Zivilcourage
Zivilcourage setzt sich aus den beiden Wörtern zivil (lateinisch civilis, 1. bürgerlich – nicht militärisch, 2. anständig, annehmbar) und courage (französisch „Mut“) zusammen: Was als Mut von Bürgern übersetzt werden kann und vermutlich ursprünglich ausschließlich entsprechendes Auftreten gegenüber nicht-zivilen Autoritäten (Militär, Polizei) meinte.
Entstehung des Begriffs
Nachgewiesen wird Zivilcourage erstmals 1835 in Frankreich als „courage civil“ - Mut des Einzelnen zum eigenen Urteil; und „courage civique“ - staatsbürgerlicher Mut.
Zivilcourage - die beides umfasst - hatte in Deutschland Bismarck als Begriff eingeführt (1847). Beschrieben ist eine Szene, in der Bismarck einem Verwandten vorwarf, ihn in einer Debatte des Preußischen Landtags nicht unterstützt zu haben. Er wird mit den Worten zitiert: „Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt“ (zitiert nach: von Keudell 1901).
Aktuelles Verständnis
Heute wird unter Zivilcourage das Auftreten gegen die schwachen verstanden, mit dem der Einzelne, ohne Rücksicht auf sich selbst, soziale Werte oder die Werte der Allgemeinheit vertritt, von denen er selbst überzeugt ist. Zivilcourage bedeutet sichtbaren Widerstand aus Überzeugung und Maxime.
Nach Gerd Meyer ist Zivilcourage „ein spezifischer Typus sozialen Handelns, das sich in spezifischen Situationen, in unterschiedlichen sozialen Kontexten, und Öffentlichkeiten vollzieht, indem eine Person (seltener eine Gruppe) freiwillig eintritt für die legitimen, primär nicht-materiellen Interessen und die personale Integrität vor allem anderer Personen, aber auch des Handelnden selbst, und sich dabei an humanen und demokratischen Prinzipien orientiert.“ (Gerd Meyer et. al: Zivilcourage lernen.)
In westlich orientierten Gesellschaften zeigt derjenige Zivilcourage, der die Wertorientierungen der jeweiligen Gesellschaften, wie z. B. die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, offen und ohne Rücksicht auf eigene Nachteile vertritt. Dies erfordert Mut, da derjenige, der Zivilcourage zeigt, möglicherweise mit Repressionen seitens von Autoritäten, sogenannte Vertretern der herrschenden Meinung oder seines sozialen Umfelds zu rechnen hat. Eine besondere Form der Zivilcourage sind auch Whistleblower, d.h. Individuen, die Fehlverhalten innerhalb von Institutionen und insbesondere Firmen aufdecken.
Untersuchungen & Analysen
Wissenschaftlich untersucht wurde das Phänomen aus den Perspektiven verschiedener Fachrichtungen. Im deutschsprachigen Raum und aus sozialpsychologischer Perspektive u.a. von der Arbeitsgruppe um Dieter Frey (München), von Veronika Brandstätter (Zürich) oder Kai J. Jonas (Jena). Aus politisch-psychologischer Perspektive u.a. von Gerd Meyer (Tübingen). Darüber hinaus in anderen Fachbereichen Peter Grottian, Bernd Kollek (Gewalt im ÖPNV), Gunnar Heinsohn (über den Bystander-Effekt aus soziologischer Perspektive), sowie Pearl und Samuel Oliner und David Rosenhan (über nichtjüdische Judenretter).
Als Sonderfall der politischen Zivilcourage kann individuelles Verhalten gelten, wenn es ein Gegenmodell zum Machterhalt durch die Parteidisziplin darstellt, wie John F. Kennedy in seinem Profiles in Courage (1956) am Beispiel des politischen Verhaltens von acht Senatoren exemplarisch zeigte.[1]
Zivilcourage kann man lernen
Zivilcourage ist nicht angeboren, sondern kann von jeder/m erlernt werden.
In speziell dafür angebotenen Kursen erlernt der Teilnehmer den bewussten Umgang mit entsprechenden Situationen, die Möglichkeiten und Grenzen, die man persönlich hat, die Vermeidung von Selbst- und Fremdgefährdungen und wie man danach mit der Situation umgeht (Strafanzeige, Zeugenschutz). Bei der Auswahl der Kurse ist es wichtig darauf zu achten, dass die Angebote in Ihrer Wirkung evaluiert sind, da in dem Bereich viele Angebote nur am Rande mit Zivilcourage zu tun haben. Ein Selbstlernen von Zivilcourage ist vermutlich nur schwer möglich, da der Lernerfolg stark auf der Unterschied zwischen Selbst-/Fremdbild und der Selbsterfahrung in den Trainings aufbaut. Dennoch können kritische Lebensereignisse dazu führen, dass Menschen unabhängig von Trainings in der Folge der Ereignisse mehr Zivilcourage zeigen. Evaluierte Trainings werden beispielsweise in dem Band "Zivilcourage trainieren: Theorie und Praxis" (Jonas/Boos/Brandstätter 2006) so beschrieben, dass fachlich kompetente Trainerinnen und Trainer (z.B. Psychologen) diese Trainings selbständig anbieten und durchführen können. Weitere (z.T. nicht evaluierte Trainings) finden sich auch im Band der Bundeszentrale für Politische Bildung "Zivilcourage lernen" (Meyer/ Dovermann/Frech/Gugel, 2004).
Die Polizei hat sechs praktische Regeln für mehr Sicherheit zusammengestellt, die unabhängig von einer Trainingsteilnahme, jeder anwenden kann:
Zitate
- Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben. Dazu brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur suchen wir sie zu wenig. — Sophie Scholl
- Nichts erfordert mehr Mut und Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein! — Kurt Tucholsky
- Das meiste Unrecht beginnt im Kleinen – und da lässt es sich mit Mut und Zivilcourage noch bekämpfen. — Roman Herzog, Mai 1997
- Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit. — Willy Brandt
- Ein Feigling ist ein Mensch, bei dem der Selbsterhaltungstrieb normal funktioniert. (Ambrose Bierce - us-amerikanischer Schriftsteller und Journalist, 1842-1914)
Preise für Zivilcourage
In vielen deutschen Kommunen werden Preise für zivilcouragiertes Verhalten von Bürgern vergeben. Neben kommunalen Trägern existieren einige Vereine, die sich ebenfalls die Auszeichnung von Zivilcourage zur Aufgabe gemacht haben. Allerdings muss im Einzelfall kritisch geprüft werden, ob wirklich Zivilcourage, im Sinne der Definition ausgezeichnet werden soll, oder ein anderes Verhalten, das ebenfalls mit Zivilcourage bezeichnet wird. Neben der Auszeichnung der individuellen Preisträger hat die Preisvergabe den Sinn vorbildhaftes zivilcouragiertes Verhalten öffentlich zu machen, um so andere Bürger zu ähnlichem Verhalten aufzufordern. Ob die Preise diese Funktion erfüllen bleibt fragwürdig, zumal die Preise selbst oft mangels ausreichender Kandidatenvorschläge nicht oder an "fragwürdige" Beispiele (im Sinne der Definition von Zivilcourage) vergeben werden. Besonders problematisch sind Auslobungen von Zivilcourage-Preisen für Kinder und Jugendliche, da deren zivilcouragiertes Verhalten oftmals noch mehr im den Erwachsenen Verborgenen stattfindet.
Whistleblower-Preis
Er wird seit 1999 alle zwei Jahre von deutschen Wissenschaftlern vergeben; 2007 für die Aufdeckung schlimmer Zustände in der Pflege bzw. ungenügend untersuchte Blutspenden. http://www.vdw-ev.de/whistleblower/whistleblower-Preis.html
Literatur
- Dieter Deiseroth: Zivilcourage am Arbeitsplatz - Rechtliche Rahmenbedingungen. In: Hermann Reichold, Albert Löhr, Gerhard Blickle (Hrsg.): Wirtschaftsbürger oder Marktopfer? München 2001.
- Stefan Frohloff: Gesicht zeigen! Handbuch für Zivilcourage. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2001, ISBN 3-593-36807-2
- Wolfgang Heuer: Couragiertes Handeln. Lüneburg 2002.
- Max Hollweg: Es ist unmöglich von dem zu schweigen, was ich erlebt habe: Zivilcourage im Dritten Reich. Mit einem Vorwort von Detlef Garbe. Bielefeld: Mindt, 3. Aufl. 2000, ISBN 3-00-002694-0
- Kai Jonas, Margarete Boos & Veronika Brandstätter (Hrsg.): Zivilcourage trainieren: Theorie und Praxis. Göttingen 2006, ISBN-10: 3801718263
- Ulrich Kühne (Hrsg.): "Mutige Menschen. Frauen und Männer mit Zivilcourage". Vorwort von Ulrich Wickert. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2006. ISBN 3-938045-13-2
- Dieter Lünse, Jörg Rohwedder, Volker Baisch: Zivilcourage. 3. überarb. Auflage, Agenda Verlag, Münster 2001, ISBN 3-929440-72-5
- Gerd Meyer: Lebendige Demokratie. Zivilcourage und Mut im Alltag. Forschungsergebnisse und Praxisperspektiven. Baden-Baden 2004.
- Gerd Meyer, Ulrich Dovermann, Siegfried Frech, Günther Gugel (Hrsg.): Zivilcourage lernen. Analysen - Modelle - Arbeitshilfen. Bundeszentrale für politische Bildung/ Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2004. ISBN 3-89331-537-3
- Gerald Praschl, Marco Hecht: „Ich habe Nein gesagt – Zivilcourage in der DDR“, Kai-Homilius Verlag Berlin, 2002, ISBN 3-89706891-5
- Gedanken über Zivilcourage, herausgegeben 2007 von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung
Siehe auch
Weblinks
- Zivilcourageportal der Universität Zürich
- Zivilcourage lernen. Analysen, Modelle und Arbeitshilfen als pdf-Datei
- Nicht Weggucken, sondern Hinschauen und Zivilcourage zeigen!
- Institut für Friedenspädagogik Tübingen e. V. – Zivilcourage
- Zivilcourage - Zuhören wo andere Wegschauen
- Helmut Jaskolski: Zivilcourage – was ist das?
- Dieter Speck: Zivilcourage
- Thomas Kleine-Brockhoff: Vergewaltigung in der S-Bahn: Fürs Wegsehen gibt es viele Gründe - Eine Replik auf Susanne Gaschke in Die Zeit Nr. 18/1997
- Marcus von Schmude: Wer eingreift, muss sich vorsehen – in Die Zeit Nr. 30/2001
- die sechs Regeln der Polizei
- Loyalität, nicht Zivilcourage wird belohnt
- „alle anders – alle gleich“ – Europäische Jugendkampagne für Vielfalt, Menschenrechte und Partizipation
- Civic Edcuation: Soziales lernen, Demokratie lernen
- Würzburger Bündnis für Zivilcourage - WERDE AKTIV !