Geschichte Chiles
Geschichte bis 1520
Die ersten Siedler auf dem Gebiet des heutigen Chile waren wandernde Mapuche-Indianer, die vor etwa 10.000 Jahren in den fruchtbaren Andentälern siedelten. Die Inkas konnten kurzzeitig ihr Reich bis in die Atacama-Wüste ausdehnen, aber die ungünstigen klimatischen Verhältnisse (besonders die extreme Trockenheit der ausgedehnten Atacama-Wüste) verhinderten ein weiteres Vordringen oder dichtere Besiedlung.
Geschichte 1520-1945
Spanische Besiedlung
Der erste Europäer, der chilenischen Boden betrat, war Fernão de Magalhães im Jahr 1520 in der Gegend des heutigen Punta Arenas, nach ihm wurde die Magellanstrasse benannt. Diese Region hieß bei den Indianern Tchili, eine Bezeichnung für Schnee. Dadurch entstand der Name Chile. 20 Jahre später, also 1540, machte sich Pedro de Valdivia, ein spanischer Offizier und Eroberer, auf den Weg nach Chile. Dort errichtete er trotz Widerstand der Araukaner-Indianer Siedlungen. In dieser Zeit wurden Santiago, Concepción und Valdivia gegründet.
Die Araukaner waren praktisch das einzige Indianervolk Amerikas, das erfolgreich den Spaniern Widerstand leistete. Schon 1553 töteten die Araukaner Valdivia und zerstörten die meisten der von Siedlern gegründeten Städte, die daraufin auf die Insel Chiloé flohen. Es gab eine lange kriegerische Epoche zwischen den Besatzern und den Indianern. Die Kämpfe flammten gar bis ins späte 19. Jahrhundert wieder auf. Bis heute leisten die Indianer gegen die Landnahme der Europäer Widerstand, so haben im Jahre 2000 die Mapuche (früher als Araukaner bekannt) aus Protest gegen die Landverteilung in Chile das Büro der Europäischen Union in Santiago de Chile besetzt.
Die Unabhängigkeit
Während der spanischen Kolonialzeit war Chile Bestandteil des spanischen Vizekönigreiches Peru. Da in Chile weder Gold- noch Silbervorkommen zu finden war, blieb das Land weitgehend unbeachtet und entwickelte sich vergleichsweise langsam. Landwirtschaft bildete den wichtigsten Wirtschaftszweig. Die fruchtbaren Täler von Zentral-Chile versorgten die Bevölkerung im nördlichen Peru mit Nahrungsmitteln. Die Chilenen lebten also vorwiegend vom Handel mit Landwirtschaftserzeugnissen.
Die Kolonialmacht Spanien unterlag 1810 dem Ansturm von Napoléon Bonaparte, der seinen Bruder Joseph auf den spanischen Thron hob. Dagegen erhob sich in Chile am 18. September (dem heutigen Nationalfeiertag Chiles) eine Widerstandsgruppe unter der Führung von Bernardo O'Higgins. Nachdem der Kolonialgouverneur von Chile 1810 vom Santiagoer Stadtrat abgesetzt wurde, gab es einen 15 Jahre lang dauernden Unabhängigkeitskrieg gegen die spanischen Truppen. Chile proklamierte am 12. Februar 1818 seine Unabhängigkeit, aber erst 1826 waren die Spanier endgültig besiegt.
Der wirtschaftliche Aufschwung im 19. Jahrhundert
Nach mehreren Aufständen und Staatsstreichen gelang es dem Präsidenten Manuel Montt, die Innenpolitik zu beruhigen. Dadurch kam es um 1850 zu einer Weiterentwicklung der Landwirtschaft. Es wurden Eisenbahnen gebaut, und man begann, das in Chile vorhandene Kupfer und Salpeter abzubauen. Das Schulsystem wurde eingeführt und kulturelle Institutionen aufgebaut.
Der Salpeterkrieg
Seit 1874 hatte Bolivien per Vertrag die Rechte für den Salpeterabbau in der - damals bolivianischen - Atacama-Wüste garantiert und die chilenischen Salpetergesellschaften von der Steuerpflicht befreit. Doch als Bolivien 1878 wieder Steuern verlangte, reagierte die chilenische Regierung mit großer Härte. Sie schickte militärische Einheiten an den bolivianischen Hafen Antofagasta. Bolivien und sein Verbündeter Peru erklärten darauf Chile den Krieg. Bolivien musste sich bald geschlagen geben, verlor die nördliche Küstenregion westlich der Anden an Chile und wurde dadurch zu einem Binnenland. Chile konnte zudem beachtliche Teile Perus für sich beanspruchen und dehnte sein Territorium bis nach Arica aus. Dieser Konflikt dauerte von 1879 bis 1883.
Dank diesem Krieg besaß Chile nun das weltweite Monopol für den Handel mit Salpeter und kam in der Folgezeit zu beträchtlichem Reichtum. Mit der Entwicklung neuer Verfahren zur Salpetergewinnung und der Entdeckung synthetischen Düngers zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor der Salpeterabbau seine Bedeutung. Chile allerdings fand Ersatz, denn die Atacama-Wüste ist auch sehr reich an Kupfervorkommen. Chile ist heute nach den USA der weltweit wichtigste Kupferlieferant.
Zwischen den Weltkriegen
Chile blieb im Ersten Weltkrieg neutral, die innenpolitische Lage war aber weiterhin instabil. Zwischen 1924 und 1932 regierte Carlos Ibanez nach einem Staatsstreich das Land mit diktatorischen Mitteln. Seit dieser Zeit beginnt der Aufstieg der kommunistischen Bewegung in Chile. 1932 wurde die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt, und die Radikalen erwiesen sich in den folgenden zwanzig Jahren als dominierende Partei. Sie verstärkten den staatlichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben. 1944 beschloss der Präsident Juan Antonio Ríos, Mitglied der radikalen Partei, als Verbündeter der USA in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, aber der Einfluss Chiles auf den Kriegsausgang blieb bescheiden. Das Land gehörte 1945 zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen.
Nachkriegszeit bis 1970
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Chile zu verschiedenen Konflikten zwischen den Demokraten und den Kommunisten, die kommunistische Partei war eine Zeit lang verboten. 1964 wurde Eduardo Frei Montalva als Kandidat der Christdemokratischen Partei zum Präsidenten gewählt. Er versuchte unter dem Motto "Revolution in Freiheit", Sozialreformen mit der Beibehaltung der demokratischen Ordnung zu verbinden und den Spagat zwischen den radikalen Forderungen der Linken und der rigorosen Abwehr von Reformen durch die Rechten zu schaffen. Er scheiterte mit diesem Vorhaben, seine wichtigsten Reformen, darunter die teilweise Verstaatlichung der Kupferindustrie, führte sowohl bei den Linken als auch bei den Konservativen zu Unzufriedenheit und heftiger politischer Opposition.
Als Reaktion darauf formierte sich 1969 die Unidad Popular (UP), ein Wahlbündnis der Linken, dem neben der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei noch viele andere kleine marxistische Parteien angehörten. Die UP vertrat eine sozialistische Linie, warb für die Verstaatlichung der Industrie und die Enteignung der Großgrundbesitzer.
Dieses Bündnis stellte den Präsidentschaftskandidaten Salvador Allende, der am 4. September 1970 gewählt wurde. Allende erreichte nur eine relative Mehrheit mit 36% der Stimmen und einem Vorsprung von lediglich 36.000 Stimmen gegenüber seinem Konkurrenten. Das Parlament ernannte ihn schließlich mit den Stimmen der Christdemokraten, denen er im Gegenzug die Erhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung versprach. Die UP allerdings verfügte zu keiner Zeit im Kongress über eine Mehrheit oder eine breite Zustimmung der Bevölkerung.
Der Wahlsieg Allendes traf in den USA auf heftigen Widerstand: Mit dem Sieg der Marxisten in Chile war nach Kuba der zweite amerikanische Staat sozialistisch regiert, was nach der Domino-Theorie für den Westen untragbar war. Der Vietnamkrieg war voll im Gange, und einige Staaten Afrikas lehnten sich teilweise auch an der Sowjetunion an. Für die Amerikaner bedeutete Allendes Wahlsieg nicht nur einen schweren Imageschaden im Wettstreit der Ideologien, sondern auch einen finanziellen Verlust für US-Unternehmen, weil die Kupferminen mehrheitlich (etwa 80%) im Besitz von US-Unternehmen waren und bei einer linken Machtübernahme die Verstaatlichung drohte.
Die Präsidentschaft Salvador Allendes 1970-1973
Der neue Präsident, Salvador Allende Gossens, wurde am 26. Juli 1908 in Valparaíso geboren. Er studierte Medizin und war Mitbegründer der Sozialistischen Partei Chiles (1933), kam 1937 in den Kongress und war von 1939 bis 1942 während einer liberalen Regierung Gesundheitsminister. 1945 wurde Allende in den Senat gewählt, dem er 25 Jahre lang angehörte.
Als Allende seinen christdemokratischen Vorgänger Frei ablöste, befand sich Chile bereits in einer prekären Situtation: von 10 Millionen Einwohnern galten 1,5 Millionen Kinder als unterernährt, 500.000 Familien waren obdachlos, und die Arbeitslosigkeit lag bei 8,8 Prozent. Der Landbesitz konzentrierte sich bei einer kleinen Oberschicht: 80 Prozent des Nutzlandes befanden sich in der Hand von 4,2% der Grundeigentümer.
Der Schwerpunkt von Allendes Wirtschaftspolitik war die entschädigungslose Verstaatlichung der Bodenschätze, die Enteignung von ausländischen Großunternehmen, der Banken und eine Agrarreform, bei der 20.000 km² Fläche von Großgrundbesitzern an Bauern übergeben werden sollten. Die sozialistische Regierung wollte Chile weniger abhängig vom Rest der Welt, insbesondere von den USA, machen. Innenpolitisch strebte sie im Sinne des Marxismus eine Entmachtung der "Bourgeoisie" an.
Die Politik der Unidad Popular brachte zunächst starke Verbesserungen für die Arbeiter und die eigenen Gefolgsleute. Die Löhne wurden um 35 Prozent erhöht. Die Preise für die Miete und für wichtige Bedarfsmittel wurden eingefroren. Die kostenlose Schulbildung wurde für alle durchgesetzt und alle Gefangenen der "revolutionären Linke" freigelassen. Jedes Kind bekam täglich 1 Liter Gratismilch. Die Kindersterblichkeitsrate sank so um 20%, aber dem Land fehlten die ökonomischen Mittel, um all die sozialen Wohltaten zu finanzieren.
Die Opposition unter den reichen Bevölkerungsschichten und den ausländischen Investoren gegen sein Programm war jedoch von Anfang stark. Die Verstaatlichung schreckte ausländische Unternehmen ab.
Auch das liberale Bürgertum wandte sich zusehends von Allenda ab. Radikale rechte Gruppen antworteten sogar mit Terror und Sabotage. Es gab in Allendes Amtszeit insgesamt 600 Terroranschläge auf Eisenbahnen, Brücken, Hochspannungsleitungen und Pipelines. Ein guter Teil der Wirtschaft, die Massenmedien und Transportmittel blieben in privaten Händen. Aus Angst vor Enteignung setzte eine Kapitalflucht ins Ausland ein. Die Privatinvestitionen wurden aus Angst vor der Verstaatlichung zurückgeschraubt.
Einigen gewaltbereiten linken Kräften gingen die Reformen Allendes nicht weit genug. Die MIR überfiel Banken, "um den Armen zu helfen", und Allendes Regierung wagte nicht, energisch gegen die beginnende Anarchie und den heraufdrohenden Bürgerkrieg einzuschreiten.
Alle diese Faktoren sorgten dafür, dass Chile 1971 eine Zahlungsbilanz von minus 26 Milliarden US-Dollar aufwies. Man deckte die Schulden, indem man Geld druckte. Dadurch verfünffachte sich der Geldumlauf, und die Inflationsrate überstieg die 300%-Marke. Gleichzeitig fehlten Devisen für den Import von Rohstoffen, Maschinen und Ersatzteilen, und die Kupferproduktion verlief nicht nach Wunsch, verschärft durch einen Kupferboykott, den die USA und 14 Gläubigerstaaten aus Protest gegen die Enteignung ausländischer Investoren verhängt hatten.
1972 spitzte sich die Lage weiter zu. Zu den hausgemachten Problemen aufgrund der desolaten Haushaltspolitik kam hinzu, dass die Regierung Allende aus westlicher Sicht nicht mehr kreditwürdig war, eine Haltung, die von der Regierung von US-Präsident Richard M. Nixon vehement unterstützt wurde. Nixon wollte die Kommunisten in Chile "ausquetschen", wie er es nannte. Die christdemokratische Regierung Frei hatte dagegen noch auf umfassende amerikanische Wirtschaftshilfe zählen können. Die Sowjetunion unterstützte Chile dagegen finanziell nur schwach.
Nixon erteilte der CIA den Auftrag, das chilenische Militär zu einem gewaltsamem Putsch zu bewegen. Die Nahrungsmittel wurden rationiert, und 1972 rief Allende den Notstand aus. In der Folge kam es 1973 häufig zu Streiks, politischen Unruhen und Straßenschlachten. Chile geriet an den Rand des Chaos und eines Bürgerkrieges. Das Wall Street Journal meinte dazu: "Der chilenische Sozialismus war gewaltbereit und gewaltfähig im maoistischen Stil."
Nachdem sich die wirtschaftliche Situation immer weiter verschlechterte und Allende trotz des drohenden Bürgerkriegs nicht von seiner sozialistischen Linie abrücken wollte, verlor er das Vertrauen des Parlaments. Im Sommer 1973 rief es Allende zum Rücktritt auf, aber er weigerte sich dem nachzugeben.
Im Juni 1973 wurde ein erster Putschversuch von Teilen der Armee von regierungstreuen Militärs niedergeschlagen. Allende baute das Militär aus, um weitere solche Putschversuche zu verhindern. Chile hat im Vergleich zu den anderen lateinamerikanischen Staaten den größten Anteil des Bruttosozialprodukts für das Militär ausgegeben. Allendes Regierung stellte für die regierungstreuen Militärs erhebliche wirtschaftliche Vergünstigungen bereit.
Im August 1973 ernannte Allende den General Augusto Pinochet zum Oberkommandierenden des Heeres. Drei Wochen später, am 11. September 1973 haben die Militärs Erfolg. Mit Kampfflugzeugen bombardierten sie den Präsidentenpalast "Moneda" und stürmten ihn am selben Abend. Allende war nur noch tot auffindbar. Es ist bis heute ungeklärt, ob Allende ermordet wurde oder Suizid ausübte. Es gibt keine Beweise, die für oder gegen einen Suizid sprechen. Allendes Leibarzt spricht von einem Selbstmord, ausgeführt mit einem von Fidel Castro geschenktem Maschinengewehr.
Pinochet ernannte sich darauf zum neuen Staatschef. Damit begann eine neue Ära in der Geschichte Chiles. Eine Ära des Widerspruchs, die einerseits von Tyrannei, Folter, Unterdrückung und Mord gegenüber der Opposition und allen linken Kräften gekennzeichnet ist, die andererseits mit einem radikalen Sanierungsprogramm Chile zu wirtschaftlicher Stabilität und Wohlstand verhalf.
Geschichte 1973-1990 unter Pinochet Ugarte, Augusto
Augusto Pinochet wurde am 25. November 1915 in Valparaíso geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und war kein Musterschüler. Er begann seine Ausbildung an der Militärakademie Chiles und stieg bald auf. Er leitete bereits in den fünfziger Jahren ein Internierungslager in der Atacama-Wüste.
Unter Eduardo Frei wurde er Brigadegeneral. Bereits vor der Ernennung zum Oberbefehlshaber 1973 durch Allende fiel Pinochet durch seine brutale Gangart auf, hatte er doch schon 1968 Streikführer erschießen lassen. Als Allende ihn fragte, ob er derselbe Pinochet sei, der 1959 ein Konzentrationslager geleitet habe und 1968 mehrere Streikführer erschießen ließ, verneinte der General. Allende schenkte ihm bis zuletzt das Vertrauen.
Während des Putschversuchs vom Juni 1973 stand Pinochet noch treu zur Regierung, aber die zunehmend desolate Situation Chiles änderte wohl seine Einstellung. Offenbar konnten ihn die Verschwörer in der Armee erst in letzter Minute von der Notwendigkeit des Umsturzes überzeugen. Um so radikaler fiel der Sinneswandel Pinochets aus: "Ich oder das Chaos" lautete das simple Motto des Generals.
In der Erklärung der Putschisten vom 11. September 1973 heißt es:
- " ... erklären die Streitkräfte ... :
- 1. Der Präsident (Allende) der Republik hat seine hohen Vollmachten unverzüglich den chilenischen Streitkräften ... zu übergeben.
- 2. Die chilenischen Streitkräfte sind sich einig in ihrer Entschlossenheit, die verantwortliche historische Mission zu übernehmen und den Kampf für die Befreiung des Vaterlandes vom marxistischen Joch ... zu führen.
- 3. Die Arbeiter Chiles brauchen nicht daran zu zweifeln, dass der wirtschaftliche und soziale Wohlstand, den sie bis zum heutigen Tage erreicht haben, keine großen Veränderungen erfahren wird.
- 4. Die Presse, die Rundfunksender und die Fernsehkanäle der Unidad Popular haben von diesem Zeitpunkt an die Verbreitung von Information einzustellen, ansonsten werden sie zu Lande und aus der Luft angegriffen.
- 5. Die Bevölkerung von Santiago de Chile hat in ihren Häusern zu bleiben, damit der Tod unschuldiger Menschen vermieden wird.
General Augusto Pinochet ..."
Sämtliche staatlichen Institutionen in ganz Chile waren binnen Stunden vom Militär besetzt. Pinochet setzte die Verfassung sofort außer Kraft, löste den Kongress auf, ordnete eine strenge Zensur an und verbot alle politischen Parteien. Ferner ging er brutal und radikal gegen alle linken Kräfte des Landes vor, Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. Bereits in den ersten Wochen wurden zwischen 6.000 und 100.000 Menschen verhaftet, viele von ihnen wurden von den Militärs gefoltert und getötet. Etliche Menschen verschwanden spurlos und auf bis heute ungeklärte Weise. Viele konnten auch ins Ausland fliehen, nicht selten in die Schweiz.
Die Opfer wurden häufig zuerst in Fußballstadien gesteckt, die zu Gefängnissen umfunktioniert wurden, später in die neu erbauten Internierungslager mitten in den Wüsten. Dort wurden sie nicht selten zu Tode gefoltert und unter anderem mit Flugzeugen hinaus aufs Meer geflogen und dort hinausgeworfen. Es kam zu makabren Wettstreiten um die größten Grausamkeiten. Mehr als eine Million Verfolgte flohen ins Ausland. Erst nach heftigen Protesten nahm die Schweiz Flüchtlinge auf. Die Schweiz war auch das einzige Land, dessen Botschaft sich weigerte, die von Pinochet gejagten Menschen aufzunehmen.
Die Verstaatlichung der Kupferindustrie hielt Pinochet allerdings aufrecht. Aus den Einnahmen der Kupfergesellschaften wird bis heute das chilenische Militärbudget finanziert. Das Wirtschaftsleben normalisierte sich rasch, die ökonomische Lage stabilisierte sich nach dem Putsch. Wenige Tage nach dem Staatsstreich war in der Frankfurter Allgemeine Zeitung zu lesen: "Chile: jetzt investieren!". Schon kurz nach der Machtübernahme Pinochets begannen die USA wieder, Chile intensiv mit Wirtschaftshilfe zu unterstützen. Jetzt waren auch die internationalen Organisationen wieder bereit, Chile Kredite zu gewähren.
Pinochet holte sich Wirtschaftsberater aus den USA, die eine marktliberale Linie des Monetarismus vertraten; viele von ihnen kamen aus dem Umfeld von Milton Friedman von der University of Chicago und wurden deshalb spöttisch "Chicago Boys" genannt. Die Regierung setzte ein umfassendes Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramm durch. Davon profitierten die Investoren, weil die Zölle und Steuern stark sanken. Die Wirtschaftspolitik setzte auf Privatinitiativen und entzog weite Teile des Gesundheitswesens und der Bildung der staatlichen Verantwortung. Mit dieser Methode klafften die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Chile wieder deutlicher auseinander, aber die Volkswirtschaft insgesamt profitierte von hohen Wachstumsraten und einer für südamerikanische Verhältnisse außergewöhnlichen Stabilität.
Die stabilen Rahmenbedingungen, die Chiles Regierung versprechen konnte, waren allerdings auch mit Repression erkauft. Mitte der siebziger Jahre war praktisch ganz Südamerika unter Militärherrschaft. So machten neben Chile Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien ein Abkommen, das "Operation Condor" genannt wurde. Es hatte den Zweck, dass die Nachrichtendienste dieser Länder sich gegenseitig bei der Verfolgung von oppositionellen Gruppen unterstützten.
Ende der siebziger Jahre waren einige Lockerungen in der Diktatur festzustellen. Zivilisten erhielten Zutritt in das Kabinett, und 1980 wurde eine neue Verfassung geschrieben und per Volksabstimmung abgesegnet. Die Verfassung diente der allmählichen Redemokratisierung Chiles. Pinochet selber gewährte sich noch eine weitere Amtszeit als Präsident, die bis 1989 gelten sollte.
Mit der weltweiten Rezession von 1982 und dem Verfall der Kupferpreise setzten erneut innenpolitische Repressionen ein. Chile war im Ausland hoch verschuldet. Mit einem harten Sanierungsprogramm, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst und dem Kürzen von Nahrungsmittelsubventionen steuerte die Regierung dagegen. Die Lebensmittelkosten stiegen in der Folge um 600%. Das Schweizer Unternehmen Nestlé, das in Chile eine marktbeherrschende Stellung für Trockenmilch hatte, nutzte die Gelegenheit und zog die Preise stark an. Die Kindersterblichkeit stieg durch die verteuerten Nahrungsmittel stark an. Ein Drittel der Bevölkerung war unterernährt. Chile hatte rund 25% Arbeitslose, und über 50% lebten unter der Armutsgrenze.
Die harte Wirtschaftspolitik erregte Proteste, auch in rechtsgerichteten Kreisen. Es kam zu einer Welle an Bombenanschlägen in den großen Städten. Nachdem 1986 gar ein Mordanschlag, organisiert von einer Schweizerin, an Pinochet verübt wurde, verschärfte Pinochet die innnenpolitischen Repressionen erneut.
Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der achtziger Jahre beruhigte sich Chile auch politisch wieder, und im Oktober 1988 kam es zur Volksabstimmung über eine weitere Amtszeit Pinochets bis 1997. Zur großen Überraschung internationaler Beobachter entschieden sich 67 Prozent der Wähler gegen ihn. Pinochet entschied sich für geordneten Rückzug: Er verlängerte er seine Amtszeit um ein Jahr bis März 1990 und gab dann den Weg frei für demokratische Wahlen.
1990 fanden diese Präsidentschaftswahlen statt, die ersten seit 19 Jahren. Der christdemokratische Kandidat Patricio Aylwin Azócar gewann sie. Augusto Pinochet beugte sich der Entscheidung und trat als Präsident zurück; er behielt aber den Oberbefehl über die chilenischen Streitkräfte und wurde Senator auf Lebenszeit, wie es die Verfassung von 1980, die wesentlich Pinochets Handschrift trägt, für Ex-Präsidenten vorsieht.
Pinochets neoliberale Wirtschaftspolitik und die innenpolitische Stabilität nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen der Allende-Jahre imponierte vielen konservativen Politikern (darunter Franz Josef Strauß und Margaret Thatcher), aber auch einem großen Teil des chilenischen Volkes. Die historische Aufarbeitung der Ära Pinochet hat erst vor wenigen Jahren begonnen, die Meinung der Chilenen ist tief gespalten, die einen sehen in ihm den Schlächter, der Freiheit und Gerechtigkeit massakrieren ließ, die anderen loben ihn als Retter des Vaterlandes vor dem kommunistischen Chaos.
Geschichte 1990 bis heute
Der frischgewählte Präsident Aylwin, Jahrgang 1918, hatte die Regierung Pinochet 1973 mit anfänglicher Sympathie begleitet, sich dann aber angesichts der Menschenrechtsverletzungen der Oppostion angeschlossen. Er sorgte dafür, dass die gemäßigt linke Partido Demócratico Cristiano (Christlich-Demokratische Partei), obwohl verboten, zur größten Oppositionspartei Chiles wurde. Aylwin begann mit bescheidenen Wirtschaftsreformen und setzte eine Kommission ein, um die Verletzungen der Menschenrechte unter dem Pinochet-Regime untersuchen zu lassen, ohne dass es allerdings zu nennenswerten Verurteilungen gekommen wäre. Die von Aylwin begonnenen Reformen verhalfen Chile zu erneutem wirtschaftlichen Aufschwung. Nach einer Legislaturperiode, im März 1994, trat er sein Amt an seinen Nachfolger Eduardo Frei Ruiz-Tagle, ebenfalls PDC, ab.
Edurado Frei Ruiz-Tagle, geboren 1942, mit Schweizer Vorfahren, ist der Sohn vom ehemaligen Präsidenten Eduardo Frei Montalva (Legislatur 1964-1970). Aufsehen erregte im Jahre 1993/1994 der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, der im Januar 1993 zusammen mit seiner Frau in Santiago um Exil bat. Er starb dort im Mai 1994.
1996 wurde ein Modernisierungsprogramm beschlossen und eine Reform der Verfassung und Justiz geplant. Frei wurde im Dezember 1997 wieder gewählt.
Der Schatten von Augusto Pinochet blieb jedoch lang. Er trat erst am 10. März 1998 im Alter von 82 Jahren als Oberbefehlshaber des chilenischen Militärs zurück.
Frei hatte 1998 noch die große Aufgabe, die Fußballfans zur Räson zu bringen. Ende der neunziger Jahre war vor allem der Fußball gefürchtet, vor allem, als Chile sich für die WM 1998 qualifizierte. Am entscheidenden Qualifikationsmatch gegen "Erzfeind" Peru bewachten über 60.000 Polizisten die ebenfalls 60.000 Zuschauer.
Am 19. Januar 2000 wurde nach einer Stichwahl der Sozialist Ricardo Lagos neuer chilenischer Präsident. Lagos, 1938 geboren, versprach, Chile werde es bald besser ergehen. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Senkung der Kriminalität machte er zu Kernanliegen seiner Regierung.
Eine Kommission wurde eingesetzt, um die Verbrechen der Militärjunta zu untersuchen. Das Militär verfügt aber nach wie vor über großen Einfluss und eigene Finanzierung unabhängig vom Staatshaushalt. Jede chilenische Regierung ist gezwungen, die Streitkräfte als Machtfaktor in ihre Überlegungen einzubeziehen. Dies verhindert radikale Reformen und die rasche Aufarbeitung der Verbrechen der Pinochet-Jahre, aber zugleich trägt es dazu bei, dass die politische Führung im Einvernehmen mit breiten Teilen der politisch gespaltenen Bevölkerung handelt. Chile hat den bemerkenswerten Wandel von der Diktatur zur Demokratie seit 1989 in kleinen Schritten, aber ohne Gewalt und Bürgerkrieg geschafft. Viele Nachbarn in Südamerika beneiden das Land um seine Stabilität und seinen Wohlstand.
Der jetzige Präsident Lagos hat eine schwere Aufgabe vor sich, da auch Chile zur Zeit von einer Rezession geplagt wird, die den Graben zwischen den Reichen, in der Erstweltstadt Santiago lebenden Bewohnern, und den hungernden Kleinbauern der abgelegeneren Gebiete, noch weiter aufreißt. Dem neuen Präsidenten obliegt nicht nur die schwere Aufgabe, das gespaltene Volk wieder mit sich zu versöhnen, sondern auch einen sozialen Ausgleich zwischen den verschiedenen Schichten herzustellen, ohne die Wirtschaftskraft des Landes aufs Spiel zu setzen. All dies wird nur möglich sein, wenn Chile sich seiner Geschichte offen stellt und die Schatten der Vergangenheit mit dem Licht der Wahrheit zum Verschwinden bringt.