Mit Braunschweig-Lüneburg wurde ab 1692 das 9. Kurfürstentum des Heiligen Römischen Reiches bezeichnet (offizieller Name: Chur-Braunschweig-Lüneburg, inoffiziell Chur-Hannover oder Kurhannover oder Hannover). Wahlspruch NEC ASPERA TERRENT (Widrigkeiten schrecken nicht)[1].
Geographie
Das Kurfürstentum bestand vor allem im 18. Jahrhundert und lag im heutigen deutschen Land Niedersachsen. Es umfasste folgende Territorien: Fürstentum Calenberg, Fürstentum Grubenhagen, Grafschaft Hoya, Herzogtum Sachsen-Lauenburg, Fürstentum Lüneburg (ab 1705), Herzogtum Bremen mit Herzogtum Verden (ab 1715). Calenberg, Grubenhagen und Lüneburg waren nominell Teilfürstentümer des mittelalterlichen Herzogtums Braunschweig und Lüneburg.[2] Ursprünglich war das Kurfürstentum ein reines Binnenland (Raum Hannover). Erst mit dem Erwerb des Herzogtums Bremen konnte sich Kurhannover zur Nordsee ausweiten. Der Großteil des Kurfürstentums war teil des Niedersächsischen Reichskreises. Die Grafschaft Hoya war Teil des Niederheinisch-Westfälischen Reichskreises.
Geschichte
1692 wurde an die im Fürstentum Calenberg regierende Linie der Welfen unter Ernst August die neunte Kurwürde des Heiligen Römischen Reiches verliehen. Umgangssprachlich wurde das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg auch Kurfürstentum Hannover oder kurz Kurhannover genannt. Das welfische Teilfürstentum Calenberg-Göttingen, wurde von Kaiser Leopold I. als Lohn für die Unterstützung im Pfälzischen Erbfolgekrieges mit der Kurwürde belohnt. Der Reichstag stimmte der Erhebung erst 1708 zu.
Das neu geschaffene Kurfürstentum konnte sich 1705 mit dem Fürstentum Lüneburg vereinigen. Weiterhin eigenständig blieb bis zum Ende des Alten Reiches das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel.
Personalunion mit Großbritannien
Nach dem Tode der Königin Anna Stuart von Großbritannien erbte Kurfürst Georg Ludwig 1714 die britische Königskrone, da sie keine überlebenden Nachkommen hatte. Gemäß dem Settlement Act von 1701 fiel die Krone an die nächsten protestantischen Verwandten, also an das Haus Hannover. Die Personalunion endete mit der Thronbesteigung von Königin Victoria 1837, da im Königreich Hannover nur männliche Nachkommen den Thron erben konnten. Daher ging die Regentschaft auf Victorias Onkel, Ernst August, Herzog von Cumberland, über. [3]
Erwerb der Herzogtümer Bremen und Verden
1715 kaufte Hannover die Herzogtümer Bremen und Verden von Dänemark, welches diese früheren geistlichen Territorien kurz vorher von Schweden erobert hatte.
Napoleonische Zeit und Wiener Kongress
Im Rahmen der Napoleonischen Kriege kapitulierte Hannover 1803 in der Konvention von Artlenburg und wurde zunächst von den Franzosen besetzt – Jean-Baptiste Bernadotte, der spätere König von Schweden und Norwegen, war hier vom 14. Mai 1804 für mehrere Monate Gouverneur –, dann von Preußen besetzt und ging 1807 bzw. 1810 im Königreich Westphalen auf. Die Armee des Kurfürstentums wurde aufgelöst, aber ein großer Teil der Offiziere und Soldaten ging nach England und wurde dort als King’s German Legion wieder aufgestellt. Sie war die einzige deutsche Truppe, die sich kontinuierlich im Kampf gegen die französische Armee befand. Sie spielte bei der Schlacht von Waterloo eine entscheidende Rolle.
Staat und Verwaltung
Mit Erlangung der Kurfürstenwürde entwickelte sich auch die staatliche Struktur des Territoriums. Dabei wirkten neben neuzeitlichen Verwaltungsstrukturen auch alte ständische Besitzstände fort. Der Kurfürst (insbesondere als König von Großbritannien) war zunehmend auf eine zentrale Verwaltung angewiesen, ohne die Landstände in den bis zu sieben verschiedenen Landschaften in Frage zu stellen. Auch im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg bestand ein starker Dualismus zwischen Landesherrn und Landständen. Grundlage für die kurfürstliche Regierung war das Regierungsreglement von 1714, das auf dem von Ernst August von Calenberg niedergelegten Reglement von 1680 aufbaute.[4]
Kurfürsten
Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg | ||
Haus Hannover | ||
Name | Herrschaft | Bemerkungen |
---|---|---|
Ernst August | 1692–1698 | Sohn von Georg von Braunschweig und Lüneburg-Calenberg |
Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, König von Großbritannien und Irland Mit dem Act of Settlement von 1701 wurde die Thronfolge auf Protestanten eingeschränkt. Sophie von der Pfalz, die nächste protestantische Verwandte, wurde deshalb Thronfolgerin. Sie starb kurz vor Königin Anne. Aus diesem Grund folgte ihr Sohn auf den Thron, der das Haus Hannover begründete. | ||
Georg I. (George I) | 1698/1714–1727 | Sohn von Ernst August und Urenkel von Jakob I.. |
Georg II. (George II) | 1727–1760 | Sohn von Georg I. |
Georg III. (George III) | 1760–1820 | Enkel von Georg II. |
Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg:
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Ernst August
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George I.
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George II.
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Georg III.
Landstände
Ausgehend von der territorialen Zersplitterung des nominell noch bestehenden Herzogtums Braunschweig-Lüneburg und anliegender Fürstentümer konnte Kurfürstentum nach und nach eine Vielzahl von Landschaften, mit jeweiligen Landständen vereinigen. Während der größten territorialen Ausdehnung des Kurfürstentums waren es 7 Landschaften. Durch die Regierungsferne des zunehmend in London regierenden Kurfürsten konnten die Landstände ein relatives Eigenleben entwickeln. Die Verpflechtung des höheren Adels mit dem Hofe und hohen Verwaltungs- und Militärstellen minderte aber Konflikte.
Verwaltung
1714 gliederte ein Reglement die Landesregierung in fünf Zentralbehörden: Geheimes Ratskollegium, Kammer, Justizkanzlei, Konsistorium und Kriegskanzlei. Die sog. "Deutsche Kanzlei" bildete das Verbindungsbüro mit zwischen Chur-Braunschweig-Lüneburg und der britischen Regierung in London.[5]
Anmerkungen
- ↑ Wahlspruch auf den Fahnen der chur-braunschweig-lüneburgischen Armee
- ↑ Die Fürsten des eigenständigen Fürstentums Braunschweig-Wolffenbüttel nannten sich ebenfalls Herzöge von Braunschweig und Lüneburg.
- ↑ vgl. Drögereit 1949, Barmeyer 2005
- ↑ vgl. zum Reglement 1714: Drögereit 1949: 5-15; zum Reglement von 1680: Schnath 1938: 686-694.
- ↑ vgl. Drögereit 1949: 5
Literatur
- Heide Barmeyer (Hg.), Hannover und die englische Thronfolge. (=Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte Band 19), Bielefeld 2005.
- Richard Drögereit: Quellen zur Geschichte Kurhannovers im Zeitalter der Personalunion mit England 1714-1803, Quellenhefte zur Niedersächsischen Geschichte, Hildesheim 1949.
- Hannoverische Chur-Würde in: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste; Leipzig: 1731-1754; Band 12; S. 256 online-Version
- Wilhelm Havemann: Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg; Band 3; Göttingen 1857; insb. Bemühungen von Ernst August um die Kurwürde: S. 322ff online bei Google-Books
- Joachim Niemeyer/Georg Ortenburg (Hg.): Die Chur-braunschweig-lüneburgische Armee im Siebenjährigen Kriege: Das "Gmundener Prachtwerk"; Beckum 1976.
- Georg Schnath: Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674-1714; (= Veröffentlichungen der Historischen Kiommission zu Hannover XVIII); Hildesheim 1938.