Die Welthandelsorganisation (englisch World Trade Organization, WTO; französisch Organisation mondiale du commerce, OMC) ist eine internationale Organisation mit Sitz in Genf, Schweiz, die sich mit der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen beschäftigt.


dunkelblau: Mitglieder
mittelblau: Beobachter; aktiv in Verhandlungen
hellblau: Beobachter; derzeit keine Verhandlungen
grau: kein offizieller Kontakt zur WTO
Gründung und Ziele
Gegründet wurde die WTO am 15. April 1994 in Marrakesch, Marokko (in Kraft getreten am 1. Januar 1995); sie ist die Dachorganisation der Verträge GATT, GATS und TRIPS. Ziel der WTO ist der Abbau von Handelshemmnissen und somit die Liberalisierung des internationalen Handels mit dem weiterführenden Ziel des internationalen Freihandels. Den Kern dieser Anstrengungen bilden die WTO-Verträge, die durch die wichtigsten Handelsnationen ausgearbeitet und unterzeichnet wurden. Die gegenwärtigen Verträge sind das Resultat der so genannten Uruguay-Runde, in der der GATT-Vertrag überarbeitet wurde. Wirtschaftspolitisch verfolgt die WTO eine liberale Außenhandelspolitik, die mit Deregulierung und Privatisierung einhergeht.
Mitglieder
Die WTO hat zurzeit 151 Mitglieder, unter anderem die USA, Japan, China und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Tonga ist der WTO am 27. Juli 2007 als 151. Mitglied beigetreten.
Europäische Gemeinschaften
Auch die EG ist Mitglied der WTO, und zwar zusätzlich neben ihren einzelnen Mitgliedstaaten. Sie vertritt die im Zuge der gemeinsamen Handelspolitik abgestimmten Interessen aller Mitgliedsstaaten. In der Presse und im allgemeinen Sprachgebrauch wird hingegen häufig die EU als WTO-Mitglied bezeichnet, was juristisch jedoch nicht korrekt ist.[1] Verhandlungsführer ist der Kommissar für den Außenhandel. Allerdings lassen es sich die Länder nicht nehmen, jeweils eigene Diplomaten zu Verhandlungen zu entsenden. Beschlüsse werden bei der WTO üblicherweise im Konsens gefasst. Bei einer Mehrheitsentscheidung übt die EG das Stimmrecht für alle ihre Mitglieder aus, die auch Mitglied der WTO sind. Da dies für alle EG-Mitglieder gilt, hat die EG 27 Stimmen. Die Stimme der EG als selbständiges WTO-Mitglied entfällt in diesem Fall.
Entwicklungsländer
Etwa zwei Drittel der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer. Für sie gelten teilweise gesonderte Vorschriften (z. B. GATT Teil IV zu Handel und Entwicklung), und sie erhalten bei manchen Fragen die Unterstützung des WTO-Sekretariats. Es gibt keine Definition für den Status als Entwicklungsland im WTO-Recht. Die Kategorisierung beruht daher auf einer Erklärung des Staates, die aber von anderen Staaten angezweifelt werden kann. Bei neuen Mitgliedern wird der zukünftige Status während der Beitrittsverhandlungen geklärt. 32 Mitglieder der WTO gelten nach Definition der UNO als Least Developed Countries („Am wenigsten entwickelte Länder“), deren Status nicht aberkannt werden kann.
Die verschiedenen Entwicklungsländer haben häufig sehr unterschiedliche Probleme oder Interessen. Es existieren mittlerweile jedoch verschiedene informelle, sich zum Teil überschneidende Zusammenschlüsse von Entwicklungsländern in der WTO. So zum Beispiel die G90, eine Koalition der Afrikanischen Union (AU), der Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) und der Least Developed Countries (LDC). Die in letzter Zeit wohl bedeutendste Allianz ist die vor der WTO-Ministerkonferenz in Cancún in Mexiko (September 2003) aus der Taufe gehobene Gruppe der Zwanzig, unter der Führung der wirtschaftlich stärksten Entwicklungsländer Volksrepublik China, Indien, Brasilien und Südafrika.
Viele Kritiker der WTO bezweifeln, dass die eingeräumten Sonderrechte ausreichend sind, um Nachteile der Entwicklungsländer gegenüber den Industrieländern auszugleichen. Beispielsweise bietet die WTO zwar Fortbildungsprogramme für die Mitarbeiter von Entwicklungsländern an, aber manche Länder sind nicht einmal in der Lage, genügend Delegierte zu bezahlen, um an allen Verhandlungen teilzunehmen.
Bündnisse
Es gibt verschiedene politische oder (regionale) wirtschaftliche Bündnisse zwischen den WTO-Mitgliedern, die zum Teil lang anhaltend, zum Teil auch kurzfristig oder mit wechselnden Mitgliedern sind. Innerhalb eines Wirtschaftsraumes wie der EU, NAFTA, ASEAN oder Mercosur gelten Sonderregeln für das Meistbegünstigungsprinzip.
Die sogenannte Cairns Group ist ein politisches Bündnis und tritt für Liberalisierungen im Agrarsektor ein. Hierzu zählen 17 Länder aus vier Kontinenten, die unterschiedlich weit entwickelt sind.
Die vier großen Wirtschaftsmächte (EU, Japan, Kanada, USA) werden als The Quad oder Quadrilaterals bezeichnet.
Nahezu universelle Organisation
Die WTO-Mitglieder erwirtschaften mehr als 90 % des Welthandelsvolumens. Wesentliche Nicht-Mitglieder sind ehemalige Staaten der Sowjetunion und mehrere Staaten des Nahen Ostens. Zurzeit gibt es 33 Regierungen mit Beobachterstatus, die (mit Ausnahme des Vatikan) innerhalb von fünf Jahren Beitrittsverhandlungen beginnen müssen. Der Beitritt ist in Art. XII des WTO-Übereinkommens geregelt. Beim Beitritt oder nach bestimmten Übergangsfristen müssen die Bedingungen der einzelnen WTO-Abkommen erfüllt sein. Die Beitrittsbeschlüsse werden von der Ministerkonferenz mit Zweidrittelmehrheit gefasst.
Struktur der WTO
Es gibt drei Hauptorgane der WTO:
- Die Ministerkonferenz als höchstes Organ, die mindestens alle zwei Jahre zusammentritt (Art. IV:1 WTO-Übk),
- Der Allgemeine Rat als ständiges Gremium aller Mitglieder (Art. IV:2 WTO-Übk),
- Das Sekretariat der WTO unter der Leitung eines Generaldirektors (Art. VI WTO-Übk).
Ministerkonferenzen
Das höchste Organ der WTO ist die Ministerkonferenz der Wirtschafts- und Handelsminister, die mindestens alle zwei Jahre tagt. Jedes Mitgliedsland hält eine Stimme. Obwohl mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann, wird grundsätzlich per Konsens entschieden. Abgestimmt wird jedoch etwa über Auslegungen oder Abänderungen von Übereinkommen oder Befreiungen einzelner Mitglieder von Verpflichtungen (Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit der Mitglieder, je nach Gegenstand).
Bei der dritten Ministerkonferenz in Seattle 1999 scheiterten die Verhandlungen, auch kam es zu massiven Protesten und Demonstrationen von Globalisierungskritikern.
Nach der Ministerkonferenz der WTO in Doha/Katar (2001) lief eine neue Welthandelsrunde (die so genannte Doha Development Agenda), die bis zum 31. Dezember 2004 abgeschlossen sein sollte. Zuletzt scheiterte im September 2003 in Cancún/Mexiko die 5. WTO-Ministerkonferenz am Widerstand zahlreicher Entwicklungsländer (G21) gegen die Agenda des „Nordens“ (der EU und der USA). Vor Ort stark vertreten waren auch globalisierungskritische Gruppen und nichtstaatliche Organisationen (NGO). Im Februar 2004 wurden die Verhandlungen auf Beamtenebene wieder aufgenommen und führten zu einer ersten Einigung am 31. Juli 2004, ein Agrar-Rahmenabkommen wurde geschlossen, das jedoch noch zu spezifizieren ist, weshalb bisher nicht klar ist, ob es als Erfolg für Entwicklungsländer, Industrieländer oder die WTO angesehen werden kann.
Die Ministerkonferenz vom 13. bis 18. Dezember 2005 in Hongkong/China endete mit einem Kompromissvorschlag: Agrarexportstützungen sollen demnach in den entwickelten Ländern (v. a. EU, USA, Kanada) bis 2013 abgebaut werden (für Baumwolle bereits bis Ende 2006). Dieser Abbau wurde aber bereits zuvor von der EU beschlossen und diente so als Nebelkerze. Die industriell am wenigsten entwickelten Staaten sollen für 97 % ihrer Produkte bis 2008 einen weitgehend zoll- und quotenfreien Zugang zum Weltmarkt erhalten. Ausgenommen sind, auf Bestreben der USA, Textilprodukte. Das folgende Ministertreffen in Genf begann am 29. Juni 2006 und wurde am 1. Juli ergebnislos abgebrochen. Hauptstreitpunkt zwischen EU und USA einerseits und den in der Gruppe der Zwanzig vertretenen Schwellenländern unter Führung Brasiliens und Indiens anderseits war erneut der Agrarmarkt. Vertreter der USA waren zu keinen weiteren Zugeständnissen zum Abbau von Agrarsubventionen bereit, was eine der zentralen Forderungen der Länder der Gruppe der Zwanzig war.
Allgemeiner Rat, Streitschlichtungsgremium und Gremium für die Überprüfung der Handelspolitik
Die laufenden Geschäfte der Ministerkonferenz werden von drei Organen geregelt: dem Allgemeinen Rat (General Council), dem Streitschlichtungsgremium (Dispute Settlement Body, Art. IV:3 WTO-Übk) und dem Gremium für die Überprüfung der Handelspolitik (Trade Policy Review Body, TPRB, Art. IV:4 WTO-Übk).
- Der Allgemeine Rat ist der höchste Entscheidungsträger der WTO in Genf. Er trifft sich regelmäßig zwischen den Tagungen der Ministerkonferenz, um die Aufgaben der WTO und zusätzlich eigene, ihm selbst übertragene Zuständigkeiten, wahrzunehmen. Seine Repräsentanten kommen aus allen Mitgliedsländern und sind im Allgemeinen Botschafter oder Personen in ähnlichen Positionen. Der Unterschied zu der Ministerkonferenz ist nicht die Zusammensetzung, sondern der Rang der Delegierten.
- Das Streitschlichtungsgremium: Wie der Allgemeine Rat besteht das Streitschlichtungsgremium aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten. Seine Aufgabe ist es, Handelsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten zu klären, wenn in bilateralen Gesprächen keine Einigung erzielt werden konnte. In einem solchen Fall stellt ein Expertengremium fest, ob die angeklagte Partei tatsächlich WTO Regeln verletzt und damit den Handelsinteressen der Klägerpartei schadet. Die Entscheidungen des Gremiums sind bindend. Wenn eine Regel als handelsschädigend eingestuft wird und sie nicht geändert wird, kann die geschädigte Partei Sanktionen gegen die beklagte Partei verhängen oder Entschädigung verlangen.
- Das Gremium für die Überprüfung der Handelspolitik: Der Allgemeine Rat trifft sich auch als Gremium für die Überprüfung der Handelspolitik. Dieses Organ ist ebenfalls offen für alle WTO Mitglieder. Seine Aufgabe ist es, die Handelspolitiken der Mitglieder nach einem festgelegten Verfahren regelmäßig zu überprüfen. Zu diesen Zwecken kann jeweils ein anderer Vorsitzender benannt und andere Verfahrensregeln festgelegt werden. Die Häufigkeit der Überprüfungen der einzelnen Staaten hängt von ihrem Anteil am Welthandel ab.
Unter Leitung des Allgemeinen Rates sind weitere Räte tätig (Art. IV:5 WTO-Übk). Insbesondere sind dies:
- Rat für den Handel mit Waren (GATT-Rat)
- Rat für Handel mit Dienstleistungen (GATS-Rat)
- Rat für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Rat für TRIPS)
Sie überwachen die Einhaltung und Wirkungsweise der einzelnen WTO Abkommen. Den Räten sind thematisch arbeitende Ausschüsse untergeordnet.
Sekretariat und Generaldirektoren
Das Sekretariat der WTO mit seinem ständigen Sitz in Genf hat derzeit 630 reguläre Mitarbeiter, darunter den Generaldirektor als Vorsitzenden. Das Sekretariat führt die Beschlüsse der Ministerkonferenz und des Allgemeinen Rats durch und erstattet regelmäßig der Ministerkonferenz und dem Rat über die laufenden Geschäfte der WTO Bericht. Es hat selbst keine Entscheidungsbefugnis, dies ist den Mitgliedern der WTO vorbehalten. Die Hauptaufgaben des Sekretariats sind:
- Die technische und professionelle Unterstützung von Komitees und Räten
- Die technische Unterstützung der Entwicklungsländer
- Die Beobachtung und Analyse der Entwicklungen des Welthandels
- Die Bereitstellung von Informationen für Medien und Öffentlichkeit
- Die rechtliche Unterstützung bei Streitschlichtungsprozessen
- Die Beratung von Regierungen, die WTO Mitglieder werden wollen
Generaldirektoren
- Peter Sutherland (bis April 1995)
- Renato Ruggiero (1995–1999)
- Mike Moore (1999–2002)
- Supachai Panitchpakdi (2002–2005)
- Pascal Lamy (seit September 2005)
Prinzipien
Alle WTO-Mitglieder haben sich zur Einhaltung einiger Grundregeln bei der Ausgestaltung ihrer Außenhandelsbeziehungen verpflichtet:
- Meistbegünstigung (Nichtdiskriminierung, MFN-Prinzip): Handelsvorteile, die ein WTO-Mitgliedsland einem anderen Land gewährt, muss es allen anderen WTO-Mitgliedsländern auch gewähren (Artikel 1 GATT).
- Inländerbehandlung: Ausländische Waren sowie deren Anbieter dürfen nicht schlechter behandelt werden als inländische; für Dienstleistungen gilt dies nur, sofern die Staaten den Markt für einen Dienstleistungssektor geöffnet haben (Artikel 3 GATT).
- Transparenz: Regelungen und Beschränkungen des Außenhandels müssen veröffentlicht werden (Artikel 10 GATT).
- Verbot der Verschärfung. Die Verschärfung von Handelshemmnissen ist unzulässig.
- Liberalisierung: Abbau von Handelshemmnissen wie Zölle, bestimmten Kontingenten und bürokratischen Hürden.
- Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen. Heimische Produzenten dürfen durch Zölle geschützt werden, aber nicht durch Importquoten oder völligen Ausschluss von Importen (Artikel 11 GATT).
Mit Gründung der WTO und ihrer Vorgängerorganisation geriet das Prinzip der Reziprozität immer mehr in den Hintergrund, nach dem Vorteile auf Gegenseitigkeit gewährt werden.
Rechtliche Aspekte
Die WTO ist ein Instrument, um den weltweiten Handel mit Waren und Dienstleistungen auch in bisher geschützten Bereichen voranzutreiben. Bei Handelsstreitigkeiten kann ein Streitbeilegungsverfahren im Rahmen des Streitbeilegungsgremiums (Dispute Settlement Body, DSB) innerhalb der WTO angestrengt werden. Als Schlichtungsinstanz wird ein Panel eingerichtet. Es setzt sich zusammen aus drei Rechts- bzw. Handelsexperten, deren Länder nicht direkt am Streitfall beteiligt sind. Nach neun Monaten muss von diesem Gremium ein Urteil gefällt werden. Gegen das Urteil kann bei einer zweiten Instanz, dem Appellate Body, Berufung eingelegt werden. Auch hier sind Rechts- und Handelsexperten vertreten. Das Gremium prüft verfahrenstechnische Fragen. Das Urteil der Berufungsinstanz kann nur durch ein einstimmiges Votum aller WTO-Mitglieder annulliert werden. Mit dem Streitbeilegungsverfahren verfügt die WTO als einzige weltweite internationale Organisation über einen effizienten, internen Durchsetzungsmechanismus. Jährlich werden zwischen 20 und 40 Fälle vor den DSB gebracht; von 1995 bis 2004 waren es insgesamt 305 Fälle. Prominentester Fall war bislang der Stahlstreit zwischen den USA und der EU.
Die WTO-Prinzipien könnten durch GATS auch auf die hoheitliche Verwaltung eines Staates Einfluss nehmen: Staatliche Maßnahmen der Daseinsvorsorge können nun nicht mehr nur als reine Verwaltungsangelegenheit betrachtet werden, sondern Regulation in diesem Bereich können den Dienstleistungskonzernen als mögliches Handelshemmnis erscheinen, und somit sind nationale Gesetze vor dem WTO-Schiedsgericht klagbar.
Die WTO-Abkommen berühren nationales und europäisches Recht. Zwar ist das Welthandelsrecht der WTO nach ständiger Rechtsprechung des EuGH in der EU grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar, dennoch hat sich die Europäische Union durch den Beitritt zur WTO verpflichtet, die „Abkommen und die dazugehörigen Rechtsinstrumente (Streitbeilegungsverfahren) anzuerkennen.“[2]
Kritik
Kritische Positionen zur WTO und ihrer Politik werden besonders von Nichtregierungsorganisationen wie Attac oder Greenpeace, kirchlichen Gruppen und Gewerkschaften formuliert.
Die Kritik im Einzelnen:
- Die WTO habe in vielen Entwicklungsländern nicht dafür gesorgt, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. So seien Ziele wie Bekämpfung von Hunger, Bildungszugänge für alle Kinder, Absenken der Kindersterblichkeit und Zugang zu sauberem Trinkwasser nicht erreicht worden.
- Fehlende Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte: Die WTO lasse Menschenrechtsfragen weitgehend außer Acht.
- Keine Rücksichtnahme auf Umweltschutz: Die Einordnung von vielen Umweltschutzmaßnahmen (Beispiele: Reinhaltung der Luft, Tierschutz, Beschränkung der Gentechnik) als Handelshemmnisse reduziere die staatlichen Möglichkeiten, aktiv Naturschutz zu betreiben.
- Zementierung der Vorherrschaft weniger reicher Länder: Scheinbar hätten alle Mitglieder in der WTO gleiche Rechte. De facto bewirkten verschiedene Faktoren jedoch eine große Übermacht der OECD-Staaten gegenüber allen anderen Ländern:
- Finanzstarke Länder sind in flankierenden Organisationen wie IWF und Weltbank stärker vertreten und haben so die Möglichkeit, Ländern, die viele Schulden haben, bestimmte Programme zu diktieren.
- Die WTO verhindert nicht, dass reiche Länder gegen ihre Regeln verstoßen, da arme Länder oft nicht die Möglichkeit haben, Sanktionen (z. B. Zölle) zu verhängen.
- Die Delegationen der reichen Länder bestehen oft aus fünfzig und mehr gut ausgebildeten Mitgliedern, die für die gesamten Verhandlungen am Ort bleiben können, während arme Länder häufig nur ein bis zwei oder gar keine Delegierte entsenden können.
- Von vielen wichtigen Vorbereitungsgesprächen für WTO-Verhandlungen bleiben arme Länder ausgeschlossen.
- Entmachtung der Regierungen gegenüber den großen transnationalen Konzernen: Das Gewicht, welches Weltkonzerne bei den Entscheidungsfindungsprozessen der WTO haben, ist sehr groß. Wirtschaftliche Lobby-Verbände wie die ICC besitzen offenen Zugang zur WTO und haben die Organisation entscheidend mitgeprägt. Demgegenüber stehe, dass nationale – oft demokratisch bekundete Interessen – wie soziale Gerechtigkeit, Arbeitsschutz oder Umweltschutz durch die massiven Beschränkungen der Einflussmöglichkeiten von Regierungen auf die Wirtschaftspolitik nur noch begrenzt durchgesetzt werden könnten.
- Fehlende Möglichkeiten für Entwicklungsländer, eine stabile eigene Industrie aufzubauen: Die reichen Länder konnten während einer langen Phase bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts über hohe Zölle auf Importe (in den USA vor 1945 durchschnittlich nie unter 25 %, oft sogar 40 %) die eigene Industrie erfolgreich auf- und ausbauen. Den armen Ländern, deren Industrialisierung erst später begann, wird durch die WTO eine solche Phase nicht mehr zugestanden.
- Erlaubter Protektionismus durch Subventionen: Da Zölle als Mittel des staatlichen Protektionismus nur noch eingeschränkt eingesetzt werden dürfen, haben sich andere Formen etabliert, die eigenen Produkte im Welthandel zu unterstützen. Reiche Länder fördern den Export ihrer Waren über Subventionen und unterbieten so die einheimischen Waren in armen Ländern. Die WTO unterscheidet verschiedene Arten von Subventionen, von denen nur eine Art („gelbe Box“) beschränkt und langfristig abzubauen ist, während die anderen Formen („grüne Box“, „blaue Box“) erlaubt bleiben. Die meisten Subventionen der „Subventionssupermächte“ USA und EU sind von diesen den nicht eingeschränkten Subventionskategorien zugeordnet.
- Privatisierungen von Institutionen, die dem Gemeinwohl dienen; Unumkehrbarkeit einmal vorgenommener Privatisierungen: Durch den GATS-Bestandteil der WTO-Abkommen sollen Wasser, Strom, Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser für private Investoren geöffnet werden. Nicht geklärt sei dabei, ob die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert werden kann.
- Intransparenz und fehlende Kontrolle der WTO.
Literatur
- Christoph Herrmann/Wolfgang Weiß/Christoph Ohler: Welthandelsrecht. 2. Auflage, Verlag C.H.Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-56067-5.
- Wimmer/Müller: Wirtschaftsrecht. International – Europäisch – National. 1. Auflage, Springer-Verlag, Wien/New York 2007, ISBN 3-211-34037-8.
- Christian Tietje (Hrsg.): Welthandelsorganisation mit WTO-Übereinkommen, GATT 1947/1994, Landwirtschaftsübereinkommen, SPS, TBT, Subventionsübereinkommen, Antidumping-Übereinkommen, GATS, TRIPS, DSU. 3. Aufl., Textausgabe mit Einführung, Beck-Texte im dtv, München 2005, ISBN 978-3-406-53455-3.
- Meinhard Hilf, Stefan Oeter (Hrsg.): WTO-Recht - Rechtsordnung des Welthandels. Nomos, Baden-Baden 2005, ISBN 3-8329-1085-9.
- Hans-Joachim Prieß, Georg M. Berrisch (Hrsg.): WTO-Handbuch. Verlag C.H. Beck, München 2003, ISBN 978-3-406-50174-6.
- Stoll, Schorkopf: WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht. 2002.
- Kai-Oliver Miederer: Der Beitritt zur Welthandelsorganisation und zur Europäischen Union – Ein Vergleich der angewandten Verfahren und Kriterien. Universität Bremen, Bremen 2002.
- Timm Ebner: Streitbeilegung im Welthandelsrecht – Maßnahmen zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten. Mohr Siebeck, Tübingen 2005, ISBN 3-16-148731-1.
- Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) (Hrsg.): Verraten und Verkauft? Entwicklungsländer in der WTO. Bonn 2005.
- Christiane A. Flemisch: Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen. Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit, dargestellt am Beispiel des WTO-Übereinkommens. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-631-39689-9.
- Paolo Farah: L’accession de la Chine à l’Organisation mondiale du commerce: les règles internationales et les barrières culturelles internes in Lettre de l’Antenne franco-chinoise. Janvier 2006, S. 1−12.[3]
- Paolo Farah: Five Years of China’s WTO Membership. EU and US Perspectives about China’s Compliance with Transparency Commitments and the Transitional Review Mechanism. In: Legal Issues of Economic Integration, Kluwer Law International. Volume 33, Number 3, August 2006, S. 263−304.[4]
- Johann Wagner: Direkte Steuern und Welthandelsrecht: Das Verbot ertragsteuerlicher Exportsubventionen im Recht der WTO. Nomos, Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1804-3.
- Simeon Held: Die Haftung der EG für die Verletzung von WTO-Recht. Mohr Siebeck, Tübingen 2006, ISBN 978-3-16-148842-9.
- Matthias Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, C.H. Beck, 4. Auflage, München, ISBN 3-406-51363-8.
- Franz Garnreiter, Die Entwicklungsländer im System von WTO und IWF: Konzerngetriebene Regulierung der Weltwirtschaft. In: ISW - Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e. V. (Hrsg.): ISW-Spezial 20, München April 2007, ISSN 1614-9270.
- Ingo E. Niemann: Das Verhältnis zwischen WTO/TRIPS und WIPO. Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen.,Springer-Verlag, Berlin 2007, ISBN 3540753486.
Siehe auch
Weblinks
Referenzen
- ↑ K. Miederer: Der Beitritt zur Welthandelsorganisation und zur Europäischen Union – Ein Vergleich der angewandten Verfahren und Kriterien. Universität Bremen, Bremen 2002.
- ↑ http://voegb.at/service/downloads/GATS.doc
- ↑ HTML Abstrakt, englisch
- ↑ HTML Abstrakt, englisch