Formales System

System von Symbolketten und Regeln
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Ein formales System ist eine formale Sprache, also ein System von Symbolketten und Regeln. Die Regeln sind Vorschriften für die Umwandlung einer Symbolkette in eine andere, also Produktionen einer formalen Grammatik. Die Anwendung der Regeln kann dabei ohne Kenntnis der Bedeutung der Symbole, also rein syntaktisch erfolgen. Formale Systeme werden in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Logik, Mathematik, Informatik und Linguistik verwendet, insbesondere um neue Aussagen aus bereits bekanntem Wissen herzuleiten.

Definition eines formalen Systems

Ein formales System lässt sich als Quadrupel F = <A,B,AU,R> auffassen mit den Bestimmungsstücken:

  •   ist ein Alphabet, das heißt eine Menge beliebiger Zeichen. Dies sind die Grundzeichen, aus denen sich die Symbolketten des formalen Systems zusammensetzen.
  •   ist eine Teilmenge aller Wörter, die sich über dem Alphabet   bilden lassen. Dies sind die "wohlgebildeten Formeln" (well formed formulas, wff), also diejenigen unter den Symbolketten, die einen "Sinn" ergeben. "Sinn" bedeutet aber hier nicht anderes, als dass diese Zeichenreihen der Grammatik des formalen Systems entsprechen und deshalb für die weitere Untersuchung zugelassen werden sollen.
  •   ist eine Menge von Axiomen. Auch dieser Begriff ist hier ganz formal zu verstehen: Axiome sind die, grundsätzlich willkürlich gewählten, Ausgangsformeln für die Ableitungsrelation des formalen Systems.
  •   ist eine Menge von mindestens zweistelligen Relationen über Wörtern aus  , durch die eine Ableitungsrelation definiert wird. Stehen zwei (oder mehr) wff in dieser Relation zueinander, so ist die letzte aus der oder den vorhergehenden herleitbar. Ausgehend von den Axiomen ergibt sich damit eine Menge von - gemäß der Relation R - herleitbaren wff.

Von der Formalisierung sollte man sich hier nicht abschrecken lassen. Im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit formaler Systeme sind vor allem die zuletzt genannten Relationen zu betrachten. Wie erwähnt wird durch diese die Ableitungsrelation definiert, sei diese mit   symbolisiert. (Häufig findet man andere Symboliken wie beispielsweise   oder  . Zu unterscheiden ist   aber in jedem Fall von  , denn letzteres Symbol steht für die Folgerungsrelation (Inferenzrelation) und hat im Gegensatz zur Ableitungsrelation eine Semantik.) Die Schreibweise   für zwei Wörter a und b aus der Menge B bedeutet also, dass sich b aus a formal ableiten lässt. Es gibt also eine Relation in R, die a und b miteinander in eine formale Ableitungsbeziehung setzt. Das formale System sagt weder etwas über die Art dieser Relation noch über die Menge der insgesamt in R enthaltenen Relationen aus. Potentiell kann R unendlich viele Relationen enthalten, die zwischen den unterschiedlichsten Worten Ableitungsbeziehungen herstellen. Gibt es auch nur eine solche Relation für zwei beliebige, aber feste Wörter a und b, so kann b aus a formal abgeleitet werden.

Hervorzuheben ist nochmals, dass die hier definierte Ableitung rein syntaktisch erfolgt. Wenn wir also von einem Wort a ausgehen und daraus ein Wort b ableiten, wissen wir weder wofür a, noch wofür b steht. Diese beiden Worte stehen zu keiner denkbaren Welt in Beziehung, sie haben keine Bedeutung, keine Semantik. Interessant sind nun natürlich solche formalen Systeme, deren Ableitungsrelation einer semantischen Folgerungsrelation (möglicherweise insbesondere der menschlichen) möglichst nahe kommt. D.h. man möchte möglichst alles, was man semantisch folgern kann, auch formal ableiten können. Damit wird jedoch der Rahmen formaler Systeme bereits überschritten. Nähere Informationen hierzu finden sich unter anderem im Artikel Logik.

Kalküle

Gelegentlich findet man für Kalküle die Einschränkung vor, dass die Menge der Relationen in R endlich sein muss. Darüber hinaus werden an die Ableitungsrelation von Kalkülen häufig weitergehende Anforderungen gestellt, wie beispielsweise die Erfüllung der Hüllenaxiome und des Endlichkeitsaxioms. Ansonsten wird der Kalkülbegriff meist synonym zum Begriff des formalen Systems verwendet. Daher finden sich im Artikel über Kalküle weitere interessante Informationen und Querverweise.

Anwendungsbeispiel

Die Grundrechenarten der Arithmetik bilden das erste formale System, das in der Grundschule gelernt wird. Dort nimmt man Symbole für die Ziffern 1,2,3,4,5,6,7,8,9 und ein Symbol für die Null, nämlich 0. Die Addition erhält auch ein Symbol, '+'. Man kann jetzt die Symbole aneinanderreihen und erhält Symbolketten, wie zum Beispiel:

123+45
7+0
123456+666
1607+
23++56

Die drei ersten entsprechen den (hier nicht im einzelnen formulierten) Regeln für wff. Die beiden letzten tun dies nicht und können der folgenden Regel nicht unterworfen werden.

Additionsregel: Nimm die beiden am weitesten rechts stehenden Ziffern jeder Ziffernfolge und ersetze sie durch folgende Vorschrift: 0+1=1, 1+1=2, 1+2=3, ..., 5+5=0+Übertrag, ... 9+9=8+Übertrag. Schreibe die sich ergebende Ziffern an die rechte Stelle der neuen Ziffernkette und merke dir den Übertrag. Nimm jetzt die zweite Ziffer von rechts aus jeder Kette und ersetze sie durch dieselbe Vorschrift. Falls ein Übertrag im vorhergehenden Schritt vorhanden war, wende die Ersetzung auf die neue Ziffer und 1 an. Ersetze im Ergebnis die zweite Stelle von rechts durch das neue Symbol und merke dir wiederum den Übertrag. Setze das Verfahren von rechts nach links fort, bis keine Ziffern mehr vorhanden sind. Falls eine Kette kürzer als die andere ist, ersetze fehlende Ziffern durch '0'. Falls am Ende ein Übertrag vorhanden ist, schreibe im Ergebnis ganz links eine '1'.

Die Kette "987+789" wird durch Anwendung dieser Additionsregel also durch die Kette 1776 ersetzt. Um dieses Vorgehen in die oben beschriebene Formalisierung zu übertragen, können wir sagen: "1776" wurde von "987+789" abgeleitet. Dabei müssen wir uns jedoch bewusst machen, dass die Ableitung allein auf Zeichenebene erfolgte. Ebenso wäre es möglich, mittels einer anderen Ableitungsregel aus "987+789" die Zeichenkette "198" (dies ist in diesem Fall die Differenz) oder die Zeichenkette "xyz" abzuleiten, denn Summe und Differenz im Sinne unseres alltäglichen Sprachgebrauchs gehören bereits der Semantik an und sind damit außer Reichweite eines formalen Systems.

Literatur

Siehe auch

Formales System (Logik), Formales System (Mathematik)