Zum Inhalt springen

Schamanismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Januar 2008 um 10:41 Uhr durch Lee gee (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Eine allgemein anerkannte Definition von Schamanismus gibt es bisher nicht. Man versteht darunter üblicherweise ein religiös-magisches Phänomen, das zuerst bei verschiedenen indigenen Völkern Sibiriens beobachtet und beschrieben wurde. Oft wird versucht, den Begriff von diesem kulturellen Raum zu abstrahieren und auf ähnliche Erscheinungen weltweit anzuwenden. Die immer noch weit verbreitete Annahme, der Schamanismus stelle die religiöse Praxis der Steinzeit dar, beruht auf Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und bleibt letztlich spekulativ.

Wesentliche Elemente des Schamanismus sind Trance bzw. Ekstase (veränderte Bewusstseinszustände), das Motiv der Seelenreise und die Interaktion mit Geistwesen. Zentrale Figur des Schamanismus ist der Schamane, der eine Mittlerrolle zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt einnimmt und seine besonderen Fähigkeiten zum Wohl seiner Gemeinschaft einsetzt.

Schamane aus Amazonien

Der Begriff des Schamanismus

Etymologie

Der Begriff "Schamanismus" ist vom deutschen Lehnwort "Schamane" abgeleitet; letzteres etabliert sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Deutschland. Es kommt vom evenkischen (d.h. tungusischen) šaman, dessen weitere Etymologie umstritten ist. Das Wort könnte eine Ableitung von der tungusischen Wurzel ša- (denken, wissen) sein. Eine weitere Interpretation des Wortes greift auf die mandschu-tungusische Bedeutung "mit Hitze und Feuer arbeiten" zurück.

Möglicherweise handelt es sich aber auch um ein Lehnwort: Vertreter der Theorie, der Schamanismus sei von Indien oder Tibet nach Zentralasien und Sibirien gekommen, leiten den tungusischen Ausdruck vom indischen (Pali) samana (Sanskrit cramana: Bettelmönch, Asket) her.

Bereits im sibirischen Raum gibt es keinen einheitlichen Begriff für die Figur des Schamanen. Anstelle des tungusischen šaman begegnen bei den turk- und mongolischsprachigen Ethnien die Ausdrücke kam (kami, gam, cham) für den Schamanen bzw. udagan für die Schamanin. Im Zuge der Islamisierung ersetzte bei vielen Turkvölkern bakshi (aus sanskr. bikshu) als generischer Begriff für vorislamische religiöse Spezialisten den einheimischen Ausdruck kam.

Zahlreiche weitere Bezeichnungen für die Person des Schamanen waren regional stark begrenzt.

Merkmale des Schamanismus

Schamane während Zeremonie am Feuer bei Kyzyl, Tuva, Russland

Besonderes Merkmal ist der Einsatz verschiedenster Mittel (u.a. rhythmisches Trommeln, Tanz, Trancetanz, psychedelische Drogen, Fasten) zum Erreichen von Trancezuständen. Diese werden im Allgemeinen interpretiert als Übergang in einen anderen Seinszustand, eine Anderswelt und Kommunikation mit Geistern. Dem Schamanen wird zugesprochen, er erlange dadurch besondere Fähigkeiten der Heilung und Weissagung sowie verschiedenste spezifische magische Kräfte. So ausgestattet versieht der Schamane kulturspezifisch eine teils große Zahl von Rollen – vom Heiler und Exorzisten über den Psychopompos (Begleiter der Seelen ins Totenreich) bis hin zum Zeremonienmeister.

Das schamanistische Weltbild ist in Schichten gegliedert; neben dem besonders häufig nachgewiesenen dreischichtigen Modell (Himmel, Erde, Unterwelt) kommen sieben- oder gar neunschichtige Modelle vor. An einer Achse, dem Weltenbaum, steigen die Schamanen auf und ab. Auf ihren schamanischen Reisen werden sie oft von ihrem Krafttier, manchmal sogar von mehreren, begleitet.


Theoriegeschichte des Schamanismus

Schamanismusforschung im 18. Jahrhundert

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Schamanen begann in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als deutsche Forscher im Auftrag der neu gegründeten Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften St. Petersburg nach Sibirien gingen. Sie legten deshalb auch die ersten vollständigen Beschreibungen von schamanischen Séancen vor. Im Geiste der Aufklärung zeigten sie Skepsis gegenüber den Vorführungen der SchamanInnen. Gerhard Friedrich Müller hob zum Beispiel hervor, dass die Séancen nicht nur alle gleich vonstatten gingen, sondern es passiere auch nichts Unglaubliches. Die Performanz beschreibt er als eine sinnlose Herumhüpferei, während der Schamane auf eine flache Trommel schlägt. Johann Gotlib Georgi, ein anderer Forscher und Zeitgenosse Müllers, zeigte ähnlich wenig Interesse an der Performanz und verurteilte diese als magische „Trickserei“ oder als „Gauckeleyen wie eines Besessenen“.[1]

Die ersten Forscher legten mehr Wert auf die Geologie und die Pflanzenwelt in Sibirien und in der Mongolei. Sie behandelten die Techniken der Schamanen als ein Teil der Sitten und Gebräuche, aber bezeichneten die Schamanen-Gebräuche als „Aberglauben“, wie Peter Simon Pallas sie in seinen Schriften über die Mongolischen Völkerschaften beschreibt.[2]

Am Ende des 18. Jahrhunderts wich der Skepsis der ersten Forschern, und der Schamanismus wurde als eine frühe Form von Religion verallgemeinert. Pallas gestand den Schamanen zu, eine Form von Heilung zu praktizieren. In ihrem Versuch, den Schamanismus in diesen Regionen zu erklären, wollten die Forscher wie Max Müller den Ursprung dieser Praktiken herausfinden. Er, der nicht mit Gerhard Friedrich Müller verwandt war, war zwar nicht davon überzeugt, dass die Schamanentechniken nur einen Ursprung hatten; trotzdem nahm er an, dass der Schamanismus zuerst in Indien auftauchte und von dort sich nach ganz Asien, dann nach Skandinavien und womöglich bis nach Nordamerika ausbreitete.[3]

Schamanismus im 19. Jahrhundert und die Institutionalisierung der Feldforschung im frühen 20. Jahrhundert

Während die Forscher im 18. Jahrhundert die Schamanen oft als Scharlatane darstellten und ihre Techniken eher beiläufig beobachteten, befasste sich die Sibirienforschung im 19. Jahrhundert mit mehr Interesse für die Schamanentraditionen. Der Buriate Dorji Banzarov (1822-1855) war der erste Gelehrte, der den Schamanismus aus einer indigenen Perspektive zu betrachten versuchte. Er hob nicht nur die eigentümlichen Bräuche der Schamanen in der Mongolei hervor, sondern kritisierte die Behauptung früherer Forscher, die den Schamanismus als eine verwilderte Abwandlung des tibetisch-buddhistischen Glaubens ansahen. Dem Ansatz Banzarovs folgten Forscher wie der Finne Mattias Aleksanteri Castren (1813-1853) und Willhelm Radloff (1837-1918). Castren betonte die wichtige Rolle der sibirischen Schamanen innerhalb ihrer Gemeinde, welche mit ihren Darbietungen nicht nur den gemeinschaftlichen Zusammenhalt stärken, sondern auch den Trotz gegen die Natur symbolisierten. Willhelm Radloff setzte die Arbeiten Banzarovs und Castrens gewisserweise fort: als Erster publizierte er die Übersetzung des Textes einer schamanischen Séance, er stellte den Schamanismus auf die gleiche Ebene wie den Buddhismus, das Christentum und den Islam und setzte sich wie Banzarov für dessen Eigenständigkeit ein. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts blieb Radloff der wichtigste Schamanismusforscher.

Im frühen 20. Jahrhundert etablierte sich die Vorstellung, Schamanismus käme nur im äussersten Nordasien vor. Dies aufgrund zweier umfassender Ethnografien über die Korjaken und die Tschuktschen von Waldemar Bogoraz und Waldemar Jochelson (beide vom Zaren ins Exil verbannt), welche eine Unterscheidung machten zwischen Familien Schamanismus und Professionellen Schamanen. Ausserdem beschrieb Bogoraz Schamanen als nervöse, reizbare Menschen, welche am Rande des Irrsinns stehen.

Spätere sowjetische Autoren diskutierten in marxistisch-leninistischer Manier das Entstehen und die Veränderungen des Schamanismus und ob es ein junges, älteres oder sehr altes Phänomen darstellen solle, während im Westen Schamanismus als archaisches System wahrgenommen wurde. [4] In dieser sozialistischen Zeit wurden sibirische Schamanen verfolgt, er wurde nur noch versteckt praktiziert und als Schutzmassnahme wurden ethnologische Berichte darüber in die Vergangenheitsform gesetzt. Die Berichte der Sowjet Ethnografen trugen zum Eindruck bei, Schamanismus sei ein „aussterbendes Phänomen“. [5]

Der Symbolansatz von Roberte Hamayon

Der Symbolansatz von Roberte Hamayon stellt nach Mircea Eliade die nächste und zugleich auch die letzte allumfassende Theorie zum Schamanismus dar. Nach Hamayon sind die Begriffe der „Ekstase“ und „Trance“ nicht zureichend, um den Zustand des Schamanen zu beschreiben. Indem Hamayon die Figur des Schamanen mit der symbolischen Reproduktion der Gemeinschaft verbindet, rückt sie die soziale Funktion des Schamanen ins Zentrum und stellt ihn in einen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext. [6]

In ihrem Werk „La chasse à l’âme“ (1990) unterscheidet Hamayon den Jagd- und den Hirtenschamanismus als zwei Typen von originärem Schamanismus in Sibirien. [7] Laut Hamayon hat sich zuerst der Jagdschamanismus gebildet, bei dem der Schamanen eine reziproke Beziehung zu den Tier- und Pflanzengeistern aufbaut, die der Gemeinschaft Zugang zum Wild verschafft. Der originäre Jagdschamanismus habe sich in Viehzüchtergesellschaften in einen Hirtenschamanismus transformiert, in welchem die Tier- und Pflanzengeister durch eine Ahnenvorstellung abgelöst worden seien und bei dem sich die Funktion des Schamanen auf das Fruchtbarkeitsritual reduziert habe. [8]

Hamayon betont, dass der Schamanismus, wie er in Jäger- und Viehzüchtergesellschaften als allumfassendes System existiert, nicht mit dem Staat vereinbar sei. Zwar liessen sich in staatlichen Gesellschaften schamanische Phänomene vorfinden, die Funktion des Schamanen werde in jenen Gesellschaften jedoch stark in den Hintergrund gerückt, sodass nur noch Fragmente des originären Schamanismus übrig bleiben würden. [9]

Schamanismus und der Staat

In „Shamanism, History, and the State“ (1996) kritisieren Nicholas Thomas und Caroline Humphrey die Essentialisierung des Schamanismus als archaisches Phänomen. Stattdessen fordern sie, SchamanInnen als politische Akteure zu betrachten und ihre Praktiken in Verbindung mit Macht und dem Staat zu analysieren und historisch einzuordnen. [10]

In Zentralasien wurden SchamanInnen sowohl in die Staatsmacht integriert (z.B. die Mongolen im 13. und 18. Jahrhundert[11]) wie auch marginalisiert. Ab dem 16. Jahrhundert wurden die SchamanInnen in Sibirien und der Mongolei einerseits durch die Orthodoxe Kirche in den Russisch dominierten Gebieten und andererseits durch den Buddhismus verfolgt. Gleichzeitig fand auf beiden Seiten auch eine Synkretisierung von religiösen Ideen und Praktiken statt. [12]

Eine neue Verfolgungswelle begann im 20. Jahrhundert durch die antireligiöse sozialistische Politik. Trotz der Verfolgung hatten Ethnologen Kontakt zu praktizierenden SchamanInnen. Die ethnologische Darstellung des Schamanismus nahm sogar eine wichtige Rolle für den sozialistischen Staat ein. Indem Ethnologen in ihren Berichten die SchamanInnen als zurückgebliebene Ethnie darstellten, liess sich der sozialistische Staat als modern konstituieren. [13]

Dass die Verfolgung der SchamanInnen nicht bloss in sozialistischen Staaten existierte und es sich somit vielmehr um ein Modernisierungsphänomen handelte, zeigt Laurel Kendall mit ihren Studien zu Korea. Nach 1990 kamen in Sibirien, Korea und der Mongolei schamanische Praktiken wieder vermehrt auf. Neu werden schamanische Performances für ein breites Publikum und TouristInnen abgehalten und SchamanInnen als Vertreter einer nationalen Tradition gefeiert. [14]

Die Performanz der Séance

Durch das zunehmende Interesse an der politischen und gesellschaftlichen Position des Schamanen, wurde der Forschungsschwerpunkt vermehrt auf die Performanz einer Séance gelegt. Dies bedeutet eine Fokussierung der Aktionen, der sozialen Konstruktion von Realität, untersucht also das „so sein“ der Séance, und interessiert sich weniger für Symbolstrukturen oder Aussagefunktionen. Angeregt durch die Forschungen des britischen Sozialanthropologen Victor Turner [15] seit den 1970er Jahren, interessierten sich vor allem Wissenschaftlern aus dem Gebiet der Volkskunde und dem Theater (Schechner) für diesen Forschungsansatz. Laut Turners Ritualtheorie entsteht unter den Teilnehmern eines Übergangrituals eine Gemeinschaftlichkeit, welche die allgemein üblichen hierarchischen Regeln aufhebt. So wird ein Sicherheitsgefühl geschaffen, das Machtlosen ein Gefühl von Erhabenheit (Machtgefühl) vermittelt. Dieser Ansatz hat auch heutige Schamanismus Forscher wie Anna Tsing [16] oder Michael Taussig [17] in ihren Forschungen beeinflusst.

Bereits in der zweiten Hälfte des 18.Jh beschrieben die deutschen Sibirienforscher die Performanz der schamanistischen Séancen. Allerdings zweifelten diese an der Echtheit der Séance und verurteilten diese als gespielt und unwahr. Der Forscher Sergei M. Shirokogoroff [18] beschreib sehr detailliert die Methoden, mit welchen ein Schamane in den notwendigen psychischen Zustand gelangt. Anna-Leena Siikala [19], eine frühe Performanceforscherin aus dem Strukturfunktionalismus, strukturierte das Ritual in 7 Sequenzen. Nach Siikala verliert der Schamane nie ganz die Orientierung in der Realität. Unterstützt vom Aufbau der Séance, behalte er immer den Kontakt zum Publikum.


Forschungsgeschichtliche Aspekte und Theorien

Diffusionismus vs. Generalismus

Forschungsgeschichtlich stehen sich zwei grundsätzlich verschiedene Ansichten über den Schamanismus gegenüber. Während Diffusionisten davon ausgehen, dass der Schamanismus als religiöses Phänomen in einer einzelnen Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden sei und sich anschließend auf zahlreiche andere Kulturen ausgedehnt habe, behaupten Generalisten, jeder Mensch besäße schamanische Anlagen. Der Schamanismus wird so zu einer anthropologischen Konstante.

Eine bestimmte diffusionistische Theorie, der Schamanismus sei von Indien nach Zentralasien vorgedrungen, gilt seit Mircea Eliade als widerlegt. Laut Eliade sind nur spezifische Elemente, wie die Vorstellung einer Leiter oder eines Baumes, dem indischen Raum entlehnt.


Generalisierung und Übertragung auf vergleichbare Phänomene

Sämtlichen Forschungen zum Schamanismus liegt somit die Übertragung eines zunächst einzelsprachlichen Begriffs auf anderssprachliche Kulturen zugrunde. Zuerst geschah dies nur im sibirischen Raum, der als kulturelle Einheit konstruiert wurde, anschließend wurden die Konzepte "Schamane" und "Schamanismus" global angewendet. Endlich wurde der Schamanismus als eine Art anthropologisches Konstitutivum gesehen. Dieses Vorgehen hat auch Kritik hervorgerufen.

Es gibt in fast allen frühen Kulturkreisen ähnliche Erscheinungen, wie Animismus, Totemkult, Ahnenkult, Geisterglaube, Praktiken der Naturreligionen.

  • Die keltischen Druiden.
  • Alter Bön, die ursprüngliche vorbuddhistische Religion Tibets, enthält viele schamanistische Elemente. Auch die im Rahmen des tibetischen Buddhismus (Vajrayana) bekannten, als "Orakel" bezeichneten Medien werden zum Teil auf die vorbuddhistsche Bön-Religion zurückgeführt. Schamanische Rituale gehören zu den in diesen Religionen auch heute noch gebräuchlichen Praktiken.
  • Afrikanische Religionen, die später auch nach Amerika gelangten (Voodoo).
  • Süd- und mittelamerikanische Indianerkulturen mit noch aktivem Schamanismus, wie etwa bei den Shuar und Conibo
  • Moderne schamanisch Praktizierende (siehe auch: Okkultismus, Esoterik)
  • Ekstatische Techniken, bei den Propheten im Alten Testament, den Persern, den Sufis (islamische Mystiker).
  • Orakel der Antike (Delphi)
  • Saturnalien im alten Rom

Eine sehr weit gefasste Auffassung des Schamanismus findet man bei Mircea Eliade, der ihn als Ekstase-Technik definiert.

Die Vorstellung vom prähistorischen Schamanismus

Ein bestimmtes Geschichts- bzw. Zeitmodell des 19. Jahrhunderts, nachdem zeitgenössische "primitive" Kulturen mit prähistorischen, etwa steinzeitlichen Kulturen gleichzusetzen seien, führte zu der Spekulation, der Schamanismus sei bereits in frühester Vergangenheit verbreitet gewesen. Archäologische Funde können dies bestenfalls plausibel machen; beweisbar ist diese Theorie nicht.

Der Archäologe Horst Kirchner (Literaturhinweis siehe unten) hingegen liefert ein eindrucksvolles Zeugnis für die These, dass schon im Aurignacien (um 13.000 v. Chr.) schamanisiert wurde, nämlich die bekannte Zeichnung aus der Höhle von Lascaux (dokumentiert in Broderick: Lascaux, A Commentary, London 1949, Fig. 45, p. 141). Sie zeigt einen Vogelkopf auf einer Stange, einen Bison und einen Mann mit offensichtlichem Ithyphallus in Schräglage. Kirchner zufolge handelt es sich um eine schamanische Séance: "Die Bildkomposition von Lascaux als Darstellung einer schamanistischen Geisterbeschwörung mit Hilfsgeist (Stangenvogel), Schamane (Mann) und Opfertier (Bisonstier)".


Schamanismus in der Moderne

Die ethnologische Erforschung des Schamanismus begann erst, als bereits das Christentum mehr oder weniger starken Einfluss auf die untersuchten Kulturen genommen hatte. Speziell in der Sowjetunion war der Schamanismus aufgrund der atheistischen Ideologie starken Repressalien ausgesetzt, was zu einem deutlichen Niedergang führte. Neuerdings kann jedoch ein Wiedererstarken schamanischer Traditionen beobachtet werden.

Etwa seit den 1960ern existiert im Westen ein gesteigertes Interesse am Schamanismus. Im Rahmen verschiedener esoterischer Strömungen etablierte sich in amerikanischen und europäischen Städten der Neoschamanismus. Da dieser Begriff von Anhängern als pejorativ empfunden wird, schlägt Kocku von Stuckrad den neutralen Ausdruck "moderner westlicher Schamanismus" vor.

Fundamentale Bedeutung für diese Bewegung haben Carlos Castaneda und Michael Harner. Beide haben einen akademischen Hintergrund, berichten aber in ihren Werken von Ereignissen, die sie zum Schamanen werden ließen.

Michael Harner gründete die Foundation for Shamanic Studies, die unter anderem die Verbreitung und praktische Lehre schamanischer Techniken zu ihren Zielen zählt. Harner untersuchte eine Vielzahl von schamanischen Kulturen und formulierte Anfang der Achtziger Jahre das Konzept des Core-Schamanismus, eines "Kern"-Schamanismus frei von Details, die jeweils nur einzelnen Kulturen zu eigen sind.

Neben diesem Ansatz bilden das von Carlos Castaneda popularisierte schamanische Weltbild und zahlreiche weitere Versuche, die schamanische Denk- und Lebensweise in die moderne Welt zu übertragen, den heterodoxen Bereich des Neoschamanismus. Er wird teils dem Phänomen der neuen Religionen, teils der Esoterik zugerechnet. Der Begriff ist umstritten, weil er eine Unterscheidung vom traditionellen Schamanismus impliziert, die seine Vertreter keineswegs so sehen, jedoch wird umgekehrt der Neoschamanismus von traditionellen Schamanen häufig als Profanisierung und Trivialisierung angesehen. Als Fremdbezeichnung ist der Begriff üblich.

Eine weitere Forscherin auf dem Gebiet des Schamanismus und der Ekstase war Felicitas Goodman.

Siehe auch

Belege

  1. Georgi, J. G. 1775: Bemerkungen einer Reise im Russischen Reich im Jahre 1772. Erster Band. St. Petersburg: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. S. 284.
  2. Pallas, P. S. 1801: Sammlungen historischer Nachrichten über die Mongolischen Völkerschaften. St. Petersburg: Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Zweyter Theil. S. 246-247.
  3. Laufer, Berthold 1917: Orgin of the Word Shaman, American Anthropoligst, 19:3, S. 361-371.
  4. Basilov, V. N. 1984. The Study of Shamanism in Soviet Ethnography. In M. Hoppál and V. Dioszegi (eds.), Shamanism in Eurasia. Part 1, 46-63. Göttingen: Edition Herodot. S.46-49.
  5. • Ssorin-Chaikov, Nikolai 2001. Evenki Shamanistic Practices in Soviet present and Ethnographic Present Perfect. Anthropology of Consciousness 12(1): 1-18.
  6. Hamayon, Roberte N. 1995. Are „Trance“, „Ecstasy“ and Similar Concepts Appropriate in the Study of Shamanism? In T.-g. Kim and M. Hoppàl (eds.), Shamanism in Performing Arts, 17-34. Budapest: Akadémiai Kiadó.
  7. Hamayon, Roberte N. 1990. La chasse à l’âme. Nanterre: Société d’ethnologie. S.287; 605.
  8. Hamayon, Roberte N. 1996. Shamanism in Siberia: From Partnership in Supernature to Counter-power in Soci-ety. In: N. Thomas and C. Humphrey (eds.), Shamanism, History, and the State, 76-89. Ann Arbor: University of Michigan Press. S.78-85.
  9. Hamayon 1996: 88f.
  10. Thomas, Nicolas and Caroline Humphrey 1996. Introduction. In: N. Thomas and C. Humphrey (eds.), Shaman-ism, History, and the State, 1-12. Ann Arbor: University of Michigan Press. S.1; 5.
  11. Thomas and Humphrey 1996: 10f.
  12. Heissig, Walther 1970. Die Lamaistische Unterdrückung des Schamanismus. In: G. Tucci and W. Heissig (eds.), Die Religionen Tibets und der Mongolei, 338-348. Suttgart [etc.]: W. Kohlhammer.
  13. Hangartner, Judith 2007: Introduction: power of the margins. In: Margins of Power: The Constitution and Con-testation of Darhad shamans’ power in contemporary Mongolia. In: Dissertation, 11-25. S.12; 18f.
  14. Kendall, Laurel 2001. The Cultural Politics of „Superstition“ in the Korean Shaman World: Modernity Con-structs Its Other. In: L.H. Connor and G. Samuel (eds.), Healing Powers and Modernity: Traditional Medicine, Shamanism, and Science in Asian Societies, 25-41. Westport: Bergin & Garvey. S.31-37.
  15. Turner, Victor Witter: „The ritual process : structure and anti-structure“. London, 1969.
  16. Tsing, Anna Lowenhaupt: „In the realm of the diamond queen“. Marginality in an out-of-the-way place. Princeton, 1993.
  17. Taussig, Michael T.: „Shamanism, colonialism, and the wild man“. A study in terror and healing. Chicago, 1991.
  18. Shirokogoroff, Sergei Mikhailovich: „Psychomental Complex of the Tungus“. London, 1935.
  19. Siikala, Anna-Leena: „The rite technique of the Siberian shaman“. Helsinki, 1978.

Literatur

  • Wladimir N. Basilow: Sibirische Schamanen. Auserwählte der Geister. Schletzer, Berlin 2004 ISBN 3-921539-38-2
  • Vilmos Diószegi (Hg.): Glaubenswelt und Folklore der sibirischen Völker. Verlag der ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest, 1963.
  • Vilmos Diószegi: Tracing Shamans in Siberia. Anthropological Publications, Oosterhout, 1968.
  • Mircea Eliade: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001 (11.Aufl.). ISBN 3-5182-7726-X
  • Hans Findeisen: Schamanentum. Kohlhammer-Verlag. Stuttgart 1957.
  • Adolf Friedrich und Georg Buddruss: Schamanengeschichten aus Sibirien. Otto-Wilhelm-Barth-Verlag, München-Planegg, 1955.
  • Michael Harner: Hallucinogens and Shamanism. Oxford University Press, New York. 1973.
  • Michael Harner: The Jivaro. People of the Sacred Waterfalls. Garden City. 1972.
  • Mihály Hoppál (Hg.): Das Buch der Schamanen. Ullstein. München, 2002. (Zwei Bände). ISBN 3-550-07557-X
  • Mihály Hoppál and Keith D. Howard (Hg.): Shamans and Cultures. ISTOR Books Nr. 5, Budapest 1993, ISBN 963-05-6590-0
  • Ake Hultkrantz: Schamanische Heilkunst. Eugen-Diederichs-Verlag, München 1994. ISBN 3-424-01166-5
  • Mongush B. Kenin-Lopsan: Shamanic Songs and Myths of Tuva. ISTOR Books Nr. 7, Budapest 1997. ISBN 963-05-7401-2
  • Horst Kirchner: Ein archäologischer Beitrag zur Urgeschichte des Schamanismus. Anthropos 47 (1952).
  • Andreas Lommel: Schamanen und Medizinmänner. Callwey, München 1980.
  • Gerhard Mayer: Schamanismus in Deutschland. Ergon, Würzburg 2003. ISBN 3-89913-306-4
  • Klaus E. Müller: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale. 3. Aufl. Beck, München 2006 [11997] ISBN 3-406-41872-4
  • Åke Ohlmarks: Studien zum Problem des Schamanismus. Lund 1939.
  • Wilhelm Radloff: Aus Sibirien. Leipzig und Kasan. 1893.
  • Anna W. Smoljak: Der Schamane. Persönlichkeit - Funktionen - Weltanschauung. Schletzer, Berlin 1998. ISBN 3-921539-63-3
  • Alfred Stolz: Schamanen – Ekstase und Jenseitssymbolik. dumont, Köln 1988. ISBN 3-7701-1894-4
  • Kocku von Stuckrad: Schamanismus und Esoterik. Kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Betrachtungen. Leuven 2003 ISBN 90-429-1253-7


Werke aus dem Umfeld des modernen westlichen Schamanismus

  • Carlos Castaneda: Reise nach Ixtlan. Die Lehren des Don Juan. Fischer, Frankfurt 1975, ISBN 3596218098
  • Tom Cowan: Feuer im Kopf – Mystische Traditionen der keltischen Schamanen. Ariston. Hugendubel, Kreuzlingen-München 1998. ISBN 3-7205-2479-5
  • Tom Cowan: Schamanismus – Eine Einführung in die tägliche Praxis. Rowohlt (rororo Sachbuch 60732) Reinbek 2000. ISBN 3-499-60732-8
  • Felicitas D. Goodman: Trance Rituale für Jugendliche. Pieper's MedienXperimente, Löhrbach 1996? ISBN 3-925817-80-8
  • Felicitas D. Goodman: Wo die Geister auf den Winden reiten. Bauer, Freiburg 1995. ISBN 3-7626-0372-3
  • Felicitas D. Goodman: Trance – der uralte Weg zum religiösen Erleben. Gütersloher V. H., Gütersloh 1996. ISBN 3-579-00969-9
  • Joan Halifax: Die andere Wirklichkeit der Schamanen. Barth im Scherz-Verlag, Bern 1981, 1983, Hans-Nietsch-Verl., Freiburg 1999. ISBN 3-929475-86-3
  • Michael Harner: Der Weg des Schamanen. Ariston. Hugendubel, Kreuzlingen-München 1999. ISBN 3-7205-2091-9
  • Sandra Ingerman: Welcome Home. Die Heimkehr der Seele – Schamanische Selbstheilung. Ariston. Hugendubel, Kreuzlingen-München 1999. ISBN 3-7205-2069-2 und Ullstein-Taschenbuch ISBN 3-7205-2559-7
  • Sandra Ingerman: Die schamanische Reise. Ein spiritueller Weg zu sich selbst (Buch mit Audio-CD (Trommelspiel)) Ariston. Hugendubel 2006 ISBN 3-7205-2559-7
  • Winfried Picard: Schamanismus und Psychotherapie. Param. Ahlerstedt. 2006. ISBN 3-548-74244-0
  • Paul Uccusic: Der Schamane in uns. Schamanismus als neue Selbsterfahrung, Hilfe und Heilung. Ariston. Hugendubel, Kreuzlingen-München 1991. ISBN 3-7205-2181-8
  • Carlo Zumstein: Schamanismus. Begegnungen mit der Kraft. Diederichs kompakt. Hugendubel, München 2001. ISBN 3-7205-2194-X
  • Carlo Zumstein: Der schamanische Weg des Träumens. Ariston. Hugendubel, Kreuzlingen-München 2003. ISBN 3-7205-2394-2
  • Carlo Zumstein: Reise hinter die Finsternis. Aus der Depression zur eigenen Schamanenkraft. Ariston. Hugendubel, Kreuzlingen-München 1999. ISBN 3-7205-2089-7
  • Ulrich Enderwitz: Der religiöse Kultus. Reichtum und Religion. Bd 2. Ça ira, Freiburg i. Br. 1991. ISBN 3-924627-27-4
  • G. Rebeka Peyn: Shamana – Tanz der Kraft. Ebele, Neuenkirchen 2005. ISBN 3-933321-89-1
  • Roger Uchtmann: Schamanisches Sein als dialektischer Modus. In: Michael Kuper (Hrsg.): Hungrige Geister und rastlose Seelen. Reimer, Berlin 1991. ISBN 3-496-00493-2
Commons: Category:Shamanism – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien