Albert Widmann

deutscher SS-Sturmbannführer und Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt
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Albert Widmann (* 8. Juni 1912 in Stuttgart; † nach 1967) war zur Zeit des Nationalsozialismus SS-Sturmbannführer sowie Mitarbeiter und Referatsleiter des Reichssicherheitshauptamtes.

Herkunft und Studium

Der Sohn eines Lokomotivführers studierte Chemie an der Technischen Hochschule Stuttgart und arbeitete anschließend dort als wissenschaftlicher Assistent im Organisch-Pharmazeutischen Institut. Im Jahr 1937 trat er der NSDAP bei. Im September 1938 promovierte Widmann zum Dr.-Ing.

Im Kriminaltechnischen Institut

Zunächst wurde Widmann vom Leiter des Kriminaltechnischen Instituts der Sicherheitspolizei (KTI) im Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) Walter Heeß zur Aufklärung eines Sprengstoffunglücks nach Berlin geholt. Am 1. September 1938 folgte dann seine Einstellung beim KIT als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Fachgebiet Chemie. Ein Jahr später wurde das Reichskriminalhauptamt mitsamt dem KTI im September 1939 ins Reichssicherheitshauptamt integriert. Das KTI wurde als Amt V zu einem Amt des Sicherheitshauptamtes.

Zuletzt war Widmann Referatsleiter des Referates V D 2 (Chemie und Biologie) im KTI. Im Jahr 1939 wurde er Mitglied der SS.

Bei der Aktion T4

Widmann wurde nach eigener Aussage vom Leiter des Reichskriminalpolizeiamtes, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Arthur Nebe, mit der Giftbeschaffung für die Aktion T4, also der planmäßigen Tötung von Geisteskranken und Behinderten, beauftragt, mit der Kanzlei des Führers zusammenzuarbeiten, die intern die Aktion führte und steuerte.

Im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15. September 1967 (Ks. 19/62) heißt es dazu:

„Bereits im Planungsstadium informierte Nebe […] den Angeklagten darüber, dass die Euthanasie beschlossene Sache sei, und dass das KTI hierbei eine beratende Funktion zu übernehmen habe. Die Fragen des Angeklagten, ob Menschen oder Tiere getötet werden sollten, tat Nebe mit dem Hinweis ab, dass weder Menschen noch Tiere, sondern ‚Tiere in Menschengestalt‘ getötet würden. Auf Frage des Angeklagten wies Nebe darauf hin, dass ihn (den Angeklagten) keine Verantwortung treffe und dass das Ganze durch ein Gesetz legalisiert werde. Kurz darauf wurde der Angeklagte zur Kanzlei des Führers bestellt und dort von Brack [Oberdienstleiter Viktor Brack, Leiter des Hauptamtes II der Kanzlei des Führers, d.V.], wahrscheinlich im Beisein von Dr. Hefelmann, von Hegener und Nebe, in das Euthanasieprogramm eingeweiht und um seinen Rat als Chemiker hinsichtlich der in Betracht kommenden Mittel und deren tödliche Dosis angegangen. Zur Debatte standen u.a. Morphium, Scopolamin, Blausäure und CO-Gas. Da sich der Angeklagte früher bereits mit einem Fall von CO-Vergiftung hinsichtlich Wirkung und Nachweisbarkeit eingehend beschäftigt und darüber einen Bericht, der an sämtliche kriminaltechnischen Institute im Reich gehen sollte, verfaßt hatte, schlug er schließlich - möglicherweise nach entsprechenden Versuchen an Tieren im KTI - Brack die Verwendung von reinem CO-Gas zur Tötung der vorgesehenen Geisteskranken vor. Zur praktischen Durchführung riet er, das Gas nachts in die Krankensäle einzuleiten und so die betreffenden Geisteskranken einzuschläfern. Bei einer weiteren Besprechung bei Brack in der Kanzlei des Führers wurde der Angeklagte, was ihm schon Nebe angedeutet hatte, beauftragt aus Tarnungsgründen die Beschaffung und Lieferung des CO-Gasflaschen durch das KTI zu übernehmen, da derartige Bestellungen, ohne dass Argwohn aufkomme, nicht von einer Parteidienststelle, insbesondere nicht von der Kanzlei des Führers, erfolgen könnten. Diese Aufgabe übernahm der Angeklagte […] Er erhielt von den einzelnen Euthanasieanstalten die Bedarfsanforderungen, gab im Namen des KTI den Badischen Anilin- und Soda-Fabriken in Ludwigshafen Bestellungen von CO-Gas in Flaschen auf und leitete die Auftrags- und Lieferungsbestätigungen an […] Dr. Becker, der bei der Kanzlei des Führers beschäftigt war, […] weiter. Dieser sorgte für die Abholung und den Transport der CO-Flaschen in die einzelnen Euthanasieanstalten. Auch die Abrechnung erfolgte pro forma über das KTI, wobei der Angeklagte die Rechnungen abzeichnete.“

„Probevergasung“ im Zuchthaus Brandenburg

Dr. Widmann war auch beteiligt bei einer ersten „Probevergasung“ von Kranken im Januar 1940 im alten Zuchthaus Brandenburg, an der unter anderem die „Euthanasie“-Beauftragten Hitlers, Karl Brandt und Philipp Bouhler, sowie Leonardo Conti, der für Gesundheitsfragen zuständige Staatssekretär des Reichsministeriums des Innern, teilnahmen. Widmann gab die Anweisungen für die mit der Ausführung vorgesehenen Ärzte. Durch ein Guckloch in der Türe zur Gaskammer konnten Wirkung und Dauer des Vergasungsprozesses beobachtet werden.

Von der KTI zur Kanzlei des Führers abgestellt war der Chemiker August Becker. In einer Aussage im Verfahren gegen Werner Heyde, den ärztlichen Leiter der Aktion T4, beschrieb Becker die „Probevergasung“:

„Zu dem Start des ersten Euthanasie-Experiments in der Heilanstalt Brandenburg bei Berlin wurde ich von Brack hinbefohlen. Es war in der ersten Hälfte des Monats Januar 1940, als ich zur Heilanstalt fuhr. Baulichkeiten der Heilanstalt waren extra für diesen Zweck hergerichtet worden. Ein Raum, ähnlich einem Duschraum und mit Platten ausgelegt, in der Größe von etwa drei mal fünf Meter und drei Meter hoch. Ringsherum standen Bänke und am Boden, etwa 10 cm hoch, lief an der Wand entlang ein Wasserleitungsrohr etwa 1“ Ø. In diesem Rohr befanden sich kleine Löcher, aus denen das Kohlenoxydgas strömte. Die Gasflaschen standen außerhalb des Raumes und waren bereits an das Zuführungsrohr angeschlossen. Die Montage der Anlage wurde durch einen Monteur vom SS-Hauptamt Berlin durchgeführt ... An der Eingangstür, die ähnlich einer Luftschutztür konstruiert war, befand sich ein rechteckiges Guckloch, durch das das Verhalten der Delinquenten beobachtet werden konnte.

Bei dieser ersten Vergasung wurden etwa 18 - 20 Personen in diesen 'Duschraum' geführt vom Pflegepersonal. Diese Männer mußten sich in einem Vorraum ausziehen, so dass sie vollkommen nackt waren. Die Türe wurde hinter ihnen verschlossen. Diese Menschen gingen ruhig in den Raum und zeigten keinerlei Anzeichen von Erregung. Dr. Widmann bedient die Gasanlage, durch das Guckloch konnte ich beobachten, dass nach etwa einer Minute die Menschen umkippten und auf Bänken lagen. Es haben sich keinerlei Szenen oder Tumulte abgespielt. Nach weiteren fünf Minuten wurde der Raum entlüftet. Besonders dazu bestimmte SS-Leute holten auf Spezialtragbahren die Toten aus dem Raum und brachten sie an die Verbrennungsöfen.

Wenn ich sage Spezialtragbahren, dann meine ich die für diesen Zweck eigens konstruierten Tragbahren. Diese konnten vorne direkt auf die Verbrennungsöfen aufgesetzt und mittels einer Vorrichtung konnten die Leichen mechanisch in die Öfen befördert werden, ohne dass die Träger mit der Leiche in Berührung kamen. Diese Öfen und die Tragbahren wurden ebenfalls in dem Amt Brack konstruiert. Wer dafür verantwortlich zeichnete, kann ich aber nicht sagen. Der zweite Versuch und die weiteren Vernichtungsmaßnahmen wurden dann von Dr. Eberl alleine und in eigener Zuständigkeit durchgeführt.

In Anschluß an diesen gelungenen Versuch sprach Viktor Brack, der selbstverständlich auch anwesend war und den ich vorhin vergessen habe, einige Worte. Er zeigte sich befriedigt über den Versuch und betonte nochmals, dass diese Aktion nur von den Ärzten durchgeführt werden sollte, nach dem Motto, die Spritze gehört in die Hand des Arztes. Anschließend sprach Professor Dr. Brandt und betonte ebenfalls, dass nur Ärzte diese Vergasungen durchführen sollten. Damit war der Start in Brandenburg als gelungen zu bezeichnen. […]“

Nach diesem „erfolgreichen“ Versuch hatte Widmann die Lieferungen des erforderlichen Kohlenmonoxydgases für die Tötungsanstalten sicherzustellen. Das Gas bezog er von den I.G. Farben.

Albert Widmann war auch als Fachmann für den technischen Betrieb der Tötungsanstalten gefragt. Als aus dem Schornstein der T4-Anstalt Sonnenstein in Pirna 5 m hohe Flammen herausschlugen, konstatierte er: „Was den Schornstein des Krematoriums anging, so habe ich gesagt, dass die hohen Flammen daher rührten, dass zu viele Leichen auf einmal verbrannt worden sein müßten.“

Mit der Verwertung des ausgebrochenen Zahlgoldes der Opfer in den T4-Tötungsanstalten war ebenfalls Widmann befasst: Er ließ dieses einschmelzen, an die DEGUSSA lieferten und führte den Gegenwert der T4-Organisation zu.

Technische Unterstützung der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD

Widmann hatte unter anderem auch mit der Unterstützung der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD zur „Sonderbehandlung“ der potentiellen Gegner; d.h. der Liquidierung der „reichsfeindlichen Elemente“ und aller „rassisch Minderwertigen“, zu tun: Auf der Suche nach „besseren“ Möglichkeiten, Menschen in großer Zahl zu töten, ohne dass es für die Exekutoren zu psychischen Belastungen käme, schlug Nebe Heinrich Himmler vor, Sprengstoff zu verwenden. Er beauftragte Widmann, zu einem Versuch hierzu Sprengstoff sowie zwei Metallschläuche für eine auch ins Auge gefasste Vergiftung mit Autoabgasen nach Russland zu bringen.

In einer Aussage vor dem Untersuchungsrichter I beim Landgericht Düsseldorf am 11. Januar 1960 (UR I 113/59) erklärte Dr. Widmann hierzu:

"Als Nebe zu Beginn des Russlandfeldzuges in Russland war, hat er eines Tages in Berlin angerufen. Er muß mit seinem Vertreter Werner gesprochen haben. Werner hat mich damals zu sich gebeten und mich von dem Anruf Nebes unterrichtet. Er hat mir gesagt, ich sollte auf Befehl Nebes sofort nach Russland kommen. Nebe wisse nicht, was mit den Geisteskranken geschehen sollte, die sich in seinem Bereich befänden. Er könne von seinen Leuten nicht verlangen, diese unheilbar Geisteskranken zu erschießen. Nebe habe von einer Tötung der Geisteskranken durch Sprengstoff und Gas gesprochen.

Werner hat auch davon gesprochen, dass ich Sprengstoff nach Russland mitnehmen sollte. Er hat mir auch die Menge, nämlich 250 kg, angegeben. Die Zahl 250 kg hat Werner von Nebe erhalten. Werner hat auch davon gesprochen, Nebe hätte sich mit der Luftwaffe in Verbindung gesetzt, um zu erfahren, welche Menge benötigt würde, um eine entsprechend Sprengwirkung zu erzielen. Ich bin nach nochmaliger Überlegung nicht ganz sicher, ob schon Werner die Luftwaffe erwähnt hat. Möglicherweise hat Nebe erst mir gegenüber später davon gesprochen. Nach der Unterredung mit Werner habe ich mit Heeß gesprochen, und zwar am Tage danach. Heeß hat angeordnet, dass ich Schmidt mitnehmen solle. Mit Heeß habe ich dann hauptsächlich darüber gesprochen, woher wir den Sprengstoff bekämen. Weder dem KTI noch der Polizei stand eine solche Menge Sprengstoff zur Verfügung. Wir konnten auch nicht von der Wehrmacht Sprengstoff anfordern. Wir haben uns dann geeinigt, dass der Sprengstoff bei der Wasag (Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG) in Berlin gekauft werden sollte. Das ist dann auch geschehen. Ich habe die Menge auf 400 kg erhöht, weil man das bei jeder Sprengung machen muß für den Fall, dass ein Versager auftritt. Es ist mit Heeß auch über die Anwendung von Gas zur Tötung der Geisteskranken gesprochen worden, insbesondere darüber, dass der Transport von CO-Flaschen nach Russland unmöglich sei. Ich nehme an, dass über diese Frage Heeß schon früher einmal mit Nebe gesprochen hatte. Das muß zu der Zeit gewesen sein, als Nebe - wie mir Heeß damals berichtet hatte - in seinem Wagen mit laufenden Motor in der Garage eingenickt ist und beinahe, wenn man seinen Erzählungen glauben konnte, zu Tode gekommen war.

Da der Transport von Gasflaschen nach Russland nicht möglich war, ist mit Heeß besprochen worden, dass die Tötung der Geisteskranken durch Auspuffgase erfolgen solle. Es sind dann zwei Metallschläuche gekauft worden, die ich dann ebenfalls auf meiner Fahrt mitgenommen habe. […]

Wir sind zunächst befehlsgemäß nach Minsk gefahren. Wir kamen dort abends an und ich erinnere mich, noch an demselben Abend mit Nebe zusammengetroffen zu sein. Nebe hat mich kurz darüber orientiert, dass beabsichtigt sei, unheilbar russische Geisteskranke in der Nähe von Minsk in einem Bunker in die Luft zu sprengen. Wer bei dieser Unterredung dabei war, das kann ich nicht sagen.

Am nächsten Tage hat mich Nebe in Minsk in eine Irrenanstalt mitgenommen. […] In der Irrenanstalt sind wir durch zwei oder drei Säle gegangen, kann mich aber nicht erinnern, dass ich dort Kranke gesehen habe. Ich meine die Säle waren leer.

Dieser Besuch in der Anstalt hat an einem Vormittag stattgefunden. Am Nachmittag dieses Tages sind wir dann mit Nebe in einen Wald in der Nähe von Minsk gefahren. Dort befand sich eine freie Stelle mit zwei Unterständen. Diese Unterstände müssen noch von den Russen gebaut gewesen sein. Die Unterstände waren schätzungsweise je 3 x 6 m groß. Als wir kamen, waren die Unterstände noch leer. Wir haben dann die Sprengladungen, die sich in Kisten befanden, und die Leitungen angebracht. Die Kisten mit den Sprengladungen befanden sich in den Unterständen selbst. Dabei haben mitgewirkt Nebe, ich selbst, Schmidt, die Fahrer und einige Leute, die Nebe mitgebracht hatte. Es waren noch zwei oder drei Autos von Nebe dabei. Ich selbst habe auf Anordnung von Nebe aufgepaßt, dass alles gewissenhaft erledigt wurde, dass insbesondere die Leitungen und Zünder in Ordnung waren.

An den Antransport der Geisteskranken habe ich keine Erinnerung mehr. Ich bemerkte, dass wir nur in einem der beiden Unterstände Sprengladungen angebracht haben. Ob sich zu diesem Zeitpunkt die Kranken schon in dem anderen Bunker befunden haben, das weiß ich nicht.

Als die Sprengladungen angebracht und die Leitungen gelegt waren, bin ich mit Schmidt zusammen etwas abseits Richtung Wald gegangen. Nebe hat uns fortgeschickt. Ich nehme an, dass Nebe dann veranlasst hat, die Kranken in den mit Sprengladungen versehenen Unterstand zu bringen. Ich selbst habe nicht gesehen, wie das geschah. Ich kann deshalb auch nicht sagen, wieviel Kranke es gewesen sind. Ich glaube nicht, dass es über zehn gewesen sein können, das ist aber eine reine Vermutung.

Als alles fertig war zur Sprengung, hat Nebe seine Leute absperren lassen und dann befohlen, die Zündmaschine anzuschließen. Wer das getan hat, weiß ich nicht mehr. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, ob ich den ordnungsgemäßen Anschluß der Zündmaschine nachgeprüft habe. Ich kann nicht sagen, wer die Zündmaschine dann bedient hat. Ich selbst habe sie nicht bedient.

Das Dach des Unterstandes war durch die Explosion nur etwas angehoben und dann heruntergefallen. Die Rauchschwaden hatten entweichen können, da sich unterhalb des Daches ringsherum eine Aussparung gefunden hatte.

Leichen oder Leichenteile habe ich nicht gesehen. Ob und was Nebe wegen der Beseitigung der Leichen bzw. Leichenteile veranlasst hat, das kann ich nicht sagen.

Wahrscheinlich sind zum Schluß alle Fahrzeuge miteinander nach Minsk zurückgefahren. Ich glaube nicht, dass Nebe mit mir über das Ergebnis der Sprengung gesprochen hat.

Am nächsten Tage sind Schmidt und ich mit den zwei Fahrzeugen vom RKPA nach Mogilew gefahren, wo wir erst spät abends angekommen sind, da wir eine Panne hatten. Nebe hat mir gesagt, dort würde der weitere Versuch durchgeführt werden, nämlich die Tötung von Geisteskranken durch Abgase.

Den restlichen Sprengstoff hatten wir auf dieser Fahrt noch bei uns. In Minsk hatten 250 kg Verwendung gefunden, wie es auch von Nebe geplant gewesen war.

In Mogilew haben wir uns anweisungsgemäß zu einem Schulgebäude begeben, in dem Leute von Nebe untergebracht waren.

Wenn ich gefragt werde, ob in der Schule sich die Dienststelle des örtlichen Einsatzkommandos befunden hat, so erkläre ich: Das weiß ich nicht. […]

Frage: War Nebe dort in seiner Eigenschaft als Kriminaldirektor tätig?

Antwort: Mit dem Amt hat das nichts zu tun gehabt.

Frage: Was hatte dann Nebe für Aufgaben in Russland?

Antwort: Mir wurde erzählt, Nebe würde Bandenbekämpfung betreiben.

Frage: Was hat die Bandenbekämpfung mit der Tötung von Geisteskranken zu tun?

Antwort: Das ist eine Frage, die ich mir nie überlegt habe. Wenn Nebe, wie er mir gesagt hat, den Auftrag hatte, die Geisteskranken in seinem Bezirk zu töten, so gab es für mich nichts zu fragen. Im Reich wurden ja auch Geisteskranke getötet.

Am anderen Morgen bin ich zusammen mit Nebe in Mogilew in einer Irrenanstalt gewesen. Wir waren dort in einem Behandlungsraum, wo sich ein russischer Arzt und zwei russische Ärztinnen befanden. Mit diesen hatte Nebe offensichtlich auch schon gesprochen, dass Geisteskranke getötet werden sollten. Es war nur noch der Raum auszusuchen, wo das geschehen sollte.

Es ergab sich, dass am geeignetesten hierfür ein Laborraum war, der sich in demselben Gebäude befand wie der Behandlungsraum. […] Nebe hat dann am Nachmittag dieses Tages das Fenster zumauern lassen und zwei Öffnungen für die Gasleitungen aussparen lassen. […] Am nächsten Morgen ist dann die Aktion durchgeführt worden. Nebe war anwesend und in seiner Begleitung befanden sich ein Polizeigeneral und einige SS-Offiziere im Rang etwa vom Untersturmführer bis Hauptsturmführer. Es waren auch ein paar Leute im Range von Scharführern bzw. Mannschaften zugegen und auch einige wenige Polizeibeamte.

Wenn ich gefragt werde, ob der Führer des örtlichen Einsatzkommandos Dr. Bradfisch zugegen war, so erkläre ich: Das weiß ich nicht. Der Name sagt mir nichts.

Als wir kamen, wurde zunächst einer der Schläuche, der sich bei mir im Wagen befunden hatte, angeschlossen. Der Anschluß erfolgte an einem PKW. Ob es einer der von Schmidt und mir mitgebrachten PKW's war, das weiß ich jetzt nicht mehr. In den in der Mauer befindlichen Löchern befanden sich Rohrstücke, auf die man die Schläuche bequem aufstecken konnte.

Nachdem die Kranken sich in dem Labor befanden, wurde auf Anordnung von Nebe der Motor des PKW's laufen gelassen, an welchem der Schlauch angeschlossen war. Nebe ging in das Gebäude hinein, wo man durch ein in der Tür befindliches Glasfenster in das Labor hineinsehen konnte. Nach fünf Minuten ist Nebe herausgekommen und hat gesagt, es sei keine Wirkung festzustellen. Auch nach acht Minuten hatte er keine Wirkung feststellen können und fragte, was nun geschehen solle. Nebe und ich kamen zu der Überzeugung, dass der Wagen zu schwach sei. Daraufhin hat Nebe den zweiten Schlauch an einen Mannschafts-LKW der Ordnungspolizei anschließen lassen. Dann hat es nur noch wenige Minuten gedauert, bis die Leute bewußtlos waren. Man ließ dann noch vielleicht zehn Minuten die beiden Wagen laufen. […]"

Im Urteil vom 15. September 1967 kommt das Landgericht Stuttgart teilweise zu einer anderen Einschätzung und Bewertung der Teilnahme Widmanns an den geschilderten Geschehnissen (s. Weblink)

Entwicklung von vergifteter Munition

Im Frühjahr 1944 begann Widmann mit der Entwicklung von Giftgeschossen. Hieran zeigte besonders die 1943 neu gebildete Amtsgruppe VI S (Sabotage- und Kommandoaktionen) von Otto Skorzeny großes Interesse. In einem Vermerk vom 11. April 1944 über ein Gespräch mit SS-Hauptsturmführer Faulhaber und der Übergabe von 30, der nach Art. 23 der Haager Landkriegsordnung verbotenen Geschosse, beschrieb Widmann die Wirkung so: „Beim Auftreffen des Geschosses auf das Ziel zerplatzt es, reißt große Wunden und verletzt sehr wahrscheinlich eine große Anzahl von Blutgefäßen.“

Das KTI besaß eine Außenstelle im KZ Sachsenhausen, um dort Menschenversuche an Häftlingen vorzunehmen. Zusammen mit Joachim Mrugowsky, dem Obersten Hygieniker beim Reichsarzt-SS, war Widmann an einem Menschenversuch mit den vergifteten Geschossen an fünf zum Tode verurteilten Männern beteiligt. Drei der Opfer starben erst nach zweistündigen Qualen.

Die Wirksamkeit von Widmanns Entwicklung konnte der neue Chef des RSHA, Ernst Kaltenbrunner, Himmler am 18. Mai 1944 mit dem Bemerken melden: „Versuche mit dem Geschoß haben ergeben, dass ein Mensch auch bei leichter Verwundung eingeht“.

Nach dem Krieg

Nach Kriegsende wurde Widmann von der amerikanischen Besatzungsmacht für einige Tage interniert und nahm danach eine Beschäftigung in einer Lackfabrik auf. Er hatte sich bereits zum Chefchemiker emporgearbeitet, als er im Januar 1959 verhaftet wurde. Vor dem Landgericht Düsseldorf wurde er wegen der Herstellung von Giftmunition und der Durchführung von Menschenversuchen im KZ Sachsenhausen angeklagt. Mit Urteil vom Mai 1961 wurde Widmann wegen Beihilfe zum Mord mit fünf Jahren Zuchthaus belegt. Nach einer Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes verurteilte das Landgericht Düsseldorf Widmann am 10. Oktober 1962 nach einem erneuten Verfahren zu drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Im gleichen Jahre erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart Klage wegen der Beteiligung Widmanns an den „Euthanasie“-Morden und den Ermordungen von Kranken in Mogilew und Minsk im August 1944. Widmann wurde deshalb vom Landgericht Stuttgart am 15. September 1967 zu sechs Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Literatur

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