Jörg Friedrich (* 17. August 1944 in Kitzbühel) ist ein deutscher Schriftsteller und Verfasser von Sachbüchern über historische Themen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs und ihrer Aufarbeitung in der Nachkriegszeit. Er hat außerdem in zahlreichen Medienpublikationen das Thema Staats- und Regierungskriminalität behandelt. Ein Ehrendoktorat an der Amsterdamer Universität würdigte seine Forschungen ebenso, wie der Jahrespreis 1995 der Genozid-Stiftung PIOOM an der Universität Leiden zur Erforschung des Völkermordes.
Werke
Erstmals bekannt wurde Jörg Friedrich mit den Büchern Freispruch für die Nazi-Justiz und Die Kalte Amnestie, die die misslungene Entnazifizierung der juristischen Eliten in Deutschland beleuchteten und die strafrechtliche Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in der Bundesrepublik (etwa im Majdanek-Prozess) als mangelhaft kritisierten. Zuvor hatte er im Verlag Olle & Wolter an der deutschen Erstausgabe von Raul Hilbergs Die Vernichtung der europäischen Juden mitgearbeitet und mehrere Rundfunksendungen über und mit Hilberg gemacht.
Freispruch für die Nazi-Justiz (1983)
Dieses Werk aus dem Jahre 1983 gilt als Standardwerk zur (NS-)[[Justiz]. Die Startfrage des Buches lautet: „Stößt man, wenn man immer weitergeht, an eine Grenze, wo Recht aufhört und Verbrechen regiert?“ Es erklärt sich durch ein Zitat aus der überarbeiteten und ergänzten Fassung von Juli 1998 von Seite 642 ff:
- „Aller Mord- und Totschlag, verübt im Schutze der Gesetze zur Wehrkraftzersetzung, Fahnenflucht, Feindbegünstigung, gegen Verdunklungs- und Rundfunkverbrecher, Rassenschänder, Volksschädlinge waren blanker Terror. Seine Waffen, die einschlägigen Paragraphen, ‚waren Unrecht von Anfang an‘.
- Die Rechtsbrecher fühlten sich zeitlebens im Recht, das galt. Als es nicht mehr galt, galt es noch fünfzig Jahre als Rechtfertigung. Das Unrecht deckte seine Diener bis zum Grab, allerdings in neuzeitlicher Auslegung. Der Rechtsstaat machte es wie der Unrechtsstaat und bog sich die Judikatur, wie er sie brauchte. Nach vollbrachter Tat bekennt er ölig Schmach und Schande. Auch dem Bundesgerichtshof ist unwohl in seiner Geschichte, und ihn quält seine Spezialamnesie der Nazi-Justiz. Die ihr angediehenen Rechtsfolgen, heißt es in seinem Urteil vom 16.11.1995, seien ‚insgesamt fehlgeschlagen‘. Mit anderen Worten, es hätten zwei Generationen von Bundesrichtern den Tatbestand der Massenvernichtung verkannt! Denn wenn es der Bundestag nun richtig deutete, sind etwa 400.000 Nicht-Urteile ergangen, lauter niederträchtige Verfolgungshandlungen, davon über 30.000 in Ausrottungsabsicht: ‚Der Volksfeind gehört beseitigt‘, dies Geständnis ist im Tatwerkzeug eingraviert, dem Urteil. Wer sühnen wollte mußte nichts als lesen können. Doch bevor die Strafvereitelung als historischer Fehlschlag erscheint, ist sie akute Versöhnung, Rechtsstaatsgebot und Wohltat. Später, wenn es ihn keinen Kampf um das Recht mehr kostet, trieft der Staat vor Reue.
- Damit zukünftig nichts mehr fehlschlage, wurde der Rechtsbeugungsparagraph schon 1974 novelliert. Der Vorsatz ist nicht länger Tatmerkmal. Das Recht beugt nicht mehr, wer dies will und weiß, sondern wer dies kann und tut. Das allerdings ficht den Unrechtsstaat nicht an. Er hat beizeiten alles Unrecht legalisiert, zumal das justizielle. Der BGH erwähnte sein Fiasko angelegentlich seiner Entscheidung über Justizmörder des SED-Staats. Für sie gilt kraft Rückwirkungsverbot nach Art 103 Grundgesetz unverbrüchlich noch § 244, früheres StGB-Ost, welcher unbedingten Vorsatz zum Falsch-Urteil verlangt und dem Justizbüttel das gleiche Haftungsprivileg wie 1952 ff. bietet. Einige werden, wie früher auch, verurteilt, weil sie despotischer als der Despot verfuhren und dessen Recht im Übereifer beugten. Es fordert Anpassung, und nicht mehr und nicht weniger wird nachgeprüft.“
Das Gesetz des Krieges (1993)
1993 erschien Friedrichs Buch Das Gesetz des Krieges, in dem er sich anhand der Prozessakten des Verfahrens gegen das Oberkommando der Wehrmacht mit der Verantwortung der deutschen Wehrmacht während des Russlandfeldzuges auseinandersetzt. Er zeigt darin, dass die Führung der Wehrmacht über die Massenmorde an Juden in der Sowjetunion sowohl informiert als auch in vielfältiger Weise daran beteiligt war, und zwar nicht nur wegen der Feigheit oder ideologischen Verblendung einzelner Generäle, sondern systematisch, via „Befehlskette“: Die Einsatzgruppen waren der Wehrmacht logistisch angeschlossen und erstatteten ihr routinemäßig Bericht über ihre Tätigkeit. Dabei geht es Friedrich jedoch weniger um den Nachweis als solchen, sondern um die Frage, warum die Wehrmachtsführung diese Morde geduldet und unterstützt hat und warum Generäle, die als Nazi-Hasser bekannt waren, sich in diesem Punkt nicht besser verhielten als jene, die bekennende Nazis waren. Seine Antwort lautet: Es stimme nicht, dass die Militärs vor lauter Rassenwahn den militärischen Nutzen hintangestellt hätten, sondern sie fanden den Judenmord nützlich - jenseits ihrer persönlichen Ideologie. Friedrichs Reflexionen über Genese und Motivation von Kriegsverbrechen weisen dabei über die Wehrmacht und auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus und zeigen unter anderem auch die grundsätzlichen Dilemmata auf, an denen Versuche, den Krieg dem Recht zu unterwerfen, kranken. Das Werk wurde in Rezensionen für inhaltliche Ungenauigkeiten, methodische Schwächen sowie sprachliche und gedankliche Eigenheiten kritisiert. Man solle es besser als einen überbordenden Essay betrachten denn als übliche Geschichtsschreibung, da es weniger die Darstellung und den Nachweis von Tatsachen als deren gedankliche Durchdringung intendiere.
Ende der 1990er Jahre war Friedrich einer der Kritiker der Wehrmachtsausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht.
Der Brand (2002) / Brandstätten... (Bildband, 2003)
Sein folgendes Buch Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945 thematisierte den alliierten Bombenkrieg gegen Deutschland. Nach Friedrichs Meinung waren die Bombenangriffe auf deutsche Städte spätestens seit dem Jahr 1944 ohne einen militärischen Sinn. Sie seien in erster Linie einer menschenverachtenden Militärdoktrin gefolgt. Im Oktober 2003 erschien von ihm der Bildband Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs.
Das Erscheinen von Der Brand löste 2002 eine umfangreiche Debatte aus. Darin wurde Jörg Friedrich u.a.vorgeworfen, er betrachte die Bombenangriffe der Alliierten nicht im Zusammenhang des von Deutschland begonnenen Krieges. Er beschreibe zwar die Details der Bombenangriffe sehr griffig und könne komplizierte technische Aspekte etwa der Zielauswahl oder Zielfindung prägnant und anschaulich schildern. Manches aber gerate ihm überspitzt und salopp, worunter die Zuverlässigkeit leide. So enthalte das Buch auch Irrtümer und Unklarheiten. Zudem würden die dem Bombenkrieg zugrunde liegenden Überlegungen nicht analysiert, die bei den Amerikanern und anfangs auch bei den Engländern keineswegs primär auf das Töten von Zivilisten gerichtet gewesen seien. [1]
Weiter wird ihm vorgeworfen, sein Wissen aus anderen Publikationen entnommen zu haben, ohne sie auszuweisen und zu zitieren. Insbesondere stelle er die Luftangriffe auf Deutschland sprachlich auf dieselbe Stufe wie den Holocaust. Dan Diner ordnet das Buch in eine Tendenz der Enthistorisierung zugunsten einer Anthropologisierung von Leid ein, so dass die Ursache, die zum Leid erst führten, verdrängt werden.[2] Der bedeutende britische Luftkriegshistoriker Richard Overy betonte diesbezüglich allerdings, dass „wenn man als Maßstab die Thesen zum Holocaust anlegt, die diesen Völkermord unter dem Gesichtspunkt der Moderne sehen, also die Abstraktion des Tötens betonen, die Bürokratisierung der Vernichtung, das verwaltungstechnische Planen und Durchführen der Morde, das Beamtenverhalten der Täter hinter ihren Büroschreibtischen, also die Distanz zwischen Täter und Opfer, so findet man all das auch als Charakteristikum des Bombenkrieges“ (Interview in der Jungen Freiheit vom 20. April 2007). Friedrich nannte die Bomberpiloten der Alliierten Einsatzgruppen, Keller, die infolge von Bombardierungen brannten, Krematorien (was als Anklang an Auschwitz u.ä. verstanden werden konnte, vgl. Topf und Söhne) und die Tatsache, dass durch die Bombardierung Deutschlands u.a. auch Bibliotheken in Brand gerieten, Bücherverbrennung. Diese Worte, so die mehrheitlich linke Kritik, bereiteten den kurz darauf unter anderem durch die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag im Februar 2005 geprägten und seitdem von Rechtsextremisten häufig verwendeten Kampfbegriff „Bombenholocaust“ inhaltlich vor. Gleichwohl war Friedrich mit einem kleinen Artikel an der Enzyklopädie des Holocaust beteiligt. Sein dort veröffentlichter Artikel über Babi Yar entspräche jedoch nicht dem damaligen Forschungsstand und wird in Rezensionen als unzureichend bezeichnet.
Einige von Jörg Friedrichs öffentlichen Auftritten nach Erscheinen dieses letzten Buches wurden von heftigen Protesten begleitet.
Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges (2007)
Das jüngste Werk J. Friedrichs mit Veröffentlichung im Oktober 2007 gibt in der ihm ganz eigenen Art der Geschichtsbehandlung und -betrachtung den Blick auf ein politisches Szenario, das so bis dato der Weltöffentlichkeit nahezu verborgen geblieben ist: die Bedeutung des Koreakrieges (1950-1953) als Schwelle zum 3. Weltkrieg.
Nordkorea kann nach Friedrichs Bewertung als vorgeschobenes Battle Field (Schlachtfeld) für einen im eigentlichen Sinne China-Amerika-Krieg (s.a. J. Friedrich im Gespräch auf Deutschlandradio am 22.11.2007) verstanden werden. Amerikas Luftwaffe war Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts atomar bereits hoch aufgerüstet. Um einen Erfolg im Koreakrieg zu erreichen, zeigte es die militärstrategische Bereitschaft, eine Vielzahl von Zielen an Chinas Küstenlinie atomar zu vernichten. Russland besass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Atombombe, verfügte aber noch nicht über umfassende Trägersysteme für einen Gegenschlag und Direktangriff auf Nordamerika. Die Chancen, einen Bodenkrieg der UN-Truppen, die unter der Leitung Nordamerikas standen, gegen eine ca. 500.000 Mann starke rotchinesische Armee zu gewinnen, waren im Koreakrieg aussichtslos. Die konkret ausgearbeiteten Pläne für die flächendeckende Bombadierung Chinas mit atomaren Waffen unter der Regie von US-General Mac Arthur wurden durch die massive diplomatische Intervention der Europäer aus Angst vor einem militärischen Gegenschlag Stalins vereitelt. Die UdSSR belieferte für den Korea-Krieg die Chinesen mit Waffen. Die chinesische Führung war bereit, in Kenntnis der militärischen Pläne Amerikas, seine (Städte-)Bevölkerung zu opfern. J. Friedrich spricht von einer Zahl von schätzungsweise 20-30 Millionen getöteter Chinesen bei einem großangelegten Kernwaffeneinsatz. In Westeuropa befürchtete man, im Gegenzug von russischen Panzerarmeen überrollt zu werden. Die in Europa stationierten US-Streitkräfte hätten sich in diesem Falle hinter die Pyrenäen zurückgezogen und Zentral-/Westeuropa aufgegeben. Ganz Europa aber sass noch der Schrecken des 2. Weltkrieges in den Gliedern. Die Befürchtungen vor einem 3. Weltkrieg, auch aus den Erfahrungen mit dem Abwurf der ersten Atombomben in Japan im August 1945 durch die Amerikaner, und - wie es J. Friedrich nennt - als Folge die Ächtung des weissen Mannes in dem gesamten asiatischen Raum, verrufen als Plünderer, Eroberer, Agressor (Stichwort: 200-300-jähriger Kolonialismus, britisches Empire in Indien u.ä.) - schlagen sich symbolisch in dem Fluss Yalu als Demarkationslinie (Grenzfluss zwischen Volksrepublik China und Nord-Korea) nieder. Auf keinen Fall durften im Korea-Krieg die UN-Truppen diese Grenze in Richtung China überschreiten.
Jörg Friedrichs Werk Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges macht deutlich, mit welch politischem Kalkül die Grossmächte (U.S.A., Sowjetunion und auch China) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Grossteil der Erde zum Schachbrett Ihrer Machtinteressen werden liessen. Mit einer unvorstellbaren Rücksichtslosigkeit war man zur Wahrung des nationalen Prestiges bereit, Unzählige zu opfern - insbesondere der seinerzeitige quasi-Monopolist der neuartigen Waffe, die USA, drohten mit der atomaren Vernichtung von Abermillionen Menschen (wobei die Vergangenheitsform "war" hier ehrlicherweise wohl durch "ist" zu ersetzen wäre - schließlich besteht die Damokles-Schwert-artige Versuchsanordnung des Systems der sogenannten "atomaren Abschreckung" in gegenüber 1950 perfektionierter und noch weit monströserer Form bis zum heutigen Tage fort ! - insofern hat Friedrichs neues Buch auch aktuelle Relevanz und wirft im allgemeinen wenig beachtete Fragen nach der logischen Berechtigung und Rechtfertigung von Staatsterrorismus in Kriegszeiten auf).
Bibliographie
- Freispruch für die Nazi-Justiz, 1982 ISBN 3548265324
- Die Kalte Amnestie, 1984 ISBN 3492115535
- Das Gesetz des Krieges, 1993 ISBN 3492221165
- Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945. Propyläen Verlag, München 2002, 592 S., ISBN 3549071655
- Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs, 2003 ISBN 3549072007
- Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges, Propyläen Verlag, München 10/2007, 496 S., ISBN-13 9783549073384 (ISBN-10: 3-549-07338-0)
Quellen
- ↑ http://www.faz.net/s/Rub1DA1FB848C1E44858CB87A0FE6AD1B68/Doc~EFF5328B1623D4E7FB88A603B75D64DA1~ATpl~Ecommon~Scontent.html
- ↑ Anthropologisierung des Leidens. Interview mit dem Historiker Dan Diner. phase 2 09/2003 [1] (Nadir.org)
Literatur
- Munzinger, Internationales Biographisches Archiv 16/2003 vom 7. April 2003 (cs)
- Blank, Ralf: Jörg Friedrich. Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg. Eine kritische Auseinandersetzung, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), H. 1, S. 175-186.
- Schneider, Wolfgang: Die Schuld des Glücklichen. Der Berliner Historiker Jörg Friedrich, in: Börsenblatt. Wochenmagazin für den deutschen Buchhandel, Heft 47 (2007), S. 24-26
Weblinks
- Vorlage:PND
- Kurzbio von Perlentaucher
- „Strategie von unten“, 11. August 2002 - Alexander Kluge im Gespräch mit Jörg Friedrich über den Luftkrieg
- „Die Heldenschändung. „Churchill ist der größte Kindermörder der Geschichte.“ Wie der deutsche Historiker Jörg Friedrich in London Tabus bricht.“ Tagesspiegel, 3. Februar 2007
- Gespräch mit J. Friedrich: Kurz vor dem dritten Weltkrieg (Untertitel: Der Koreakrieg als Brennpunkt der Geschichte.) im Radiofeuielleton von DeutschlandRadio Kultur zur Neuveröffentlichung von Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges, 22. November 2007
- Rezensionen
zu „Der Brand“:
- "Der Brand" in sehepunkte (Rezension)
- „Der Brand“ auf historicum.net
- „Der Brand“ von Hans-Ulrich Wehler
- Volker Ullrich: „Weltuntergang kann nicht schlimmer sein. Jörg Friedrichs brisantes Buch über den alliierten Bombenkrieg gegen Deutschland“, Die Zeit, Nr. 49, 2002
zu „Brandstätten“:
- „Brandstätten“ auf hsozkult
- „Holocaust und Bombenkrieg sind nicht vergleichbar“, Interview zum Buch mit Julius H. Schoeps, Die Welt, 24. Oktober 2003
zu „Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges“:
- Lesart - DeutschlandRadio Kultur: Meistererzählung über einen vergessenen Krieg., rezensiert von Sönke Neitzel, 18. November 2007
Personendaten | |
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NAME | Friedrich, Jörg |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 17. August 1944 |
GEBURTSORT | Kitzbühel |