Bahá’í (von arab./pers. »bahá« = Licht, Glanz, Herrlichkeit) ist der Name einer in der Mitte des 19. Jahrhundert entstandenen Religionsgemeinschaft mit islamischen (schiitischen) Wurzeln. Das religiöse Zentrum befindet sich in Haifa (Israel).
Geschichte
Die Ursprünge liegen in dem 1844 im südpersischen Shiraz hervorgegangenen Babismus, der sich als Erfüllung der schiitischen Heilserwartung verstand. Sein Gründer, Sayyid Ali Muhammad (geb. 1819), genannt al-Bab („das Tor“), betrachtete sich als „Rückkehr“ des seit dem 9. Jahrhundert entschwundenen zwölften Imam Mahdi, der bei seiner Wiederkunft eine Erneuerung des Islam vornehmen wird. Die Bewegung entfernte sich jedoch schon in den Anfängen vom orthodoxen Islam. Al-Báb verfasste eine eigene heilige Schrift, den Bayan, welchen er dem Koran entgegensetzte, und sah sich in der Rolle eines neuen Propheten. Damit begab sich die Gemeinschaft in Gegnerschaft zum offiziellen Islam. In den Jahren 1849/50 verwickelte sich die noch junge Gemeinschaft zudem in kriegerische Auseinandersetzungen auch mit der Staatsgewalt, indem sie versuchte, einen eigenen, theokratisch regierten Bábí-Staat (Gottesstaat) zu errichten. Die bábistischen Erhebungen wurden aber allesamt niedergeschlagen und Sayyid ’Alí Muhammad 1850 öffentlich hingerichtet.
Seine Nachfolge trat mit erst 19 Jahren Mírzá Yahyá Subh-i-Azal (1830-1912) an. Er war ein Halbbruder des Mirza Husain Ali (geb. 1817), des späteren Propheten der Bahá’í. Beide begaben sich 1853 ins Exil nach Bagdad, später nach Istanbul und Edirne auf europäischem Boden. In der Führung der durch die Nachstellungen des offiziellen Islam und der persischen Regierung stark angeschlagenen Gemeinde erwies sich der jugendliche Subh-i-Azal jedoch als unfähig. Es kam zum Zerwürfnis zwischen den beiden Brüdern, aus dem Mírzá Husain ’Alí schließlich als Sieger hervorging. 1863 trat er mit dem Anspruch hervor, der von al-Báb Verheißene zu sein; er nannte sich fortan Baha'ullah (auch: Bahá'u'lláh), („Herrlichkeit Gottes“) und gründete eine über den Bábismus hinausgehende neue Religionsgemeinschaft, die nun den Namen Bahá’ismus annahm. Die alte Gemeinschaft des Bábismus ging weitgehend in der neuen Religion des Bahá’ulláh auf.
Bahá’ulláh verstarb 1892 in Akka (heute Israel), der letzten Station seines langen Exils. Seine Nachfolge ging auf dessen ältesten Sohn Abbás Effendi, genannt Abdul Baha (1844-1921), über. Diesem folgte 1921 Shoghi Effendi, der als „Hüter der Sache Gottes“ die Geschicke der rasch anwachsenden Gemeinschaft leitete. Bei seinem Tod (1957) hinterließ Shoghi Effendi keinen leiblichen Erben, weshalb die Führung 1963 einer kollektiven Körperschaft übertragen wurde. Dieses neunköpfige Gremium nennt sich Universales Haus der Gerechtigkeit und hat seinen Sitz in Haifa (Israel).
Lehre
Der zentrale Leitgedanke der Bahá’í besteht in der Propagierung der Einheit Gottes, der Einheit der Religionen und in der Einheit des gesamten Menschengeschlechts. Die Bahá’í lehren die zyklische Wiederkehr göttlicher Offenbarung. Folglich werden alle früheren Religionen (wie Judentum, Christentum, Islam, Bábismus und andere) als von Gott kommend anerkannt. Gott offenbart sich den Menschen immer wieder in historischen Zyklen und gibt ihnen seine Gebote und sein Gesetz. Die in diesem geschichtlichen Zyklus entstehenden Propheten werden als Verkünder der zeitgemäßen göttlichen Offenbarung gesehen, mithin als Vollendung der ihnen vorausgegangenen Religionsstufe. Im gegenwärtigen, mindestens tausend Jahre währenden Religionszyklus, ist die Offenbarung Bahá’ulláhs der maßgebliche Ausdruck des göttlichen Willens. Bilden alle Religionen zwar eine innere Einheit, so betrachtet sich der Bahá’ismus doch als den höchsten Ausdruck der Religionsgeschichte und seine Lehre und sein Gesetz als allein bindend und allen früheren Religionsformen vorgeordnet.
Die Lehren der Bahá’í sind in vielem mit denen des Islam verwandt, doch bestehen auch grundlegende Unterschiede zu diesem. Der Qur’án (Koran), das heilige Buch der Muslime, ist für sie nicht bindend. Sie besitzen im Kitab-i-Aqdas, dem „Heiligsten Buch“, eine eigene zentrale Offenbarungsquelle, in dem die Gesetze Gottes für das gegenwärtige Zeitalter enthalten sind und das für sie die „Magna Charta“ einer neuen Weltordnung darstellt.
In der Propagierung der Einheit der Menschheit zielen die Bahá’í – gleich dem Islam – auf eine theokratische Ordnung (vgl. Theokratie), in der Gott die Welt regiert. Der Bahá’ismus kennt somit keine Trennung von Religion und Staat und weist eine säkulare resp. laizistische Ordnung von sich. Schon heute betrachtet sich das Universale Haus der Gerechtigkeit, die oberste Instanz der Bahá’í-Organisation, als Vorhut einer globalen Weltregierung mit unumschränkter und unfehlbarer Machtfülle.
Verbreitung
Ursprünglich war der Bahá’ismus nur in Iran und in den angrenzenden Gebieten des Osmanischen Reichs verbreitet. Ab den 1920er Jahren erfolgte eine kontinuierliche Ausdehnung nach Europa und Nordamerika, doch hielten sich die Zahlen in der westlichen Welt in bescheidenen Grenzen (heute etwa 150,000 Gläubige). Größere Erfolge waren dagegen in den Ländern der sog. Dritten Welt zu verzeichnen. Die heute größte Verbreitung findet sich in Indien, wo rund 2 Mio. Gläubige zu verzeichnen sind. Es folgen Schwarzafrika mit etwa 1,5 Mio. Anhänger. In Lateinamerika werden ca. 0,7 Mio. gezählt. Der Rest der insgesamt etwa 5 bis 6 Mio. Anhänger verteilt sich auf die übrigen Kontinente. In Iran (etwa 0,3 Mio. Anhänger) und in den übrigen islamischen Ländern ist der Baha’ismus verboten oder starken Beschränkungen unterworfen.