Laplacescher Dämon

Gedankenexperiment zur vollständigen Berechnung der Zukunft
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Laplacescher Dämon bezeichnet die erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Auffassung, dergemäß es möglich ist, unter der Kenntnis sämtlicher Naturgesetze und aller Initialbedingungen jeden vergangenen und jeden zukünftigen Zustand zu berechnen.

Der Ausdruck stammt aus folgendem Zitat von Laplace:
„Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennte, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“[1]

Der metaphysische Unterbau dieser Haltung ist der Gesetzesdeterminismus: Für Laplace ist die Welt durch Anfangsbedingungen und Bewegungsgesetze vollständig determiniert, so dass die Aufgabe der Naturphilosophie, die in der Himmelsmechanik ihr Vorbild besitzt, ausschließlich in der Integration von Differentialgleichungen besteht. Das wäre die Aufgabe des Dämons, den Laplace im Vorwort des Essai philosophique sur les probabilités von 1814 entwirft; er spricht dort jedoch weniger effektheischend von einer Intelligenz (une intelligence). Dass das ein nicht zu erreichendes wissenschaftliches Ziel darstellt, war Laplace selbst bewusst. Gegenargumente sind die empirische Unzugänglichkeit des Kleinen und die Unzugänglichkeit sehr großer Massen im Kosmos. Laplace kannte schon „Vorläufer“ von schwarzen Löchern und stellte sich Sterne vor, die so große Massen besitzen, dass die Lichtmaterie von den Sternen gravitativ festgehalten wird.

Gegen die Vorstellung vom Laplaceschen Dämon lassen sich aus Sicht der modernen Physik verschiedene Einwände erheben. Von den drei hier aufgeführten, zeigen die ersten beiden nur, dass in der physischen Welt kein Wesen oder Objekt existieren kann, welches die Funktion eines Laplaceschen Dämons erfüllt. Der dritte Einwand ist grundlegender: Nach den üblichen Interpretationen der Quantenmechanik funktioniert die Welt nicht deterministisch. Alle diese Einwände sprechen aber nicht gegen die Nützlichkeit des „Laplaceschen Dämons“ zur Veranschaulichung eines deterministischen Weltbildes.

  1. Die Relativitätstheorie (1905)
    Nach der Relativitätstheorie ist es nicht möglich, den ganzen Kosmos zu erfassen, da Informationen maximal mit Lichtgeschwindigkeit transportiert werden können. D. h., es bildet sich ein „Horizont“, über den der Dämon nicht hinaus blicken könnte. Er kann also nicht alle Zustände des Universums erfassen und folglich auch nicht vorhersagen.
  2. Berechnungsgrenzen (1960er)
    Auch die Phänomene der Chaosforschung stellen den Dämon vor eine unlösbare Aufgabe. Letztlich gilt, dass die Anzahl der für so eine Berechnung benötigten Werte exponentiell anwächst. Deshalb würde der Dämon für Vorhersagen eine sehr lange Zeit benötigen. Letztlich so lange, dass er für eine Berechnung des Zustandes des Universums üblicherweise mindestens so lange benötigt, wie das Universum benötigt um den Zustand einzunehmen. Seine Vorhersage, als eine vom System entkoppelte Aussage, käme also zu spät. Und ein vorausplanendes Handeln wäre erst recht unmöglich, da dazu ja verschiedene Zukunftsberechnungen verglichen werden müssten.
    Hinzu kommt, dass der Dämon mit seiner sicher aufwändigen Berechnung, beispielsweise mit dem physikalischen Hin- und Herschieben von Elektronen in seinem Gehirn oder Computer, seinerseits das Universum verändert. Er müsste sich also gleichzeitig selbst mitberechnen. So eine Berechnung könnte also nur einem Beobachter zweiter Ordnung (Systemtheorie) gelingen, der nicht Teil des von ihm betrachteten Systems ist. Wenn er aber nicht Teil des Systems ist, hat er keine Einflussmöglichkeit auf das System, er hätte also nichts von seinem Wissen.
  3. Die Unschärferelation auf Quantenebene (um 1920)
    In der Quantenphysik lassen sich keine deterministischen, genauen Voraussagen treffen, es sind nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.
    Nach den am weitesten verbreiteten Interpretationen der Quantenmechanik ist dies nicht durch die Unkenntnis verborgener Variablen bedingt, sondern spiegelt einen auf Quantenebene existierenden absoluten Zufall wider.
    Gemäß dieser von den meisten Physikern vertretenen Ansicht ist also nicht nur der Laplacesche Dämon unmöglich (wie nach den beiden anderen Einwänden), sondern auch der Determinismus an sich falsch. Es gibt allerdings auch deterministische Interpretationen der Quantenmechanik, z. B. die De-Broglie-Bohm-Theorie.

Argumente für die Möglichkeit des Laplaceschen Dämons sind beispielsweise, dass es nur möglich ist, den Kosmos in der Vergangenheit zu erfassen, da Informationen höchstens mit Lichtgeschwindigkeit transportiert werden können. Darauf aufbauend kann mit ausreichender Rechenleistung unter Annahme des Determinismus die Zukunft und die Gegenwart berechnet werden; wenn bei Erfassung aller Zustände des Universums zukünftige Zustände auf deterministischer Kausalität beruhen, kann es nur eine mögliche Entwicklung der Zustände geben. Der Laplacesche Dämon kann zur Einflussnahme auf ein System gebraucht werden, z. B. um Prozesse zu optimieren, so dass er sich nicht selbst in das System einbetten muss, sondern nur die von ihm ausgehenden Prozesse mitberücksichtigen muss.

Einzelnachweise

  1. Höfling O, Physik, 15. Auflage. Ferd. Dümmlers Verlag, Bonn 1994, ISBN 3-427-41145-1.

Siehe auch