Comic in Polen

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ACHTUNG: Dieser Artikel ist nicht enzyklopädisch aufgebaut und eher in erzählerischer Form verfasst.

Noch immer sieht der durchschnittliche Europäer, wenn er an Europa denkt, nur Länder wie Deutschland, Frankreich, England oder Italien. Sein Blick ist immer auf den Westen beschränkt, zu groß scheint der Einfluss der letzten 50 Jahre gewesen zu sein, als die Welt vom Kalten Krieg in zwei Hälften geteilt wurde. An dieser Sichtweise wird wohl auch die EU-Erweiterung so schnell nichts ändern, obwohl die neuen Mitgliedsstaaten teilweise sogar mehr zu bieten haben, als die Alten, und der geographische Mittelpunkt Europas im Osten Litauens liegt, und nicht schon an der Oder.

So ist es auch mit der Neunten Kunst. Wenn man an europäische Comics denkt, dann fallen einem in erster Linie nur Titel aus Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden oder Deutschland ein, höchstens noch aus dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und Spanien, was sicherlich nicht falsch ist, aber nicht nur hier werden Comics produziert. Neben diesen acht Ländern gibt es noch ein weiteres, welches seit Jahrzehnten eigene Werke veröffentlicht und einen lebendigen Comicmarkt besitzt.

Dies ist Polen, das einzige Land des ehemaligen Ostblocks, welches schon seit den späten 1940ern eigene und lizenzierte Comics veröffentlicht. Zwar hatten die sozialistischen Machthaber der damaligen Volksrepublik keinerlei große Sympathien für die Neunte Kunst, doch im Gegensatz zu anderen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang, wie etwa der Sowjetunion oder der ehemaligen Tschechoslowakei, wurden hier Comics nicht als Schund angesehen, sondern als eigene literarische Form betrachtet und neben anderer Belletristik frei verkauft. Zu diesen Comics der Zeit von 1950 bis 1989 gehörten in erster Linie besonders idealistische und politisch engagierte Titel aus polnischer Produktion, wie die heutige Kultserie Kapitan Żbik und bildende Serien, wie Historia Państwa Polskiego (übersetzt Die Geschichte des polnischen Staates).Doch auch andere Comics, die eher auf Action und Spaß hinaus zielten, hatten ihren festen Platz. Zu diesen gehören ausnahmslos Serien wie Tytus, Romek i A'Tomek von Henryk J. Chmielewski (auch als Papcio Chmiel bekannt) für die jüngeren Leser (entfernt vergleichbar mit den Abrafaxen aus der DDR, aber im Aufbau viel freizügiger), die über die Abenteuer einer Bande von zwei Jungen und ihrem Schimpansen handelt und seit 1957 erscheint, Kapitan Klos, eine Serie über einen polnischen Geheimagenten, der als Wehrmachtsoffizier im 2. Weltkrieg Aufträge für die Sowjetische Armee im Dritten Reich erfüllt (übrigens war dies eine der ersten Comicserien zu einer TV-Produktion in Europa), die Funnyserien Kajko i Kokosz und Kajtek i Koko w Kosmosie (übersetzt Kajtek und Koko im Weltraum) vom bekannten Autor Janusz Christa, die in den 1980ern erschien, die Science Fiction geladene Serie Funky Koval von Jacek Rodek, die übrigens als die beste polnische Science Fiction Serie geahndet wird. Und viele andere Reihen, die hier aber den Rahmen sprengen würden.

Besonders aufgefallen sind zu dieser Zeit auch die Comicalben von Tadeusz Baranowski, die mit ausgezeichnetem und surrealistischem Humor sowie gekonntem Witz die Leser verzauberten. Neben diesen und anderen Comicserien wurden auch richtige Fachmagazine an den Kunden gebracht. Zu einem der wichtigsten dieser „kalten“ Zeit gehört das Magazin Relax, das beispielsweise mit den deutschen Comicmagazinen Zack oder dem bereits eingestellten Magic Attack vergleichbar ist.

In Relax wurden neben fachlichen und kompetenten Artikeln und Rezensionen auch zahlreiche Comicstrips von heute namhaften Künstlern veröffentlicht und teils auch extra dafür produziert. So machten zum Beispiel Autoren und Zeichner, wie Grzegorz Rosinski, der später durch die frankobelgische Fantasyserie Thorgal weltweit bekannt wurde und Boguś Polch, dessen Werk Bogowie z Kosmosu (auf Deutsch unter dem Titel Das Ende der Götzen erschienen) in mittlerweile mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt wurde, durch dieses Magazin in Polen eine kleine Karriere.

Neben Relax befanden sich aber auch jede Menge anderer Zeitschriften auf dem Markt, die entweder in Kiosks, am Bahnhof oder im Fachhandel erhältlich waren, wie auch das schlicht benannte Magazin Komiks das neben polnischen Comicstrips auch erstmals ausländische Titel an den Leser brachte.

Als dann endlich, im Jahre 1989 nach vielen politischen Auseinandersetzungen und dem Kriegszustand 1981 die politische Wende einschlug, entwickelte sich ein riesiger Comicboom in Polen. Innerhalb der ersten drei Jahre bildeten sich Dutzende von kleinen und größeren Verlagen, die entweder eigene Reihen produzierten, oder lizenzierte Serien aus dem Ausland veröffentlichten.

Eine besondere und anreizende Neuheit waren zu dieser Zeit amerikanische Actioncomics mit Superhelden, wie Superman, Spider-Man oder den Fantastischen Vier. Das größte Geschäft machte mit solchen Titeln das Publikationshaus TM-Semic, das ausschließlich Comics dieser Art wie Batman, den Punisher oder Robert E. Howards Conan veröffentlichte.

Als ein paar Jahre später die Lust nach Superhelden bei den Lesern zurückging, begann man mit dem Vertrieb anderer europäischer Comics, die man auch schon vorher vereinzelt in Fachmagazinen gesehen hatte. So starteten die Verleger Anfang der 1990er Jahre diverse Serien wie Hergés Tin Tin, XIII, Asterix, Cubitus oder Hugo und die, wahrscheinlich aus „bestimmten“ Gründen, in Polen sehr beliebte Serie Thorgal von van Hamme und Rosinski.

Mitte der 1990er Jahre sah es dann leider nicht mehr so rosig aus. Der Markt hatte sich überhitzt. Viele der frankobelgischen Serien mussten eingestellt werden und eine Menge Verlage durften aus finanziellen Gründen ihre Pforten schließen.

Der polnische Comicmarkt war vollständig „ausgelutscht“. Zwar waren Comics weiterhin gut angesehen, doch kaufen wollte sie so richtig keiner mehr. Um 1995 herum erschienen überwiegend nur noch polnische und einige amerikanische Comics im Handel. Dazu zählten neben heimischen Neuproduktionen, wie Awantura oder Fan auch andern Orts bekannte Titel, wie X-Men, Spawn oder Lobo, die zwar auch nicht mehr das erzielten, wie anfangs, aber trotzdem noch neue Käufer fanden.

Um den Markt wieder „aufzupeppen“ und in Schwung zu bringen starteten in Polen viele Initiativen und Vereine diverse Aktionen, die Nachwuchskünstler fördern und ihnen bessere Chancen geben sollten, sich in der Branche zu etablieren. Jedes Jahr fanden mehrere Comicmessen und Künstlertagungen statt, bei denen nicht nur einheimische, sondern auch ausländische Autoren und Zeichner aus aller Welt zu Gast waren. So wurden zum Beispiel auch renommierte Comicveranstaltungen der sozialistischen Zeit in Łódź und Kraków wieder belebt, die fast schon in Vergessenheit geraten waren und die so eine Zeit lang den polnischen Comic massentauglich machten.In dieser Zeit gründeten sich um 1997 herum auch wieder neue Magazine zum Thema Comics und jede Menge Fanzines von aufstrebenden und begabten Comicfans, wie das sehr erfolgreiche Fanzine AQQ, das zuerst nur mehrfach kopiert per Post verschickt wurde, später aber den Sprung an den Kiosk und den Buchhandel schaffte und mittlerweile seit seiner neuen Publikationsform über 25 Ausgaben erreicht hat. In AQQ werden unter Anderem Comics und Sketches von neuen Künstlern und engagierten Fans gezeigt.

1998 wurde der polnische Comicmarkt endlich Zeuge einer neuen Wende. Mit dem professionell verlegten Fachmagazin Świat Komiksu (übersetzt Die Welt der Comics) kam eine neue aufblühende Zeit ins Land. Das vom Verlag Egmont Polska (einer Schwestergesellschaft des deutschen Ehapa Verlags) verlegte Magazin konnte, durch seine hohe Auflage und eine weite Präsenz, für neue Kunden werben und neue sowie alte Serien, überwiegend aus Frankreich und Belgien, propagieren. Nach zirka einem Jahr zeigten sich schließlich die ersten Erfolge. Die Comics bekamen einen neuen kleinen Boom und immer mehr Buchhändler entdeckten sie als neue Geschäftsidee um mehr Kunden anzulocken! Dies brachte ebenso frischen Wind bei den eigenen Comicschaffenden, was zu noch mehr polnischem Eigenmaterial, meistens in kleinen Auflagen, führte und Neuveröffentlichungen alter Klassiker, wie dem polnischen Comichelden Janosik, dessen Abenteuer in der polnischen Historienwelt zu Hause sind.

Der polnische Comicmarkt hat sich also nach mehreren Tiefs und Hochs wieder etwas stabilisiert. Der Trend liegt aber nicht mehr bei seichten Titeln, wie Superheldenserien oder Funnycomics. Die Leser interessieren sich überwiegend für anspruchsvolle Bände, seien es Comics aus dem eigenen Land, wie 48 Stron (übersetzt 48 Seiten), ein rasanter Comic von Robert Adler und Tobiasz Piątkowski, und anderen europäischen Ländern oder aus den USA. Besonders ausgezeichnete Werke wie Art Spiegelmans Maus oder Frank Millers Sin City und Serien aus den amerikanischen Verlagen Vertigo und Image ernteten großen Zuspruch. Einiges Interesse liegt auch bei Comicumsetzungen von polnischen Filmen und klassischer Buchliteratur. Allen voran die Werke von Meisterliterat und Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz, die da wären Quo Vadis, W Pustyni i w Puszczy (übersetzt In Wüste und Steppe), Ogniem i Mieczem (übersetzt Mit Feuer und Schwert) oder Potop.

Ebenso in Polen eingeflossen ist der Comicstrom aus dem fernen Osten. Japanische Mangas und koreanische Manhwas sind auch hier zu Lande sehr beliebt und konnten in den letzten Jahren eine große Fangemeinde um sich herum aufbauen, was wiederum neue Verlage aus dem Boden schießen ließ, wie den Verlag Japonica Polonica Fantastica, der sehr viele und qualitativ gutüberarbeitete Mangas veröffentlicht.

Comics in Polen sind also mehr als Salon fähig, denn richtig gehasst und verspottet wurden sie nie, nicht einmal zu Zeiten der eisernen Kommune, weshalb Polen ohne Zweifel zu den wichtigsten Comicnationen Europas zählt und zudem eine breite Palette an eigenen und abgeschauten Stilen bietet, obwohl der internationale Ausbruch noch nicht so richtig gelungen ist und Eigenproduktionen außerhalb des polnischen Gebietes eher unbekannt sind.

In Sachen Marktstabilität könnte man Polen mit seinem Nachbarland Deutschland vergleichen, was das Interesse an den jeweiligen Comicarten angeht, und die derzeitige Lage der neueren Eigenproduktionen, obwohl die Preise für Comics überwiegend recht angenehm geblieben sind (Beispiel: ein 200 Seiten Heft kostet ungefähr 18,90 PLN, das sind ungefähr 5 EUR). Die Indieszene jedenfalls ist mit der unseren sehr vergleichbar. Auch in Polen wir mit ähnlichen Mitteln versucht den Comic aufrecht zu halten oder die eigene Szene noch größer zu machen. Dabei zeigt man hohe Qualität, wie beispielsweise die Produkt Crew, ein Künstlerteam, das zwei eigene Magazine veröffentlicht.