Das Orientalische Seminar ist eine Einrichtung der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main am Fachbereich 9 Sprach- und Kulturwissenschaften. Es gehört zum Institut für Orientalische und Ostasiatische Philologien.
Die Frankfurter Orientalistik befasst sich in Forschung und Lehre mit der Wissenschaft von den Sprachen und Literaturen des Vorderen Orients. Daneben stellt die Islamwissenschaft einen weiteren Schwerpunkt dar.
Das Seminar befindet sich mitsamt Bibliothek und Unterrichtsräumen in der Dantestraße unweit vom Campus Bockenheim. In dem Gebäude sind weitere Kulturwissenschaften ansässig, wie Afrikanistik, Judaistik, Slavistik und Turkologie, wodurch eine übergreifende Forschung und Lehre begünstigt ist.
Überblick der Professuren
- 1915 – 1931 Josef Horovitz
- 1931 – 1935 Gotthold Weil
- 1935 – 1950 aus politischen Gründen nicht besetzt
- 1950 – 1956 Hellmut Ritter
- 1956 – 1995 Rudolf Sellheim
- 1995 – 2009 Hans Daiber
Geschichte
Das Seminar ist geprägt von einer bewegten Geschichte, die eine Reihe bedeutender und weltweit angesehener Wissenschaftler mit ihrer Handschrift zeichneten.
Gründung: Eine jüdische Stiftung
Der zu den Gründern der Goethe-Universität gehörende aus Frankfurt stammende jüdische Bankier Jakob Heinrich Schiff stiftete am 15. Juli 1913 einen "ordentlichen Lehrstuhl für Semitische Philologie mit Berücksichtigung der targumischen und talmudischen Literatur an der in Frankfurt am Main zu begründenden Universität, und, falls nach dessen Dotierung noch aus den Jahreszinsen ein Betrag verfügbar ist, etwaiger dem Lehrstuhl angegliederter Institute oder Einrichtungen".
Im Vorfeld war in der von dem Rabbiner Moritz Rahmer gegründeten Zeitschrift Jüdisches Litteratur-Blatt (Jg. 33, 1911, S. 49-54) durch Hans Bahr bereits die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für talmudische Forschung an der geplanten Frankfurter Universität diskutiert worden, allerdings als Hilfe für die Auslegung des in jüdischer Umgebung entstandenen Neuen Testaments. Diese Diskussion wird später dahingehend präzisiert, dass der zu gewinnende Lehrstuhlinhaber jemand sein müsse, „der mit dem innersten Geiste dieser (sc. talmudischen) Überlieferungen womöglich durch eine rabbinische Erziehung vertraut und doch in strengem Sinne Semitist ist, so dass er, woran es in jenen dilettantischen Bemühungen zumeist fehlt, neben dem Hebräischen auch die übrigen semitischen Sprachen, vor allem das Arabische und Syrische wirklich beherrscht“.
Zielgerichteter Aufbau
Dieser von Schiff gegründete Lehrstuhl bildet der Beginn der Orientalistik in Frankfurt, die in der Person von Josef Horovitz bereits einen namhaften Vertreter hatte. Horovitz baute das Seminar als Direktor von 1915 bis zu seinem Tod 1931 auf. Er wurde bekannt durch seine arabischen Editionen einer Prophetenbiographie und durch seine Untersuchungen zum Koran und dessen jüdischen Hintergrund. Zudem arbeitete er an einer Konkordanz zur altarabischen Poesie, ein Projekt, das lange nach seinem Tode, auch mit Beteiligung des Frankfurter Orientalischen Seminars abgeschlossen wurde.
Lehrveranstaltungen umfassten eine Einführung in das Arabische, ebenso Übungen zur syrischen Grammatik und den aramäischen Dialekten. Neben den auch in der Gegenwart angebotenen Türkisch-, Persisch- und Hebräischkursen wurde zu jener Zeit noch Sanskrit gelehrt. Wichtig war jedoch besonders die Einführung in die Frühgeschichte des Islam.
Bei Horovitz habilitierte sich 1931 der Orientalist Martin Plessner für Semitische Philologie und Islamkunde; er hielt im selben Jahr seine Antrittsvorlesung zur Erlangung der venia legendi über „Die Geschichte der Wissenschaften im Islam als Aufgabe der modernen Islamwissenschaft“, damit eine Idee vorwegnehmend, die 1982 in dem Frankfurter, von Fuat Sezgin gegründeten und durch eine Stiftung arabischer Länder finanzierten Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften verwirklicht worden ist. Die Geschichte der Wissenschaften, unter Einbeziehung des Arabischen, war das Spezialgebiet Willy Hartners, der nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 zum “Ordinarius für Geschichte der Naturwissenschaften” ernannt wurde. Sein Nachfolger wurde 1985 David King, dessen Schwerpunkte die islamische Astronomie und islamische astronomische Instrumente waren. Mit seinem Ausscheiden wurde die Stelle aufgehoben.
Parallel zu dieser wissenschaftshistorischen Tradition vertritt Gotthold Weil im Frankfurter orientalistischen Wissenschaftsbetrieb die sprachhistorische und literaturgeschichtliche Forschung. Weil, der Nachfolger von Josef Horovitz, hatte von 1931 bis 1935 bis zu seiner Emigration nach Palästina, dessen Stelle inne. Diese auf seine Zwangsabsetzung erfolgte, aber sicher auch notwendige Flucht vor der Naziherrschaft führte ihn an die Hebräische Universität nach Jerusalem.
Stillstand im Dritten Reich
Nach Weil wurde die Stiftungsprofessur für Semitische Philologie im Dritten Reich und infolge der Kriegswirren nicht mehr besetzt; lediglich Johann Fück nahm 1936 einen Lehrauftrag für Arabisch und Islamkunde wahr. Im Jahre 1939 wurde das Stiftungsvermögen der Allgemeinen Hochschulstiftung, der Dr. Adolf Varrentrapp-Stiftung zugeführt.
Wiederbelebung nach 1950
1950 kam in der Person von Hellmut Ritter ein international renommierter Orientalist und Kenner der arabisch-persisch-türkischen Philologie, der sich besonders um die Erschließung arabischer und persischer Literatur durch Handschriftenkataloge, Editionen und Übersetzungen verdient gemacht hat. Er brachte seine noch heute einzigartige Sammlung von etwa 5.000 Bänden hauptsächlich arabischer und persischer, aber auch türkischer Werke aus Istanbul mit, wo er seit 1926 als Leiter der Zweigstelle der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft gewirkt hatte.
Nach Ritters Emeritierung im Jahre 1956 folgte ihm auf dem Lehrstuhl Rudolf Sellheim, dessen Hauptwerk die Katalogisierung und Auswertung arabischer Handschriften für die Literaturgeschichte ist.
Kontinuität zur Jahrtausendwende
Seit 1995 ist Hans Daiber mit der leitenden Position betraut, der sich gleichfalls mit der Katalogisierung arabischer Handschriften beschäftigt und sich in seinen Arbeiten auf die Rolle des Islam zwischen Antike und Mittelalter konzentriert. Er hat einem Urteil von Martin Plessner zufolge in seiner Dissertation die griechisch-arabische Übersetzungsliteratur als Quelle für die griechische Sprachgeschichte entdeckt. Daiber ist Herausgeber der Reihe Aristoteles Semitico-Latinus (seit 1975) über das Fortleben des aristotelischen corpus in arabischer, syrischer, hebräischer und arabisch-lateinischer Überlieferung sowie von Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies (seit 1982).
Schließung des Seminars
Im Zuge der Zentrenbildung kleinerer Fächer in Hessen wurde das Orientalische Seminar in Frankfurt im Jahre 2005 genauso wie die Orientalistik der Universität Gießen per Beschluss der CDU-geführten hessischen Regierung zugunsten eines Großprojektes an der Universität Marburg aufgegeben. Es erfolgte ein sofortiger Aufnahmestopp für Orientalistik-Erstsemester.
Gegen diese politische Entscheidung hegte sich auf Seiten von Wissenschaftlern und teilweise auch unter Studierenden Widerstand bezüglich der Standortwahl und der Vorgehensweise des Ministeriums, dem aber nicht nachgekommen wurde.
Nach den Abschlüssen des letzten Jahrganges wird der Lehrbetrieb planmäßig ab Mitte 2009 eingestellt. Die einzigartige von Spezialisten über Jahrzehnte aufgebaute Bibliothek, welche ca. 45.000 Bände umfasst, soll Anfang 2008 an den neuen Standort verlagert werden.
Gegenwärtige Lehre
Zuletzt standen neben der Arabischen Philologie, Sprach- und Literaturgeschichte besonders die islamische Wissenschaftsgeschichte im Mittelpunkt der Lehrveranstaltungen. Seminarsintern werden Sprachkurse in Arabisch, Persisch und Syrisch-Aramäisch, sowie darüber hinaus fachbereichintern in Hebräisch und Türkisch angeboten.
Die Veranstaltungen richten sich vornehmlich an die Studierenden der Orientalistik sowie der Empirischen Sprachwissenschaft mit Schwerpunkt in orientalischen Philologien, aber auch an verwandte Fächer wie Islamische Religionswissenschaft, Judaistik und Turkologie. Insbesondere die Sprachkurse stehen dabei für Hörer aller Fachbereiche offen und finden einen großen Zuspruch.
Wissenschaftliche Prägung
Der geschichtlichen Übersicht lassen sich Richtungen der Frankfurter Orientalistik entnehmen, die dem Komplex Judentum-Islam (Horovitz, Weil, Daiber), der arabischen Sprachgeschichte (Weil, Daiber), der Literaturgeschichte (Horovitz, Ritter, Sellheim, Sezgin, Daiber), der arabisch-islamischen Wissenschaftsgeschichte (Plessner, Hartner, King, Sezgin, Daiber) oder der islamischen Philosophie und Theologie (Daiber) zuzuordnen sind.
Siehe auch
Weblinks
- Webpräsenz des Orientalischen Seminars, z.Zt. aus personaltechnischen Gründen nicht aktualisiert
- Einige Details zur Geschichte der Orientalistik in einem Artikel über Josef Horovitz
- Bestandsgeschichte und -beschreibung der Bibliothek des Orientalischen Seminars
- Aktionsportal der Orientalistik-Studenten gegen den vorzeitigen Abzug der Bibliothek
- Aktuelle Lehrveranstaltungen im univis-Informationssystem der Universität Frankfurt am Main