Polytechnische Oberschule

allgemeine Schulform im Schulsystem der DDR
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. Januar 2005 um 14:52 Uhr durch Thorbjoern (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Polytechnische Oberschule (POS) war die allgemeine Schulform im Bildungssystem der DDR und umfasste zehn Klassen. Konzeptionell ist sie in etwa mit den integrativen Gesamtschulen vergleichbar, allerdings gab es keine Leistungsdifferenzierung, weder durch Differenzierungskurse, noch in der Form der Binnendifferenzierung.

Die POS entstand Anfang der 1950er Jahre aus dem bis dahin auch in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR noch üblichen System der Volksschule (vergleichbar einer Grundschule) und den weiterführenden Oberschulen. Zunächst umfasste das Regelsystem der POS nur die Klassen eins bis acht. Erst Anfang der 1970er Jahre wurde mit einer nochmals umfassenden Neustrukturierung des Bildungssystems der DDR die Regelschulzeit auf 10 Jahre verlängert, und somit wurden auch die Klassen 9 und 10 in die POS integriert.

Das Stufensystem der POS

Unterstufe

Nach der Einschulung waren die Schüler vier Jahre in der Unterstufe. Neben Deutsch und Mathematik wurde in den Fächern Schulgarten, Werken, Heimatkunde, Zeichnen, Musik und Sport unterrichtet. Als fakultatives Unterrichtsfach wurde (meist in der letzten Stunde) ab der dritten 3. oder 4. Klasse Nadelarbeit angeboten, allerdings nicht überall. Der überwiegende Teil der Fächer wurde durch eine Unterstufenlehrerin (dies waren fast ausschließlich Frauen) abgedeckt. Diese hatten in der DDR eine Fachschulausbildung und unterrichteten auch nur in den Klassen 1 bis 4. Für Sport, Werken, Zeichnen, Schulgarten und Musik konnten aber auch Fachlehrer eingesetzt werden.

Viele Kinder der Unterstufe besuchten nach dem Unterricht den Hort, den es an jeder Schule gab und der die einzige Form der Nachmittagsbetreuung für Schulkinder in der DDR war. Die Kinder wurden telweise im selben Raum betreut, in dem sie vormittags Unterricht hatten, es gab jedoch auch eigenständige Hortanlagen außerhalb der Schulen. Mit der Schule zumeist eng verwoben war die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation Ernst Thälmann, in die die meisten Schüler und Schülerinnen der 1. Klasse eintraten.

Für die Jungen und Mädchen in den Sorbischen Grundschulen kam Deutsch als 1. „Fremdsprache“ in der 1. Klasse hinzu.

Mittelstufe

Die Mittelstufe begann mit der 5. Klasse. Anders als bei der Unterstufe ist aber die Grenze zur Oberstufe mit der Neustrukturierung in den 1970ern fließend.

Der Lehrplan umfasste nun Deutsch, Mathematik, Biologie, Geographie, Geschichte, Kunsterziehung, Musik und Sport. Für alle Schüler verbindlich war Russisch als 1. Fremdsprache. Schulgarten und Heimatkunde gehörten jetzt nicht mehr zum regulären Fächerkanon, dafür wurde Deutsch in die Teilbereiche Rechtschreiben/Grammatik und Literatur differenziert. Ab der 6. Klasse kam als Unterrichtsfach Physik und ab der 7. Klasse Chemie und Staatsbürgerkunde hinzu.

Mit der siebten Klasse konnte eine weitere Fremdsprache gewählt werden. Für den Wechsel zur EOS war diese notwendig, so dass vor allem leistungsstarke Schüler an diesem Unterricht teilnahmen. Aber auch Schüler, die aus Interesse Englisch lernen wollten, konnten an dem fakultativen Unterricht teilnehmen. Allerdings wurde diese Teilnahme für - insbesondere in Russisch - schwache Schüler oft erschwert bzw. unmöglich gemacht. Die meisten Schulen boten als 2. Fremdsprache Englisch an, einige auch Französisch oder sehr selten Spanisch. Selten bestand dieses Angebot aber an ein und der selben Schule gleichzeitig für die Schüler der 7. Klasse. Dies ist zum einen mit einem Mangel an Französischlehrern zu begründen, zum anderen damit, dass die Englischkurse viel beliebter waren. Da aber etwa 15% der Abiturienten Grundkenntnisse in Französisch besitzen sollten, wurden deshalb an den sogenannten „Französisch-Schulen“ keine Englischkurse angeboten. Die Schüler die später das Abitur ablegen wollten, mussten somit Französisch als zweite Fremdsprache lernen oder die Schule wechseln. Die zweite Fremdsprache wurde meist am Nachmittag unterrichtet und litt unter häufigem Unterrichtsausfall, so dass die tatsächlichen Lernerfolge recht bescheiden waren.

Ab der 7. Klasse wurde der Werkunterricht ersetzt durch Produktive Arbeit (PA) und Einführung in die sozialistische Produktion (ESP). Letzteres umfasste auch Technisches Zeichnen (TZ, 7.-9. Klasse) und den in den späten 1980ern hinzugekommenen Informatikunterricht, bei dem Grundkenntnisse in der Basic-Programmierung vermittelt wurden. Für diesen Fächerbereich war - vor allem bis 1968 - auch die Bezeichnung UTP (Unterrichtstag in der Produktion) üblich. Insgesamt nahm dieser Bereich des Unterrichtes jetzt wöchentlich 4 Unterrichtsstunden ein. Dabei wechselte meist der PA-Unterricht mit dem ESP wöchentlich alternierend. Die Gestaltung des PA-Unterrichts variierte je nach den örtlichen Gegebenheiten stark. Er fand in landwirtschaftlichen oder Industrie-Betrieben im Umfeld der Schule statt und konnte eine Fortführung des Werkunterrichts in einer Lehrwerkstatt oder auch ein Einsatz in der realen Produktion sein.

Oberstufe

Der Übergang von der Mittelstufe zur Oberstufe war nach den Schulreformen nach 1968/69 nicht mehr so deutlich. Dennoch wurde der Terminus beibehalten.

In der 8. Klasse kam eine leichte Differenzierung im Schulunterricht hinzu. Die Schüler mussten an Wahlpflichtpfächern teilnehmen, die meist einmal wöchentlich stattfanden. Zur Auswahl nahezu alle ordenlichen Fächer wie Geschichte, Mathematik, Russisch, Chemie baer auch spezielgebiete Literatur und Elektronik; das reale Angebot war aber an vielen Schulen stärker beschränkt, und richtete sich am Personalstand. Obwohl diese Fächer in der Regel von Fachlehrern unterrichtet wurden, waren sie didaktisch meist eher an Arbeits- bzw. Interssengemeinschaften ausgerichtet. Es oblag dem jeweiligen Lehrer (bzw. Direktor) und nicht zuletzt auch der zeitlichen Lage im Stundenplan, in wie weit hier zusätzlich und nicht nur vertiefend Unterrichtet wurde.

Ab der 9. Klasse wurde ab 1978 das Fach Wehrkunde gelehrt. Dieses beinhaltete eine vormilitärische Ausbildung in Form von Unterricht über die Grundlagen der sozialistischen Landesverteidigung, der teilweise von NVA-Offizieren gehalten wurde. Den Abschluss bildete ein zweiwöchiges Wehrlager für die Jungen und ein Zivildienstkurs für die Mädchen und die Jungen, die nicht in das Wehrlager fuhren. Dies war in den ersten Jahren noch die Mehrheit der Jungen, da es noch nicht genug Plätze im Wehrlager gab. In späteren Jahren gehörte schon Mut dazu, sich als Junge gegen das Wehrlager zu entscheiden.

In der 8. Klasse erfolgte für die Mehrheit der Jugendlichen der Wechsel von den Pionieren zur einzigen staatlichen Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ), ebenso wie die staatlich organisierte Jugendweihe mit 14 Jahren.

In der 10. Klasse gab es außerdem das neue Unterrichtsfach Astronomie.

Schulabschluss

Am Ende der 10. Klasse legten die Schüler eine Abschlussprüfung ab. Diese bestand aus drei DDR-weit einheitlichen schriftlichen Prüfungen (Deutsch, Mathematik und Russisch) und zwei bis fünf mündlichen Prüfungen. Wer die Lernziele nicht erreichte oder frühzeitig in das Berufsleben einsteigen wollte, konnte bis in die 1970er Jahre mit dem Abschluss der 8. Klasse ausscheiden, was allerdings die Lehrzeit um ein Jahr verlängerte. Danach war ein Abgang mit dem Zeugnis der 8. (oder einer geringeren) Klasse nur nach mindesten 9 Jahren Schulbesuch möglich.

Der Abschluss der 10. Klasse der POS ist mit dem Realschulabschluss der BRD annähernd gleichwertig, der Abschluss der 8. Klasse mit dem Hauptschulabschluss. Das Niveau in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern war in der DDR höher, jenes in den sprachlichen und geisteswissenschaftlichen Fächern dagegen niedriger.

Schüler, die das Abitur ablegen wollten, wechselten bis 1981 nach der 8. Klasse, danach nach der 10. Klasse an die Erweiterte Oberschule (EOS). Alternativ dazu gab es in der DDR die Berufsausbildung mit Abitur.

Schüler, die eine technische Fachrichtung an einer Fachschule (vergleichbar den Fachhochschulen der Bundesrepublik) oder einer Ingenieurhochschule studieren wollten, wählten häufig diesen Weg. Neben einem vollwertigen Abitur hatte man nach dreijähriger Lehrzeit eine mehr oder weniger intensive Berufsausbildung in einem ausgewählten Beruf. Der Berufspraxis wurde dabei weniger Stellenwert zugemessen als bei einer 'normalen' Lehre, da die Schüler meist nach der Lehrausbildung studierten.

Studenten, die diesen Bildungsweg wählten, hatten zwar mit ihren Erfahrungen in der praktischen Arbeit einen erheblichen Vorteil gegenüber EOS-Schülern, mussten die Abiturfächer Biologie und Chemie für bestimmte naturwissenschaftliche Studienrichtungen jedoch an Volkshochschulen belegen.

Schüler, die an einem Studium im (sozialistischen) Ausland interessiert waren, besuchten die ABF II in Halle. (DDR-Auslandsstudium).

Schüler der Einschulungsjahrgänge 1955-1957 konnten das Abitur nur in Verbindung mit einer Berufsausbildung ablegen.

Noten

In der DDR gab es für die Schüler fünf Notenwerte:

  • 1 = sehr gut
  • 2 = gut
  • 3 = befriedigend
  • 4 = genügend
  • 5 = ungenügend

Auf dem Zeugnis standen neben den Zensuren in den einzelnen Fächern außerdem die so genannten Kopfnoten (Betragen, Ordnung, Fleiß, Mitarbeit und bis 1978 zusätzlich Gesamtverhalten). Weiterhin gab es am Schuljahresende eine ausführliche Beurteilung im Schulzeugnis. Zeugnisse gab es als Halbjahreszeugnis im Februar vor den Winterferien und im Juli zum Schuljahresende vor den Sommerferien. Alle Zeugnisse wurden bis Ende der 1970er Jahre in ein Zeugnisheft im Format A 5 eingetragen, später wurde dieses durch eine Zeugnismappe aus Kunstleder ersetzt. Sie diente jedem Schüler bis zur 10. Klasse zur Aufbewahrung seiner Zeugnisse und verblieb bei ihm – wurde aber öfter für die Zeugnisausgabe eingesammelt.

Ferien

Die Ferientermine waren DDR-weit einheitlich. Das Schuljahr begann am 1. September bzw. ein bis zwei Tage später, wenn dieser auf ein Wochenende fiel. Folgende Ferientermine waren üblich:

  • eine Woche Herbstferien (Mitte Oktober)
  • zwei Wochen Ferien zum Jahreswechsel (Dezember/Januar)
  • drei Wochen Winterferien (Februar)
  • eine Woche Frühjahrsferien (Mai)
  • acht Wochen Sommerferien (Juli-August).

Spezialisierung

Neben den "normalen" Schulen gab es verschiedene so genannte Spezialschulen unterschiedlicher Richtungen. Dies waren vor allem die Russischsonderschulen, die Kinder- und Jugendsportschulen, die Spezialschulen mathematisch-naturwissenschaftlicher Richtung und die Spezialschulen für Musik. Auf diese konnten Schüler kommen, die auf dem entsprechenden Gebiet besonders gute Leistungen zeigten; dies musste an manchen Schulen in einer Aufnahmeprüfung nachgewiesen werden. Ein Platz an einer Spezialschule war auch deshalb begehrt, da diese personell und finanziell besonders gut ausgestattet waren und der Übergang auf eine solche Schule meist vor der 8. bzw. 10. Klasse erfolgte. An den Spezialschulen wurde in den Spezialfächern deutlich intensiver und mit einer erhöhten Stundenzahl unterrichtet.

Die Russischschulen (oder so genannte R- Klassen) begannen mit der 3. Klasse. Von Beginn an, also 2 Jahre vor der "normalen" Schule, und viel intensiver wurde die russische Sprache unterrichtet. Diese Schulen waren relativ weit verbreitet und konnten auch ohne Internat besucht werden. Relativ selten gab es solche Schulen auch für die englische Sprache.
Weiterhin gab es in fast jeder Großstadt eine mathematisch-naturwissenschaftliche Spezialschule, auf die besonders mathematik- oder physikbegabte bzw. -interessierte Schüler kamen.
Im Rahmen der staatlichen Sportförderung kam den Kinder- und Jugendsportschulen mit angeschlossenem Internat eine besondere Bedeutung zu, auf die Kinder nach der 3. Klasse oder je nach Sportart auch später wechselten. Anders als bei den anderen Spezialschulen, war hier ein Rückgang – bei nicht mehr genügender sportlicher Leistung - auf die Heimatschule durchaus normal.
In Berlin, Weimar, Dresden und Halle gab es außerdem noch so genannte Spezialschulen für Musik. Die Schüler sollten direkt auf ein Studium an einer Musikhochschule vorbereitet werden. An diese Schulen wechselten die Schüler mit der 5. Klasse oder je nach Musikinstrument auch später.

Sonstiges

Im DDR-Fernsehen wurden am Vormittag regelmäßig Schulfernsehsendungen ausgestrahlt für die Fächer:

  1. Chemie
  2. ESP ("Einführung in die sozialistische Produktion")
  3. Geschichte
  4. Heimatkunde
  5. Literatur
  6. Physik
  7. Staatsbürgerkunde
  8. Russische (Wir sprechen Russisch - Мы говорим по-русский)
  9. Geographie.

Die Schulfernsehsendungen für Englisch (English for you) wurden dagegen am frühen Nachmittag ausgestrahlt.

 
Dieser Rechner mit dem Aufdruck SR-1 wurde als Schultaschenrechner in der POS benutzt. (Vorderseite, Rückseite)

Nachdem lange Zeit der Rechenschieber und das Tafelwerk als Rechenhilfe benutzt wurden, wurde ab ca. 1984 (beginnend mit den EOS) der Schultaschenrechner SR-1 eingesetzt, der für 123 Mark der DDR erworben werden musste. 1987 fanden die letzten Abschlussprüfungen der 10. Klasse in Mathematik statt, welche ausschließlich mit dem Rechenschieber und Logarithmentafeln bewältigt werden mussten.

Bis zur Wende im Herbst 1989 war der Sonnabend normaler Schultag, jedoch wurde nur verkürzter Unterricht gegeben (bis zur 4. oder 5. Stunde). Der Unterrichtsbeginn variierte je nach Schule zwischen 7:00 und 8:00 Uhr, in Ausnahmefällen (sogenannte nullte Stunde) konnte er jedoch noch früher liegen.