Jugendamt

deutsche Organisationseinheit innerhalb der Kommunalverwaltung, welche sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt
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Das Jugendamt ist eine Organisationseinheit innerhalb der Kommunalverwaltung. Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) (Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII)) muss jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt ein Jugendamt einrichten. In Nordrhein-Westfalen können auch bei großen und mittleren kreisangehörigen Gemeinden Jugendämter errichtet werden ( →Liste der kreisangehörigen Städte mit Sonderstatus in Deutschland).

Landesjugendämter

Für die Förderung und Finanzierung überregionaler Jugendarbeit, Anerkennung von überregionalen Vereinen, Ausgestaltung landesspezifischer Umsetzungen des KJHGs usw. sind auch die Landesjugendämter zuständig, die ebenfalls laut KJHG in jedem Bundesland errichtet wurden.

Organisation des Jugendamtes

Im Gegensatz zu anderen Behördenteilen (Ämtern) besteht jedes Jugendamt nicht nur aus der Verwaltung, sondern aus dem Jugendhilfeausschuss und der Verwaltung des Jugendamtes ( →Zweigliedrigkeit). Obwohl gerade kommunale Spitzenverbände gegen die Zweigliedrigkeit des Jugendamtes Einfluss zu nehmen suchten, blieb sie im Kinder- und Jugendhilfegesetz bestehen. Die Kommunale Selbstverwaltung führte dazu, dass die Rechtsaufsicht [1] in den meisten Bundesländern über das Innenministerium ausgeübt wird. Eine Fachaufsicht , wie vor 1991 ist nicht mehr verfügbar. Die Dienstaufsicht ist ein wesentliches Element der Verwaltung [2]. Manchmal ist auch der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) ein Teil des Jugendamtes.

Aufgaben des Jugendamtes

Als öffentlicher Jugendhilfeträger ( →Jugendhilfe) ist das örtliche Jugendamt für die Vergabe von Leistungen im Sinne des 2. Kapitels des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) und für die sogenannten "anderen Aufgaben der Jugendhilfe" (Drittes Kapitel SGB VIII) zuständig.

allgemeiner Schutzauftrag

Der Schutzauftrag des Jugendamtes ergibt sich aus dem gesetzlichen Auftrag, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB-VIII). Zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos siehe (§ 8a SGB-VIII)

Leistungen der Jugendhilfe

Leistungen der Jugendhilfe sind u.a.

Ebenfalls zu den Leistungen gehören die Hilfen zur Erziehung, die das Jugendamt auf Antrag der Sorgeberechtigten gewährt, sofern die Hilfen geeignet und notwendig sind.

Das Jugendamt berät bei der Kindererziehung, bei Adoptionen, bei Unterhaltsstreitigkeiten, bei Sorge- und Umgangsrecht

Andere Aufgaben

Unterstützung von Gerichten

Das Jugendamt unterstützt das Vormundschaftsgericht und das Familiengericht bei allen Maßnahmen, die das Sorgerecht und das Umgangsrecht für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Es hat in Verfahren vor dem Vormundschafts- und dem Familiengericht mitzuwirken, die in den § 49 und § 49a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) genannt sind. In diesen Verfahren hat es den Status eines Verfahrensbeteiligten.

Auch ist eine Beteiligung im Jugendstrafverfahren durch die Jugendgerichtshilfe (JGH), die eine beratende Funktion für die Betroffenen sowie auch für die Gerichte hat, im § 38 Jugendgerichtsgesetz (JGG) vorgeschrieben.

Vormundschaften und Pflegschaften

Das Jugendamt kann auch zum Vormund oder Pfleger eines Minderjährigen bestellt werden (Amtsvormundschaft, Amtspflegschaft), ist also gesetzlicher Vertreter des Betreffenden, vgl. §§ 55 ff. SGB-VIII, § 1751, § 1791b, § 1791c BGB.

Zur Unterstützung bei der Vaterschaftsfeststellung und der Unterhaltsverpflichtung wird das Jugendamt auf Antrag des sorgeberechtigten Elternteils als Beistand tätig (§§ 1712 ff. BGB). Urkundspersonen des Jugendamtes beurkunden Vaterschaftsanerkennungen, Unterhaltsverpflichtungen und Sorgeerklärungen (§ 59, § 60 SGB-VIII).

Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen - Eingriffe ins Sorgerecht

Jugendämter dürfen und müssen unter bestimmten Voraussetzungen eine sogenannte Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen durchführen (§ 42 SGB-VIII).

Die wichtigsten Voraussetzungen sind: 1. Das Kind oder der Jugendliche bittet selbst darum, in Obhut genommen zu werden oder 2. eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen erfordert die Inobhutnahme.

Findet eine Inobhutnahme gegen den Willen der Sorgeberechtigten statt, muss das Jugendamt das Kind entweder an den/die Sorgeberechtigten herausgeben oder unverzüglich eine Entscheidung des Familiengerichtes herbeiführen. Das Familiengericht trifft dann gemäß den § 1666 und § 1666a BGB geeignete Maßnahmen, um die Gefahr abzuwenden, wenn die Eltern nicht Willens oder in der Lage sind, dies selbst zu tun. Maßnahmen, die mit einer Trennung des Kindes von der Familie verbunden sind, sind dabei nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise wirkungsvoll begegnet werden kann.

Grenzen der Amtsbefugnisse

Die ausschließliche Zuständigkeit des Familiengerichts in den im Gesetz genannten Fällen (§ 621 Abs. 1, § 640 ZPO) zieht Grenzen für ein Tätigwerden oder Agieren des Jugendamtes. Die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der elterlichen Sorge eines nichtehelichen Vaters zu seinem Kind ist somit, falls zwischen diesen beiden streitig, Sache des Familiengerichts und nicht des Jugendamtes.

Geschichtliche Entwicklung in Deutschland

Ab 1900

Als Vorläufer der Jugendämter sind die im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 vorgesehenen Gemeindenwaisenräte anzusehen.

Erste Gründungen von Jugendämtern konnten bereits 1925 festgestellt werden (entsprechend dem 1924 in Kraft getretenen Reichsjugendwohlfahrtsgesetz). Ziele und Namen waren die materielle Sonderfürsorge für Minderjährige, die Krüppelfürsorge, die Heilfürsorge als freiwillige, vorbeugende Gesundheitsfürsorge und die Fürsorgeerziehung.

Nationalsozialismus

Ab 1939 übernahmen die Jugendämter als Teil der Staatsgewalt im NS-Staat weitgehend die Kontrolle über die Kindererziehung. Das Jugendamt kontrollierte und lenkte Familien und Kinder von Geburt an politisch. Heranwachsende Jungen wurden von der Hitler-Jugend (HJ) und heranwachsende Mädchen vom Bund Deutscher Mädel (BDM) unter die Kontrolle des Staates gestellt. Um der sinkenden Geburtenrate entgegenzuwirken, wurde neben allgemeinen monetären Hilfen auch etwa 8.000 Säuglinge in Deutschland und etwa 12.000 in Norwegen in Lebensbornheimen unter der Kontrolle der SS großgezogen (siehe auch Tyskebarn).

Die Organisation des Jugendamtes wurde 1939 durch ein Gesetz dahingehend geändert, dass statt der kollegialen Leitung die Geschäftsführung dem Bürgermeister bzw. Landrat übertragen wurde. Im Übrigen sollten die rechtlichen Bestimmungen des RJWG (Reichsjugendwohlfahrtsgesetz) so ausgelegt werden, dass damit eine Erziehung im nationalsozialistischen Sinne gesichert werden konnte. Die damit gemeinten Erziehungsziele kommen deutlich zum Ausdruck im § 1 der 1939 erlassenen Verordnung über Jugendwohlfahrt in den sudetendeutschen Gebieten, in der - abweichend vom § 1 RJWG - formuliert wird:

„Die Erziehung der Jugend im nationalsozialistischen Staat ist Erziehung zur deutschen Volksgemeinschaft. Ziel der Erziehung ist der körperlich und seelisch gesunde, sittlich gefestigte, geistig entwickelte, beruflich tüchtige deutsche Mensch, der rassebewußt in Blut und Boden wurzelt und Volk und Reich verpflichtet und verbunden ist. Jedes deutsche Kind soll in diesem Sinne zu einem verantwortungsbewußten Glied der deutschen Volksgemeinschaft erzogen werden.“

Nach 1945

Das Jugendamt wurde von 1947 bis 1952 dem Innenministerium (Polizei) und nicht dem Familien- oder dem Justizministerium unterstellt. Damit wurden eine Vielzahl Kinder - die durch das Jugendamt im europäischen Ausland den Eltern entzogen wurden - nicht an ihre biologischen Eltern zurückgegeben. Die Identität und die Namen der Kinder wurden mit Amtshilfe der Meldebehörden und der Polizei geändert, die leiblichen Eltern nicht informiert. Per Gerichtsbeschluss, „der Dringlichkeit wegen, ohne vorherige mündliche Anhörung“ wurden die Kinder an deutsche Adoptiv-Familien „transferiert“.

Seit den frühen 70er Jahren des zwangisten Jahrhunderts hat sich das Jugendamt massiv verändert: Es versteht sich mittlerweile nicht mehr als Kontrollinstanz oder Eingriffsbehörde, sondern als eine moderne Dienstleistungsbehörde. Die Beratung von jungen Menschen und ihren Eltern stehen dabei im Mittelpunkt; dennoch bleibt es Ausfallbürge, wenn Eltern ihre Erziehungsverantwortung nicht oder mißbräuchlich ausüben.

Mit dem Inkrafttreten des KJHG (SGB VIII) 1991 wurde die politische und fachliche Kritik an der Kontroll- und Eingriffsorientierung des JWG aufgenommen und ein Leistungsgesetz für Kinder, Jugendliche und ihre Familien geschaffen, dass auf Unterstützung und Hilfsangebote setzt. Mit dem Paradigmenwechsel durch das KJHG hat sich die Rolle des Jugendamtes deutlich gewandelt. Die Leistungsverpflichtung liegt überwiegend bei den Kommunen; die Angebote sollen im Wesentlichen von den freien Trägern erbracht werden. Das Jugendamt bleibt in seiner Doppelstruktur - bestehend aus Verwaltung und Jugendhilfeausschuss - erhalten. Die spezielle Ausformung des Subsidiaritätsprinzips (im jugendhilferechtlichen Sinne der Vorrang freier Träger vor öffentlichen Leistungserbringern; der Vorrang von Selbsthilfe und Unterstützung durch die freie Wohlfahrtspflege gegenüber der öffentlichen Verantwortung) findet in dem neuen Gesetz seine frühe Grundlage.

Kritik an der Institution „Jugendamt“

Durch Fälle im Jahre 2006, beispielsweise den Fall Kevin, eines, trotz behördlicher Überwachung, tot aufgefundenen misshandelten Kleinkinds aus Bremen, nimmt die Kritik in der Presse am Jugendamt zu, insbesondere an der Personalausstattung und der teilweise unzureichenden fachlichen Qualifikation seiner Mitarbeiter.

Im Zusammenhang mit den Wormser Prozessen geriet das Wormser Jugendamt in die Kritik, weil es trotz Freispruchs aller Angeklagten vom Vorwurf des Kindesmissbrauchs „wegen erwiesener Unschuld“ 1997 die sofortige Rückkehr der in Kinderheimen untergebrachten betroffenen Kinder zu ihren Eltern verweigerte und im Falle der sechs Kinder im Ramsener Heim „Spatzennest“ jeglichen Kontakt unterband.[3][4]

Der Petitionsausschuss des Europaparlaments hat mehrere Petitionen gegen die Institution „Jugendamt“ aus dem Jahre 2006 für zulässig erklärt [5] und behandelt das Thema anhand beispielhafter Fälle mit Anhörungen. Dabei wurden auch generell das Verhalten der Bundesrepublik in den Fällen, in denen Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt worden ist (Haase, Münster, Sorgerechtsfall Kazim Görgülü , Sahin, Sommerfeld u.a.) angesprochen. Der Petitionsausschuss behandelte u.a. einige Petitionen auf der Bearbeitungsliste [6] und in seiner Tagesagenda [7] [8] [9]

Die Präsidentin der Konferenz der Nicht-Regierung-Organisationen (NGO) des Europarates, Annelise Oeschger, überreichte zu den Jugendamtspetitionen beim Europaparlament im November 2007 die Bamberger Erklärung,[10] in der das Verhalten deutscher Jugendämter sowie die mangelhafte Kontrolle der Jugendämter mit dem Resultat der Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kritisiert wurden. Diese Erklärung ist das Ergebnis des Symposiums "Deutsche Jugendämter und die europäische Menschenrechtskonvention", das im Oktober 2007 in Bamberg stattfand.[11][12]

Siehe auch

Jugendhilfe, Hilfen zur Erziehung, Jugendkultur, Jugendarbeit, Jugendgerichtshilfe, Cochemer Modell,

Quellen und Anmerkungen

  1. Aufsicht: A. bezeichnet die staatliche Kontrolle über 1) bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten (Bau-, Gewerbe-, Banken-, Versicherungs-A.) bzw. 2) die öffentliche Verwaltung. Unterschieden werden a) die Staats-A. des übergeordneten Staates gegenüber den untergeordneten staatlichen Ebenen (z.B. des Bundes gegenüber den Ländern), b) die Dienst-A. des Dienstherrn gegenüber einzelnen Beamten und Angestellten, c) die A. über die Gesetzmäßigkeit des Handelns öffentlicher Verwaltungen (Rechts-A.) und d) die Fach-A., d.h. die Überprüfung, ob die Aktivitäten der Verwaltungen den beabsichtigten Zwecken entsprechen. Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006. Siehe: [1]
  2. Siehe Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen." Zudem hat der Bund gemäß Art. 28 Abs. 3 GG eine Garantenstellung zur Gewährleistung der „verfassungsmäßigen", sprich grundgesetzgemäßen „Ordnung" auch in den Ländern zu gewährleisten. Es heißt in Art. 28 Abs. 3 GG: „Der Bund gewährleistet, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht." Die „verfassungsgemäße", sprich grundgesetzgemäße „Ordnung" ist im Art. 20 GG festgelegt. Dort, insbesondere in den Absätzen 1 - 3, sind die Grundsätze der staatlichen, demokratischen Ordnung unabänderlich bestimmt und definiert. Diese Grundsätze können, wie Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG deutlich formuliert, nicht eingeschränkt werden, auch nicht durch ein „Recht der Selbstverwaltung" aus Art. 28 Abs. 2 GG.]
  3. *Berliner Zeitung vom 25.06.1997, siehe auch [2]
  4. Das Sonntagsblatt, 22. August 1997, Nr. 34/1997. http://www.sonntagsblatt.de/1997/34/34-s2.htm
  5. Wie wird eine für zulässig erklärte Petition weiterbehandelt?: - Verfahren bei zulässigen Petitionen.
  6. Bearbeitungsliste vom 07.06.2007: - Bearbeitungsliste vom 07.06.2007
  7. Tagesagenda-Entwurf vom 07.06.2007: - Agenda Entwurf.
  8. Pressebericht über die Sitzung vom 07.06.2007: - Presseblog.
  9. Presseberichte über die Sitzung vom 07.06.2007: - EFCR-Bericht über den Bericht in der Gazetta - http://www1.gazeta.pl/wyborcza/1,34471,1752082.html .
  10. http://www.petra-heller.com/fileadmin/user_upload/petra-heller/Dokumente/Bamberger-Erklaerung.pdf
  11. http://www.pressetext.de/pte.mc?pte=071120028
  12. http://www.pressetext.de/pte.mc?pte=071011021