Benutzer:Cartaphilus/Spielwiese/Macht oder Ohnmacht der Subjektivität
(Hier entsteht ein Artikel zu Hans Jonas' Abhandlung mit dem Titel "Macht oder Ohnmacht der Subjektivität", welche das Leib-Seele-Problem im Vorfeld des "Prinzips Verantwortung" bearbeitet.)
Macht oder Ohnmacht der Subjektivität? ist der Titel einer Untersuchung, welche der Philosph und Ethiker Hans Jonas im Zusammenhang mit seiner Arbeit an Das Prinzip der Verantwortung - Versuch einer Ethik für das technologische Zeitalter vornahm. Die Notwendigkeit dieser Untersuchung ergab sich daraus, daß jede Form von Ethik als eine Anleitung zum richtigen Handeln eben die Fähigkeit zu handeln - d.h. die Möglichkeit subjektiver Willensbildung und willensbasierter Einflußnahme auf die physische Welt - voraussetzt. Gegenstand der Untersuchung ist also die alte Streitfrage, ob und, wenn ja, auf welche Art und Weise Geist und Materie miteinander interagieren können. Eine Leugnung der Möglichkeit subjektiv motivierter Handlungen im Bereich der materiellen Welt, wie sie aus Richtung der Naturwissenschaften unter Berufung auf die absolute Geltung der Naturgesetze regelmäßig vorgebracht wird, würde jedwede Ethik schon im Vorfeld ihrer Formulierung unausweichlich ad absurdum führen. Folgerichtig ist es diese Leugnung, die Jonas zunächst auf ihre Begründetheit hin kritisch überprüft, um dann, in einem zweiten Schritt, zu hinterfragen, inwiefern sie überhaupt erforderlich ist, um die deterministischen Postulate der Naturwissenschaften in ihrer Geltung zu erhalten.
(Angaben von Seiten und Endnoten sind, so nicht anders gesagt wird, solche aus der Suhrkamp Taschenbuchausgabe von Macht oder Ohnmacht der Subjektivität aus dem Jahr 1987.)
Ausgangspunkt
Als Einstieg in seine Arbeit wählt Jonas einen Brief Emil Heinrich du Bois-Reymonds an Eduard Hallmann von 1842 in dem sich folgendes Bekenntnis findet:
"Brücke und ich, wir haben uns verschworen, die Wahrheit geltend zu machen, daß im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind, als die gemeinen physikalisch-chemischen; daß, wo diese bislang nicht zur Erklärung ausreichen, mittels der physikalisch-mathematischen Methode entweder nach ihrer Art und Weise der Wirksamkeit im konkreten Fall gesucht werden muß, oder daß neue Kräfte angenommen werden müssen, welche, von gleicher Dignität mit den physikalisch-chemischen, der Materie inhärent, stets auf nur abstoßende oder anziehende Componenten zurückzuführen sind."
In der Folge kritisiert Jonas die Widersprüchlichkeit einer "Verschwörung", die sich verpflichtet, die Erkenntnis durchsetzen zu wollen, daß es so etwas wie "Erkenntnis" oder "Verpflichtung" nicht geben kann. Ein Argument, das später in schärferer, weil allgemeinerer Form wiederkehrt (Kritik aus den Konsequenzen - Reductio ad absurdum). Als letztendlich unausweichlichen Schlußpunkt einer jeden, sich ausschließlich innerhalb der naturwissenschaftlichen Erkenntnisnormen bewegenden, Auseinandersetzung mit dem Leib-Seele-Problem sieht Jonas ein weiteres, späteres Zitat du Bois-Reymonds, nämlich dessen berühmtes "ignoramus et ignorabimus", und damit das Eingeständnis der "Nichtwißbarkeit" bestimmter Fragen wie u.a. derjenigen nach der Verbindung von Leib und Seele (S. 15 und En. 5).
Laut Jonas reicht dieser "Agnostizismus" allein jedoch noch nicht aus, um den, naturgemäß jede Möglichkeit einer Wirkmächtigkeit des Subjektiven in der materiellen Welt ausschließenden, Aussagen der Naturwissenschaften etwas entgegenzustellen, und damit die Grundlage für so etwas wie "Philosophie" und "Ethik" zu bewahren. Als Ziel seiner Untersuchung formuliert er daher die Klärung von verzerrenden und hindernden Begriffsirrungen im psycho-physischen Problembereich, um dann im Zuge dessen den Versuch zu unternehmen, das Verhältnis von handlungsfähiger Subjektivität und Geltung der Naturgesetze kompatibel zu denken (S. 17).
Die Betrachtung erfolgt also primär unter Gesichtspunkten der Logik und erst in zweiter Hinsicht unter solchen der naturwissenschaftlichen Forschung. Historische Vorläufer des naturwissenschaftlichen Determinismus werden dabei allenfalls am Rande (Laplace, Descartes) gestreift, bzw. gar nicht behandelt (so etwa die Eleaten um Parmenides und Zenon).
Argumente des naturwissenschaftlichen Determinismus
Als wesentliche Argumente, die von naturwissenschaftlicher Seite grundsätzlich gegenüber einer möglichen Subjektabhängigkeit des Physischen vorgebracht werden, und auf die in letzter Konsequenz jede von speziellen Forschungsergebnissen ausgehende Kritik (vgl. etwa die aktuelle Kritik aus Richtung der Neurophysiologie) zurückgeführt werden kann, identifiziert Jonas das Unvereinbarkeitsargument und das Argument vom Subjektiven als Epiphänomen der materiellen Welt, wobei letzteres im Wesentlichen eine Folgerung aus ersterem darstellt (S. 35).
Das Unvereinbarkeitsargument
Das Unvereinbarkeitsargument geht aus von der Natur des Physischen, welche axiomatisch als zur Gänze der Geltung der Naturgesetze und insbesondere der von Hermann von Helmholtz entwickelten Erhaltungssätze unterworfen gedacht wird. Subjektiv motivierte Handlungen könne es nicht geben, da ein solcher Vorgang neue Wirkgrößen in das geschlossene physische System einführen würde, die vorher nicht in der bestehenden Summe auftauchten. Die Folge wäre ein steter Zufluß anti-entropischer Energie - ein Effekt, der, da er ständig millionenfach aufträte, nicht unbemerkt bleiben könne. Stattdessen wird das psychische Element im Handeln zur puren "Begleitmusik" des physischen Ablaufs erklärt, welche ihrerseits keinerlei Zweck hat, da das Physische ja ohnehin gänzlich aus sich selbst heraus existiert und voranschreitet - die Psyche als ein zweckloser Trug des Zweckes (S. 26).
Kritik des Unvereinbarkeitsarguments
Zunächst wird festgestellt, daß die Naturgesetze mit ihrer absoluten Geltung ihrerseits eine idealisierte Fiktion darstellen, die nicht verifizierbar, aber falsifizierbar ist. Sie ist also jederzeit einer Überprüfung durch das Denken zugänglich. Danach erklärt der Autor, daß das Unvereinbarkeitsargument zunächst einmal lediglich die Unvereinbarkeit feststellt, ohne diese bereits einseitig zugunsten der Norm (= Naturgesetze) oder des mit ihr unvereinbaren Begriffs (= Subjektivität mit Wirkungsmacht) zu lösen. Wollte man demnach allein aufgrund der Unvereinbarkeit entscheiden, welche der beiden Seiten der anderen anzupassen ist, so müßte man zusätzlich fragen:
1) Welches ist evidenter: Die Norm oder der Begriff?
und
2) Welche Folgen drohen den beiden, wenn ihr jeweiliger Widerpart Gültigkeit besäße?
Für die Naturgesetze spricht bei Frage 1) vor allem die Tatsache, daß sie sich innerhalb ihres Systems tagtäglich aufs Neue bestätigen. Für die Subjektivität spricht dagegen die unmittelbare Evidenz menschlichen Erlebens, die im Grunde noch unleugbarer ist als die Wahrnehmung der physischen Welt mit ihren Phänomenen und Gesetzmäßigkeiten. Hinsichtlich der zweiten Frage wird konstatiert, daß die deterministische Strenge der Naturgesetze ein Ideal darstellt und die Natur so rein wie die Mathematik macht (S. 29). Ein Unterfangen, das den jetzigen Stand des Wissens zum ewigen Gesetz erhöbe und keinerlei Anomalien zuließe. Doch während nun also die absolute Geltung der Naturgesetze wie wir sie kennen das Psychische seinem Sinn nach komplett zerstören würde, müßte die Annahme psychischer Zwecke im physischen Ablauf noch lange nicht die vollständige Aufhebung der Naturgesetzlichkeit in der materiellen Welt bedeuten, sondern lediglich deren Modifikation.
Das Epiphänomen-Argument
Ausgehend vom Unvereinbarkeitsargument und dem Postulat der absoluten Uneingeschränktheit physischer Determination dreht die These von der Subjektivität als bloßem Epiphänomen des Physischen die Argumentationsrichtung herum, indem sie, ausgehend von der Natur des Psychischen, diesem jegliche kausale Kraft abspricht (S. 35).
Vorrang der Materie vor dem Geist
Begründet wird dies mit dem Vorrang der Materie vor dem Geist welch letzterer stets nur ein Anhängsel des ersteren sein kann - es gibt Materie ohne Geist, aber nicht Geist ohne Materie (S. 35). Darüber hinaus bestimmt die Materie auch das Arbeiten des Geistes - ist also bedingend in einem umfassenden Sinne. Da also das Subjektive in jeder Hinsicht nur Ausdruck des jeweiligen physischen Zustandes ist, kann es (abgesehen von seiner Einflußlosigkeit im materiellen Bereich) auch für sich keine Eigenursächlichkeit gewinnen, sich nicht selbst beeinflussen und voranarbeiten. Der Eindruck etwa, Fortschritte im Denken zu machen, hätte demnach also nur den Unterhaltungswert einer Illusion (S.36/37).
Insbesondere diese Machtlosigkeit des Geistes im Geiste ist es, die in letzter Zeit von Seiten der Neurophysiologie verstärkt behauptet, und experimentell untermauert wurde (vgl. unten).
Ockhams Gebot der Sparsamkeit
Die Tatsache, daß auch nach dieser Ansicht eine offene Frage bleibt - nämlich die, wie sich dieser Schein der Subjektivität aus dem Physischen Sein bilden konnte - wird damit gerechtfertigt, daß die Gegenansicht dieser offenen Frage eine weitere, von du Bois-Reymonds "ignoramus et ignorabimus" erfaßte, Frage hinzufügt, indem sie Behauptet, daß der Geist umgekehrt auch in der Lage sei, auf die materielle Ebene zurückzuwirken. Ockhams Rasiermesser fordere für so einen Fall die Bevorzugung der sparsameren Theorie (S. 38/39).
Descartes und die Simulierbarkeit menschlichen Lebens
Descartes' Argument, daß sich die Freiheit des menschlichen (im Gegensatz zum animalischen) Geistes aus seiner fehlenden Simulierbarkeit ableite, findet in Zeiten, da sich die technischen Fähigkeiten des Menschen zur Simulation immer komplexerer Systeme und kognitiver Modelle rasant weiterentwickeln, seine Widerlegung. Bereits die - derzeit noch rudimentäre - Simulation intelligenten Zweckverhaltens birgt in sich den Beweis (de minore ad maius), daß eine "mechanische" Simulation des menschlichen Geistes möglich wäre - wenn es unsere Geschicklichkeit nur zuließe. Das somit Simulierte könnte dann allerdings keinen Regeln unterworfen sein, die nicht auch für seine Simulation (d.h. sein faktisches Duplikat) gelten - so verlangt es jedenfalls das Ockhamsche Sparsamkeitsgebot.
Kritik des Epiphänomen-Arguments
Innere Kritik
Innere Widersprüche der These von der Subjektivität als bloßem Epiphänomen.
Äußere Kritik
Widersprüchlichkeit der These von der Kraftlosigkeit des Subjektiven im naturgesetzlichen Determinationsgefüge nach außen hin.
Konflikt der These mit dem von ihr vorausgesetzten Naturbegriff
Kritik aus den Konsequenzen - Reductio ad absurdum
Folgen einer Anwendung des Unvereinbarkeisarguments für seine eigene Geltung (theorievernichtende Theorie).
Positive Kritik - Versuch einer Lösung des psychophyischen Problems
Erörterung der Erforderlichkeit dieses Selbstmords der Vernunft.
Das Auslöserprinzip
Um zu verdeutlichen daß die, durch die Zulassung psychischer Ursachen im physikalischen Bereich, zu gewärtigende Beeinträchtigung theoretisch derart minimal ausfallen kann, daß dem naturgesetzlichen Determinismus genug Raum bleibt, um weiterexistieren zu können, beschreibt Jonas zwei Gedankenexperimente zum Auslöserprinzip, in denen infinitesimale Einwirkungen gewaltige Folgen zeitigen können.
Erstes Gedankenexperiment: Der Kegel
Indeterminiert ist dabei nur die Frage, welcher der potentiell absolut gleichwertigen, in unendlicher Anzahl vorliegenden Auslöser x, x′, x″ usf. tatsächlich zur Entfaltung kommt und - im Rahmen der naturgesetzlichen Determinismen - den ursprünglichen Zustand des Kegels von a0 zu a1, a1′, a1″ usf. verändert. Das Geschehen zwischen t0 und t1 an sich unterliegt also - nachdem sich ein Auslöser realisiert hat - wiederum gänzlich den naturgesetzlichen Determinismen.
Zweites Gedankenexperiment: Efferente Nervenbahnen
Modellbildung
Quantenphysikalische Betrachtungen
(Ergebnisse eines Dialogs mit Professor Kurt Friedrichs vom Courant Institute of Mathematical Sciences der New York University.)
Die aktuelle Diskussion (inkl. Links)
Die aktuelle Diskussion zu diesem Thema - ausgelöst durch neue Erkenntnisse der neurophysiologischen Forschung (i.Gr. beschreibt diese Forschung lediglich eine extreme Form des bekannten Phänomens, daß die materielle Welt Einfluß auf die Psyche nehmen kann - über die Möglichkeit einer Einflußnahme in umgekehrter Richtung sagt dies nichts aus [solange sich nicht jedes willentliche des rechten Armes auf eine künstliche Stimulation des entsprechendes Hirnarreals - etwa durch einen Experimentator - zurückführen läßt, bleibt genug Raum für das Wirken des Geistes]).
Primärliteratur
- Macht oder Ohnmacht der Subjektivität? - Das Leib-Seele-Problem im Vorfeld des Prinzips Verantwortung. - Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1987. - ISBN 3-458-38013-8
- Das Prinzip Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. - Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1984. - ISBN 3-518-375857