Tschusch
Tschusch (Plural Tschuschen, in Oberösterreich Tschutsch) ist eine in Österreich und Südtirol verbreitete abwertende und verächtliche Bezeichnung für Bewohner des früheren Jugoslawien, aber auch für Türken und andere Ausländer mit als südländisch interpretiertem Aussehen. Sie ist mit dem deutschen Schimpfwort Kanake vergleichbar (welches auch im österreichischen Sprachgebrauch Verwendung findet).
Etymologie
Über die Herkunft des Wortes herrscht erst seit kurzem Klarheit. Das Wort leitet sich von einem serbokroatischen ćuš (ausgesprochen: ‚tjusch‘) ab, das früher verwendet worden ist, um Lasttiere anzutreiben. Das dazugehörende Nomen Agentis hat „Treiber“ bedeutet. Im Zuge der Okkupation von Bosnien und Herzegowina durch Österreich-Ungarn 1878 ist die Bezeichnung von österreichischen Soldaten wahrgenommen und verbreitet worden [1]. Zunächst haben die Soldaten die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina als Tschuschen oder Tschutschen bezeichnet, ganz ohne abwertenden Charakter. Erst später ist der Ausdruck zu einem Schmähwort umfunktioniert worden.
Für diese Entwicklung gibt es zahlreiche schriftliche Belege. So schreibt K. F. Kurz in Österreichs Hort, 2. Band, Wien 1919, S. 89: „Auch die christliche Bevölkerung drängte sich jetzt in ihrer bunten malerischen Tracht neugierig heran, durchwegs friedliche Leute, für welche alsbald nach dem Zuruf, mit welchem sie ihre Tragtiere anzutreiben gewohnt sind, der Name ,Czuszen‘ unter unseren Truppen gang und gäbe wurde.“ Eduard V. Kählig schreibt in Vor 20 Jahren. Lose Blätter der Erinnerung an die Bekämpfung des Aufstandes in der Hercegovina im Jahre 1882, Graz, Leykam 1902: „Es wurde jedoch 7 Uhr, bis wir abrücken konnten ... wegen mangels an Tragtieren. Was leicht zu haben war, hatten die Jäger mitgenommen, und es gelang nur mit Anwendung von Gewalt, die von den Türken in den umliegenden Kucen versteckten Tiere herauszubekommen, jedoch ohne Tschuschen (Treiber).“ (Klammerausdruck im Originalzitat enthalten.)
Die Belege stammen also aus der Zeit um die Jahrhundertwende und beschreiben den Sprachgebrauch in den 1870er und 1880er Jahren. Die Bedeutungsverschlechterung zu einem abwertenden Ausdruck ist erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten.
Andere Ableitungen sind unbelegt und bisweilen auch inhaltlich unplausibel und/oder erfordern stärkere sprachliche Abwandlungen:
- Dem Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich zufolge leitet sich der Begriff von čuješ (ausgesprochen: ‚tschujesch‘; serbokroatisch Präsens, 2. Person Singular des Verbs čuti (hören): „hörst“ ab. Der Wiener Wirtschaftshistoriker und Slawist Wolfgang Rohrbach ortet die Bedeutungsübertragung des Wortes im Umfeld der Habsburger Militärgrenze (Krajina) [2]. Demnach hätten serbische Wehrbauern, die in der Krajina die Grenze kontrollierten, mit diesem Zuruf sichergestellt, dass sich der Kamerad noch in Hörweite befindet. Insbesondere zu Zeiten der Sperrketten 1728, die der Einschleppung der Pest vorbeugten, soll daraus der Spottname Tschusch für die bei Handelsreisenden unbeliebten serbischen Wehrbauern entstanden sein. Einer anderen Theorie zufolge kam das Wort etwa um 1879 auf, als südslawische Arbeiter bei den Bauarbeiten der Südbahnstrecke diesen Zuruf vermehrt verwendeten.
- Die österreichische Sprachwissenschaftlerin Maria Hornung führt den Begriff auf das Slowenische čuš bzw. čuž zurück (im Friaulischen auch zús), welches ursprünglich „Dummkopf“ bedeutete und später zu „Fremder“ umgedeutet worden sei [1].
- Aufgrund des militärischen Hintergrunds wurde der Begriff auch vom türkischen Wort çavuş (Sergeant, Vorarbeiter) abgeleitet. Laut den im 15. Jahrhundert verfassten Memoiren des serbischen Janitscharen Konstantin Mihailović waren „Tschauschen“ ursprünglich Herolde bzw. Boten des Sultans [3]. Das Wort war in den von Osmanen eroberten Gebieten Jugoslawiens weit verbreitet und wird auch in der serbischen Volkspoesie erwähnt. In Deutsch-Ostafrika wurden schwarze Unteroffiziere der Schutz- und Polizeitruppe „Tschauschen“ genannt [4].
Beispiele
Der Begriff Tschusch ist ein Merkmal der österreichischen Kultur bzw. Alltagskultur und wurde in mehreren Werken thematisiert:
- In der satirischen Doppelconférence Travnicek im Urlaub von Carl Merz und Helmut Qualtinger (1958, gesprochen von Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger) „raunzt“ der mürrische und zynische Wiener Travnicek über seinen Jugoslawien-Urlaub, unter anderem weil er sich mit den dort lebenden „Tschuschen“ nicht habe unterhalten können. Auch im Stück Travnicek und das neue Wien wird der Begriff erwähnt. [5]
- Um Fremdenfeindlichkeit abzubauen, wurden 1973 in Österreich Plakate mit folgendem Text affichiert[6][7]:
- I haaß Kolaric
- du haaßt Kolaric
- Warum sogns' zu dir Tschusch?
- (Ich heiße Kolaric, du heißt Kolaric. Warum sagen sie zu dir Tschusch?)
- Das Plakat thematisiert den Umstand, dass auch assimilierte bzw. akkulturierte Österreicher slawischer Herkunft ihre kürzlich zugewanderten Mitbürger abwertend als Tschuschen bezeichnen. Diese Beobachtung wird aus dem Blickwinkel eines Kindes als widersprüchlich dargestellt.
- Im Lied Drago der österreichischen Band STS taucht das Wort Tschusch auf. Es ist zu beachten, dass es sich bei dem Lied um ein Werk gegen Fremdenfeindlichkeit handelt.
- Es brauchn nur drei Menschen zamman kumman und schon is aaner da Tschusch, da Jud oder da Neger.
- (Es müssen nur drei Menschen zusammenkommen und schon ist einer der Tschusch, der Jude oder der Neger.)
- Lukas Resetarits' berühmter Sketch Tschusch-Tschusch erschien erstmals 1983 auf dem Album Werwolfromantik der Gruppe Drahdiwaberl. Er setzt sich satirisch mit Vorurteilen „echter Wiener“ gegenüber jugoslawischen und türkischen „Tschuschen“ auseinander.
- Derzeit (beginnend August 2007) dreht der ORF eine fünfteilige Miniserie namens "tschuschen:power" über junge Wiener ausländischer Abstammung [8]. Regie führt der Diagonale07-Gewinner Jakob M. Erwa.
- Auch die ehemalige österreichische Hip Hop Band Schönheitsfehler, verarbeitet das Thema Tschuschen im Lied "Ich dran" (vom Album "Proj Jedan"). Hier geht es um die Kinder der 2. und 3. Generation von Ausländern in Österreich. Der Frontman Milo (Milan Simic) ist selbst koratischer Abstammung. In diesem Lied findet sich unter anderem das Wort "Tschuschen" aus der oben erwähnten Qualinger Aufführung als Sample und Remix.
Siehe auch
Literatur
- Peter Wehle: Sprechen Sie Wienerisch? Von Adaxl bis Zwutschkerl; (Wien, Heidelberg 1980); ISBN 3-8000-3165-5
Einzelnachweise
- ↑ a b Robert Sedlaczek: "Tschusch!" im Wandel der Zeit. Wiener Zeitung, 15. Februar 2006
- ↑ Wolfgang Rohrbach: Auf den Spuren der Serben Wiens. Wiener Geschichtsblätter, Jg. 56, 2001, Heft 3, S. 186 f.
- ↑ Memoiren eines Janitscharen oder Türkische Chronik. Eingeleitet und übersetzt von Renate Lachmann. Slavische Geschichtsschreiber Bd. VII. Graz 1975. (serb.)
- ↑ Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band III, S. 261
- ↑ Carl Merz - Helmut Qualtinger: Travniceks gesammelte Werke. Preiser Records, Wien 1988.
- ↑ Plakat "I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric, warum sogns zu dir Tschusch", 1973
- ↑ Ursula Hemetek (Hrsg): Am Anfang war der Kolaric. Plakate gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Mandelbaum, März 2002. ISBN 3854760671
- ↑ ORF-Kundendienst: "tschuschen:power" - Dreharbeiten zur neuen ORF-Miniserie in Wien