Föderalismus in Deutschland

Überblick über den Föderalismus in Deutschland
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Der Föderalismus ist Bestandteil des Politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Kennzeichnend für einen föderalen Staat ist die Teilung der staatlichen Souveränität auf eine gesamtstaatliche Ebene (in Deutschland, der Bund) und eine gliedstaatliche Ebene (die 16 Bundesländer). Jedes Bundesland hat eigenständige politische Institutionen in Exekutive, Judikative und Legislative. Kennzeichnend für den deutschen Föderalismus ist die enge Verflechtung von Zentralregierung und den Länderregierungen, bei gleichzeitig relativer Machtlosigkeit der Länderparlamente; das deutsche System bezeichnet man deswegen auch als Exekutivföderalismus.

Typisch für den deutschen Föderalismus ist auch, dass der Bund in der Regel den Großteil der Gesetze erlässt, die dann von den Ländern ausgeführt werden (Verteilung nach Kompetenzarten).

Datei:Instanzen der vertikalen Verwaltungsstruktur Deutschlands.png
vertikale Verwaltungsstruktur Deutschlands

Grundgesetz

In der Bundesrepublik Deutschland ist der Föderalismus durch das Grundgesetz geregelt. Schon die Präambel bringt zum Ausdruck, dass der Gesamtstaat aus mehreren Gliedstaaten besteht. In Art. 20 Abs. 1 GG wird die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich als Bundesstaat konstituiert. Über Art. 79 III GG wird er für unabänderlich erklärt und ist damit dem Zugriff auch des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen. In Art. 50 ff GG ist die Institution des Bundesrates als Vertretung der Bundesländer festgeschrieben, die in der Gesetzgebung Deutschlands ein Zweikammersystem einführt, wobei der Bundesrat sich nie zu einer wirklichen zweiten kammer entwickelte, da es ein Bundesorgan darstellt.

Mitglieder der Landesregierungen stellen die Mitglieder des Bundesrates. Die Anzahl der Stimmen pro Land hängt von der Einwohnerzahl der einzelnen Länder ab und variiert von drei bis sechs Stimmen.

Der Bundesrat hat über alle Gesetze, die zuvor vom Bundestag beschlossen wurden, zu beraten und zu entscheiden. Je nach Rechtsmaterie und Auswirkungen des neuen Gesetzes unterscheidet man Zustimmungsgesetze, die ohne Zustimmung des Bundesrates nicht in Kraft treten können, und Einspruchsgesetze, bei denen der Bundestag den Einspruch des Bundesrats mit absoluter Mehrheit zurückweisen kann. Im Falle der Uneinigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat kann vom Bundestag, vom Bundesrat oder der Bundesregierung der Vermittlungsausschuss - ein gemeinsamer Ausschuss aus Vertretern von Bundestag und Bundesrat - angerufen werden (Art. 50 f., 77 GG). (Aber: Bundestag und Bundesregierung können nur bei Zustimmungspflichtigen Gesetzen den Vermittlungsausschuss anrufen; Art. 50 f., 77 GG).

Geschichte

Es gab außer während der Zeit des Nationalsozialismus nie einen einheitlichen deutschen Zentralstaat, Deutschland bestand schon immer aus einzelnen Teilstaaten. So war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ein loser Zusammenschluss der bis zu 4000 deutschen Teilstaaten, die teilweise sogar gegeneinander Krieg führten.

Im Deutschen Bund, einem Staatenbund der 1815 gegründet wurde, gab es bereits föderale Elemente: Die einzelnen Fürstentümer entsandten Vertreter in den Bundestag in Frankfurt. Dieser Bundestag hatte jedoch nicht die Möglichkeit, in die Souveränitätsrechte der einzelnen Bundesstaaten einzugreifen, und regelte in erster Linie den Verteidigungsfall und die gemeinsame Unterdrückung von nationalen und liberalen Bewegungen.

Im Deutschen Reich ab 1871 vertrat der Bundesrat und in der Weimarer Republik ab 1919 der Reichsrat die Interessen der Länder. Mit dem "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom Januar 1934 zerschlugen die Nationalsozialisten den deutschen Föderalismus, nachdem sie schon im Zuge der so genannten "Gleichschaltung" die Länderparlamente entmachtet und in allen Ländern Hitler direkt unterstellte Reichsstatthalter eingesetzt hatten. Die Länder wurden zu bloßen Verwaltungseinheiten eines zunehmend zentralistisch strukturierten Einheitsstaats. Gleichzeitig wuchsen der ursprünglichen Parteiorganisation in Gaue - kennzeichnend für Ämterchaos und Kompetenzwirrwarr im "Dritten Reich" - administrative Funktionen zu. Zu einer grundlegenden territorialen Reform, wie sie von einigen Nationalsozialisten, wie Innenminister Frick, gefordert wurde, konnte man sich nie entschließen – es blieb bei einem Gemengelage von Zuständigkeiten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 1948/1949 aus pragmatischen Erwägungen von den jeweiligen Besatzungsmächten neue Länder gegründet, die nur teilweise an die gewachsenen territorialen Strukturen anknüpften. Der größte Unterschied war die Auflösung Preußens. Man begründete die Entscheidung für einen deutschen Bundesstaat mit der Existenz vorhandener Länder und der einfachen Möglichkeit eines möglichen Beitritts weiterer Länder sowie mit der historischen Tradition und den demokratischen Vorteilungen dieser Regelung.

In der DDR wurden die Bundesländer 1952 aufgelöst und durch mehr oder weniger von oben gesteuerte Bezirke ersetzt. 1990 wurden die Bundesländer der DDR wieder eingerichtet.

Vorzüge des föderalistischen Systems

Machtverteilung

Ein Grund dafür, dass im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland die föderalistische Struktur festgeschrieben wurde, war die Erfahrung, dass während der Diktatur des Nationalsozialismus ein zentralistischer Staat entstand, was wiederum die Macht des Regimes und des Dikators stützte. Durch die Verteilung, insbesondere die örtliche Verteilung und Verschränkung von Kompetenzen auf verschiedene Institutionen und Personen soll verhindert werden, dass erneut eine Person derart viel Macht erhält (vertikale Gewaltenteilung).

Ein anderer Grund ist aber auch die gewachsene Tradition des Föderalismus in Deutschland, der eine jahrhundertelange Tradition hat.

Bereicherung und Bewahrung der landestypischen Kultur

Schutz von Minderheiten

Durch den Föderalismus erhalten auch regionale Minderheiten die Möglichkeit einer gewissen Eigenständigkeit und Selbstverwaltung. Der Föderalismus bietet Minoritäten einen gewissen Schutz vor Majorisierung (ständige Überstimmung durch die Mehrheit).

Integration heterogener Gesellschaften

In föderalistischen Systemen können auch sehr heterogene soziokulturelle Gruppen integriert werden und ihre Autonomie und Vielfalt bewahren.

Größere Bürgernähe bei Entscheidungen und Demokratievorteile

In föderalistischen Systemen können politische Entscheidungen und Verwaltungshandlungen ortsnaher und dadurch oft auch sachgerechter erfolgen. Dadurch können teilweise auch Entscheidungswege verkürzt werden, allerdings kommt es in der Bundesrepublik aufgrund der vielfältigen Kompetenzverflechtungen dennoch häufig zu langen und komplizierten Verfahren.

Auch stärkt der Föderalismus das Demokratieverständnis der Bürger, die durch die Wahlen in den Kommunen und Bundesländern stärker im politischen Leben eingebunden sind.

Berücksichtigung historischer und kultureller Aspekte

Probleme

Reformbedarf

Wirtschaftsexperten sehen in Teilen des deutschen Föderalismus inzwischen einen massiven Standortnachteil und als eine Kernursache für die ökonomischen Probleme Deutschlands. Alle Parteien sind sich einig, dass dringend Reformbedarf herrscht, auch wenn keine den Föderalismus an sich in Frage stellt. Aus diesem Grund wurde eine Reformkommission unter Vorsitz von Edmund Stoiber und Franz Müntefering eingerichtet. Ziel der Reform ist eine stärkere Klärung von Machtbefugnissen. Auch die Zahl der momentan (2004) etwa 60 % durch Länder zustimmungpflichtiger Gesetze soll reduziert werden. Experten aller Lager begrüßen die Kommissionsbestrebungen, lediglich Gewerkschaften zeigen sich skeptisch.

Der Reformprozess scheint jedoch schwierig, da Kompetenzen zahlreicher Gebietskörperschaften und Ministerien betroffen sind. Wiederholt wurde die Arbeit der Reformkommission als zu zaghaft eingeschätzt, und im Dezember 2004 sind die Verhandlungen vorerst gescheitert.

Dauerwahlkampf

Ein Problem, welches durch Föderalismus entstehen kann, ist der so genannte Dauerwahlkampf, der dadurch entsteht, dass durch die Vielzahl der Bundesländer in irgendeinem Teil Deutschlands fast immer die nächste Wahl bevorsteht. Dies lähme auch die Bundespolitik, meinen Kritiker, da sich Bundespolitiker in Wahlkampfzeiten auch in den Bundesländern engagieren und viele Bürger nicht deutlich zwischen Bundes- und Landespolitik unterscheiden. Dieses Problem könnte man lindern, indem man die Wahlen in allen Bundesländern zu einem gemeinsamen Stichtag veranstaltet. Dies würde die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Regierung erhöhen, wird teilweise aber auch recht kritisch gesehen. Es wird überlegt, dass sich dann durch außerplanmäßige Wahlen, etwa nach einem Koalitionsbruch in einem Bundesland die dortige Periode auf die Länge bis zum Zeitpunkt der nächsten planmäßigen Wahl verkürzen sollte, damit dauerhaft gleiche Wahltermine gewährleistet bleiben. Eine Gleichtaktung erregt jedoch regelmäßg Widerspruch aus den Reihen der jeweiligen Oppositionsparteien, die um Stimmen fürchten.

Bürokratie

Weiterhin ist Föderalismus teuer: Eine große Zahl, durch bundesweite Vereinheitlichung und Kompetenzabgabe an den Bund weitgehend einflusslos gewordene Länderparlamente müssen unterhalten werden, dazu die Verwaltungen und Gerichte (mit jeweils eigenen Gesetzen, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen, eigenen Drucksachen, eigener Software und speziell ausgebildeten Beamten).

Zusammenlegung von Bundesländern

Aus diesen Gründen wird seit Beginn der Bundesrepublik immer wieder gefordert, kleinere Bundesländer zusammenzulegen: Im Dezember 2003 forderte beispielsweise der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck die Zusammenlegung von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Immer wieder werden auch die Zusammenlegungen von Bremen und Niedersachsen, von Schleswig-Holstein und Hamburg (gelegentlich auch von allen vier norddeutschen Ländern), von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie von Rheinland-Pfalz und dem Saarland gefordert. Durch eine Zusammenlegung würde zugleich die Anzahl der Wahlen sinken. Eine solche Zusammenlegung erfordert aber nach dem Grundgesetz eine Volksabstimmung und stößt auch auf Widerstand aufgrund historisch gewachsener Traditionen (siehe auch Neugliederung).

Charakteristika des bundesdeutschen Föderalismus

Der deutsche Föderalismus schon immer derart gestaltet gewesen, dass der Bund in der Regel bestimmend war. Dafür sorgte bereits der Umstand, dass die Kompetenzen im deutschen Bundesstaat nach Kompetenzarten verteilt sind und nicht nach Politikfeldern. Dies bedeutet konkret, dass der Bund den Großteil der Gesetze erlässt, es aber den Ländern zufällt, diese auszuführen.

Der Bund zog den auch nach 1949 immer mehr Kompetenzen an sich, wofür im Gegenzug den Ländern eine größere Mitsprache im Bundesrat zugestanden wurde. Problematisch ist aber immer noch vor allem die Finanzverfassung, wodurch ärmere Länder de facto zu Kostgänger den Bundes geworden sind. Zudem kam es immer mehr zu einer Verflechtung der Kompetenzen, womit schnelle Entscheidungen erschwert wurden (siehe Politikverflechtung). Damit besteht die Gefahr, dass die verschiedenen horizontalen Ebenen sich gegenseitig lähmen. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass auf Bundesebene, Gesetze beschlossen werden, deren Bezahlung Ländern und Kommunen obliegt, zumal den Ländern durch die Bundesgesetzgebung kaum eigener Handlungsspielraum geblieben ist (siehe oben; vergleiche auch die Kritik, dass sich der Föderalismus zu einem reinen Exekutivföderalismus entwickle). Ein mögliche Lösung für das letzte Problem bietet das Konnexitätsprinzip.

Allerdings ist jedes föderalistische System auf die Kooperation des Bundes und der Länder angwiesen, es kommt jedoch auf den Grad der Verflechtung an, der damit einhergeht.

Ein Beispiel für die Verzahnung von Bund und Ländern ist auch die Kultusministerkonferenz, die dafür sorgen soll, dass möglichst einheitliche Kriterien im Schulwesen der einzelnen Länder angewendet werden. Ein Teil der Kritiker meint, dass dadurch eine Gleichmacherei entsteht, die den großen Vorteil des Bildungsföderalismus, ein Wettstreit der Länder um das beste System, in einen faulen Kompromiss auflöst. Andere sind der Auffassung, die Schulsysteme hätten sich bereits so weit auseinander entwickelt, dass die Probleme beim Umzug und bei der Anerkennung der Abschlüsse ein echter Standortnachteil Deutschlands seien, auch wenn oft angemerkt wird, dass gerade die Konkurrenz des Föderalismus, wie im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, die Möglichkeit bietet, zu einer besseren Lösung zu gelangen.

Siehe auch: Politisches System Deutschlands, Föderalismus, Deutschland

Literatur