Higgs-Mechanismus
Der Higgs-Mechanismus, nach Peter Higgs benannt, ist Teil des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Er bietet eine Erklärung für die Beobachtung massiver Austauschteilchen, die in einer Eichtheorie wie dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik zunächst nicht möglich scheinen.
In der relativistischen Quantenfeldtheorie versteht man unter Higgsmechanismus meist die Erzeugung der Massen der Wechselwirkungsteilchen in Eichtheorien durch spontane Brechung der Eichsymmetrie. Higgs und die anderen Entwickler dieses Mechanismus untersuchten dabei vor allem den Fall nicht-abelscher Symmetriegruppen, wie bei der schwachen Wechselwirkung.
Ein derartiger Mechanismus für die einfacheren abelsche Eichsymmetrien, wie bei der elektromagnetischen Wechselwirkung, wurde ursprünglich in der Festkörperphysik vorgeschlagen, um zu erklären, wie die Magnetfelder aus supraleitenden Metallen herausgedrängt werden (Meissner-Ochsenfeld-Effekt). Die endliche Eindringtiefe des Magnetfeldes kann so interpretiert werden, als habe dieses Feld durch die Supraleitung eine effektive Masse bekommen, entsprechend der Beziehung , wobei h das Plancksche Wirkungsquantum und c die Lichtgeschwindigkeit ist. Die 1950 veröffentlichte Ginzburg-Landau-Theorie der Supraleitung ist eine phänomenologische Theorie, die u.a. besagten Effekt erklärt und für die Übersetzung in die Hochenergie besonders geeignet ist.
Motivation
Experimentell werden bei Teilchen, durch deren Austausch eine Kraft beschrieben wird, so genannten Eichbosonen, häufig nicht-verschwindende Massen gemessen (z. B. die sog. W-Bosonen und Z-Bosonen in der Elektroschwachen Wechselwirkung). Die Massen der Eichbosonen (es handelt sich i.a. um ziemlich hohe Werte) sorgen unter anderem dafür, dass Teilchen, die nach der schwachen Wechselwirkung zerfallen, vergleichsweise lange Lebensdauern haben. Daher muss man in die Bewegungsgleichungen für diese Teilchen Massenterme einfügen. Da die Eichfelder, mit denen die Eichbosonen beschrieben werden, sich unter den so genannten Eichtransformationen ändern (es handelt sich dabei um lokale Symmetrien), kann man einen solchen Term nicht ohne weiteres in die Bewegungsgleichung schreiben, da die Bewegungsgleichung sich dann bei Eichtransformationen verändern würde.
Die Eigenschaften der Grundkräfte beruhen jedoch darauf, dass die Bewegungsgleichungen sich bei Eichtransformationen nicht ändern. Das bezeichnet man als „Eichkovarianz“ der Bewegungsgleichung. Massenterme für die Eichfelder würden also das Kraftgesetz zerstören.
Spontane Symmetriebrechung
Man verwendet daher das Prinzip der so genannten spontanen Symmetriebrechung, um einerseits das Kraftgesetz zu erhalten und andererseits den Eichbosonen Masse zu geben. Dazu führt man ein zusätzliches Feld ein, nämlich das sogenannte Higgs-Feld. Dieses Feld wechselwirkt mit allen anderen Feldern und mit sich selbst, und zwar so, dass dadurch die Eichbosonen Masse erhalten.
Im Falle der Brechung globaler Symmetrien hat die spontane Symmetriebrechung nach dem Goldstone-Theorem die Existenz masseloser Goldstonebosonen zur Folge. Das Goldstone-Theorem lässt sich jedoch nur auf globale Symmetrien anwenden.
Die Brechung lokaler Symmetrien wird mit dem Higgs-Mechanismus beschrieben, bei dem Goldstone-Bosonen nicht in Erscheinung treten. Stattdessen werden die Goldstone-Moden des Higgsfeldes zu longitudinalen Polarisationsfreiheitsgraden der nun massiven Eichfelder (in der Quantenelektrodynamik (QED) hat zum Beispiel das Photon als masseloses Spin-1 Feld bei einer ungebrochenen Eichsymmetrie nur zwei transversale Polarisationsfreiheitsgrade).
Higgs-Potential
In der Lagrange-Dichte lautet der Term für das Higgs-Potential
Dabei ist das Higgs-Feld, und sind positive reelle Zahlen und ist die kovariante Ableitung, wobei die die Generatoren der Eichgruppe sind und die Eichfelder, die durch den Mechanismus eine Masse erhalten sollen.
An dieser Lagrange-Dichte ist noch nicht erkennbar, wie die Massen der Eichfelder zustande kommen. Dazu ist eine gesonderte Betrachtung des Potentials hilfreich
Dieses Potential beschreibt für ein reelles Feld mit einer Komponente eine w-förmige Parabel vierter Ordnung. Da jedoch in allen Anwendungen komplex ist, kann man es sich dreidimensional als Rotationsfigur dieser Parabel vorstellen, deren Form mit dem Boden einer Sektflasche vergleichbar ist (man spricht auch von Mexikanerhut-Potentialen). Wenn mehr als eine komplexe Komponente hat, kann man sich die Form des Potentials nicht mehr so einfach anschaulich machen.
Seine wichtigste Eigenschaft ist jedoch immer gleich: Es hat mindestens einen zweidimensionaler Kreis solcher Minima, die nicht bei Null liegen. Die Minima des Potentials sind der günstigste Energiezustand für das Feld, weil es dort die niedrigste Energie hat. Man bezeichnet diesen Zustand als Grundzustand. Das Higgs-Feld hat jedoch viele Grundzustände, weil das Potential viele Minima mit gleicher Energie hat. Man spricht deshalb von einem „entarteten Grundzustand“.
Der Betrag von im Grundzustand ist der sogenannte Vakuumerwartungswert
der sich durch Berechnen der Extremstellen des Potentials ergibt. Man kann nun das Higgs-Feld so definieren, dass so viele Komponenten, wie man Eichfelder hat, denen man Masse geben will, von einer Nullstelle ausgehend die Nullstellenmenge nicht verlassen. Bei einem einkomponentigen komplexen Feld, bei dem man sich das Potential als unteren Teil einer Sektflasche vorstellen kann, ist diese Komponente also eine Winkelkomponente, so dass man für jeden Wert in dieser Komponente an einer anderen Stelle das Minimakreises herauskommt. Diese Komponenten ändern die Energie des Higgs-Feldes nicht. Darum kann man sie weglassen, da sie keine Auswirkungen auf die Physik haben.
Die verbleibenden Komponenten ändern dann die Energie. Sie können also nicht weggelassen werden. Sie können vielmehr als Teilchenfelder aufgefasst werden, die Higgs-Bosonen genannt werden. Der Vakuumerwartungswert gibt mit den Eichfeld-Termen aus den kovarianten Ableitungen die Massenterme für die Eichfelder. Da bei einer Eichtransformation das Higgsfeld geändert wird, erhält man aus den Wechselwirkungstermen der Eichfelder mit den Higgsbosonen bei einer Eichtransformation Terme, die die zusätzlichen Terme aus den Massentermen der Eichfelder aufheben. Die Bewegungsgleichung sind also trotz der Massenterme eichkovariant.
Weitere Auswirkungen
Eine Wechselwirkung des Higgs-Felds mit den Fermionfeldern des Standardmodells verleiht auch den Quarks und Leptonen ihre Masse.
Beispiele
Das Standardmodell der Elementarteilchen, insbesondere die Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung wird durch solche Eichtheorien beschrieben. Der Vakuumerwartungswert des Higgsfeldes bricht im Standardmodell die lokale SU(2)xU(1)-Eichsymmetrie (zugehörige Erhaltungsgrößen: Schwacher Isospin und schwache Hyperladung) zur elektromagnetischen U(1)-Symmetrie (zugehörige Erhaltungsgröße: Elektrische Ladung). Drei Eichbosonen (die W- und Z-Bosonen) erhalten dabei eine Masse und einen longitudinalen Polarisationsfreiheitsgrad. Der 4. Freiheitsgrad des Higgsfeldes (welches als SU(2)-Dublett aus zwei komplexen = 4 reellen Feldern besteht) ist das Higgs-Boson.
Geschichte
Diese Theorie wurde 1964 von dem britischen Physiker Peter Higgs, basierend auf einem Vorschlag Philip W. Andersons, ausgearbeitet. Unabhängig von Peter Higgs haben auch Robert Brout und François Englert[1] 1964 an der Université Libre de Bruxelles schon vor Higgs, sowie Gerald S. Guralnik, C. R. Hagen und T. W. Kibble[2] am Imperial College diesen Mechanismus entwickelt. Dennoch wird die Entdeckung meist allein Higgs zugeschrieben.
Ein ähnlicher Mechanismus wurde bereits 1957 von Ernst Stückelberg entwickelt.
Populärwisschenschaft
Als dem Alltag entnommene populärwissenschaftliche Veranschaulichung des Higgs-Mechanismus’ findet man häufig das Auftauchen eines Stars auf einer Party: Bevor der Star den Raum betritt, stehen die Gäste gleichmäßig verteilt im Raum. Sobald der Star jedoch den Raum betritt, laufen zahlreiche Gäste auf ihn zu, wollen Autogramme und Fotos oder gratulieren für den zuletzt gewonnenen Grammy oder Oscar. Der Star kommt in dieser Menge von Partygästen also sehr viel langsamer voran, als er eigentlich könnte, gerade so, als wäre er sehr übergewichtig. Die Wechselwirkungen der Partygäste mit dem Star haben also im Hinblick auf das Vorankommen den gleichen Effekt wie zusätzliche Körpermasse beim Star. Die Partygäste stellen in dieser Veranschaulichung das Higgs-Potential dar und der Star das Teilchen, das Masse bekommt. Das Higgs-Teilchen selbst wird veranschaulicht als eine Runde von Gästen, die enger zusammenrücken um über den Star zu tuscheln und sich als Gruppe daher kaum im Raum fortbewegen, also auch sehr „schwer“ sind.[3] [4]
(Original-)Literatur
- Peter Higgs: Broken symmetries, massless particles and gauge fields, in: Physics Letters 12, 1964, S. 132-133
- Peter Higgs: Broken symmetries and the masses of gauge bosons, in: Physical Review Letters 13, 1964, S. 508-509
Referenzen
- ↑ Broken Symmetry and the Mass of Gauge Vector Mesons. Physical Review Letters, Band 13, 1964, S. 321-323
- ↑ Global Conservation Laws and Massless Particles. Physical Review Letters, Band 13, 1964, S. 585-587
- ↑ http://www.kworkquark.net/lexikon/higgsmechanismus/wissensdurst2_text.html
- ↑ http://solstice.de/grundl_d_tph/sm_et/sm_et_07.html