Die Forschungsneutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (auch FRM II, Forschungsreaktor München II, benannt nach dem deutschen Kernphysiker Heinz Maier-Leibnitz) in Garching bei München ist mit einer Nennleistung von 20MW der derzeit (2007) leistungsstärkste Deutsche Forschungsreaktor. Der FRM II wird als "Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung", die keiner Fakultät zugeordnet ist, von der Technische Universität München (TUM) betrieben. Die erzeugten Neutronen werden hauptsächlich für die Grundlagenforschung in Physik, Chemie, Biologie und Materialwissenschaft verwendet.

Geschichte
Die Grundsatzentscheidung für den Neubau eines Forschungsreaktors wurde vorbereitet, als in den 1980er Jahren Pläne zum Bau einer nationalen Spallationsneutronenquelle scheiterten. 1981 wurde mit Vorstudien für einen Kompaktkern für eine neue Mittelflussquelle begonnen, ab 1984 standen Projektmittel zur Verfügung. 1989 bis 1992 erfolgte die Begutachtung, zuletzt durch den Wissenschaftsrat, der den Bau des FRM II mit hoher Priorität empfahl.
Die Entscheidung zum Bau des FRM II wurde von verschiedenen Seiten aus verschiedenen Gründen kritisiert. Seit Erteilung der 1. Teilerrichtungsgenehmigung am 29. April 1996 wurde jede einzelne Genehmigung gerichtlich angefochten; alle Einsprüche wurden letztinstanzlich abgewiesen. Ein von Gegnern initiierter Bürgerentscheid, mit dem eine knappe Mehrheit der Garchinger ihre Stadtverwaltung aufforderte, gegen die Inbetriebnahme des Reaktors einzutreten, hatte keine nachhaltige Wirkung. Nach Ausreizen aller gesetzlichen Prüfungsmöglichkeiten musste Bundesumweltminister Jürgen Trittin (der die Bundesaufsicht über das eigentlich für den Vollzug des Atomrechts zuständige Land Bayern ausübte) 2003 letztlich die 3. Teilerrichtungsgenehmigung, die im Wesentlichen aus der Betriebsgenehmigung besteht, abzeichnen.
Neben Sicherheitsbedenken (Austritt von Strahlung oder Kernschmelze) wurde vor allem die besondere Gefährdung durch die Nähe (etwa 10 km) zum Münchner Flughafen genannt. Um dieser Gefährdung zu begegnen, wurde die Reaktorhalle mit einer meterdicken Betondecke gebaut. Nachdem die Bauentscheidung gefallen war, konzentrierte sich die Kritik auf die Verwendung von hochangereichertem und damit im Prinzip atomwaffentauglichen Uran. Die derzeit gültige Betriebsgenehmigung enthält die Auflage, mittelfristig auf einen noch zu entwickelnden Brennstoff umzustellen, der durch noch höhere chemische Urandichte einen niedrigeren nuklearen Anreicherungsgrad ermöglicht.
Der Reaktor wurde von der Siemens AG gebaut und kostete über 400 Millionen Euro. Er wurde am 2. März 2004 erstmals angefahren und erreichte am 24. August 2004 die Nennleistung von 20 MW. Am 21. Oktober wurde er von Siemens an die TU München übergeben; seit April 2005 befindet er sich im Routinebetrieb.
Baulichkeiten
Der Reaktor liegt auf dem Campus der TUM in unmittelbarer Nähe seines Vorgängers, des ersten deutschen Forschungsreaktors FRM-I (in Betrieb 1957-2000). Der unter Denkmalschutz stehende markante Kuppelbau des FRM-I, bekannt geworden als Garchinger Atomei, soll nach Ausbau der nuklearen Anlage und Erteilung der notwendigen Genehmigungen zur zusätzlichen Experimentierhalle für den FRM II umgebaut werden werden.
Baulich besteht der FRM II aus dem Reaktorgebäude, zwei Neutronenleiterhallen und Nebengebäuden mit Büros, Werkstätten und Laboren. Das Reaktorgebäude enthält den eigentlichen Kernreaktor sowie die um diesen herum liegende "Experimentierhalle" mit verschiedenen Einrichtungen, die über Strahlrohre mit Neutronen versorgt werden. Die beiden Leiterhallen werden über Neutronenleiter mit Neutronen versorgt.
Ein zusätzliches Gebäude, das Industrielle Anwenderzentrum (IAZ) auf dem Gelände des FRM II soll die vogesehene industrielle Nutzung voranbringen. Es wird bisher hauptsächlich von der ITM Isotopen Technologien München AG genutzt, die Radiopharmaka herstellt, insbesondere Rhenium-188 basierte Produkte.
Anlagensicherheit
Der FRM II verfügt nach Aussagen des Betreibers über die umfassensten Sicherheitseinrichtungen weltweit. Neben einer ständigen Bewachung und strenger Kontrollen auch der eigenen Mitarbeiter wurde insbesondere Wert auf eine inhärente Sicherheit gelegt: Bedingt durch die Konstruktion des Brennelementes geht die Anlage auch bei lediglich theoretisch denkbaren Störungen aufgrund der physikalischen Gesetze von selbst in einen stabilen Betriebszustand über. Dazu kommen aktive Sicherheitseinrichtungen wie fünf magnetisch an Federn aufgehängte Abschaltstäbe aus Hafnium, die bei Unregelmäßigkeiten im Betrieb sofort in die Nähe des Brennelementes geschossen werden und den Reaktor abschalten (Reaktorschnellabschaltung).
Insbesondere nach dem 11. September 2001 wurden nochmals Berechnungen durchgeführt, die die Sicherheit des FRM II hinsichtlich des Absturzes schneller Militärmaschinen, großer Verkehrsflugzeuge und eines Kerosinbrandes bestätigen. Vor der Erteilung der Betriebsgenehmigung wurde von unabhängigen Gutachtern eine Vielzahl möglicher und auch nur theoretisch denkbarer Unfälle untersucht, so daß die Sicherheit der Anlage letztendlich von der zuständigen Aufsichtsbehörde belegt wurde.
Hinsichtlich der Bedenken bezüglich einer erhöhten Strahlendosis im Umfeld des FRM II ergaben Messungen und Berechnungen für die bewohnte Umgebung eine zusätzliche effektive Strahlendosis, die weniger als 0,01% der Belastung durch natürliche Radioaktivität beträgt.
Kerntechnik und Kühlung
Das Reaktorkonzept folgt Grundideen, die erstmals um 1970 am 55-MW-Hochflussreaktor des Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble umgesetzt wurden. Innovativ ist am FRM II vor allem die Verwendung einer dichteren Uranverbindung. Diese Verbindung war ursprünglich entwickelt worden, um existierende Forschungsreaktoren ohne unverhältnismäßige Leistungseinbußen von hoch- auf niederangereichertes Uran umzustellen. Am FRM II ermöglicht die Kombination einer hohen chemischen Urandichte mit einer hohen nuklearen Anreicherung einen besonders kompakten Reaktorkern und dadurch ein besonders hohes Verhältnis von Neutronenfluss zu thermischer Leistung. Wie alle anderen Hochleistungsforschungsreaktoren wird also auch der FRM II mit HEU (highly enriched uranium) betrieben.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Reaktoren kommt der FRM II daher mit einem einigen Brennelement aus, das nach einer Zykluszeit von derzeit 52 Tagen gewechselt werden muß. Die Brennstoffzone des Elementes ist etwa 70cm hoch und enthält 8kg spaltbares Uran-235. Das Uran liegt als Uransilizit-Aluminium-Dispersionsbrennstoff vor. Im Brennelement sind die 113 jeweils 1,36mm dicken Brennstoffplatten evolventenförmig gekrümmt [1]. Zwischen den in einer Aluminium-Magnesium-Legierung verpackten Brennstoffplatten fließt in 2,2mm breiten Spalten das Kühlmittel. Nach außen hin wird dabei weniger dichter Brennstoff verwendet als im Inneren (Urandichte 1,5g/cm³ statt 3,0g/cm³) um durch höheren Neutronenfluss bedingte thermische Spitzen zu vermeiden.
Das Brennelement ist in einem mit Schwerwasser gefülltem Moderatortank untergebracht. Schweres Wasser zeichnet sich gegenüber normalem Wasser durch eine deutlich geringere Absorption von Neutronen bei nur unwesentlich schlechterem Moderationsverhalten aus. Gekühlt wird das Brennelement mit leichtem Wasser. Bei der zugelassenen Maximalleistung von 20MW erwärmt sich das Kühlwasser damit von 37°C auf maximal 53°C. Geregelt wird der Reaktor mit einem sich im Brennelement befindlichen Regelstab aus Hafnium mit Beryllium-Folger [2].
Die oben beschriebene Anordnung bedingt daß etwa 70% der erzeugten Neutronen die Spaltzone verlassen und so das Maximum des Neutronenflusses nicht im Brennelement selbst sondern außerhalb, 12cm von der Oberfläche des Brennelementes entfernt im Moderatortank, zu finden ist. In diesem Bereich enden einige der Strahlrohre, die damit nicht direkt auf den Kern zeigen sondern an ihm vorbei. Vorteil dieser Technik ist ein besonders reines Spektrum, das nur sehr wenig durch intermediäre und schnelle Neutronen gestört wird. Auch die Gammastrahlung im Strahlrohr wird so deutlich reduziert. Der höchstmögliche Neutronenfluss beträgt hier etwa Neutronen/cm² s, also etwa 800 Billionen Neutronen pro Sekunde und Quadratzentimeter. An den eigentlich Experimentstandorten am Ende der Neutronenleiter beträgt die Flussdichte noch bis zu . Diese Flussdichten sind mit denen des ILL vergleichbar. Im Flussmaximum des Moderatortankes sind auch weitere Elemente untergebracht: Die kalte Quelle liefert besonders kurzwellige Neutronen, die heiße Quelle langwelligere Neutronen. Eine am Rand des Moderatortankes angebrachte, ausfahrbare Konverterplatte erzeugt schnelle Spaltneutronen für die medizinische Bestrahlungseinrichtung (entsprechend einer Temperatur von etwa 10 Milliarden °C) [3].
Der Moderatortank befindet sich im 700m³ fassenden Reaktorbecken, das mit entsalzenem Wasser gefüllt ist. Bedingt durch die umschlossene Bauweise kann so am FRM II von außerhalb des Moderatortanks keine Tscherenkow-Strahlung beobachtet werden.
Kühlung
Der FRM II wird mit drei Kühlkreisläufen betrieben. Das primäre System nutzt das Beckenwasser und verzeichnet einen Durchfluss von etwa 1000m³/Std., also etwa 280l/s, entsprechend einer Geschwindigkeit von 17m/s. Das Sekundärsystem ist ein geschlossener Wasserkreislauf. Das tertiäre System besteht aus Naßkühlaggregaten, hier wird die Wärme an die Atmosphäre abgeführt. Zusätzlich zu den 20MW thermischer Leistung des Kerns sind etwa 4MW Leistung der Betriebskomponenten abzuführen.
Nutzung
Der FRM II ist optimiert für Neutronenstreuexperimente an Strahlrohren und Neutronenleitern. Daneben gibt es Einrichtungen für Materialbestrahlungen, medizinische Bestrahlungen und kernphysikalische Experimente.
Die Experimentiereinrichtungen werden nicht vom FRM II selbst betrieben, sondern von verschiedenen Lehrstühlen der TU München sowie von anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die zu diesem Zweck Außenstellen auf dem Gelände des FRM II unterhalten. Vertretene Institute sind die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Helmholtz-Gesellschaft. Letztere stellt mit dem Jülich Center for Neutron Science des Forschungszentrums Jülich mit über 20 Mitarbeitern die größte solche Außenstelle. Etwa 2/3 der Messzeit jedes Instrumentes stehen Gastwissenschaftlern aus aller Welt zur Verfügung. Insgesamt sind 30% der Kapazität für kommerzielle Nutzung vorgesehen.
Instrumentierung
Kalte Neutronen
Etwa 50% der Experimente am FRM II benötigen kalte Neutronen, d.h. Neutronen mit einer durchschnittlichen Energie von weniger als 5 meV.
Thermische Neutronen
Heiße Neutronen
Spaltneutronen
Quellen
Soweit nicht anders vermerkt:
- TUM, Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz: Spitzenforschung mit Neutronen, 2005
- TUM: Neutrons for industry and medicine, 2000