Chemotherapie
Unter Chemotherapie wird umgangssprachlich die Behandlung von Krebs mit Medikamenten verstanden. Mediziner unterscheiden die antineoplastische Chemotherapie (Krebsbehandlung) von der antimikrobiellen Chemotherapie (Behandlung von Infektionskrankheiten).
Der Begriff wurde 1906 von Paul Ehrlich geprägt. Er beschrieb damit die Behandlung von Infektionskrankheiten mit Methoden, die direkt gegen den Krankheitserreger vorgehen. Ehrlich begann mit seinen Versuchen am 31. August 1909 in Frankfurt am Main, indem er Erreger der Syphilis in Ratten injizierte und anschließend mit Hilfe chemotherapeutischer Verfahren heilte. Diese Versuche hatten eine so überzeugende Wirkung, dass man hierin die neue „Waffe“ der Medizin gegen Infektionskrankheiten sah. Die verwendeten Medikamente werden entweder künstlich hergestellt oder sind Abkömmlinge von in der Natur vorkommenden Stoffen.
Die Chemotherapie verwendet Stoffe, die ihre schädigende Wirkung möglichst gezielt auf bestimmte krankheitsverursachende Zellen bzw. Mikroorganismen ausüben und diese abtöten oder in ihrem Wachstum hemmen.
Normale Körperzellen werden deutlich weniger von der Chemotherapie geschädigt, da das Wirkungsprinzip entweder gezielt auf Krankheitserreger gerichtet ist oder aber auf die erhöhte Teilungsrate der Krebszellen. Da im Falle der Krebszellen die Zellteilung der Hauptangriffspunkt ist, kommt es bei Chemotherapien auch zu Nebenwirkungen, da auch die Zellteilung der gesunden Körperzellen behindert wird.
In der Behandlung von Infektionskrankheiten heißen diese Substanzen Antibiotika, in der Krebstherapie Zytostatika. Sie verhindern zum Beispiel die Bildung neuer DNA-Stränge, die Bildung neuer Zellwände oder sie blockieren die Vermehrung der schädlichen Keime bzw. Krebszellen auf eine andere Weise.
Die Chemotherapie kann auch Teil eines palliativen Behandlungsansatzes sein.
Das Ansprechen einer Chemotherapie hängt von verschiedenen Faktoren ab. Erstens wird ein Chemotherapeutikum unterschiedlich schnell im Menschen abgebaut und je kürzer das Medikament im Körper wirksam, bzw. präsent ist desto kürzer kann es auch nur wirken. Zweitens ist die Erreichbarkeit der krankheitsverursachenden Zellen, bzw. Mikroorganismen ein wichtiger Faktor. So kann ein Tumor sehr kompakt geformt sein und über wenig Blutversorgung verfügen. Daraus resultiert dass das Medikament nicht an den eigentlichen Wirkort - nämlich die Tumorzellen - kommen kann. Ein dritter Faktor bestimmt das Ansprechverhalten von Chemotherapeutika. Dies sind die krankheitsverursachenden Zellen, bzw. Mikroorganismen. Zum Beispiel können auch bei guter Erreichbarkeit des Tumors durch das Zytostatikum die Krebszellen resistent gegen das Medikament sein. Diese Eigenschaften werden als Chemosensitivität und Chemoresistenz bezeichnet.
Es ist möglich das Ansprechen von Chemotherapien zumindest auf die Krebszellen ausserhalb des Körpers und vor der eigentlichen Therapie auszutesten.
Prinzipien der antineoplastischen Chemotherapie
Wegen der sicheren Bioverfügbarkeit wird in der Regel eine intravenöse Verabreichung gewählt. Langzeittherapien sind aber auch möglich.
Eine bestimmte Zytostatikadosis kann immer nur einen bestimmten Anteil, z. B. 90 % der Zielzellen abtöten. Mit fortschreitender Behandlung bleibt dieser Anteil gleich, d. h. zwei Dosen erreichen 99 % der Zellen, drei Dosen 99,9 % usw. Dieser Mechanismus erklärt, warum eine Chemotherapie im Laufe der Behandlung nicht vermindert werden darf, auch wenn der sichtbare Tumor bereits verschwunden ist (log cell kill, Skipper 1964). Im Gegenteil muss damit gerechnet werden, dass durch eine schwache Behandlung gerade die widerstandsfähigsten Tumorzellklone selektiert werden, d. h. übrig bleiben. Moderne Protokolle versuchen daher, „so früh und so hart wie möglich zuzuschlagen“ (Goldie, Coldman 1979). Die Chemotherapie wird in schneller Abfolge appliziert, und fast immer werden zwei oder mehr Zytostatika kombiniert, um die Wirksamkeit zu erhöhen.
Adjuvant nennt man eine Chemotherapie, die zur Erfolgssicherung nach einer vollständigen operativen Beseitigung des Tumors dienen soll. Neoadjuvant ist eine Chemotherapie vor der Operation. Sehr häufig wird die adjuvante, neoadjuvante oder alleinige Chemotherapie mit Strahlentherapie kombiniert (Radiochemotherapie).
Bei der Behandlung von alten Menschen muss berücksichtigt werden, dass diese oft eine verminderte Leber- und Nierenfunktion und eine verminderte Knochenmarksreserve haben und ihre Empfindlichkeit gegenüber den Substanzen daher erhöht ist. Wenn die Dosis nach dem Körpergewicht oder der Körperoberfläche abgeschätzt wird, ist der erhöhte Anteil an Körperfett im Alter einzurechnen.
Resistenzen der Tumorzellen gegen einzelne oder mehrere der eingesetzten Zytostatika sind nicht selten. Außerdem sollte man während einer Chemotherapie nicht rauchen, da bei einigen Standard-Chemotherapeutika nachgewiesen wurde, dass ihre Wirkung durch Nikotin abgeschwächt wird. Resistenzen können viele Ursachen haben, beispielsweise verminderten Transport der Substanz in das Zellinnere oder erhöhten Transport aus der Zelle (Multiple Drug Resistance). Auch kann die Zelle inaktivierende Enzyme besitzen. Gute Durchblutung des Tumors (Angiogenese) führt wegen hoher Nährstoffversorgung zu schnellem Wachstum, aber auch zu besserem Ansprechen auf die Chemotherapie, da der Anteil der sich teilenden Zellen höher ist. Viele der durch die Zytostatika in den Zellen erzeugten Schäden setzen voraus, dass vorhandene Kontrollsysteme (beispielsweise p53) in den Tumorzellen noch aktiv sind und diese Fehler bemerken. Reparaturmechanismen (beispielsweise Exzisionsreparatur) dürfen hingegen nicht aktiviert sein, statt dessen muss ein kontrolliertes Absterben der Zelle eingeleitet werden. Resistenzen müssen frühzeitig erkannt werden, um Änderungen des Therapieregimes rechtzeitig wirksam werden zu lassen, sonst häufen sich Mutationen im Tumor an, die ihn schwerer kontrollierbar machen. Auch das Auffinden der für den speziellen Tumor optimalen Kombinationstherapie durch Labortests wird diskutiert [1] und wurde erfolgreich eingesetzt [2].
Anwendungsgebiete
- Eine örtliche Behandlung reicht bei soliden Tumoren (d. h. fest, im Gegensatz z. B. zu Leukämien) nicht mehr aus, wenn bereits Metastasen nachweisbar sind.
- Leukämien und maligne Lymphome breiten sich oft von Anfang an über mehrere Körpergebiete aus. Dann ist in jedem Fall eine systemische Zytostatikagabe notwendig.
- Eine adjuvante (= ergänzende, helfende) Zytostatikagabe wird vor oder nach der chirurgischen Entfernung eines Tumors auch ohne Nachweis von Metastasen gegeben, wenn das Rückfallrisiko erfahrungsgemäß hoch ist.
Gegenanzeigen
- Der Tumor kann durch eine Operation oder Bestrahlung komplett und mit großer Wahrscheinlichkeit kurativ entfernt werden
- Die Abwägung ergibt, dass die zu erwartenden Nebenwirkungen der Behandlung schwerer sind als der zu erwartende Verlauf des Tumorleidens ohne Chemotherapie
- Der Allgemeinzustand oder die Funktion wesentlicher Organe ist zu weit eingeschränkt
Beispiele für Tumorarten, bei denen eine Chemotherapie zu einer dauerhaften Heilung führen kann:
- Morbus Hodgkin
- Malignes Lymphom
- Akute Leukämien
- Hodentumore
- Chorionkarzinom der Frau
- Brustkrebs ohne Fernmetastasen
- Tumoren bei Kindern, auch solche mit Metastasen
Häufige Therapieschemata
- FOLFOX ist eine 14-tägig durchzuführende mittelgradig komplexe Chemotherapie mit folgenden Wirkstoffen:
- Folinsäure
- Fluorouracil als Bolus und anschließend als 48 h Infusion.
- Oxaliplatin (Wesentliche Nebenwirkung: Kribbelparästhesien, daher ist eine Magnesium- und Calciuminfusion indiziert.)
- FOLFIRI ist eine wöchentlich durchzuführende mittelgradig komplexe Chemotherapie mit folgenden Wirkstoffen:
- Folinsäure
- Fluorouracil als Bolus und anschließend als 24 h Infusion.
- Irinotecan (Wesentliche Nebenwirkung: Cholinerges Syndrom)
- XELOX ist ein dreiwöchentlicher Chemotherapiezyklus bestehenden aus folgenden Wirkstoffen:
- Capecitabin (Xeloda®) (orale Gabe Tag 1-14)
- Oxaliplatin (Gabe am Tag 1)
- CHOP
- ABVD
- BEACOPP
- COPP
- CMF (Cyclophosphamid, Methotrexat, 5-Fluorouracil)
- ECF (Epirubicin, Cisplatin, 5-Fluorouracil)
- FLP (5-Fluorouracil, Folinsäure (=Leucovorin), Cisplatin)
- 5FUFS (5-Fluorouracil, Folinsäure)
- MCF (Mitomycin, Cisplatin, 5-Fluorouracil)
- CVI (Cyclophosphamid, Vincristin, Prednisolon)
- PCV (Procarbazin, Lomustin, Vincristin)
- PEB (Cisplatin, Etoposid, Bleomycin)
- MTX (Methotrexat), in geringerer Dosierung auch gegen Autoimmunkrankheiten, z. B. Psoriasis
- VAC beim Ewingsarkom
Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen einer Chemotherapie werden nach den Common Toxicity Criteria eingeteilt.
Weblinks
- Chemotherapieseite des KID (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg)
- www.wissenschaft.de - Wirkung der Chemotherapie hängt von der Tageszeit ab
- MR Tramer et al.: Cannabinoids for control of chemotherapy-induced nausea and vomiting: quantitative systematic review. BMJ 2001, 323: 16-21 http://www.bmj.com/cgi/content/full/323/7303/16
- Anti-Cancer-Drugs (engl. klinische Studien und experimentelle Ergebnisse)
- Journal für Onkologie (dt. Studien)
- Oralchemo.org - Ressource über orale Chemotherapie für Patienten und Familien
--Kischkel 12:29, 8. Jan. 2008 (CET)