Geschichte des Fernsehens in Österreich

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Die Geschichte des Fernsehens in Österreich erzählt bis in die jüngste Vergangenheit im wesentlichen die Geschichte des ORF.

Schulgebäude Singrienergasse (Wien-Meidling): erstes TV-Studio des ORF

Allgemeines

Zur Situation der Forschung

Bis heute existiert keinerlei systematische Fernsehgeschichtsschreibung in Österreich. Die Fernsehforschung (so werden seit Mitter der 1990er Jahre die Sprechzeiten der Parteien in der wichtigsten Informationssendung des ORF, der Zeit im Bild 1 statistisch erfasst und ausgewertet) beschränkt sich auf die Auswirkung des Mediums Fernsehen auf die politische Meinungsbildung, diese Art der Forschung ist eher sozialwissenschaftlich, als historiographisch geprägt. Es gibt in Österreich keinerlei Institutionen, die etwa mit dem deutschen Rundfunkarchiv, dem französischen Institut national de l'audiovisuel / INA oder dem britischen National Film and Television Archive vergleichbar wären. Die wichtigsten A/V Archive in Österreich sind einerseits die vorwiegend alltagsgeschichtlich ausgerichtete Österreichische Mediathek, das Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften und das Filmarchiv Austria sowie das Österreichische Filmmuseum. Keine dieser Institutionen sammelt, bewahrt oder restauriert systematisch Fernsehmaterial. Systematisch gesammeltes Schriftgut zur Hörfunk- und Fernsehgeschichte (Sitzungsprotokolle, Hörer / Seherpost) sucht der Historiker vergebens. Die Mediathek hat jedoch im Jahr 2007 angekündigt, in Zusammenarbeit mit Ö1 sämtliche Ausgaben der Hörfunk- Informationssendung "Mittagsjournal" zwischen 1967 und 1989 zu digitalisieren und online zugänglich zu machen. Das ORF- Fernseharchiv ist als privates Firmenarchiv konstituiert, steht damit unter betriebswirtschaftlichen Zwängen und hat keinen öffentlichen Auftrag.[1]

Das Rundfunkmonopol in Österreich

Das Rundfunkmonopol bildete bis in die jüngste Vergangenheit die augenscheinlichste Eigenart der Geschichte des Fernsehens in Österreich, war aber, zumindest bis in die 1970er Jahre hinein, kein wirkliches Unikum. Es gehörte zur regulativen europäischen Nachkriegsordnung, dass der Staat einen Teil der Informationshoheit für sich behielt. In Österreich bestand das Monopol aber ungewöhnlich lange und selbst nach dem EU- Beitritt 1995 wurde es nur mühsam im Sinne einer "dualistischen Lösung" wie etwa in Deutschland aufgeweicht. In den ersten zehn Jahren der Zweiten Republik wurde der von den Besatzungsmächten wiedererrichtete Hörfunk zum Massenmedium. 1954 begannen die Alliierten damit, dem österreichischen Staat die Sendeanlagen und sonstigen Rundfunkeinrichtungen zurückzugeben und verzichteten auf ihre bisher ausgeübten Zensurrechte. Der Hörfunk und das aufzubauende Fernsehen waren für ein 1954 bereits absehbares unbesetztes, vollkommen souveränes Österreich neu zu regeln. Bisher hatte jede Besatzungsmacht eine eigene Hörfunk- Senderkette: Die Franzosen mit dem "Studio West" in Innsbruck und Dornbirn, die Briten mit der "Sendergruppe Alpenland" in Graz und Klagenfurt und die Amerikaner die Sendergruppe "Rot-Weiß-Rot" mit Studios in Salzburg und Linz. Nur die Sowjets hatten keine eigene Sendergruppe: sie "schlüpften" bei der RAVAG, die als "Radio Wien" auf Sendung ging, unter. Ab 1954/55 wurden die Sender und Studios der "Öffentlichen Verwaltung" übergeben. Die Versuchung der regierenden Großen Koalition, diesen Apparat der Massenbeeinflussung unter politische Kontrolle zu stellen, war groß. Vor allem die SPÖ beharrte auf einer möglichst zentralen Kontrolle des Rundfunkwesens. Die ÖVP war hingegen einer mehr föderalistischen Lösung zugeneigt.

Zunächst urteilte der Verfassungsgerichtshof am 5. Oktober 1954, dass das Rundfunkwesen unter die "Zuständigkeit des Bundes" falle. Mit dem Kompetenzgesetz von 1956 schied der Österreichische Rundfunk aus der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe aus und wurde direkt der Bundesregierung unterstellt. 1957 wurde die Vorform des heutigen ORF, die "Österreichische Rundfunk Gesellschaft m. b. H." gegründet, die am 1. Jänner 1958 den Hörfunk- und Fernsehbetrieb übernahm. Die in der Ersten Republik gegründete RAVAG wurde also formell nie aufgelöst, sondern ging sanft in die neue Organisationsform des ORF über. Damit waren die politisch- administrativen Grundsteine für das österreichische Rundfunkmonopol gelegt.

1955- 1967. Vom Versuchsprogramm zum Massenmedium.

Die Pioniertage

Die Geschichte des Fernsehens in Österreich hat eine Vorgeschichte, die sich von 1951 bis 1955 hinzieht. In Österreich gab es in den 1930er Jahren keine (eigenständigen) Fernseh- Pionierversuche wie im Deutschen Reich, Italien, Großbritannien oder den USA. 1951 begannen zunächst die Techniker der RAVAG im Eigenbau die ersten Apparaturen für experimentelles Fernsehen herzustellen, nachdem die Besatzungsmächte eine Art "Technikembargo" über Österreich verhängt hatten. Der Durchbruch gelang erst 1954/55 mit dem sich lösenden alliierten Einfluss. Als das Fernsehen im April / Mai 1955 erste Versuchssendungen ausstrahlte und am 1. August 1955 mit dem öffentlichen Versuchsprogramm startete, stand dennoch ein etwas eingeschränkter Gerätepark zur Verfügung.

Das Datum 1. August 1955 gilt als der Startschuss für Fernsehen in Österreich, wiewohl erst am 1. Jänner 1958 der reguläre Betrieb aufgenommen wurde. Verglichen mit den USA und Großbritannien mag Österreich zwar ein Spätstarter sein, was Fernsehen betrifft, lag aber im guten mitteleuropäischen Durchschnitt. Das erste Land Europas, das einen Fernsehbetrieb nach dem Zweiten Weltkrieg aufnahm, war die Sowjetunion bereits am 7. Mai 1945. In der Sowjetunion hatte, es wie auch in Polen, das 1952 mit dem Fernsehbetrieb startete, vor dem Krieg Pionierversuche gegeben. Ebenfalls 1952 startete die DDR. 1954 folgten die damalige CSSR, die BRD, Belgien sowie die Schweiz. 1954 startete Italien, 1955 Österreich, 1956 Jugoslawien (Radio Zagreb) und 1957 Ungarn.

Frühe Programminhalte

Im August 1955 sendete das Österreichische Fernsehen insgesamt 12 Stunden lang. Es gab kaum Livesendungen, weil auch Musterverträge mit der Schauspielergewerkschaft nicht existierten. Das Kernstück des Geräteparks war somit das Filmabtastgerät. Die Fernsehpioniere konnten kaum sendefähiges Material aufstellen, waren auf die Lichtbildstellen der Ministerien oder der ausländischen Informationszentren angewiesen. Kommerzielle Filmverleiher verweigerten die Zusammenarbeit, so dass erst am 18. November 1957 der erste Spielfilm ausgestrahlt werden konnte. Erste Programmhöhepunkte waren "Die Karikatur der Woche" mit Gustav Peichl als "Ironimus", "Aktueller Sport" mit Edi Finger und "Fass das Glück" mit Heinz Conrads. Eine erste (improvisierte) Nachrichtensendung war "Bild des Tages", schlicht und einfach ein Pressebild, das kommentiert wurde. Dennoch wagte man sich bereits im September 1955 an die Gestaltung einer Wochenschau mit dem Titel "Zeitspiegel". Noch gegen Ende des Jahres 1955 wurde die erste Ausgabe der Nachrichtensendung "Zeit im Bild" ausgestrahlt. Der Name der Sendung geht auf einen Vorschlag des späteren Generalintendanten Thaddäus Podgorski zurück.

Die erste große Herausforderung bedeutete die Übertragung der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper und des Burgtheaters im Herbst 1955, die Berichterstattung über den ungarischen Aufstand ein Jahr später und die Abwicklung der Fernsehübertragung der Olympischen Winterspiele 1964 von Innsbruck in die ganze Welt. Vor allem die Berichterstattung über den Wintersport mit den Erfolgen Toni Sailers und anderer Spitzensportler hatte bei gleichzeitig rascher Verbreitung von Fernsehbewilligungen identitätsstiftenden Charakter und bewiesen den Wert des neuen Mediums, das von Bundeskanzler Julius Raab für derartig gering geschätzt wurde, dass er es zunächst "kampflos" dem Koalitionspartner SPÖ überließ.

Am 11. September 1961 begann der ORF mit der Ausstrahlung eines zweiten Fernsehprogramms, welches zunächst als "technisches Versuchsprogramm" bezeichnet wurde an drei Tagen pro Woche. Seit 1. September 1970 sendet dieser zweite Kanal täglich.

Die Zahl der Fernsehbewilligungen stieg steil an: 1960 waren es 100.000, 1961 200.000, 1964 500.000 und 1967 bereits 1.000.000.[2]

Das Rundfunkvolksbegehren

siehe: → Rundfunkvolksbegehren

Fernsehen und Hörfunk litten aber unter dem lähmenden Parteienproporz. Die Rundfunkgebühren wurden über zehn Jahre lang nicht erhöht, so dass keine Investitionen getätigt werden konnten. Das Fernsehen hatte noch kein fixes Zuhause und oszillierte zwischen Ronacher, Schönbrunn, den Rosenhügelstudios und dem damals noch kleineren Funkhaus in der Argentinierstraße. Als die Geschichte des Fernsehens in Österreich begann, war die sozialdemokratische Arbeiterzeitung eines der größten Medienunternehmungen in Österreich. Die Spitze der Leitartikler richtete sich gegen die "unabhängigen Zeitungen", die mit dem Schimpfwort "Kommerzpresse" belegt wurden. Gerade aus diesen "unabhängigen Zeitungen" kam die Initiative zum "Rundfunkvolksbegehren", das von Juli bis Oktober 1964 von 832 353 Österreicherinnen und Österreichern unterzeichnet wurde. Diese parteiunabhängige Presselandschaft war im tiefsten Herzen zwar bürgerlich, erkannte aber den Gewinn für die demokratische Kultur eines Landes durch unabhängige elektronische Medien.

Das Auseinanderbrechen der Großen Koalition und die ÖVP- Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus beschleunigte die Regelung der Rundfunkfrage in Österreich.

1967- 1974 Entpolitisierung und Professionalisierung. Die erste Reform.

Am 9. März 1967 trat der frisch bestellte, von den Salzburger Nachrichten kommende, sich als "reiner Printmedienmann" verstehende Gerd Bacher sein Amt als Generaldirektor an. Als Fernsehdirektor löste Helmut Zik den ebenfalls linksstehenden Gerhard Freund ab. Bacher, der 1967 in einer Karikatur als "Tiger" dargestellt wurde, verstand sich als zwar als "westlich orientierter" Demokrat, galt aber nach innen wie nach außen als eine unerbittlich autoritäre Führungsfigur. Nach dem Vorbild der BBC bekam der ORF eine gemeinsame Nachrichtenredaktion für Hörfunk und Fernsehen, der der rechtsstehende Alfons Dalma vorstand.[3]

Bauliche Neuordnung

 
ORF-Zentrum auf dem Küniglberg

Mit dem neuen Rundfunkgesetz wurden die Gebühren erhöht, was eine weitgehende Neugründung des ORF ermöglichte. Es wurde der Neubau einer Fernsehzentrale im dreizehnten Wiener Gemeindebezirk sowie die Errichtung von vier neuen Landesstudios in Dornbirn, Innsbruck, Salzburg und Linz in Auftrag gegeben. Diese Bauvorhaben konnten im Wesentlichen 1972 bzw. 1974 beendet werden. Die Landesstudios, zu denen später auch Neubauten in Graz, Klagenfurt und Eisenstadt hinzukamen, dienten vor allem dem Hörfunk, wurden aber auch darauf ausgelegt, Fernsehsendungen abwickeln zu können. Sie wurden nach einheitlichen Muster in Form einer Spirale von Gustav Peichl entworfen, das ORF- Zentrum, nach seinem Standort "Küniglberg" genannt, entstand nach Plänen von Roland Rainer und konnte im Endausbau 1975 seiner Bestimmung übergeben werden.

Informationsexplosion

Das was später als "Informationsexplosion" zusammengefasst wurde, bedeutete eine enorme Ausweitung der politischen Berichterstattung, die Gründung von Magazinen wie "Prisma" oder "Horizonte". Die Jugend wurde auch in den Fernsehprogrammen als eine eigenständige Gruppe aufgefasst und mit Sendereihen wie "Ohne Maulkorb" und "Kontakt" bedacht. "Apropos Film", eine Sendereihe, die zwischen 1967 und 2002 bestand, berichtete als eines der ersten Magazine im deutschsprachigen Fernsehen kompetent und engagiert über das aktuelle Filmgeschehen. Das Fernsehen verzahnte sich überhaupt zwischen 1967 und dem Abschluss des Film/Fernsehabkommens 1981 eng mit der jungen österreichischen Filmszene. Das Fernsehspiel existierte zwar schon vor 1967 - so wurde zwar "Der Herr Karl" von Carl Merz und Helmut Qualtinger 1961 als Fernsehspiel produziert, beschränkte sich aber auf die weitestgehend konservative Abfilmung von Theaterstücken und "klassischer" Literatur. Nach 1967 begann sich das Fernsehspiel vermehr zu "lebensnäheren" Themen zuzuwenden.

Die aktuelle Berichterstattung des ORF- Fernsehens, aber auch des Hörfunks hatte für die Bürger der realsozialistischen Nachbarländer Österreichs, also in Teilen der damaligen CSSR und Ungarns eine enorme Bedeutung. Das österreichische Fernsehen lieferte vielfach jene Informationen, die von den staatlichen Rundfunkanstalten den Bürger vorenthalten wurden. In dieser Weise nahm der ORF eine ähnliche Rolle ein, wie das "Westfernsehen" in der DDR. Deutsch war als Fremdsprache neben Russisch in diesen Ländern weit verbreitet und so hatte der ORF einen gewissen Anteil am Entstehen von Oppositionsbewegungen wie der Charta 77.

1974- 1994 Die zweite Reform. Von Oberhammer zu Bacher.

Bruno Kreisky und das reformierte Fernsehen

Ein Grund für die Begründung und die Hartnäckigkeit des Österreichischen Rundfunkmonopols lag in der spezifischen Angst der österreichischen Linken, wie in der Ersten Republik 1918- 1938 erneut zur Minderheit zu werden. Bis 1970 war in der SPÖ sogar die Ansicht weit verbreitet, niemals könne ein Sozialdemokrat in Österreich Bundeskanzler werden. Deshalb müssten möglichst alle wichtigen Einrichtungen im Staat, von der verstaatlichten Industrie bis hin zum Rundfunk, möglichst lückenlos von der SPÖ nach Proporz mitkontrolliert werden. Dieses beinahe verzweifelte Festhalten an der politischen Intervention in Hörfunk und Fernsehen führte zu der von ÖVP und FPÖ aufgrund des Volksbegehrens verabschiedeten Rundfunkreform. Bruno Kreisky wurde am 1. Februar 1967 zum neuen Parteivorsitzenden der SPÖ gewählt, fünf Wochen später wurde Gerd Bacher Generalintendat. Ohne Zweifel profitierte Kreisky von der unabhängigeren Berichterstattung des reformierten ORF. Kreisky wusste nicht nur als Oppositionsführer, sondern auch als Regierungschef ganz gut mit dem ORF, an dessen Spitze ein ehemals bekennender Großdeutscher saß, umzugehen. Das Fernsehen wurde "sein" Medium, das Pressefoyer nach dem Ministerrat, von Journalisten umringt, war die Bühne, auf der er seine Politik präsentierte.

Der "Fall Schranz"

Der "Wendepunkt" wurde der "Fall Schranz". Der populäre Wintersportler Karl Schranz wurde unter fragwürdigen Voraussetzungen und unter Einsatz des "Amateurparagraphen" von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 1972 in Sapporo, Japan ausgeschlossen. Rundfunk und Fernsehen entfachten rund um dieses die österreichische Volksseele verletzenden Ereignisses eine Massenhysterie. Schranz wurde wie ein Held empfangen, am Helden- und Ballhausplatz johlten die Massen ihm zu, Schranz zeigte sich auf dem Balkon des Bundeskanzleramtes. Diese Szenen erinnerten nicht nur Kreisky und viele Sozialdemokraten an fatal an die Tage des März 1938. Es bewies sich, welch mächtige Instrumente Rundfunk und Fernsehen darstellten.

Die Zweite Reform

Zunächst schlug Kreisky, um das elektronische Informationsmonopol etwas zu streuen, die Einführung eines dritten Fernsehkanals vor. Das erwies sich aus vielfältigen u. a. auch finanziellen Gründen als unmachbar. Die zweite Reform "entschärfte" die Position des Generalintendanten und begründete den ORF als öffentlich-rechtliche Anstalt. Dem ORF- Chef wurde ein Kuratorium, sowie ein Hörer- und Seherbeirat zur Seite gestellt. Die zweite Reform rückte vom "BBC- Modell" von 1967 ab und führte unterhalb des Generalintendanten einen Hörfunk- und für jeweils einen Kanal einen Fernsehintendanten ein. Wolf in der Maur wurde in der Wahl 1974 als Hörfunkintendant bestimmt. Der ORF wurde zwar demokratischer, die Entscheidungswege naturgemäß aber auch länger und mühseliger. So mussten alle Intendanzen einzeln abgestimmt werden, was nächtelange Sitzungen erforderte.

Generalintendant Otto Oberhammer (1974- 1978)

Eine Auswirkung der Intervention Kreiskys war die Ablöse Bachers durch den zwar medien- unerfahrenen, aber SPÖ- nahen Juristen Otto Oberhammer. Oberhammer dachte bereits an eine Föderalisierung des Fernsehens, was in den 1970er Jahren einigen technisch- administrativen Aufwand bedeutete, der mit nicht geringen finanziellen Mehraufwand verbunden war. Die Senderketten hätten nach Bundesland zusammengelegt werden müssen. Schließlich scheiterte dieser Plan am Widerstand des ORF- Kuratoriums. Dennoch wurde in die Bundesländer investiert und der Neubau der ORF- Landesstudios in Graz und Eisenstadt in Angriff genommen.

Unter der Intendanz Oberhammer wurde das Fernsehspiel ausgeweitet, es entstanden Serien wie "Ein echter Wiener geht nicht unter", die "Die Alpensaga" oder die Krimi- Parodie "Kottan ermittelt". Interessant an den genannten Produktionen war die enge Zusammenarbeit der Programmverantwortlichen mit begabten, in den 1970er Jahren noch weitestgehend unbekannten, eher links orientierten Jungliteraten: Ernst Hinterberger, Peter Turrini bzw. Helmut Zenker. Das Diskussionsformat Club 2 war im deutschsprachigen Raum sicher nicht in seiner Form einzigartig, sorgte aber teilweise für öffentliches Aufsehen wie der legendäre Auftritt der Masturbationstechniken vorführenden Nina Hagen. Zu dieser zeit, 1979, war allerdings Oberhammer nicht mehr ORF- Chef. Eine weitere wichtige Neuerung im ORF- Fernsehprogramm war die Einführung der werktäglichen Konsumenten- und Lebenshilfeberatungssendung "Wir", die bis 1995 ausgestrahlt wurde. Moderiert wurde die Sendung u. a. von Walter Schiejok und Josef "Joki" Kirschner.

Bacher III / IV (1978- 1986)

Otto Oberhammer war zwar ein integerer Mann, galt aber schon bald, aufgrund seiner Unerfahrenheit mit der Position des ORF- Chefs als "überfordert". Als die Generalintendantur im Juli 1978 turnusgemäß neu ausgeschrieben wurde, bewarb sich Gerd Bacher erneut und wurde am 28. September 1978 mit 13:16 Stimmen bei einer Enthaltung gewählt [4]. Noch am Vorabend hatte die Arbeiterzeitung getitelt: "Bacher ohne Chance [5]. Bacher bemühte sich in seiner zweiten Amtszeit um Konsens, wollte den "Rundfunkkrieg", der vorwiegend zwischen SPÖ und ÖVP ausgefochten wurde, beenden. Vier Jahre später, 1982, wurde Bacher abermals mit überwältigender Mehrheit bestätigt. Nach 1978 wurde das ORF-Gesetz etwas adaptiert und die Hörfunk- und Fernsehintendanturen von 1974 durch Programm- und Informationsintendanturen ersetzt.

In die Ära Bacher III/IV fiel die beginnende Konkurrenzierung des ORF durch andere elektronische Angebote. So wurden ab Ende der 1970er Jahre in den Ballungszentren die ersten Kabelnetze etabliert. Auch die Verbreitung von Heimvideorekordern und überhaupt die allgemeine Ausdifferenzierung der Gesellschaft schmälerten die überragende Bedeutung des ORF.

Eine bedeutende Anstrengung unter Bacher III/IV war die Produktion der beiden von Hugo Portisch und Sepp Riff gestalteten zeitgeschichtlichen Serien Österreich I bzw. Österreich II. Beginnend am 20. Mai 1982 wurde die Reihe im Hauptabendprogramm ausgestrahlt. Sie war von Beginn an darauf ausgelegt, möglichst detailliert die Geschichte der Republik Österreich vom Sturz der Habsburgermonarchie und Etablierung der Republik 1918 bis zur damaligen Gegenwart, also bis 1980 darzustellen. Dieses Vorhaben konnte allerdings erst dreizehn Jahre später, im Jubiläumsjahr 1995 (50 Jahre Zweite Republik) abgeschlossen werden. Die beiden Gestalter arbeiteten eng mit Historikern wie Erika Weinzirl und Gerhard Jagschitz zusammen. Im Zuge der Recherchetätigkeit wurde das "Historische Archiv des ORF" etabliert, das nicht primär Material zur Fernsehgeschichte im speziellen sammelt, sondern allgemein Filmdokumente über die Geschichte Österreichs zusammenträgt.

1985 schlug der damalige Bundeskanzler Fred Sinowatz Thaddäus Podgorski als Informationsintendanten vor. Bacher zweifelte jedoch an dessen Führungsqualitäten. Bei der Wahl des Generalintendanten 1986 konnte sich jedoch der von der SPÖ nominierte Podgorski durchsetzten, auch weil er - zur Zeit der Koalitionsregierung SPÖ-FPÖ mit den Stimmen der FPÖ im Kuratorium gewählt wurde.

Generalintendant Taddäus Podgorski (1986- 1990)

Podgorski hatte als Generalintendant das Manko, dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger keinerlei gewachsene Hausmacht hinter sich wusste. Podgorski war Mitarbeiter bei Rot-Weiß-Rot und kam zwar bereits in den 1950er Jahren zum jungen Medium Fernsehen, wo er als Sportreporter zu beeindrucken wusste, galt aber als eher schwache Führungsfigur mit keinerlei "autoritärem" Charisma, das gerade Bacher auszeichnete. Bacher war, wie alle wussten, überdies fest entschlossen, ein letztes Mal den Spitzensessel des ORF einzunehmen. Obwohl durch und durch ein Medienmann, sah sich Podgorski einem ähnlichen Schicksal wie es Otto Oberhammer zuvor ereilt hatte, entgegen.

Podgorski ging die Regionalisierung des Fernsehens an. Am 2. Mai 1988 wurde die erste Ausgabe von "Bundesland heute" ausgestrahlt. Als Generalintendant stellte sich Podgorski in der Sendereihe "Seinerzeit" selbst vor die Kamera. Dort wurde im gemütlichen Plauderton mit Gästen wie O. W. Fischer, Franz Antel oder Peter Alexander und Filmausschnitten an die ersten Jahrzehnte nach dem Krieg erinnert. Das Format richtete sich naturgemäß vorwiegend an ältere Zuschauer. Das Jugendformat "Okay" sowie die kritische Reihe "Ohne Maulkorb" wurde eingestellt und im neuen Format "X-Large" zusammengeführt, die bis 1995 ausgestrahlt wurde. Dies geschah nicht zuletzt auf den Druck der durch Kabelnetze und zunehmend auch durch Satellitenempfang auch in Österreich vertretenen privaten Konkurrenz. Für die durch den Staatsvertrag anerkannten kroatischen und slowenischen Volksgruppen wurde die Sendung "Heimat,fremde Heimat" entwickelt. In der wichtigsten Nachrichtensendung, der ZIB1, wurde die Doppelmoderation eingeführt. In der höchst erfolgreichen Reihe "Universum" wurden ab 1987 anspruchsvolle Naturdokumentationen gezeigt. Die wichtigste und über den Rahmen des Fernsehens hinauswirkende programmliche Neuerung der Ära Podgorski bleibt aber die Einführung der bis heute ausgestrahlten täglichen Gesellschaftssendung "Seitenblicke". Das Fernsehspiel wurde mit den anspruchsvollen Produktionen wie "Mit meinen heißen Tränen" von Fritz Lehner oder "Eine blaßblaue Frauenschrift" von Axel Corti gepflegt. Für die leichtere Unterhaltung sorgten Serien wie "Mozart und Meisel" oder "Wenn das die Nachbarn wüßten" mit beliebten Publikumsstars.

Die Generalintendantur Podgorski blieb aber letzlich, wie von vielen 1986 vorausgesagt, nur Episode. Im Juli wurde Gerd Bacher zum interimistischen Generalintendanten und am 25. Oktober 1990 zum letzten Mal mit der erforderlichen zwei-Drittel-Mehrheit in diese Funktion gewählt.

Bacher V (1990- 1994)

Als Bacher zum letzten Mal im Chefsessel des ORF Platz nahm, hatte die damalige österreichische Bundesregierung nach heftigen innenpolitischen Tauziehen den Antrag auf Mitgliedschaft Österreich bei der EG ("Brief nach Brüssel") bereits gestellt. Das Ende des ORF-Monopols war also absehbar. Die Regierungsparteien, vor allem die SPÖ unter Franz Vranitzky lehnten eine Liberalisierung des österreichischen Radio- und Fernsehmarktes aber weiterhin ab. 1993 wurde Österreich aufgrund des ORF-Monopols wegen "Einschränkung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung" vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt und aufgefordert, diese Situation zu ändern. Bacher gab daher 1990 in seiner Antrittsrede als Generalintendant die Parole "Vom Monopol zum Marktführer" aus, die über die gesamten 1990er Jahre bestand hatte.

 
Neville Brodys "ORF-Ziegel"

Anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des reformierten Rundfunks startete im Oktober 1992 die von Neville Brody völlig neu gestaltete Corporate Identity des Senders. Die beiden Fernsehkanäle, die bislang FS1 bzw. FS2 hießen, wurden in ORF1 und ORF2 umbenannt. Das neue Senderlogo "ORF-Ziegel" (das erste seit dem "ORF-Auge" von Erich Sokol) wurde von nun an permanent im rechten oberen Bildschirmrand eingeblendet. Dieses Anfangs heftig umstrittene Re-Design ist vielleicht das wichtigste, weil bis heute spürbare Erbe der letzten Amtszeit Gerd Bachers.

"Die luxemburgische Lösung" (1995- 2003)

Im Herbst 1994 wurde Gerhard Zeiler vom Kuratorium zum Nachfolger Bachers gewählt. Zeiler galt als SPÖ- nahe, war er doch Pressesprecher 1979- 1983 des damaligen Unterrichtsministers Fred Sinowatz. Seine beruflichen Erfahrungen als Manager von Medienunternehmen hatte er aber in Deutschland bei den Privatsendern Tele 5 und später RTL2 gesammelt. Mit dem unmittelbar bevorstehenden EU-Beitritt Österreichs war das alte ORF- Monopol nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das Jahr 1995 bedeutete für den ORF den größten Einschnitt seit 1967. Am 6. März 1995 startete das neue Zeiler'sche Schema. Das ORF- Fernsehen wurde ab diesem Stichtag zum 24-Stunden-Programm. Sendungen wie "Club 2" "Wir" oder "X-Large" wurden eingestellt. Mit "Schiejok täglich" führte der ORF erstmals eine tägliche Talkshow ein, der alte "Club 2" hatte in den zwölf Jahren von seiner Abschaffung bis zu seiner "Wiederauferstehung" im Dezember 2007 zahlreiche Nachfolgesendungen, die Sonntag Abend ausgestrahlt wurden. Formate wie "Wir" wurden in großzügige Magazinflächen wie "Willkommen Österreich" am späten Nachmittag aufgefächert, ähnliches geschah mit sogenannten "Jugendsendungen", die in den Spätabend verlagert wurden. Für viele Beobachter gilt die Zeiler'sche Reform als die Abkehr des ORF von seinem "eigentlichen" öffentlich-rechtlichen Auftrag. Trotz dieser Konzepte des Privatfernsehens konnten sich auch unter Zeiler qualitativ hochwertige Programme wie das Religionsmagazin "Kreuz und Quer" (seit 1995) oder "Treffpunkt Kultur" zunächst mit Karin Resetarits, später mit Barbara Rett, dauerhaft etablieren. Auch die "klassische" Reportage erlebte in der Reihe "Am Schauplatz" (später auch "Schauplatz Gericht") einen Neuanfang.

1997 starteten österreichweit die Sendeketten der Privatradios. Im gleichen Jahr gab es die ersten Versuche von Fernsehen außerhalb des ORF. Noch nicht terrestrisch empfangbar startete in diesem Jahr W1 (Wien1), die Keimzelle des später von der Gewerkschaftsbank BAWAG co-finanzierten ersten österreichischen Privatsenders ATV. Der ORF startete im Gegenzug im Spätherbst seinen ersten (über Kabel und Satellit) frei empfangbaren Spartenkanal TW1.

Im Frühjahr 1998 wurde Gerhard Weis zum Nachfolger Zeilers bestellt, der entnervt vom politischen Hader um den ORF wieder zurück zu RTL ging. Weis, der zuvor Hörfunkintendant war, betonte den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF, nahm aber gleichzeitig offensiv die Konkurrenz der "Privaten" an, die in Österreich immer noch ausschließlich aus dem "Ausland" d. h. Deutschland sendeten. Im Herbst 2000 startete unter seiner Führung das erste österreichische sogenannte "Realityformat" mit dem Namen "Taxi Orange".

Die Amtszeit des SPÖ- nahen Gerhard Weis wurde seit der turbulenten Regierungsbildung im Februar 2000 immer wieder von Interventionen und Druck der Regierungsparteien (etwa durch Peter Westenthaler) überschattet [6]. Im Herbst 2001 wurde die ÖVP- nahe frühere Landesintendantin von ORF- Radio Niederösterreich, Monika Lindner zur Nachfolgerin von Gerhard Weis gewählt.

Endgültiger Start von Privatfernsehen in Österreich (2003- heute)

Am 1. Juni 2003 startete ATVplus als erster terrestrischer Privatsender Österreichs. Bis dahin war Österreich der letzte Staat in Europa in dem kein frei über Antenne empfangbares Privatfernsehen existierte. Ein Jahr später, am 21. Juni 2004 folgte Puls- TV im Großraum Wien als zweiter terrestrisch empfangbarer Sender. Puls- TV teilte sich anfangs die Frequenz mit die der ORF bislang außschließlich für die Wien-Ausgabe von "Bundesland heute" nutzte. Dadurch entstand bis zur Digitalisierung ein für Puls-TV schmerzhaftes "Sendeloch" im Vorabendprogramm. Bereits ein Jahr vor ATV, 2002, begann gotv als erster österreichischer Spartensender mit der Ausstrahlung seines Programmes, das allerdings nur in den Kabelnetzen Niederösterreichs und Wiens empfangbar war.

Die neue Konkurrenz setzte ihre Schwerpunkte in direkter Weise gegen den bisherigen Monopolisten, der jetzt nur noch Marktführer war. So entwickelte ATV das vom früheren ORF-Moderator Dominic Heinzl präsentierte und gestaltete Format "Hi Society", das in direkter Anlehnung an die Seitenblicke, eine der erfolgreichsten und einflußreichsten ORF-Sendungen angelehnt war. Zu den erfolgreichen Programmen ATV zählten auch verschiedene Doku-Soap- Formate, die ersten die in Österreich ausgestrahlt wurden - Sendungen wie "Die Lugners" und "Sasha Walleczek isst anders!". Besonders hart traf den ORF den Verlust der Rechte an der Bundesliga an Premiere und dessen Partner ATV, der 2004- 2006 Tageszusammenfassungen aller Spiele so wie Live- Übertragungen ausgewählter Spitzenbegegnungen senden durfte.

Andere Sender setzten wiederum bewußt auf Qualität und Service. So führte gotv den Gedanken des Musikfernsehens auf seinen Ursprung zurück und zeigte (wenn auch aus finanziellen Gründen) vor allem Musikvideos und kam in seinen Werbeblöcken so gut wie ohne Klingeltonwerbung aus. Puls- TV setzte vor allem im ersten Jahr unter der Leitung Helmut Brandstätters auf anspruchsvolle Berichterstattung über Lokalereignisse und über die lokale Musikszene Wiens.

Dennoch blieben die Reichweiten der neuen Sender vor allem in den ersten Jahren unter den Erwartungen und gewannen erst in letzter Zeit (vor allem durch die im Laufe des Jahres 2007 abgeschlossene Digitalisierung) an Substanz. Der ORF verlor in dieser Zeit durch die allzu deutliche Vereinahmung durch die Regierungsparteien immer mehr an Reichweite und vor allem an Glaubwürdigkeit. Im Wahljahr 2006 kam es nach einer Rede des ORF- Spitzjournalisten Armin Wolf anläßlich der Verleihung des Robert-Hochner-Preises bei der Wolf der ORF-Spitze unter Monika Lindner und Werner Mück "hemmungslose" Einflußnahme vorwarf, zu einer heftigen Innenpolitischen Debatte. Im August 2006 wurde Alexander Wrabetz mit Hilfe der Stimmen von SPÖ, BZÖ und Grünen zum neuen Generaldirektor bestellt.

Einzelnachweise

  1. amospress.at | Skandal beim ORF um die alten Tonbandbestände
  2. Medienforschung ORF | Die österreichische Rundfunk - Chronik
  3. tvmatrix.at | 50 Jahre österreichisches Fernsehen
  4. [1]
  5. "[2]
  6. [3] Gerhard Weis im "Falter" - Interview

Literatur

  • ORF3: Film. Fernsehen. Österreich in: Filmarchiv 27 Oktober-November 2005 (Zeitschrift des Filmarchivs Austria)
  • Seismographen der Gegenwart? Die Transformation des ORF- Fernsehspiels in den siebziger Jahren. in: Filmarchiv 27 Oktober-November 2005 (Zeitschrift des Filmarchivs Austria)
  • Monika Bernold, Sylvia Szely: tele visionen. Historiographien des Fernsehens. in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, Heft 4, Jg. 12, 2001.
  • Viktor Egeret, Hellmut Andics, Robert Kriechbaumer: Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks. 4 Bde., Hg: ORF
  • Viktor Egeret: 50 Jahre Rundfunk in Österreich. 3 Bde., Salzburg 1974.
  • Franz-Ferdinand Wolf: 25 Jahre ORF 1975-2000. Salzburg 2001.
  • Hellmut Andics: Die Insel der Seligen. München 1980. Ausführungen zu den politischen Verzahnungen der elektronischen Medien in der Zweiten Republik.
  • Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005. Wien (Zsolnay) 2005. Gute Einführung in die Ursprünge der heutigen österreichischen Medienlandschaft. Die Geschichte des Fernsehens wird dabei allerdings nur angerissen.

Siehe auch