Die Chronische Myeloische Leukämie, nachfolgend CML genannt, ist einer Erkrankung aus der Gruppe der myeloproliferativen Erkrankungen, also Krankheiten die aus einer (genetischen) Störung der im Knochenmark vorzufindenden Zellen resultieren. Zu ihnen zählen u.a. die Thrombozythämie, die Knochenmarkfibrose (Sklerose) und die Polycythämia Vera.
Ätiologie & Häufigkeit
Der Defekt, der all diesen Krankheiten gemein ist, befindet sich auf Stammzell-Ebene. Nach Eintritt einer genetischen Veränderung in einer sog. pluripotenten Stammzelle (einer Zelle, aus der später viele verschiedene funktionale Zellen reifen können) entstehen im Falle der CML "monoklonale" Zellen, also Zellen die vom gleichen Klon abstammen. Die genetische Veränderung (reverse Translokation, siehe unten) der CML ist das sog. "Philadelphia-Chromosom". Dieser Defekt lässt sich bei ca. 90% aller an CML erkrankten Personen nachweisen. Es resultiert eine unkontrollierte Proliferation von sog. granulomatösen Zellen, also Zellen wie etwa den Neutrophilen, Eosinophilen oder Basophilen Granulozyten; alles Zellen die im Dienste der körpereigenen Abwehr stehen.
Inzidenz: ca 1/100.000 Einwohnern pro Jahr. Altergipfel ist das mittlere Lebensalter.
Pathogenese
Wie bereits erwähnt, lässt sich bei den meisten CMLs eine besondere Veränderung des Genoms lokalisieren. Es betrifft eine sog. reverse Transkription der Chromosomen 22 und 9. Dieses, nach dem Ort seiner Entdeckung benannte Philadelphia-Chromosom entsteht folgendermaßen:
Auf den beiden q-Armen der Chromosomen befinden sich je ein Protoonkogen. Dies ist ein Gen, das prinzipiell in der Lage wäre, eine Krebserkankung zu verursachen, dafür jedoch "aktiviert" werden müsste. Auf 22q befindet sich das bcr-Gen und auf 9q liegt das abl-Gen. Die Translokation entfernt 22q (bcr) und steckt es an 9q (abl) dran. Es entsteht ein "bcr-abl-Fusionsgen", das nun ein Onkogen ist. (bcr: breakpoint cluster region). Das neue Chromosom ist transkriptionsfähig, d.h. es kann seinen Bauplan mühelos über die RNA den proteinherstellenden Ribosomen später mitteilen. Hier liegt die Ursache der fatalen Entwicklung:
Das Philadelphia-Chromosom kodiert für eine proliferationsstimulierende (=wachsstumsstimulierende) Proteinkinase. In diesem Fall ist es eine Tyrosinkinase. Im Laufe der Jahre überwiegt jedoch der Anteil der von dieser mutierten Tyrosinkinase zum Wachstum angeregten Zellen, die Krankeit verursacht klinische Symptome
Klinische Symptome
Die CML durchläuft drei Phasen:
a) Chronische Initialphase Zwar sind die Patienten weitgehend asymptomatisch, jedoch tritt eine Splenomegalie (Milzvergrößerung) sowie eine Leukozytose (Vermehrung der weißen Blutzellen) und Nachtschweiß sowie Fieber auf.
b) Akzelerationsphase Für ein paar Monate wird hier neben ausgeprägter B-Symptomatik (Nachtschweiß, Fieber, Gewichtsverlust) eine Anämie (Blutarmut) sowie eine Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) mit 15-30% Blastenanteil im Knochenmark diagnostiziert. Der Grund hierfür ist, das sich die "neuen", mutierten Zellen im Knochenmark ausbreiten und die anderen zellbildenden Prozesse stören. Im weiteren Verlauf treten Knochenschmerzen auf.
c) Blastenschub Der sog. Blastenschub (hoher Anteil von frühreifen Knochenmarkszellen) ist die Endphase der CML und zeigt sich durch myeloische sowie auch lymphatische und erythroide Vorläuferzellen im Blut. Im Blutbild sind mehr als 30% Blasten zu finden. Dieser Schub kann teilweise therapeutisch schlecht eingegrenzt werden. Die mittlere Überlebenszeit beträgt meist nur 4-5 Monate.
Diagnostik
a) Knochemark: Es finden sich quantitative und qualitative Veränderungen mit manchmal ungewöhnlich kleinen Megakaryozyten sowie eine Hyperplasie der Myelopoese.
b) Zytochemie: Die alkalische Leukozytenphosphatase (ALP) ist meist erniedrigt
c) Molekulargenetik: In 90% Nachweis des Philadelphia-Chromosoms. Ein Fehlen dieses Chromosoms ist diagnostisch ungünstiger! Ein Vorliegen, insb. des Bcr-Abl-Chrom. beweist eine CML. Manchmal wird das Philadelphia-Chromosom auch bei Akuten Lymphatischen Leukämien gefunden.
d) Blutbild: Blastennachweis, Neutrophilie, Thrombozytose (Thromboserisiko!) mit ausgeprägter Eosino- und Basophilie. Unter allen Leukämieformen hat die CML die höchsten Leukozytenzahlen ( bis zu 510 x 1.000.000.000 pro Liter!). Diese Tatsache erklärt die Begleiterscheinungen einer Venenthrombose der Netzthaut oder einem Infarkt der Milz.
Therapie
Sind die Patienten unter 55 Jahren, so ist eine allogene Knochenmarkstransplantation ratsam (= Transplantation von z.B. Geschwistern, unverwandten Spendern). Eine Transplantation in der chronischen Phase ist günstiger. Medikamente: Hydroxyurea und Interferon-Alpha.
Hydroxyurea (Hyrdoxycarbamid) ist ein Zytostatikum, das schon seit langem auf dem Markt ist. Es hemmt die Umwandlung der Ribonucleotiden in Desoxyribonucleotiden (RNA –> DNA) und ist auch bei den anderen oben gennannten myeloproliferativen Erkrankungen wirksam.
Interferone gehören zu den Cytokinen. Das sind interzelluläre Botenstoffe. Inf-Alpha wird z.B. von Leukozyten ausgeschüttet. Es wirkt nicht nur anti-viral, sondern im Falle der CML auch anti-proliferativ.
2/3 erreichen eine Remission mit Normalisierung des Blutbildes. 1/3 erreicht eine zytogenetische Remission mit Verschwinden des Philadelphia-Chromosoms. Mögliche weitere Maßnahmen: Leukozytenapherese sowie Substitution von Erythrozyten und Thrombozyten. Seit Anfang 2004 ist ein neuartiges, gut wirksames Präparat mit dem Wirkstoff Glivec ("Imatinib") auf dem Markt. Es behindert die Phosphatübertragung in der Nukleotid-Tasche der Bcr-Abl-Tyrosinkinase indem es die ATP-Bindungstelle blockiert.
Prognose
† innerhalb von 5 Jahren, nach Behandlung mit Interferon-Alpha ist die 5-Jahres-Überlebensrate bei 60%, eine Heilung ist meist nicht zu erreichen. Nach Knochemarktransplantation liegt die Überlebensrate bei 50-70%. Studien zur Lebenszeitverlängerung bei Anwendung von Glivec stehen noch aus und werden in den nächsten Jahren erwartet. Die Anwendung wird von Klinikern jedoch als vielversprechend angesehen.