Internationaler Strafgerichtshof

ständiges internationales Strafgericht
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Der Internationale Strafgerichtshof, IStGH (französisch Cour pénale internationale, CPI ; englisch International Criminal Court, ICC – im deutschen Sprachgebrauch hat sich weder ICC noch IStGH einheitlich durchgesetzt) ist ein ständiges Gericht mit Gerichtsbarkeit über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression (noch nicht definiert, eine Definition soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen).

Logo des Gerichts
Logo des Gerichts

Der IStGH ist eine unabhängige Internationale Organisation mit Sitz in Den Haag, deren Beziehungen zu den Vereinten Nationen über ein Kooperationsabkommen geregelt ist. Er ist nicht mit dem umgangssprachlich als „UN-Kriegsverbrechertribunal“ bezeichneten Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) bzw. dem Internationalen Strafgericht für Ruanda (ICTR) zu verwechseln.

Präsident des Gerichtes mit über 300 Mitarbeitern ist seit März 2003 der kanadische Richter Philippe Kirsch.

Statut

 
Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag

Die Grundlage des IStGH ist das so genannte Rom-Statut. Der Gerichtshof kann nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen. Ausführliche Definitionen der Tatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sind in Artikel 6 folgende im Statut aufgeführt. [2] Auf eine Definition des Tatbestands des Angriffskriegs konnte sich die Gründungskonferenz nicht einigen. Solange diese nicht vorliegt, was laut IStGH nicht vor 2009 zu erwarten ist, übt der IStGH seine Gerichtsbarkeit über das „Verbrechen der Aggression“ nicht aus.[1] Zudem konnte die Forderung nach universeller Zuständigkeit nicht durchgesetzt werden. Zur Rechenschaft gezogen werden kann ein Täter grundsätzlich nur dann, wenn er einem Staat angehört, der das Statut ratifiziert hat oder wenn die Verbrechen auf dem Territorium eines solchen Vertragsstaates begangen wurden.

Das IStGH-Statut enthält Regelungen zum Straf-, Strafprozess-, Strafvollstreckungs-, Gerichtsorganisations-, Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht.

Kerngrundsätze des IStGH sind:

Im Statut sind grundlegende Strafrechtsprinzipien verankert, z. B. die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes (nullum crimen sine lege) und des Verbotes der Doppelbestrafung (ne bis in idem). Die Anklagebehörde kann Ermittlungsverfahren kraft Amtes einleiten.

Geschichte

Im Gegensatz zu den anderen Internationalen Strafgerichtshöfen (Jugoslawien und Ruanda) ist dieser Gerichtshof nicht durch einen Beschluss des Sicherheitsrats, sondern durch einen internationalen Vertrag ins Leben gerufen worden. Dies verleiht dem Gerichtshof eine besonders hohe Legitimität. Das Rom-Statut wurde am 17. Juli 1998 mit 120 Ja-Stimmen gegen sieben Nein-Stimmen bei 21 Enthaltungen von der UN-Bevollmächtigtenkonferenz in Rom angenommen. Nach Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde ist das Rom-Statut am 1. Juli 2002 in rascher Zeit in Kraft getreten. Die feierliche Vereidigung der ersten 18 Richter fand am 11. März 2003 statt. Erster Chefankläger ist Luis Moreno-Ocampo. Das Statut wurde inzwischen von 105 Staaten ratifiziert.

Der erste Angeklagte des Gerichts ist seit August 2006 Thomas Lubanga. Ihm wird zu Last gelegt, als Gründer und Führer der bewaffneten Miliz Union des Patriotes Congolais in der Demokratischen Republik Kongo Kinder zwangsrekrutiert und in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt zu haben.

Zur wissenschaftlich-methodischen Fundierung erarbeitet der IStGH unter dem Namen "Legal Tools-Projekt" unter anderem eine völkerstrafrechtliche Datenbank. Damit soll auf mittlere Sicht die Anwendung der internationalen Straftatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen international vergleichbarer werden. Bekannte Kooperationspartner dafür sind das Norwegian Center for Human Rights in Oslo, die britischen Universitäten Nottingham und Durham, das Internationale Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbre­cherprozesse der Philipps-Universität Marburg und die Universität Graz sowie das nierderländische Asser Institute. [2]

Unterzeichnerstaaten

Bis zum Dezember 2007 hatten 105 Staaten das Rom-Statut zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ratifiziert, unter anderen

 
IStGH-Mitgliedstaaten (Stand Mai 2005)

41 andere Staaten unterzeichneten den Vertrag, ratifizierten ihn aber nicht, unter anderem:

Befürwortung des IStGH

Um eine Verwirklichung des IStGH auch gegen den Widerstand der USA und anderer Staaten haben sich insbesondere die Länder der Europäischen Union bemüht, da es der EU wie auch den anderen Unterzeichnerstaaten ein wichtiges Anliegen ist, derart schwere und schreckliche Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch auf internationaler Ebene durch ein unabhängiges Gericht ahnden zu können. Andernfalls wäre man immer an den oft schwer erzielbaren Konsens im UN-Sicherheitsrat und die nationale Strafverfolgung gebunden. Die Straftatbestände, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, berühren wegen ihrer Schwere die Internationale Gemeinschaft als Ganzes. Die Einführung eines international tätigen Strafgerichtshofes stärkt folglich das UN-System.

Eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung des IStGH hatte auch die Coalition for an International Criminal Court (CICC), ein Zusammenschluss von weltweit mehr als 1.500 nichtstaatlichen Organisationen, die 1995 vom World Federalist Movement initiiert wurde. Die CICC wurde zum Teil von der EU finanziert, wodurch sie sich auf Seiten der Gerichtshofsgegner dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzte.

Ablehnung des IStGH

Härtester Opponent des IStGH sind die USA. Die US-Regierung hat im Jahr 2000 das Statut des IStGH unterzeichnet, aber schon 2002 die völkerrechtlich unübliche, aber zulässige Rücknahme der Unterzeichnung erklärt. Bill Clinton erklärte dazu, dass er das Rom-Statut nie ratifizieren wollte, sondern durch die Unterschrift unter den Vertragsentwurf lediglich die Einflußnahme der USA bei den Vertragsverhandlungen ermöglichen wollte.[3] Durch den Abschluss bilateraler Verträge mit IStGH-Vertragsparteien und anderen Staaten versuchen die USA, eine Auslieferung von US-Staatsangehörigen an den IStGH vorsorglich auszuschließen. 2002 wurde der American Service-members' Protection Act rechtskräftig, der den US-Präsidenten implizit dazu ermächtigt, eine militärische Befreiung von US-Staatsbürgern vorzunehmen, die sich in Den Haag vor dem IStGH verantworten müssten. Eine Zusammenarbeit mit dem Gericht wird US-Behörden verboten. Zudem könne allen Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind und das Statut ratifizieren, die US-Militärhilfe gestrichen werden.

Hauptkritikpunkte der USA und von Staaten, die ähnlich argumentieren, sind:

  • das Fehlen eines Normenkontrollverfahrens, wobei aufgrund der Eigenart des Völkerrechts ein Normenkontrollverfahren bisher in keinem Bereich des Völkerrechts zu finden ist.
  • die Möglichkeit, US-Staatsangehörige vor dem IStGH anzuklagen, wenn diese vom IStGH ahndbare Straftaten in Unterzeichnerstaaten begehen, obwohl die USA gar nicht das Rom-Statut ratifiziert haben. Dies stelle nach Ansicht der USA einen völkerrechtlich unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
  • die noch nicht vorhandene Definition des Tatbestandes der Aggression (Dieser Tatbestand wird jedoch, solange sich die Unterzeichnerstaaten auf keine Definition einigen können, nicht vom IStGH angewandt)
  • dass der IStGH von sich aus tätig werden kann, ohne dabei an eine Resolution des UN-Sicherheitsrates gebunden zu sein,
  • die Komplementarität des IStGH: Der Internationalen Strafgerichtshof kann selbst beurteilen, ob die zuständigen nationalen Gerichte nicht Willens oder in der Lage sind, die Strafverfolgung aufzunehmen, und sodann ein Verfahren aufnehmen; würde man hingegen der Kritik nachkommen, würde man es jedoch dem potenziellen Angeklagten in die Hand geben, über die Einleitung seiner eigenen Strafverfolgung zu entscheiden, falls die heimische Justiz nicht gefestigt ist.
  • Unvereinbarkeiten mit der US-amerikanischen Verfassung:
Da das Verfahren vor dem IStGH ohne Geschworene stattfindet und das Opfer unter gewissen Umständen nicht in der Verhandlung anwesend sein muss, stehen die USA auf dem Standpunkt, dass ein Beitritt zum Rom-Statut verfassungsrechtlich unzulässig sei. Das Fehlen einer Jury (Geschworene) und der weit entwickelte Opferschutz vor dem IStGH sind nicht mit der amerikanischen Verfassung vereinbar, da die Jury und das direkte Kreuzverhör zwischen Verteidiger und Opfer in der mündlichen Verhandlung nach US-amerikanischem Rechtsverständnis elementare Grundsätze eines Strafverfahrens darstellten.
  • Gefährdung militärischer und geheimdienstlicher Geheimnisse: Da der IStGH weisungsfrei ist, könnten brisante Geheimnisse und Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, nicht zurückgehalten werden. In nationalen Strafverfahren ist die Staatsanwaltschaft den Weisungen des Justizministers unterworfen. Kritiker des IStGH sehen im Fehlen einer Weisungsunterworfenheit der Anklägerseite einen rechtsstaatlichen Mangel.

Weitere Staaten, die das Rom-Statut nicht ratifiziert haben, sind die Volksrepublik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Russland, Syrien, Saudi-Arabien und die Türkei.

Kritiker werfen den USA vor, dass hinter der wenig überzeugenden Sorge vor „willkürlichen Prozessen“ gegen US-Bürger, mit der die Bush-Regierung ihre Ablehnung des IStGH begründet, die begründete Angst vor durchaus berechtigten Verfahren gegen Verbrechen amerikanischer Bürger und vor allem Soldaten stehe. Die seit Dezember 2003 bekannt gewordenen Misshandlungen von Kriegsgefangenen im Irak seitens Angehöriger der US-Militärpolizei, die laut im Juni 2004 offiziell veröffentlichten Regierungspapieren auf Genehmigung und auf Anweisungen aus der Militärführungsebene erfolgten, haben dazu geführt, dass der US-Antrag auf Verlängerung der Immunität vor dem UN-Sicherheitsrat am 24. Juni 2004 mangels Erfolgsaussicht zurückgezogen wurde.

Siehe auch

Literatur

  • Harder, Jan C. »Ein Jahr nach Verabschiedung des Statuts von Rom: Jubiläum einer Hoffnung«, in S+F 1/2000, Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden und Jana Hasse/Erwin Müller/Patricia Schneider (Hrsg.), "Humanitäres Völkerrecht - Politische, rechtliche und strafgerichtliche Dimensionen", ISBN 3-7890-7174-9, (Demokratie, Sicherheit, Frieden, Bd. 133)
  • Wirth, Steffen / Harder, Jan C. »CICC.DE - Positionspapier zur Ratifikation und Implementierung des Rom-Statuts in Deutschland«, In : Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften (HUV-I) 2000, 111
  • Andreas Bummel: Meilenstein des Völkerrechts - Der Internationale Strafgerichtshof. In: Mainzer Zeitschrift für Jurisprudenz. Nr. 1, 2001. [3]
  • Sascha Rolf Lüder: The legal nature of the International Criminal Court and the emergence of supranational elements in international criminal justice. In: International Review of the Red Cross. Nr. 84, 2002, S. 79 - 92. [4]
  • Nicole Deitelhoff: Angst vor Bindung? Das ambivalente Verhältnis von Demokratien zum Internationalen Strafgerichtshof. In: HSFK Standpunkte Nr. 5 / 2002.
  • Philippe Currat, Les crimes contre l'humanité dans le Statut de la Cour pénale internationale, 838 pages, mars 2006, aux éditions Bruylant ISBN 2-8027-2213-1 und Schulthess ISBN 3-7255-5122-7
  • Volker Röben The Procedure of the ICC: Status and Function of the Prosecutor. In: Max Planck Yearbook of United Nations Law, Leiden 2003, S. 513-548. ISSN 1389-4633
  • Mandana Biegi: »So Long as There Is Breath in Me«. Warum die Vereinigten Staaten kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs werden und der Rest der Welt heimlich erleichtert ist. In: Vereinte Nationen. Nr. 54, 2006, S. 160 - 163.
  • Markus Benzing, The Complementarity Regime of the International Criminal Court: International Criminal Justice between State Sovereignty and the Fight against Impunity. In: Max Planck Yearbook of United Nations Law, Leiden 2003, S. 591-628. ISSN 1389-4633
  • Hatem Elliesie: Die Darfur-Krise im Sudan und das Völkerrecht: Eine Herausforderung für die Vereinten Nationen (UN) und den Internationalen Strafgerichtshof (ICC). In: Verfassung und Recht in Übersee (Law and Politics in Africa, Asia and Latin America) 2007/2, 40. Jahrgang, Baden-Baden/Hamburg 2007, S. 199-229. ISSN 0506-7286
  • Nicole Beier: Die Rechte des Angeklagten im Internationalen Strafprozess Seminararbeit Frankfurt (Oder) 2003: http://voelkerrecht.euv-frankfurt-o.de/Publikationen/SeminararbeitBeier.pdf

Quellen

  1. vgl. Art. 5 Abs. 2 Rom-Statut
  2. Kooperation mit Internationalem Strafgerichtshof
  3. [1]