegung die Befürchtung, dass ein mit Atomwaffen geführter Dritter Weltkrieg aller Voraussicht nach die völlige oder weitgehende Vernichtung menschlichen und anderen Lebens auf der Erde in Form eines „Weltbrands“ herbeiführen würde.

Seit dem Ende des Kalten Krieges 1990 nahm diese Angst im westlichen Bewusstsein stark ab. Sie wächst jedoch erneut seit der möglichen Eskalation des Antiterrorkrieges oder des Nahostkonflikts durch mögliche Proliferation atomaren Materials in Händen von Diktaturen und Terroristen, vor der etwa die Internationale Atomenergiebehörde gegenwärtig warnt.

„American (Indian) Holocaust“

Im englischen Sprachraum wird das Wort Holocaust allgemein für Völkermorde und damit vergleichbare Vorgänge verwendet, so etwa für die allmähliche, über 500 Jahre anhaltende Verdrängung und Vernichtung der indigenen Ureinwohner Nordamerikas. Damit werden meist verschiedene Vorgänge in der Vorgeschichte und Geschichte der USA - u.a. Landraub, Zerstörung der Nahrungsgrundlagen etwa durch ungebremstes Jagen der Büffel, Einschleppen von Seuchen, rücksichtslose verkehrstechnische Erschließung des „Wilden Westens“, Zwangsreservate, Alkoholverkauf, Kriege und Massaker - unter dem Aspekt ihrer Gesamtfolgen für die Indianer als Völkermord zuammengefasst. Veröffentlichungen dazu sind unter anderen American Indian Holocaust von Russell Thornton oder American Holocaust - The Conquest of the New World von David E. Stannard.

„Roter Holocaust“

Der Begriff „Roter Holocaust“ stellt einen Vergleich zwischen Verbrechen im Stalinismus und Realsozialismus mit dem nationalsozialistischen Holocaust her, um dessen Singularität zu bestreiten.

In dem 1998 veröffentlichten Schwarzbuch des Kommunismus verglich der Herausgeber Stéphane Courtois die Opferzahlen des Nationalsozialismus (laut Courtois ca. 25 Millionen) mit denen des Kommunismus im 20. Jahrhundert, die er auf etwa 80 bis 100 Millionen bezifferte. Nach seiner Auffassung wurden Verbrechen von Kommunisten durch die Betonung der „Singularität“ des Holocaust historisch zu wenig beachtet und falsch eingeschätzt.

In der Debatte über diese These erschien im selben Jahr eine Aufsatzsammlung unter dem unüblichen Titel »Roter Holocaust«? Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus. Die Herausgeber Jens Mecklenburg und Wolfgang Wippermann warnten ausdrücklich vor einem Vergleich oder gar einer Gleichstellung der NS-Verbrechen und denen der sich als Kommunismus verstehenden politischen Systeme. 1999 gab der Historiker Horst Möller das Buch Der Rote Holocaust und die Deutschen heraus, in dem er Aufsätze verschiedener Autoren zu Menschenrechtsverletzungen in realsozialistischen Staaten sammelt.

„Bombenholocaust”

Als „Bombenholocaust“ bezeichnen deutsche Rechtsextremisten die Städte- und Flächenbombardements der Alliierten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Damit stellen sie die alliierte Kriegführung als mit den NS-Verbrechen gleichrangig dar und verschweigen, dass diese auf deutsche Städtebombardierungen reagierte und damals als notwendiges militärisches Mittel erschien, um das NS-Regime zu stürzen und so dessen Holocaust zu beenden.

Am 17. März 2002 verwendete Jürgen Hösl, damals Vorsitzender der „Schlesischen Jugend“, in einem Zeitungsinterview den Begriff „Bomben-Holocaust“ für die Luftangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945.[5]

Der Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel verwendete den Begriff am 21. Januar 2005 in einer von seiner NPD beantragten Aktuellen Stunde des Sächsischen Landtags für die Luftangriffe auf Dresden und alle deutschen Opfer des damaligen Luftkriegs. Gansels provokative Rede sollte die rechtsextreme Szene bundesweit zum von der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen organisierten „Gedenkmarsch” in Dresden am bevorstehenden 60. Jahrestag der Luftangriffe mobilisieren. Zugleich verweigerte sich die NPD-Landtagsfraktion einer Gedenkminute zum bevorstehenden Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau am 27. Januar, der als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” in der Bundesrepublik seit 1996 offiziell gefeiert wird.

Dies bewirkte Empörung im In- und Ausland. Wegen des Verdachts auf Leugnung der NS-Verbrechen, die in Deutschland als Volksverhetzung strafbar ist, wurde ein Strafverfahren gegen Gansel gefordert, aber wegen seiner Indemnität nicht eingeleitet.[6] In Dresden benutzten die etwa 6.500 Teilnehmer des „Gedenkmarsches”, den der deutsche Verfassungsschutz als zentrales Bundestreffen von Rechtsextremisten einstuft[7], Gansels Begriff dann als Hauptparole. Bundespräsident Horst Köhler plädierte daraufhin nach einem Israelbesuch für die energische politische und notfalls rechtliche Bekämpfung der NPD.

„Vertreibungsholocaust“

Als „Vertreibungsholocaust“ bezeichnen deutsche Rechtsextremisten die Flucht und Vertreibungen von etwa 8,15 Millionen Deutschen aus ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten in Osteuropa zwischen 1944 und 1949, bei denen etwa zwei Millionen umkamen. Der Ausdruck wird im rechtsextremen Geschichtsrevisionismus benutzt, um diese Ereignisse von ihren historischen Ursachen und anderen durch Deutsche verursachten Vertreibungen zu isolieren und als mit dem Holocaust gleichrangiges oder schlimmeres Verbrechen darzustellen. So stilisiert ein im rechtsextremen Verlag „Deutsche Stimme“ veröffentlichtes Buch[8] die Vertreibungen Deutscher zu „Jahrhundert-“ oder „Jahrtausendverbrechen“ und verlangt die „Rückgabe der deutschen Ostgebiete und des Sudetenlandes“ als „gesamtdeutsche Forderung“.[9] Dem eigentlichen Holocaust wird der Rang als eines der größten Menschheitsverbrechen damit implizit abgesprochen, die Horribilität der Nazi-Verbrechen durch die Gegenüberstellung zu schmälern gesucht, um sie dem Vergessen anheim geben zu können. Auch ein Buch von Karsten Kriwat mit dem Titel Der andere Holocaust verfolgt eine vergleichbare Strategie.[10]

„Babycaust“

Babycaust ist eine von Klaus Günter Annen geprägte Wortschöpfung in Bezug auf die Abtreibung, die er auf einem Flugblatt vor einer Abtreibungspraxis verbreitete. Darüberhinaus bezeichnete er Abtreibung mit Hinweis auf die Wehrlosigkeit der Opfer und Verbrennung ihrer „Überreste“ als neuen Holocaust. Beide Begriffe für Abtreibung wurden in einem Rechtsstreit vom Bundesgerichtshof und Oberlandesgericht in Karlsruhe als legitime Meinungsäußerungen gewertet.

Dazu heißt es im Urteil des OLG:

Nach diesen höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen stellen die Bezeichnungen der in Deutschland vorgenommenen Abtreibungen als „Mord an unseren Kindern“ und als „neuer Holocaust“ zwar drastische und überzeichnende Formulierungen dar, die aber auch in ihrem konkreten Bezug zur Person und zur ärztlichen Tätigkeit des Klägers noch vom vom Grundrecht der Meinungsfreiheit getragen werden. [...]
Der interessierte Leser des Flugblattes erkennt in diesen Bemerkungen den Protest eines entschiedenen Abtreibungsgegners, der mit plakativen und drastischen Formulierungen Aufmerksamkeit erregen will. Es geht dem Beklagten um die Vermittlung der Meinung, die auf Grund der gegenwärtigen Gesetzeslage herrschende Abtreibungspraxis in Deutschland stelle eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens dar. Eine Gleichsetzung mit dem Holocaust in seinem geschichtlichen Sinne ist dem Kontext des Flugblattes nicht zu entnehmen. Das folgt schon daraus, dass der Beklagte auf der Rückseite des Flugblattes seinen Standpunkt näher begründet und argumentativ unterlegt.

Im BGH-Urteil vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/ 99 wird ausgeführt:

Eine Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, muß nach Art. 5 Abs. 1 GG in einer freiheitlichen Demokratie grundsätzlich selbst dann toleriert werden, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint (hier: „Babycaust“).

Im April 2007 wurden die Webseiten von Annen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (Bonn) in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen.[11]

Auch manche kirchlichen Abtreibungsgegner bringen parlamentarisch beschlossene Ausnahmeregelungen zur Abtreibung mit NS-Verbrechen in Verbindung. Sie finden dabei auch Unterstützung durch Aussagen wie die von Papst Johannes Paul II., der in seinem im Februar 2005 erschienenen Buch Erinnerung und Identität. Gespräche an der Schwelle zwischen den Jahrtausenden Abtreibung indirekt mit dem Holocaust verglich: Er führte Hitlers Wahl im Reichstag (März 1933) ebenso wie heutige Abtreibungsgesetze ursächlich auf Machtüberschreitungen von Parlamenten zurück.[12]

Eine direkte Gegenüberstellung von NS-Verbrechen mit Abtreibung, Sterbehilfe und Stammzellenforschung findet man auch bei der Aktion Lebenshilfe e.V., einem 1979 gegründeten Verein katholischer Christen mit Sitz in Fürth.[13]

„Holocaust auf Ihrem Teller“

Im März 2004 wollte die Tierschutzorganisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) auf die Missstände bei der Massentierhaltung (z.B. Herodes-Prämie) sowie auf das grundsätzliche ethische Problem des Fleischkonsums aufmerksam machen und verwendete dafür den Titel Holocaust auf Ihrem Teller. Dafür erntete die Organisation vor allem Empörung und auch Kritik von anderen Tierschützern. Der Zentralrat der Juden in Deutschland verurteilte die Kampagne aufs Schärfste. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte die Organisation aufgrund dieser Aktion wegen Volksverhetzung. Der Amtsrichter begründete das Urteil: Was Sie hier gemacht haben, hat nicht nur den guten Geschmack, sondern auch die Grenze des Strafrechts überschritten.

Der oberste Gerichtshof Österreichs erklärte die Kampagne inzwischen für rechtmäßig. In der Urteilsbegründung hieß es:

Die Heranziehung eines drastischen Vergleichs dient einem grundsätzlich erlaubten Zweck, nämlich in einer von Werbung reizüberfluteten Gesellschaft Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erzielen. Das Tierschutzanliegen selbst ist – wie ausgeführt – gewichtig, gesellschaftspolitisch umstritten und aktuell.

Einzelbelege

  1. Wilhelm Gesenius: Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. 17. Auflage, Springer Verlag, Berlin 1962, ISBN 3540028234 (Artikel olah); Walther Zimmerli: Grundriß der alttestamentlichen Theologie, Kohlhammer, Stuttgart 1972, S. 131
  2. zitiert nach Richard von Devizes, De rebus gestis Ricardi I, Rolls Series Bd. 82.3, London 1886, S. 383
  3. Hans-Lukas Kieser: Die Armenierverfolgungen in der spätosmanischen Türkei. Neue Quellen und Literatur zu einem unbewältigten Thema
  4. a b c Jon Petrie: The secular word „holocaust“: scholarly sacralization, twentieth century meanings (aktualisierte Fassung eines Artikels im Journal of Genocide Research, 2000)
  5. Julia Schaaf: Später Nachwuchs für die Heimat - Die Enkel der Vertriebenen lieben schlesische Klöße und Disneyland. Manche machen auch Politik
  6. Klaus Parker: Kein Strafermittlungsverfahren gegen Apfel und Gansel: Die überraschten Anständigen (HaGalil 24. Januar 2005)
  7. Verfassungsschutzbericht 2004 des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen (pdf, S. 73ff
  8. Rolf-Josef Eibicht/Anne Hipp: Der Vertreibungsholocaust. Politik zur Wiedergutmachung eines Jahrhundertverbrechens, Verlag Deutsche Stimme, ISBN 3980584453
  9. Eigenwerbung des Verlages
  10. Karsten Kriwat: Der andere Holocaust. Die Vertreibung der Deutschen 1944-1949. FZ Verlag 2004, ISBN 978-3924309718
  11. Newsletter des Vereins (Ausgabe Mai 2007 von „Nie Wieder! - Nachrichten Europäischer Bürgerinitiativen“)
  12. ARD: Papst vergleicht Abtreibung mit Holocaust
  13. Aktion Leben e.V.: Abtreibung - der neue Holocaust?

allgemein

„Babycaust“

„Bombenholocaust“