Die Landgrafschaft Hessen-Rotenburg (Rotenburger Quart) war ein teilsouveränes Fürstentum der unter der reichsrechtlichen Oberhoheit von Hessen-Kassel, auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen, regiert von einer Nebenlinie des Hauses Hessen (Hessen-Rotenburg). Die Linie Hessen-Rotenburg des hessischen Fürstenhauses war die Hauptinhaberin der Rotenburger Quart, die sich zeitweise in weitere Nebenlinien und Landgrafschaften aufgeteilte.
Entstehung
Landgraf Moritz der Gelehrte von Hessen-Kassel errichtete durch Hausvertrag vom 12. Februar 1627 und 1. September 1628 zur Ausstattung seiner Söhne aus zweiter Ehe mit Juliane von Nassau-Dillenburg ein teilselbsständiges Fürstentum unter der Oberhoheit von Hessen-Kassel. Die hierin regierenden Linien werden unter dem Oberbegriff Hessen-Rotenburg zusammen gefasst. Um die standesgemäße Versorgung ihrer Kinder sicherzustellen, betrieb Juliane gezielt die Übertragung von Einkünften und Besitzrechten an ihre Kinder und erreichte schließlich von Moritz, dass ihre Nachkommen die Rotenburger Quart erhielten. Quart meint in diesem Zusammenhang ein Viertel, gemeint ist damit ein Viertel der Landesfläche von Hessen-Kassel. Es wurde dabei festgelegt, dass die Quart weiterhin unter Kasseler Oberhoheit blieb, vor allem die Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich Verteidigungs- und der Außenpolitik, also die reichsrechtliche Vertretung, ausschließlich bei den Landgrafen von Hessen-Kassel lag. Gleichwohl führte diese Regelung in der Folgezeit selbstverständlich zu Streit.
Rotenburger Quart
Die Rotenburger Quart, die zwischen 1627 und 1834 ein bis mehrere, nur teilselbständige Fürstentümer innerhalb der Landgrafschaft Hessen-Kassel bildete, hatte ihre Hauptresidenz in Rotenburg an der Fulda.
Die Gesamtfläche der Quart (lat. Viertel) umfasste etwa ein Viertel der Fläche Hessen-Kassels. Diese Größenangabe war schließlich namens gebend.
Das gemeinschaftliche Erbe der Quart umfasste die Nieder-Grafschaft Katzenelnbogen mit der Festung Rheinfels, die Ämtern und Städten Rotenburg, Wanfried, Eschwege, Treffurt, Ludwigstein, die Herrschaft Plesse, das Amt Gleichen, nebst einem Viertel des Landzolles. Das beschriebenen Territorium war Gemeinschaftsbesitz der Söhne aus zweiter Ehe von Landgraf Moritz und wurde bis zur Einführung der Primogenitur wiederholt auf die männlichen Nachkommen aufgeteilt.
Residenz war das Schloss Rotenburg in Rotenburg an der Fulda. Soweit weitere Nebenlinien bestanden, residierten diese u.a. in Eschwege, Wanfried oder auf Rheinfels unter von Hessen-Rotenburg abweichender Namensführung.
Entwicklung
Nach dem Rücktritt von Landgraf Moritz 1627 und der Regierungsübernahme durch seinen Sohn aus erster Ehe, Wilhelm V., erhielten Julianes Söhne Hermann und Friedrich die Landesteile Hessen-Rotenburg und Hessen-Eschwege. Juliane selbst zog 1629 mit ihren übrigen Kindern in die neue Residenz Rotenburg. Die Rotenburger Quart umfasste neben der Schloss Rotenburg noch Stadt, Amt und Schloss Eschwege, Stadt und Amt Sontra, die Stadt Witzenhausen, die Gerichte Bilstein und Germerode (beide bei Witzenhausen), Stadt und Amt Wanfried, das hessische Drittel von Treffurt, Burg und Amt Ludwigstein und die Herrschaft Plesse (nördlich Göttingen) mit dem Amt Gleichen.
In der Folgezeit bildeten sich weiter Nebenlinien
- Hessen-Eschwege
- Hessen-Rheinfels (jüngere Linie),
- Hessen-Rheinfels-Rotenburg und
- Hessen-Wanfried, mit Eschwege und 1718 Burg Rheinfels
die aber neben der Hauptlinie immer nur höchstens zwei Generationen Bestand hatten.
Nach dem Westfälischen Frieden 1648 fielen aus den Hessen zurückerstatteten Gebieten Schloss und Amt Rheinfels mit St. Goar, St. Goarshausen, Burg Neukatzenelnbogen und das Amt Hohenstein mit Bad Schwalbach an Hessen-Rotenburg. Diese wurden auf den inzwischen mündig gewordenen jüngsten Sohn Julianes, Ernst I. von Hessen-Rheinfels, der seine Residenz auf Schloss Rheinfels bei St. Goar einrichtete, übertragen. Er begründete die so genannte jüngere Linie Hessen-Rheinfels. Er erbte 1658 nach dem Tode seines Bruders Hermann auch Hessen-Rotenburg, der zuvor schon den mittleren Bruder, Friedrich von Hessen-Eschwege beerbt hatte. Die 1648 erworbenen Landesteile wurden 1754 als Preis für die Anerkennung der Primogenitur im Hause Hessen-Rotenburg an Hessen-Kassel abgetreten.
Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels wurde 1652 römisch-katholisch, als Erbe seiner Brüder erlangte er erstmals die gesamte Rotenburger Quart, weshalb die Linien des Hauses Hessen-Rotenburg in der Folgezeit ebenfalls römisch-katholisch waren.
Nach Ernsts Tod 1693 wurde sein Sohn Wilhelm der Ältere von Hessen-Rotenburg Landgraf von "Hessen-Rheinfels-Rotenburg", während sein zweiter Sohn Karl Landgraf bereits 1667 eine eigene neue Nebenlinie "Hessen-Wanfried" gegründet hatte. Beerbt wurde Karl 1711 durch seine Söhne Wilhelm der Jüngere von Hessen-Wanfried-(Rheinfels) und Christian von Hessen-Wanfried. Rheinfels war 1735 an Hessen-Kassel abgetreten worden. Beide waren allerdings auch die letzten männlichen Vertreter der jeweils von ihnen begründeten Seitenlinie und ihre Gebiete fielen aufgrund der Erbverträge nach ihrem Tod wieder an Hessen-Rotenburg zurück.
Neuverteilung nach dem Wiener Kongress
1815, nach dem Wiener Kongress, gingen die Reste von Rheinfels/Katzenelnbogen an Preußen verloren. Dafür kamen Corvey in Westfalen und die Herrschaft Ratibor in Schlesien als Entschädigung neu hinzu.
Ende von Hessen-Rotenburg
Beim Tod des letzten Landgrafen von Hessen-Rotenburg, Viktor Amadeus, im Jahr 1834 soll laut Hausvertrag dessen zur Rotenburger Quart gehörenden Besitzungen an das nunmehrige Kurfürstentum Hessen-Kassel zurück fallen. Unmittelbar nach dem Tod von Viktor Amadeus gibt dessen Witwe überraschend an vom verstorbenen Landgraf schwanger zu sein. Der Kurfürst sieht sich in dieser Situation veranlasst für die Dauer der Schwangerschaft den Zugang zum Wohnsitz der verwitweten Landgräfin im Residenzschloss zu Rotenburg von eigenen Truppen kontrollieren zu lassen, um das Einschmuggeln eines Säuglings unterbinden zu können. Nach dem Ablauf der biologischen Frist kommt es im Rotenburg tatsächlich zu keiner Geburt, so dass der Heimfall der Quart an Hessen-Kassel mit einigen Monaten Verzögerung vollzogen werden kann.
Der in Preußen gelegene Besitz – das 1821 zum Mediatherzogtum erhobene Ratibor, das Fürstentum Corvey und die Herrschaft Treffurt – fielen aufgrund eines Erbvertrags zwischen dem letzten Landgrafen von Hessen-Rotenburg und dessen Taufpaten, Fürst Viktor von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst an letzteren. Er erhielt 1840 auch den Titel eines Herzogs von Ratibor.
Die regierenden Landgrafen von Hessen-(Rheinfels-)Rotenburg
- Landgraf Hermann (1607-1658); Landesherr ab 1627
- Landgraf Ernst I. (1623-1693); Landesherr ab 1658
- Landgraf Wilhelm (1648-1725); Landesherr ab 1693
- Landgraf Ernst II. Leopold (1684-1749); Landesherr ab 1725
- Landgraf Ernst Constantin (1716-1778); Landesherr ab 1749
- Landgraf Karl Emanuel (1746-1812); Landesherr ab 1778
- Landgraf Victor Amadeus (1779-1834); Landesherr ab 1812
Stammliste
Moritz der Gelehrte (* 1572; † 1632, regiert: 1592 - 1627) ∞ 2. Juliane von Nassau-Dillenburg († 1643) │ ├─> Landgraf Hermann von Hessen-Rotenburg (* 1607; † 1658) │ ∞ Gräfin Sophia Juliana von Waldeck († 1637) │ ∞ Kunigunde Juliane von Anhalt-Dessau († 1683) │ ├─> Landgraf Friedrich von Hessen-Eschwege(* 1617; † 1655) │ ∞ Pfalzgräfin Eleonore Katharina von der Pfalz († 1692) │ └─> Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels (* 1623; † 1693) ∞ Eleonora von Solms-Münzenberg († 1689) │ ├─> Landgraf Wilhelm der Ältere von Hessen-Rotenburg (* 1648; † 1725) │ ∞ Gräfin Maria Anna von Löwenstein-Wertheim († 1688) │ │ │ └─> Landgraf Ernst Leopold von Hessen-Rotenburg-Rheinfels (* 1684; † 1749) │ ∞ Gräfin Eleonora von Löwenstein-Wertheim († 1753) │ │ │ ├─> Erbprinz Joseph von Hessen-Rotenburg-Rheinfels (* 1705; † 1744) │ │ ∞ Christina von Salm († 1775) │ │ │ ├─> Polyxena von Hessen-Rotenburg-Rheinfels (* 1706; † 1735) │ │ ∞ König Karl Emanuel I. von Sardinien-Piemont (* 1701; † 1773) │ │ │ ├─> Caroline (* 1714; † 1741) │ │ ∞ Louis Henri von Bourbon, duc d'Enghien († 1740) │ │ │ ├─> Landgraf Constantin von Hessen-Rotenburg-Rheinfels (* 1716; † 1778) │ │ ∞ Gräfin Maria Sophia von Starhemberg († 1773) │ │ │ │ │ ├─> Landgraf Karl Emanuel von Hessen-Rotenburg(* 1746; † 1812) │ │ │ ∞ Leopoldine von Liechtenstein († 1823) │ │ │ │ │ │ │ ├─> Landgraf Victor Amadeus von Hessen-Rotenburg, Herzog von Ratibor (* 1779; † 1834) │ │ │ │ ∞ 1. Leopoldina von Fürstenberg │ │ │ │ ∞ 2. Elise von Hohenlohe-Langenburg │ │ │ │ ∞ 3. Eleonora von Salm-Reifferscheit Krautheim († 1851) │ │ │ │ │ │ │ └─> Chlotilde (* 1787; † 1869) │ │ │ ∞ Fürst August Theodor von Hohenlohe-Bartenstein(* 1788; † 1844) │ │ │ └─> Herzöge von Ratibor │ │ │ │ │ ├─> Maria Hedwig (* 1748; † 1801) │ │ │ ∞ Jacob Leopold de la Tour d’Auvergne, Herzog von Bouillon (* 1746; † 1802) │ │ │ │ │ └─> Carl (* 1752; † 1821), französischer General, („Citoyen Hesse“) │ │ │ └─> Christina (* 1717; † 1778) │ ∞ Louis Victor von Savoyen, Fürst von Carignan († 1778) │ └─> Landgraf Karl von Hessen-Wanfried (* 1649; † 1711) ∞ 1. Gräfin Sophia-Magdalena von Salm-Reifferscheid († 1675) │ ∞ 2. Gräfin Juliana Alexandrina von Leiningen-Dagsburg │ │ │ └─> Landgraf Christian von Hessen-Wanfried (* 1689; † 1755) │ ∞ Gräfin Franziska von Hohenlohe-Langenburg │ └─> Landgraf Wilhelm der Jüngere von Hessen-Wanfried (* 1671; † 1731) ∞ Pfalzgräfin Ernestina von Pfalz-Sulzbach (* 1671; †1775)
Literatur
Eckhart G. Franz, Das Haus Hessen, Stuttgart 2005, ISBN 3-17-018919-0