Das Korrespondenzprinzip beschreibt ein bestimmtes Verhältnis zwischen einer älteren Theorie und einer neueren mit größerem Gültigkeitsbereich. Es liegt vor, wenn die neuere Theorie auf dem Gültigkeitsbereich der älteren zu den selben Ergebnissen kommt wie diese. Diese Art der Theorienentwicklung ist in den Naturwissenschaften typisch und erstrebenswert.
Die neuere Theorie enthält in diesem Fall die ältere als Grenzfall und erklärt so ihren früheren Erfolg. Ferner gerät die neue Theorie nicht in Konflikt mit den älteren experimentellen Befunden. Dabei kann sich die neuere Theorie strukturell und begrifflich komplett von der älteren unterscheiden. Die ältere Theorie ist damit zwar im Prinzip widerlegt, sie bleibt jedoch in ihrem begrenzten Gültigkeitsbereich weiterhin nützlich.
Das Korrespondenzprinzip wurde 1923 von Niels Bohr zur Charakterisierung des Verhältnisses von klassischer Physik und Quantenphysik formuliert (s. u.) und wird in diesem Zusammenhang auch als Bohrsches Korrespondenzprinzip bezeichnet.
Im folgenden werden einige bedeutende Beispiele für das Korrespondenzprinzip in der Wissenschaftsgeschichte erläutert.
Scheibentheorie und Kugeltheorie der Erde
Bevor die Kugelform der Erde entdeckt wurde, glaubte man, die Erde sei eine Scheibe. Aufgrund der enormen Größe der Erdkugel fällt uns der Unterschied zwischen Scheibe und Kugel im Alltag nicht auf. Das Versagen der Scheibentheorie wird erst bei größerem Aktionsradius offensichtlich. Damit erklärt die Kugeltheorie auch, warum die Vorstellung von einer Scheibe überhaupt entstehen konnte. Die Scheibentheorie bleibt aber weiterhin nützlich. So orientieren wir uns in einer fremden Stadt mit einem Stadtplan und nicht mit einem Globus, obwohl der Stadtplan von seinem Wesen her eben ist und damit eher der widerlegten Scheibentheorie entspricht.
Newtonsche Physik und Relativitätstheorie
Obwohl die Relativitätstheorie völlig neue Vorstellungen von Raum und Zeit einführt, gehen ihre Vorhersagen in die der Newtonschen Physik über, wenn man sie auf unseren Alltagsbereich anwendet.
In der speziellen Relativitätstheorie hängen räumliche und zeitliche Distanzen vom Bewegungszustand des Beobachters ab. Sind die entsprechenden Geschwindigkeiten hineichend klein gegen die Lichtgeschwindigkeit, so geraten die Differenzen dieser Distanzen unter die experimentelle Nachweisgrenze, so dass die an sich überholten Konzepte von Raum und Zeit der Newtonschen Physik angewendet werden können. Das gleiche gilt für die Abhängigkeit der Masse eines Körpers von dessen Geschwindigkeit. Ebenso ist die Krümmung des Raumes durch die Anwesenheit von Massen und die Abhängigkeit des Ganges von Uhren von ihrer Position im Gravitationsfeld, wie sie in der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt werden, für hinreichend kleine Raumgebiete wie beispielsweise unserem alltäglichen Aktionsradius experimentell kaum feststellbar.
Klassische Physik und Quantenphysik
Die Gesetze der klassischen Physik lassen sich als Grenzfall aus denen der Quantenphysik herleiten, obwohl letztere auf völlig andersartigen und nicht mehr anschaulich zugänglichen Konzepten von Materie und Bewegung beruhen.
Die Quantenphysik erlaubt oft lediglich Wahrscheinlichkeitsprognosen über den Wert einer Messgröße wie beispielsweise den Ort, an dem sich ein Objekt befinden wird. Sie ist daher nicht mehr bezüglich jeder Fragestellung deterministisch. Berechnet man den so genannten Erwartungswert, d. h. den Mittelwert dieser Messgröße bei mehrfacher Wiederholung des Experiments, so stellt sich heraus, dass dieser den bekannten Gleichungen der klassischen Physik gehorcht (Ehrenfestsches Theorem). Wendet man die Regeln der Quantenphysik auf makroskopische mechanische Systeme an, so wird die statistische Streuung der Messergebnisse nahezu unmessbar klein. Dabei entsprechen solche Systeme oft einer Überlagerung einer großen Zahl von Quantenzuständen mit großen Quantenzahlen. Damit folgt der deterministische Charakter der klassischen Physik für den makroskopischen Grenzfall aus der Quantenphysik.
Relativitätstheorie, Quantenphysik und Quantengravitation
Eins der großen Probleme des Theoriengebäudes der Physik besteht derzeit darin, dass seine beiden Säulen, die Relativitätstheorie und die Quantenphysik, in ihrer Beziehung zueinander das Korrespondenzprinzip nicht erfüllen. Beide Theorien haben daher nur einen begrenzten Gültigkeitsbereich, so dass die heutige Physik keine abgeschlossene Beschreibung der Natur liefern kann. Es wird daher nach einer Theorie der so genannten Quantengravitation gesucht, die die Relativitätstheorie und die Quantenphysik vereinigt, indem sie beide als Grenzfall im Sinne des Korrespondenzprinzips enthält.