Lernen durch Lehren

handlungsorientierte Unterrichtsmethode
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Lernen durch Lehren (abgekürzt: LdL) ist eine handlungsorientierte Unterrichtsmethode, in der Schüler von ihnen erarbeiteten Stoff selbst unterrichten.

Abgrenzung der Methode

„Lernen durch Lehren“ (LdL) als umfassendes Konzept darf laut Vertretern der Methode nicht mit Einzeltechniken, die in jeder Unterrichtsform vorkommen, verwechselt werden (etwa Referate, Präsentationen). Es setzt auch eine didaktische Tätigkeit von Schülern voraus (Einbau von Partnerarbeit und schüleraktivierenden Techniken). Durch den Umstand, dass bei LdL der Lehrprozess vom Lehrer gesteuert wird, unterscheidet sich die Methode von dem Helfersystem (auch peer-teaching oder Tutoring), bei dem die Verantwortung ganz an die Schüler delegiert wird. Die Übernahme der Lehreraufgaben durch Schüler kann einzelne Unterrichtssequenzen oder auch längere Einheiten betreffen. Von einigen Lehrern wird das Verfahren über das gesamte Schuljahr hinweg angewandt.

Geschichte der Idee des Lernens durch Lehren

Schon im Altertum formulierte Seneca in seinen Briefen an Lucilius den Gedanken, dass man beim Lehren selbst lernt: homines, dum docent, discunt (latein: „man lernt, indem man lehrt“). Versuche, Schüler als Lehrer einzusetzen, wurden im Laufe der Zeit aus unterschiedlichen ökonomischen oder didaktischen Gründen immer wieder unternommen. Da die Idee nahe liegend ist, wird Lernen durch Lehren aus unterschiedlichen Motiven regelmäßig aufgegriffen und je nach historischer Situation spezifisch ausgeformt.

Einsatz aus ökonomischen Gründen in England und Frankreich

Um den Lehrermangel zu beheben (und nicht aus pädagogischen Überlegungen), wurden bereits im 18. Jahrhundert Schüler zum Unterrichten eingesetzt. 1795 beschrieb der Schotte Andrew Bell[1] das Prinzip des gegenseitigen Unterrichtens, das er im englischen Missionsunterricht in Madras beobachtet hatte. Joseph Lancaster griff das Konzept auf und setzte es in seinen Schulen („Lancasterschulen“) um. Angewandt wurde die Methode ferner ab 1815 in Frankreich in den nach dem Lancaster-Modell geschaffenen „écoles mutuelles“, um die ansteigenden Schülerzahlen zu bewältigen. Nach der Revolution von 1830 wuchs die Zahl der „écoles mutuelles“ auf 2000 an, um kurz danach aufgrund von politischen Entscheidungen bis zur Bedeutungslosigkeit zu schrumpfen. Die von den unterrichtenden Schülern angewandte Lehrmethode beruhte ausschließlich auf Disziplinierung („Drill“). Das Ziel war nicht, dass die Tutoren durch Unterrichten besser lernen, sondern dass durch die Einbeziehung von Tutoren mehr Schüler unterrichtet werden konnten. Beobachter bemängelten das niedrige Leistungsniveau in den Lancaster-Schulen[2], die mehr auf Quantität als auf Qualität Wert legten. Insofern können diese Schulen zwar von der Organisation her als Vorläufer von Lernen durch Lehren betrachtet werden, pädagogisch aber laufen sie diesem Konzept diametral entgegen.

Lernen durch Lehren in Deutschland

Aus pädagogischer Sicht, also um den Lernprozess zu verbessern, wurde das Verfahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Reformpädagogik (Georg Kerschensteiners Arbeitsschule 1914) eingesetzt.[3] Seitdem steht nicht mehr die ökonomische, sondern die pädagogische Zielsetzung im Vordergrund. Eine Verstärkung des Interesses an Lernen durch Lehren lässt sich ab den siebziger Jahren beobachten, als die Dominanz des Behaviorismus in der Pädagogik durch die kognitivistische Wende verdrängt und der Lernende stärker als Subjekt des Lernprozesses betrachtet wurde.

Beschreibungen und Versuche seit 1970

Eine genauere Beschäftigung mit der Methode Lernen durch Lehren erfolgte erst ab den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wie beispielsweise die in den USA erschienenen Monographien von Gartner 1971[4] und von Krüger 1975[5]. Wolfgang Steinig 1985,[6] führte eine einjährige empirische Untersuchung durch. Immer wieder erschienen Aufsätze zu Lernen durch Lehren, wie von Udo Kettwig 1986[7], Theodor F. Klassen 1988[8] und in dem von Ursula Drews 1997 herausgegebenen Themenheft: Schüler als Lehrende[9]. Alexander Renkl befasste sich mit Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen und nannte seine Habilitationsschrift „Lernen durch Lehren“[10].

Lernen durch Lehren seit 1980

 
Jean-Pol Martin bei einer LdL-Fortbildungsveranstaltung für russische Deutschlehrer in Kasan (Tatarstan / Russland).

Ein umfassendes Konzept wurde in Deutschland ab 1982 von Jean-Pol Martin vorgeschlagen[11]. Martin hat das Modell im Französischunterricht entwickelt, durch Elemente aus der humanistischen Psychologie und Kognitionspsychologie theoretisch untermauert, in zahlreichen Publikationen dokumentiert[12] und systematisch zu einer Methode ausgeformt. In der Praxis wurde das Verfahren unter dem Kürzel LdL mit Hilfe des 1987 gegründeten LdL-Kontaktnetzes verbreitet [13]. Die beteiligten Pädagogen erprobten die Methode in allen Fächern, dokumentierten ihren Unterricht und stellten LdL in Lehrerfortbildungen vor. Seit 2001 erlebt LdL einen Aufschwung im Zusammenhang mit den in allen Bundesländern eingeleiteten Schulreformen (vgl. insbesondere den Bayerischen Modellversuch MODUS21). Inzwischen hat „Lernen durch Lehren“ Einzug in die Erwachsenenbildung und die Hochschullehre gefunden (siehe unter anderem Joachim Grzega in Deutschland und Guido Öbel in Japan). Das Konzept „Lernen durch Lehren“ nach Martin (LdL) enthält eine pädagogisch-anthropologische sowie eine fremdsprachendidaktische Komponente.[14]

Die pädagogisch-anthropologische Komponente

LdL ist in der Ausprägung von Martin im wesentlichen der humanistischen Psychologie verpflichtet. Die pädagogisch-anthropologische Komponente bezieht sich auf die Bedürfnispyramide von Maslow. Die Aufgabe, anderen einen Wissensstoff zu vermitteln, soll die Bedürfnisse nach Sicherheit (Aufbau des Selbstbewusstseins), nach sozialem Anschluss und sozialer Anerkennung sowie nach Selbstverwirklichung und Sinnfindung befriedigen. Während im lehrerzentrierten Unterricht in der Regel eine rezeptive Aufnahme von bereits linear geordneten Lerninhalten stattfindet (Linearität a priori), wird bei LdL die Konstruktion von Wissen durch die Lerner angestrebt. Ausgehend von im Unterricht bereitgestellten, aber noch nicht geordneten Informationen, stehen die Lerner bei LdL vor der Aufgabe, diese Informationen durch Bewerten, Gewichten und Hierarchisieren zu Wissen umzuformen (Linearität a posteriori). Dieser Prozess kann nur auf der Grundlage intensiver Kommunikation erfolgen. Hierzu wird auf die Struktur von neuronalen Netzen verwiesen, in der durch intensive Interaktionen Problemlösungen entstehen. So betrachtet soll die Gruppe als Ganzes lernen, indem stabile Interaktionsstrukturen zwischen den Schülern entstehen, wie dies beim Lernen im Gehirn erfolgt, wenn durch anhaltende Zufuhr von Impulsen, dauerhafte synaptische Verbindungen zwischen den Neuronen aufgebaut werden. Bei Ausbleiben dieser Impulse und Interaktionen zerfallen diese Neuronenverbindungen wieder (vergessen).

Die fremdsprachendidaktische Komponente

 
Schematische Darstellung des Interaktionsprozesses bei der LdL-Sprachdidaktik.

Sprachdidaktischer Aspekt: Die traditionelle Didaktik sieht einen unaufhebbaren Widerspruch zwischen den drei klassischen Lern-Paradigmen Habitualisierung (behavioristische Komponente), Stoffbezogenheit (kognitivistische Komponente) und authentischer Interaktion, einer Kommunikation, in der die Schüler nicht vom Lehrer vorgelegte Sätze wiederholen, sondern echte Anliegen versprachlichen (kommunikative Komponente):

  1. Der kognitive Ansatz geht davon aus, dass man sich intensiv mit den Strukturen einer Sprache (Grammatik, Wortschatz) befassen muss, um sie zu lernen. Dann bliebe allerdings keine Zeit mehr, um zu sprechen und authentisch zu kommunizieren.
  2. Der habitualisierende Ansatz (Bildung von Reflexen) geht davon aus, dass man nur dann eine Sprache erlernt, wenn man ständig nachahmt und wiederholt (man glaubt, dass nur so Reflexbildung entsteht). Zur Grammatik und zur echten Kommunikation bliebe dann keine Zeit mehr.
  3. Der kommunikative Ansatz geht davon aus, dass man vorwiegend durch die Mitteilung echter Botschaften lernt. Die Vermittlung formaler Strukturen, wie etwa Grammatik und Syntax, ist hier zweitrangig und daher wird zu ihrer Erlernung im Unterricht weniger Zeit aufgewendet, und eine hohe Toleranz gegenüber Fehlern geübt.

LdL möchte die drei Komponenten vereinen: Die Schüler müssen a) die Inhalte kognitiv durchdringen, b) intensiv miteinander sprechen, um den anderen den Stoff zu vermitteln und c) dadurch bestimmte Sprachstrukturen immer wieder anwenden. Diese drei Schritte greifen dabei ineinander, da sie im Rahmen der Lernmethode iterativ und über Rückkopplungen gesteuert immer wieder von neuem vorgenommen werden müssen.

Inhaltlicher Aspekt: In der Lehrbuchphase stellen die Schüler die Inhalte des Lehrwerkes vor. Wenn die Lehrbuchphase abgeschlossen ist, liegt es in der Logik des Ansatzes, dass die Schüler selbst im Rahmen von Projekten neues Wissen erarbeiten und im Klassenverband weitergeben. In dieser Phase (11. Klasse bis Abitur) hängt die Motivation der Schüler stark von der Qualität der Inhalte ab. Die Schüler sollen spüren, dass sie bei deren Behandlung auf die Zukunft vorbereitet werden (Bedürfnis nach Sinn).

Praktische Anwendungen

Die Praxis zu Lernen durch Lehren wird stark durch den Ansatz von Martin geprägt, der in der praktischen Anwendung seinen Schwerpunkt hat. Von den Anhängern des Lernen durch Lehren Ansatzes nach Martin (LdL) wird die Methode ausschließlich als unterrichtsgestaltende Methode innerhalb eines Klassenverbandes benutzt. Vor jeder Lektion teilt der Lehrer den Stoff in zu bearbeitende Teilabschnitte ein. Es werden Lernergruppen aus maximal drei Schülern gebildet und jede Gruppe bekommt einen abgegrenzten Stoffabschnitt sowie die Aufgabe, diese Inhalte der Gesamtgruppe zu vermitteln. Die Schüler bereiten den Stoff didaktisch auf (spannende Impulse, Abwechslung in den Sozialformen usw.). Bei dieser Vorbereitung, die im Unterricht stattfindet, steht der Lehrer den einzelnen Lernergruppen zur Seite und gibt Impulse und Ratschläge. Grundsätzlich neigen Lehrer dazu, die didaktischen Fähigkeiten von Lernern stark zu unterschätzen. Nach einer Eingewöhnungsphase zeigen Schüler meist ein beachtliches pädagogisches Potenzial. Im Sinne optimierter Didaktik verlangt LdL, dass die selbstgestalteten Lehreinheiten nicht als ein durch Lerner gehaltener Frontalunterricht oder ein Unterricht durch Vortrag von Referaten missverstanden werden. Die unterrichtenden Schüler sollen sich ständig mit geeigneten Mitteln versichern, dass jede Information von den Adressaten verstanden wird (kurz nachfragen, zusammenfassen lassen, kurze Partnerarbeit einflechten). Hier muss der Lehrer intervenieren, wenn er feststellt, dass die Kommunikation nicht gelingt oder dass die von den Lernern eingesetzten Motivationstechniken nicht greifen.

Die Klasse als neuronales Netz

Martin hat erste Versuche unternommen, die Funktionsweise von neuronalen Netzen in sehr schematisierter Form auf den Unterricht zu übertragen [15]. Die Konsequenzen für den Ablauf der Unterrichtsphasen, sowie die Unterschiede, die LdL von anderen Methoden abgrenzen, werden in dieser Übersicht zusammengefasst[16]:

Unterrichtsphase Erwartetes Schülerverhalten Lehrerverhalten Unterschied zu anderen Methoden
Vorbereitung und Nachbereitung zu Hause Alle Schüler arbeiten konsequent zu Hause, denn die Qualität des Unterrichtsdiskurses (kollektives Denken, Emergenz) hängt von der Vorbereitung der Schüler („Neurone“) ab. Wer nicht vorbereitet ist oder häufig fehlt, kann im Unterricht auf keine Impulse reagieren und selbst keine Impulse „abfeuern“. Der Lehrer („Frontalcortex“) muss den Stoff sehr gut beherrschen, damit er jederzeit ergänzend und impulsgebend intervenieren kann, um die Qualität des Diskurses zu erhöhen. Bei LdL wird die Unterrichtszeit nicht in erster Linie für die Vermittlung von Stoff genutzt, sondern für die Interaktionen in Partnerarbeit und im Plenum (kollektive Reflexion). Der Schwerpunkt im Unterricht liegt auf dem Mündlichen. Die häusliche Arbeit dient der Vorbereitung auf diese Interaktionen.
Gesamter Unterrichtsdiskurs Die Schüler sitzen im Kreis. Jeder Schüler hört konzentriert seinen Mitschülern zu und stellt Fragen, wenn etwas in der Darstellung nicht klar ist. Der Lehrer sorgt für absolute Ruhe und Konzentration auf die Schüleräußerungen, sorgt dafür, dass jeder Schüler ungestört seine Gedanken zu Ende aussprechen kann und die Klasse auf seine Beiträge eingeht. Der Lehrer muss sich stets bewusst sein, dass, bevor wertvolle Gedankengänge in der Gruppe „emergieren“, eine ganze Reihe von Interaktionen zwischen den Schülern im Vorfeld notwendig ist (Inkubation), die der Lehrer nicht beschleunigen oder unterbrechen soll. Bei LdL muss absolute Ruhe herrschen, damit die Schüleräußerungen von allen verfolgt werden. Während die Schüler interagieren, hält sich der Lehrer stark zurück.
Einstieg: Stoffsammlung in Partnerarbeit: Beispiel „Don Juan von Molière Ressourcenorientierung: die Schüler, die den Unterricht leiten, stellen kurz das neue Thema vor, und lassen die Mitschüler in Partnerarbeit sammeln, was sie bereits zu diesem Thema wissen (z.B. Kenntnisse über Don Giovanni von Mozart). Der Lehrer sorgt dafür, dass die Partner ihre Gedanken austauschen. Bei LdL wird vor Einführung des neuen Stoffes der Wissensstand der einzelnen Schüler in Kleingruppen zur Kenntnis genommen.
Erste Vertiefung: Stoffsammlung im Plenum Unter Moderation der leitenden Schüler wird in der Klasse solange interagiert, bis alle themenbezogenen Fragen gestellt und geklärt wurden (die Schüler interagieren wie Neurone in neuronalen Netzen und es „emergieren“ Gedanken und Problemlösungen). Der Lehrer sorgt dafür, dass jeder Schüler intervenieren kann, fragt nach, wenn etwas noch nicht klar ist und von der Klasse durch Interaktionen geklärt werden soll, bis die „Emergenz“ eine entsprechende Qualität erreicht hat (vgl. Kollektive Intelligenz). Das Vorwissen der Einzelnen wird im Plenum ausgetauscht und angeglichen, bevor der neue Stoff eingespeist wird.
Einführung des neuen Stoffes im Plenum („Molières Komik am Beispiel von Don Juan“) Die leitenden Schüler führen neues Wissen im Plenum ein, in kleine Portionen aufgeteilt (z.B. entsprechende Szene aus Don Juan) und mit ständiger Rückfrage, damit sicher ist, dass alles verstanden wird. Der Lehrer beobachtet die Kommunikation und interveniert, wenn Unklarheiten auftreten. Er fordert immer wieder zur Klärung undeutlicher Inhalte oder Gedanken auf. Bei LdL erfolgt das Einspeisen des neuen Stoffes in kleinen Portionen, die Schritt für Schritt verarbeitet werden.
Zweite Vertiefung: Spielen von Einzelszenen Unter Anleitung der verantwortlichen Schüler werden in Partnerarbeit relevante Passagen gespielt und eingeübt (z.B. wie Don Juan Bauernmädchen verführt). Der Lehrer bringt neue Ideen ein, sorgt dafür, dass die schauspielerischen Darstellungen ansprechend gestaltet und von allen anderen konzentriert verfolgt werden. Bei LdL versteht sich der Lehrer als Regisseur und er scheut sich nicht, zu unterbrechen, wenn Darbietungen vor der Klasse nicht ansprechend/deutlich genug sind (Werkstattatmosphäre).
Dritte Vertiefung: schriftlicher Hausaufsatz (Textaufgabe, Interpretation einer Stelle, beispielsweise Don Juans Auseinandersetzung mit seinem Vater) Alle Schüler arbeiten konsequent zu Hause. Der Lehrer sammelt alle Hausaufgaben ein und korrigiert sie sehr genau. In jüngeren Jahrgangsstufen wird der LdL-Unterricht während der Stunden selbst vorbereitet. Mit zunehmendem Niveau (Oberstufe) verlagert sich die Vorbereitung immer stärker auf die häusliche Arbeit, damit ein noch größerer Anteil der Unterrichtszeit für Interaktionen (kollektive Reflexion) zur Verfügung steht.

Die Rezeption von Lernen durch Lehren

Die Rezeption von LdL erfolgte in unterschiedlichen Bereichen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

In der Praxis

  • LdL wurde zunächst in der Lehrerausbildung und in Lehrerseminaren rezipiert: seit 1985 wurden Referendararbeiten in allen Fächern über LdL verfasst.[17]. Dies gilt auch für die Schulbehörden, die sich sowohl mit der Praxis als auch mit der Theorie von LdL befasst haben (vgl. Margret Ruep 1999 [18]). In zahlreichen Lehrplänen, insbesondere in Bayern wird LdL zusammen mit anderen Methoden als Standardtechnik empfohlen.[19] Ebenfalls in Bayern wurde 2005/2006 die Methode LdL im Rahmen des Modellversuchs MODUS 21 vom Kulturministerium als Fortbildung für alle beteiligten Schulen angeboten. Die meisten Lehrer verwenden die Methode nicht generell, sondern phasenweise und/oder nur in einigen, besonders geeigneten Gruppen. Im Rahmen einer Befragung von 480 Lehrern im Jahr 1993 wurden folgende Vor- und Nachteile der Methode angegeben[20]: Aus der Sicht der befragten Lehrer wird der Stoff intensiver erarbeitet und die Schüler sind wesentlich aktiver. Ferner sind die Informanten der Meinung, dass die Schüler zusätzlich zum Fachwissen weitere Schlüsselqualifikationen erwerben, nämlich die Teamfähigkeit, die Planungsfähigkeit, die Zuverlässigkeit, die Fähigkeit zu präsentieren und zu moderieren sowie mehr Selbstbewusstsein. Als Nachteile wird der höhere Zeitaufwand bei der Einführung der Methode erwähnt sowie die Gefahr der Eintönigkeit, wenn der Lehrer keine didaktischen Impulse liefert. Diese Untersuchung wurde vor 14 Jahren durchgeführt und wurde nicht wiederholt.

In der Wissenschaft

  • In der Fachdidaktik als Wissenschaft wurde LdL wenn auch mit zeitlicher Verzögerung ebenfalls aufgenommen. So begründet Eynar Leupold in seinem 2002 erschienenen Standardwerk zur Französischdidaktik den Erfolg des LdL-Konzeptes folgendermaßen: „(…) die Lehrerinnen und Lehrer merken, dass ihre traditionelle Weise des Unterrichtens zu Monotonie, Unruhe und nicht immer befriedigendem Lernerfolg führt. Bei der Suche nach einem alternativen schlüssigen Methodenkonzept sind sie auf Martin gestoßen, dessen Konzept den Vorteil hat, nicht zu ‚alternativ‘ zu sein und ohne besondere Ausbildung umzusetzen ist[21]. Für Nieweler, den Herausgeber des anderen gegenwärtig maßgeblichen Handbuchs zur Französischdidaktik (2006) ist LdL „eine radikale Form der Schüler- und Handlungsorientierung[22].
  • Im Bereich der Pädagogischen Psychologie hat sich A. Renkl mit zentralen Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen befasst und für seine 1997 erschienene Habilitationsschrift den Titel „Lernen durch Lehren“ gewählt (siehe Bibliographie). In dem 2006 veröffentlichten Beitrag „Lernen durch Lehren“ im Handwörterbuch der Pädagogischen Psychologie [23] kommt Renkl zu folgendem Fazit: „In der Literatur finden sich zum Teil sehr euphorische Urteile über Lernen durch Lehren (…). Vor dem Hintergrund empirischer Befundlage sind solche Aussagen jedoch mit Vorsicht zu bewerten. Lernen durch Lehren kann, muss aber nicht zu gutem Lernerfolg führen.“ Und weiter: „Künftige Forschung sollte deshalb vor allem auf die praktisch wie theoretisch äußerst bedeutsame Frage abzielen, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit Lernen durch Lehren zu guten Lernresultaten führt.“ Der Artikel indes stützt sich auf die englischsprachige Literatur aus den achziger Jahren zu kooperativen Techniken, so dass entscheidende Erkenntnisse zu Lernen durch Lehren in diesem Bereich noch nicht vorliegen.
 
Joachim Grzega

Weiterentwicklung des Lernen durch Lehren-Konzeptes

Als Unterrichtsmethode in der Hochschule hat LdL Einzug erst in jüngerer Zeit vor dem Hintergrund der Bachelorisierung aller Studiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses gefunden. Ein Hauptakteur für die Verbreitung und Weiterentwicklung der LdL-Methode sowohl im Schul- als auch im Hochschulbereich ist in Deutschland Joachim Grzega (vgl.Literatur). In Japan wird die Methode Lernen durch Lehren für den universitären Unterricht unter anderem durch Guido Oebel (vgl. Literatur) verbreitet und in Russland durch Alina Rachimova [24].

Hauptartikel: Lernen durch Lehren (Hochschule)

Siehe auch

Wiktionary: lernen – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: lehren – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Alan Gartner, Mary Conway Kohler, Frank Riessman: Children teach children. Learning by teaching. Harper & Row, New York u.a. 1971, ISBN 0-06-013553-0.
  • Rudolf Krüger: Projekt „Lernen durch Lehren“. Schüler als Tutoren von Mitschülern. Klinkhardt, Bad Heilbrunn/Obb. 1975, ISBN 3-7815-0243-0.
  • Jean-Pol Martin: Zum Aufbau didaktischer Teilkompetenzen beim Schüler. Fremdsprachenunterricht auf der lerntheoretischen Basis des Informationsverarbeitungsansatzes. Narr Verlag, Tübingen 1985, ISBN 3-87808-435-8. (zugl. Dissertation, Universität Gießen 1985)
  • Jean-Pol Martin: Vorschlag eines anthropologisch begründeten Curriculums für den Fremdsprachenunterricht. Narr Verlag, Tübingen 1994, ISBN 3-8233-4373-4. (zugl. Habilitations-Schrift, Universität Eichstätt 1992)
  • Roland Graef, Rolf-Dieter Preller (Hrsg.): Lernen durch Lehren. Univ. Eichstätt, Fachdidaktik des Franz., Verl. im Wald, Rimbach 1994, ISBN 3-929208-10-5.
  • Alexander Renkl: Lernen durch Lehren. Zentrale Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen. Dt. Universitätsverlag, Wiesbaden u.a. 1997, ISBN 3-8244-4228-0. (zugl. Habilitations-Schrift, Universität München 1996)
  • Guido Oebel: Lernen durch Lehren (LdL) im DaF-Unterricht. Eine „echte" Alternative zum traditionellen Frontalunterricht. In: Petra Balmus, Guido Oebel u. Rudolf Reinelt (Hrsg.): Herausforderung und Chance. Krisenbewältigung im Fach Deutsch als Fremdsprache in Japan. Iudicium, München 2005, ISBN 3-89129-404-2. (Kongressdokument der DaF-Werkstatt Westjapan, 2003: Beiträge zur DaF-Werkstatt Westjapan, Ryukyu-Universität, Okinawa, Japan, 12.-14. Dezember 2003)
  • Christine Schelhaas: „Lernen durch Lehren“ für einen produktions- und handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht. Ein praktischer Leitfaden mit zahlreichen kreativen Unterrichtsideen und reichhaltiger Materialauswahl. 2., verb. Aufl., Tectum-Verlag, Marburg 2003, ISBN 3-8288-8548-9.
  • Joachim Grzega, Franz Waldherr: Lernen durch Lehren (LdL) in technischen und anderen Fächern an Fachhochschulen. In: Projektseminare für Lehrende in technischen Fächern. Hrsg.: Zentrum für Hochschuldidaktik der bayerischen Fachhochschulen (DiZ), Schriftreihe DiNa, Ausg. 11/2007, ISSN 1612-4537, S. 1-17 (PDF-Datei)
  • Jean-Pol Martin, Guido Oebel: Lernen durch Lehren: Paradigmenwechsel in der Didaktik?, In: Deutschunterricht in Japan, Zeitschrift des Japanischen Lehrerverbandes, Heft 12 / Herbst 2007, ISSN 1342-6575, S. 4–21 (PDF-Datei)
  • Carsten Waychert: Den eigenen Unterricht – und damit die Welt – verbessern. Bericht über die zweite DaF-Werkstatt Westjapan zum Thema: Aus dem unterrichtlichen Tiefschlaf aufwecken – Die Methode „Lernen durch Lehren“ und andere Ansätze zur Aktivierung japanischer Studierender im universitären Fremdsprachenunterricht mit Jean-Pol Martin (Universität Eichstätt) – Eine Veranstaltung westjapanischer Hochschullehrer und des DAAD (Universität Kurume, 27.–29. Oktober 2007). In: Deutschunterricht in Japan, Zeitschrift des Japanischen Lehrerverbandes, Heft 12 / Herbst 2007, ISSN 1342-6575, S. 123–130 (PdF-Datei)

Lernen durch Lehren (LdL)

Einzelnachweise

  1. Andrew Bell: Expériences sur l'éducation faite à l'école des garçons à Madras, 1798
  2. However, despite initial successes, the Lancasterian schools came under a considerable amount of criticism. The standards which they achieved were often poor and the discipline to which children were subjected was harsh, even by contemporary standards.“ In: Joseph Lancaster
  3. Georg Kerschensteiner (1914): Deutsche Schulerziehung in Krieg und Frieden, Leipzig, 1914
  4. Alan Gartner et al.: Children teach children. Learning by teaching, Harper & Row, New York 1971
  5. Rudolf Krüger: Projekt „Lernen durch Lehren“. Schüler als Tutoren von Mitschülern, Klinkhardt, Bad Heilbronn 1975
  6. Wolfgang Steinig: Schüler machen Fremdsprachenunterricht, Tübingen: Narr, 1985
  7. Udo Kettwig: Lernen durch Lehren, ein Plädoyer für lehrendes Lernen. in: Die deutsche Schule, Nr. 4 1986, 474-485
  8. , Theodor F. Klassen: Lernen durch Lehren, das Beispiel der Jenaplanschule Ulmbach, Zeitschrift Pädagogik, Nr. 11 1988, S. 26–29
  9. Ursula Drews (Hrsg.): Themenheft: Schüler als Lehrende. PÄDAGOGIK. 11/49/1997. Beltz-Verlag, Weinheim
  10. Alexander Renkl: Lernen durch Lehren. Zentrale Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen. Deutscher Universitätsverlag: Wiesbaden, 1997
  11. Die Initialzündung lieferte das Buch von Ludger Schiffler: Interaktiver Fremdsprachenunterricht, Stuttgart: Klett, 1980
  12. Jean-Pol Martin:Zum Aufbau didaktischer Teilkompetenzen beim Schüler. Fremdsprachenunterricht auf der lerntheoretischen Basis des Informationsverarbeitungsansatzes, Dissertation. Tübingen: Narr. 1985, Jean-Pol Martin: Für eine Übernahme von Lehrfunktionen durch Schüler. in: Praxis des neusprachlichen Unterrichts. 4/1986. S. 395–403 (PDF). Jean-Pol Martin: Schüler in komplexen Lernumwelten. Vorschlag eines kognitionspsychologisch fundierten Curriculums für den Fremdsprachenunterricht. in: Praxis des neusprachlichen Unterrichts. 3/88. S. 294–302 (PDF). Jean-Pol Martin: Vorschlag eines anthropologisch begründeten Curriculums für den Fremdsprachenunterricht. Habilitation. Tübingen: Narr 1994. Jean-Pol Martin: Das Projekt „Lernen durch Lehren“ – eine vorläufige Bilanz. in: Henrici/Zöfgen (Hrsg.): Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL). Themenschwerpunkt: Innovativ-alternative Methoden. 25. Jahrgang (1996). Tübingen: Narr, S. 70–86 (PDF; 0,2 MB), Jean-Pol Martin (2002): Weltverbesserungskompetenz als Lernziel? in: Pädagogisches Handeln – Wissenschaft und Praxis im Dialog, 6. Jahrgang, 2002, Heft 1, S. 71–76 (PDF), Jean-Pol Martin (2002b): Lernen durch Lehren (LdL). in: Die Schulleitung – Zeitschrift für pädagogische Führung und Fortbildung in Bayern, 4/2002, S. 3–9 (PDF; 70 KB)
  13. Jean-Pol Martin (1989): Kontaktnetz: ein Fortbildungskonzept, in: Eberhard Kleinschmidt, E. (Hrsg.), Fremdsprachenunterricht zwischen Fremdsprachenpolitik und Praxis: Festschrift für Herbert Christ zum 60. Geburtstag, Tübingen. 389–400 (PDF, 62 KB), Roland Graef, Rolf-Dieter Preller (Hrsg.): Lernen durch Lehren. Verl. im Wald, Rimbach 1994, ISBN 3-929208-10-5.
  14. Forschungsmethodologisch lässt sich Martins Zugang in die Aktionsforschung einordnen (vgl: Jean-Pol Martin (1998): Das Projekt 'Lernen durch Lehren' - fachdidaktische Forschung im Spannungsfeld von Theorie und selbsterlebter Praxis. In: Liedtke, M. (Hg.): Gymnasium: neue Formen des Unterrichts und der Erziehung. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S.151-166.
  15. Jean-Pol Martin (2004) in: Treibhäuser der Zukunft - Wie in Deutschland Schulen gelingen. Eine Dokumentation von Reinhard Kahl und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. 1. Aufl., Beltz, Weinheim 2004, ISBN 3-407-85830-2. (3 DVD-Videos)
  16. Eine reduzierte Form der folgenden Übersicht ist zu finden in: Jean-Pol Martin, Guido Oebel (2007): Lernen durch Lehren: Paradigmenwechsel in der Didaktik?, In: Deutschunterricht in Japan, Zeitschrift des Japanischen Lehrerverbandes, Heft 12 / Herbst 2007, ISSN 1342-6575, S. 4–21 (PDF)
  17. Die erste Arbeit wurde im Fach Französisch in Kiel angefertigt: Katharina Appel: Versuche zur Aktivierung von Schülern im Anfangsunterricht Französisch (Obertertia F3). Schriftliche Hausarbeit der pädagogischen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien im Fach Französisch, Seminar Kiel für Gymnasien, September 1985 (PDF, 143 kB); schrittweise wurden bis heute etwa 120 weitere Arbeiten in allen Fächern erstellt, beispielsweise in Sport im Jahre 1992 von Ute Luzay in Erlangen: Lernen durch Lehren im Sportunterricht. Ein Unterrichtsprojekt mit Schülerinnen der 10.Klasse [PDF], in Mathematik im Jahre 1997 von Claus Hilgers: Erprobung der Methode 'Lernen durch Lehren' am Beispiel der Kreismessung im Mathematikunterricht der 10. Jahrgangsstufe (PDF) und im Englischunterricht der Hauptschule im Jahre 2006: Claudia Müller, Regensburg, Lernen durch Lehren oder Wie das eigenverantwortliche und selbstständige Lernen im Englischunterricht der Hauptschule verwirklicht werden kann - aufgezeigt am Beispiel zweier Sequenzen in meiner 5. Klasse.PDF
  18. Margret Ruep(1999): Schule als Lernende Organisation - ein lebendiger Organismus, in: Margret Ruep (Hg.)(1999): Innere Schulentwicklung - Theoretische Grundlagen und praktische Beispiele. Donauwörth: Auer Verlag, S.17-81, insbesondere 32ff.
  19. siehe u.a. ISB Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hg): Lehrplan für die Sechsstufige Realschule (R6).2006
  20. siehe: Martin 1994, 209-213
  21. Eynar Leupold (2002): Französisch Unterrichten. Grundlagen. Methoden. Anregungen. Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung. S. 139
  22. Andreas Nieweler (Hrsg.)(2006): Fachdidaktik Französisch - Tradition|Innovation|Praxis. Stuttgart: Klett, 2006. S.318
  23. Alexander Renkl: Lernen durch Lehren, in: Detlef Rost (Hrsg.)(2006): Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 3.Aufl., Beltz, Weinheim 2006, ISBN 3-8244-4228-0, S.416–420
  24. Alina Rachimova (2007): Multimedia in der Ausbildung. Master Lain, Kasan (Tatarstan/Russland) 2007.

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