Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

deutsche Organisation
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Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ist ein 1947 gegründeter Verband mit Sitz in Berlin. Die VVN-BdA, ursprünglich VVN, ging aus nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland gegründeten Opferverbänden hervor, deren Mitglieder sich mehrheitlich aus politisch-ideologischen Gegnern des NS-Regimes bzw. wesentlich aus Kreisen des sozialistischen und kommunistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

Die VVN bezeichnet sich als überparteiliche und unabhängige Organisation, die den Widerstand gegen Faschismus und Krieg zu ihrem wesentlichen moralischen Grundsatz gemacht hat, galt in den 1950er Jahren in der Führungsebene als von der KPD, und seit 1968 als von der DKP geprägte Organisation, wobei ihre Mitgliederschaft sich bis in die Gegenwart von orthodoxen Kommunisten und Parteilosen über Bündnisgrüne bis hin zu Sozialdemokraten (trotz eines bestehenden Unvereinbarkeitsbeschlusses der SPD) erstreckt.

Die VVN-BdA ist Mitglied der Fédération Internationale des Résistants (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer, FIR), der Organisationen aus ganz Europa und Israel angehören.

Geschichte

Gründung

Am 23. Februar 1947 gründeten Überlebende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft aus den Konzentrationslagern und dem kommunistischen Widerstand im Haus der deutschen Zentralverwaltung in Berlin die VVN. Erster Generalsekretär der VVN in der sowjetischen Besatzungszone war Karl Raddatz.

Der rote Winkel – das Kennzeichen der politischen Häftlinge in den Konzentrationslagern – wurde zum Abzeichen der VVN. Ziel der Organisation war die Betreuung der ehemaligen Häftlinge, worauf sich die zusammengeschlossenen Häftlinge aber nicht beschränken wollten. Den Terror, den sie am eigenen Leib erfahren hatten, wollten sie getreu dem Schwur von Buchenwald nie wieder Wirklichkeit werden lassen: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Die Initiative zur Gründung ging von Vertretern der Arbeiterparteien aus, die in Betreuungsstellen für politisch, religiös und rassisch Verfolgte bzw. den OdF(Opfer des Faschismus)-Ausschüssen direkten Kontakt zu den Betroffenen hatten. „Über alle Schichten, Konfessionen und Rassen und Parteien hinweg schließen sich die Kämpfer gegen den Nazismus und die vom Nazi-Regime Verfolgten zu einer überparteilichen Organisation zur Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) zusammen“, hieß es in dem ersten Programm vom August 1946.

In den Jahren 1948 bis 1952 konnten drei Hauptkonferenzen veranstaltet werden. Im Zuge der Säuberungswellen des Stalinismus in der SED 1949/1950 warf man führenden Mitgliedern der VVN Agententätigkeit vor, gleichzeitig gab es im Zusammenhang mit dem Slansky-Prozess in der damaligen CSR eine steigende antisemitische Tendenz in der Politik der DDR-Führung, die sich auch gegen jüdische Kommunisten richtete, die nach 1933 in westliche Staaten geflohen waren. Vor drohender Verfolgung flohen die SED-Mitglieder und Volkskammerabgeordneten Julius Meyer und Hans Freund sowie weitere jüdische Mitglieder der VVN im Dezember und Januar 1953 in den Westen. Auch der ehemalige Staatssekretär und Mitautor der DDR-Verfassung Leo Zuckermann floh.

Am 15. Januar 1953 wurde in der DDR die Auflösung der VVN ohne deren Anhörung beschlossen. An ihre Stelle trat das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer. In den Westsektoren Berlins bestand die VVN hingegen fort.

Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland

Innerhalb der Organisation hatten kommunistische Kräfte im Hinblick auf ihre Rolle im Widerstand erheblichen Einfluss. Im Zuge des beginnenden Kalten Krieges setzte Kurt Schumacher im Mai 1948 im SPD-Vorstand einen Beschluss zur Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der SPD und der VVN durch. Dieser Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD wurde 1981 erneuert und existiert zwar formell bis in die Gegenwart, es sind jedoch seit dem Ende des Kalten Krieges keine Fälle seiner Umsetzung bekannt geworden.

Auch die übrigen Parteien der Westzonen und viele Jüdische Gemeinden befürworteten einen Austritt ihrer Mitglieder aus der VVN, der zur Gründung des Bund der Verfolgten des Naziregimes und zu eigenen Verfolgtenorganisationen der Parteien, wie etwa der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten führte. Zu den prominenten Gründungsmitgliedern, die die VVN wegen der kommunistischen Ausrichtung des Verbandes nach kurzer Zeit wieder verließen, gehörten z.B. Heinz Galinski und Jeanette Wolff (Austritt 1948).

Mitglieder der VVN gerieten im antikommunistischen Klima im Westdeutschland der Nachkriegszeit ins Visier des Verfassungsschutzes und waren in den 1970er Jahren teilweise vom Radikalenerlass betroffen.

Neben der Mahnung und Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus nahm sich die VVN auch der Betreuung von Opfern des NS-Unrechts an. Dazu gehörte unter anderem beispielsweise die Sozialberatung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung - abgekürzt BEG), das 1956 rückwirkend auf den 1. Oktober 1953 in Kraft trat.

Verbotsversuche

Seit September 1950 war Staatsbediensteten eine VVN-Mitgliedschaft untersagt. Die Bundesregierung versuchte 1951 die VVN zu verbieten. Am 2. August 1951 kam es zur polizeilichen Schließung des West-Büros der VVN in Frankfurt am Main. Daraufhin kam es zum Verbot der VVN in den Bundesländern Hamburg (1961 aufgehoben) und Rheinland-Pfalz (1972 aufgehoben). Andere Länder folgten dem nicht, in Bayern endete der Versuch eines Verbots mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts Regensburg, die VVN sei nicht verfassungsfeindlich. 1959 kam zu einem erneuten Versuch der Bundesregierung die VVN zu verbieten. Das zuständige Bundesverwaltungsgericht brach den Prozess allerdings nach zwei Verhandlungsterminen ab.

Erweiterung zum „Bund der Antifaschisten“

Mitglieder der VVN engagierten sich gegen die Wiedereinsetzung alter Nazis als Funktionsträger, gegen das Wiederentstehen nationalsozialistischer Organisationen, gegen Wiederbewaffnung und atomare Aufrüstung und gegen die Verdrängung der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945. Initiativen der VVN führten zur Errichtung von Gedenkstätten; so waren beispielsweise VVN-Mitglieder Mitte 1960er Jahre maßgeblich daran beteiligt, das ehemalige Konzentrationslager Dachau in eine würdige Gedenkstätte umzuwandeln.

1971 erweiterte sich die VVN zum „Bund der Antifaschisten“, da sie im Gefolge der studentischen Protestbewegung und durch das starke Anwachsen der rechtsextremen Partei NPD verstärktes Interesse der jungen Generation an der Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit ausmachte. Zudem sollte Mitgliederschwund aufgrund fortschreitender Überalterung der VVN kompensiert werden. Arbeitsschwerpunkte der siebziger und achtziger Jahre bildeten die Themen Frieden und Antifaschismus.

Krise 1989

1989 wurde offenbar, dass die VVN einen großen Teil ihrer Arbeit auf Bundesebene durch Zuwendungen aus der DDR finanzierte. Mit dem Ende der Zahlungen ergab sich eine finanzielle Krise, die die Vereinigung an den Rande der Auflösung brachte. Die hauptamtlichen Mitarbeiter beim Bundesverband der VVN-BdA mussten entlassen werden. Laut niedersächsischem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1989 (S. 26) wurden bis zum Zusammenbruch des Realsozialismus alle Bewerbungsunterlagen von hauptamtlichen VVN-Mitarbeitern vom Parteivorstand der DKP gesichtet und genehmigt. Präsidium und Sekretariat des Bundesvorstands der VVN-BdA traten im Januar 1990 zurück. Es setzten sich aber dann die Stimmen für die Fortführung der Arbeit mit den eingeschränkten Mitteln und einer neuen Organisationsstruktur durch.

Vereinigung der ost- und westdeutschen NS-Verfolgtenverbände

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Adolphe Low, Spanienkämpfer, Antifaschistischer Widerstandskämpfer und Ritter der Ehrenlegion, ANACR, Strasbourg spricht zu den Delegierten des Vereinigungskongresses, Oktober 2002

Im Oktober 2002 vereinigte sich die westdeutsche VVN-BdA in Berlin mit dem ostdeutschen Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener (IVVdN) sowie dem Bund der Antifaschisten und besitzt nach dem Zusammenschluss rund 9.000 Mitglieder.

An der Vereinigungskonferenz nahmen Vertreter in- und ausländischer Organisationen ehemals Verfolgter des NS-Regimes sowie Gäste bundesdeutscher Organisationen teil. Unter ihnen befand sich auch das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall, Horst Schmitthenner, der auf dem VVN-Kongress den Zusammenschluss nachdrücklich begrüßte und erklärte: „Wie in der Vergangenheit wird die IG Metall auch zukünftig das unverzichtbare Wirken der VVN-BdA unterstützen“.

Heutige Situation

Die VVN-BdA will Widerstand leisten gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus, die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Weltanschauung und gegen die Bedrohung für deren Leib und Leben.

Der Verband hat unter 9.000 Mitglieder (Stand: 2003) und gibt die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift antifa heraus. Ehrenpräsident der Vereinigung ist Kurt Julius Goldstein.

Kampagne: NPD-Verbot jetzt!

Von Anfang 2007 bis Dezember des gleichen Jahres lief eine von der VVN-BdA bundesweit initiierte Kampagne, die einen erneuten Anlauf zum Verbot der NPD forderte. Als Kernstück diente hierbei eine Unterschriftenaktion, dessen Aufruf den Bundestag auffordert, „ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD nach Artikel 21, Absatz 2 Grundgesetz auf den Weg zu bringen.“ Begleitet wurde die Aktion von bundesweit durchgeführten Informationsständen und -veranstaltungen. Als bekannte Unterstützer der Kampagne konnten u.a. Hannelore Elsner, Frank Werneke und das Präsidium des 1. FC Nürnberg gewonnen werden.
Zum Abschluss der Unterschriftenaktion wurden am 12. Dezember 2007 die über 175.000 gesammelten Unterschriften an Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die Abgeordneten Gesine Lötzsch und Dorothée Menzner von der Linkspartei sowie Niels Annen von der SPD übergeben.

Einschätzung deutscher Verfassungsschutzbehörden

Der Verfassungsschutzbericht 2005 des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschrieb die VVN-BdA als „linksextremistisch beeinflusst“ und ordnete sie deswegen als „Organisation im Umfeld der DKP“ dem linksextremistischen Spektrum zu. Er stellte fest,

  • dass Mitglieder und ehemalige Mitglieder der DKP sowie traditionalistisch eingestellte Mitglieder der „Linkspartei.PDS“ die wichtigsten Leitungspositionen besetzen;
  • dass der Verband daher dominant dem orthodox-kommunistischen „Antifaschismus“ verpflichtet blieb, wonach Rechtsextremismus im inneren Zusammenhang mit marktwirtschaftlichen Ordnungssystemen steht und daher staatliche Institutionen in westlichen Demokratien rechtsextremistische Umtriebe eher unterstützten als bekämpften;
  • und dass in dieser Sichtweise eine sozialistisch/kommunistische Diktatur die einzig konsequente Alternative zu „faschistischen“ Gefahren sei.

Der Bericht räumte ein, dass die VVN-BdA seit 1989 darauf verzichtet hat, linksextremistische Gewalt- und Unrechtssysteme ausdrücklich als vorbildlich darzustellen; allerdings würden kommunistische Verbrechen konsequent relativiert, ignoriert oder sogar geleugnet.

Für das Berichtsjahr 2006 erwähnen der Verfassungsschutzbericht des Bundes sowie einige Berichte der Länder (z.B. Berlin und Sachsen) die VVN-BdA nicht. Andere Länderberichte, wie beispielsweise die aus Baden-Württemberg und Bayern, führen die VVN-BdA weiterhin auf.

Bekannte Mitglieder

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Rudzio: Die Erosion der Abgrenzung. Zum Verhältnis zwischen der demokratischen Linken und Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1988 (S. 111ff.), ISBN 353112045X
  • Elke Reuter, Detlef Hansel: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953: Die Geschichte der Verfolgten des Nazi-Regimes in der SBZ und DDR. Berlin 1997, ISBN 3929161974

(umfangreiche Rezension von Thomas Hoffmann in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Nr 5/1998)

  • Kurt Faller, Bernd Wittich: Abschied vom Antifaschismus. Frankfurter (Oder) 1997, ISBN 3930842033
  • Ulrich Schneider: Zukunftsentwurf Antifaschismus. 50 Jahre Wirken der VVN für „eine neue Welt des Friedens und der Freiheit“. Bonn 1997, ISBN 3891442378
  • Bundesamt für Verfassungsschutz: „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA), Köln Juni 1997
  • Der Bundesminister des Innern (Hg.): Bedeutung und Funktion des Antifaschismus, Bonn 1990
  • Bettina Blank: „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA), in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie. 12 (2000), Baden-Baden 2000, S. 224-239

Quellen

Commons: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien