Einfaches Leben

Lebensstil
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 20. November 2007 um 16:16 Uhr durch The stephan (Diskussion | Beiträge) (Ziele). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Einfaches Leben, auch Freiwillige Einfachheit genannt bezeichnet einen Lebensstil, der sich als Alternative und Regulativ zur konsumorientierten Überflussgesellschaft sieht, um Alltagszwängen kritisch entgegenzuwirken und die Lebensqualität – jenseits materialistischer Kategorien – zu steigern. Seine Anhänger sind damit zu der steigenden Zahl der Gruppe der kulturell Kreativen zu rechnen. Gelegentlich wird der Lebensstil auch mit dem Begriff LOVOS abgekürzt ("Lifestyle of Voluntary Simplicity") - in Anlehnung an das Marketing-Akronym LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability)

Kritik an Materialismus

Die neuere Verwendung des amerikanischen Ausdrucks „voluntary simplicity“ für Einfaches Leben geht auf einen Text des US-Sozialwissenschaftlers Duane Elgin von 1981 zurück, in welchem er das Augenmerk auf einen einfachen, genügsamen und ausgewogenen Lebensrhythmus abseits des konsumorientiertenAmerican way of life“ richtete. Elgins nimmt wesentliche Anregungen von Richard Gregg auf, die dieser bereits 1936 in einem grundlegenden Artikel zur „Voluntary Simplicity“ formuliert hatte.

Im Gegensatz zu extremer Sparsamkeit und Geiz („Geiz-ist-geil“-Mentalität) wird nicht nach billigen Schnäppchen und Sparmöglichkeiten gesucht, sondern Besitz, Konsum und die eigene Anspruchshaltung werden insgesamt kritisch hinterfragt. Die Eubiotik – die Lehre von der rundum gesunden Lebensführung – nimmt hierbei eine hervorragende Stellung ein. Aus eubiotischer Perspektive wird eine am Geld ausgerichtete Lebenseinstellung als ein Irrweg angesehen, der die Hauptursache für zahlreiche – besonders psychische – Störungen und Verwerfungen sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Bereich darstellt. Erfüllung und entspannte Lebensfreude werden in wenigen einfachen, meist kostenlosen Dingen und Betätigungen, etwa dem Naturismus gesucht.

Kritik an Schnelllebigkeit

Neben der Kritik an einer Übergewichtung von Geld und Besitz kritisieren ähnliche Strömungen eine angebliche Schnelllebigkeit der heutigen Zeit. In Industrienationen läßt sich eine Überbeanspruchung des Menschen durch Arbeit und durch persönliche Termine feststellen. Mitunter wird kritisiert, dass durch moderne Medien (Radio, Fernsehen, Internet) dem Menschen die Zeit für Gedanken und kritische Fragestellungen (Sinnfrage) und der Sinn für Genuss geraubt werde. Das einfache Leben fordert eine klarere Strukturierung und einen geregelten Alltag mit entsprechenden Erholungsphasen. Eine grundlegende Maxime des einfachen Lebens besteht darin, sich nicht von den in Medien oder Werbung vorgelebten, über materialistische Stereotype nicht hinausgelangenden Verhaltensmustern manipulieren zu lassen. Stattdessen entwickelt sich – aus der kritischen Hinterfragung solcher Verhaltensmuster – eine ausgeprägte Individualität, die dem Kern der eigenen Persönlichkeit bestmöglich entspricht. Die subjektiv erlebte Lebensqualität steht dabei im Vordergrund – jenseits eines oberflächlichen, auf materialistische Konsum-Kategorien beschränkten Hedonismus. Dieser materiell bewusst reduzierte Lebensstil weist aus der Sache innewohnenden Gründen asketische Züge auf, unterscheidet sich aber auf Grund seiner potentiellen Vielgestaltigkeit von der einseitig ausgerichteten, zumeist weltabgewandten Philosophie der Askese. Beim einfachen Leben wird Askese als ein wirksames Mittel zur Steigerung der subjektiven Freiheit erachtet – im Sinne des Strebens nach Unabhängigkeit von jeglicher Form unreflektierter Befriedigung von primären und sekundären Bedürfnissen. Der stringente Zusammenhang zwischen Konsumverweigerung – als eine moderne Form der Askese – und der Gewinnung von wertvoller Lebenszeit im Sinne von schöpferischer Muße durch Entschleunigung des täglichen Lebens wird transparent gemacht. Von diesem lebensphilosophischen Standpunkt wird gerade der Konsum von kurzlebigen – und damit immer wieder neu zu kaufenden – Wegwerfprodukten als unsinnige Zeit- und Geldvergeudung angesehen. Die Ablehnung einer solchen trivialen Haltung des permanenten Konsums schafft vermehrt Freiheitsgrade und Zeit-Räume für sinnvolle Betätigungen – jenseits der geistlosen und akulturellen Freizeitbeschäftigung des „Shoppens“. Der pointierte Ausspruch von Goethe „Die einzige Todsünde ist die Zeitverschwendung“ findet in der Gesinnung des einfachen Lebens verstärkt Beachtung.

Geschichte

Ansätze zum einfachen Leben lassen sich bis in die Antike zu den Stoikern und Kynikern (Diogenes von Sinope) oder beispielsweise dem griechischen Philosophen Platon zurückverfolgen. Spätestens seit Henry David Thoreau und Ralph Waldo Emerson um 1845 das einfache Leben favorisierten und idealisierten, gelten sie in den USA als fester Bestandteil der Subkultur. In Deutschland ist insbesondere Friedrich Nietzsche in seiner strikten Ablehnung eines sinnentleerten Materialismus ein rigoroser Verfechter eines materiell einfachen Lebens zum Zwecke der Steigerung der spirituellen Kräfte des Menschen. Als eine Metapher hierfür schuf Nietzsche den Typus des „Zarathustra“ als den schöpferischen Überwinder jener Form des Nihilismus, die einen Mangel an nicht-materialistischen Lebenszielen mit dem Streben nach materiellen Gütern zu kompensieren versucht.

Als ideelle Vorläufer werden in den USA häufig auch religiös orientierte Gruppen wie die Quäker oder die Amish als Wegbereiter und Verfechter des einfachen Lebens genannt. In Deutschland finden sich Vorläufer in der Wandervogel-Bewegung, die dem autoritären Druck der Gesellschaft entgehen wollte, der Flowerpower-Generation, die den Arbeits- und Konsumzwang verweigerten, sowie den Spät-Hippies der 1970er Jahre, die sich in Kommunen und alternativen Lebensgemeinschaften organisierten.

In Ländern mit einer ausgeprägten Kreditkultur, wie beispielsweise den USA, wird der Abbau von Konsumschulden oft als erster und einleitender Schritt zum einfachen Leben genannt. Die Änderung der Lebensführung erfolgt hier aus den verfahrenen Lebensumständen heraus. Die notwendige Einschränkung des Konsums und der Ausstieg aus dem konsumorientierten Denken führen zu größerer finanzieller Freiheit und werden oft nach dem eigentlichen erfolgreichen Schuldenabbau beibehalten.

Gründe

Das einfache Leben sieht sich als Antwort auf problematische, belastende gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, wie zum Beispiel:

Ziele

Im einfachen und genügsamen Leben wird darauf geachtet, Besitz, Beziehungen, Waren, Dienstleistungen, Konsum, Konsumschulden und das eigene Verhalten in einem stringenten Reflexionsprozeß auf Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu prüfen. Die Fixierung des Menschen auf die Rolle als Konsument wird hinterfragt. Status- und Prestigestreben werden als hinderlich und belastend betrachtet. „Shopping“ als Unterhaltung oder Freizeitbeschäftigung wird konsequent vermieden. Stattdessen wird planmäßig eingekauft. Die Frei- und Mußezeit genießt wieder eine hohe Wertschätzung, wobei Stress in Freizeit und Urlaub vermieden werden. Im Mittelpunkt stehen essentielle Aussagen wie „Weniger ist mehr“ und die Frage: „Will ich ein Produkt nur oder brauche ich es wirklich?“ Der Unterschied zwischen reinem Begehren und echter Notwendigkeit wird beachtet. Ein grundlegendes Ziel ist dabei, aus prinzipiellen Erwägungen heraus weniger Dinge zu besitzen, um sich mit deren Anschaffung, Bezahlung und Pflege nicht aufzuhalten und unnötig zu belasten. Aus der Sichtweise des Einfachen Lebens ist es unvernünftig, Geld (Arbeitslohn) gegen wertvolle Lebenszeit einzutauschen, um Dinge in seinen Besitz zu bringen, die man nicht braucht. Ein Übermaß an Besitz wird als Handicap wahrgenommen. Wegen der daraus resultierenden, relativen Bedürfnislosigkeit ist auch ein Leben nahe am oder unter dem offiziellen Existenzminimum möglich. Religiöse oder spirituelle Rückbesinnung sowie eine ganzheitliche Weltsicht spielen eine Rolle, sind jedoch meist nur ein begleitendes Element.

Die konsequent durchgeführte Einschränkung des persönlichen Konsums kann zusammen mit einer erhöhten Sparneigung und bedachter Kalkulation des familiären Haushaltsbudgets zu einer relativen, finanziellen Unabhängigkeit führen. Dies dient dazu, seinen persönlichen Neigungen nachzugehen und nur noch wenig Lebenszeit mit der u. U. ungeliebten Erwerbsarbeit zu verbrauchen. Wer Arbeit bis dahin als Belastung empfand oder mit einem geringeren Einkommen auskommen muss, für den kann das Einfache Leben eine erstrebenswerte Lebensalternative darstellen. Ehrenamtliche Tätigkeiten treten im Einfachen Leben bisweilen stärker in den Vordergrund, da soziales Engagement und Solidarität geschätzte Ideale darstellen, mehr freie Zeit zur Verfügung steht und eine geringere finanzielle Abhängigkeit von Erwerbsarbeit besteht.

Der Einfluss der Werbung wird sehr kritisch betrachtet. Werbung erzeugt danach in unserer Gesellschaft eine latente Unzufriedenheit auf hohem Niveau. Daraus entsteht im Menschen ein verzweifeltes Bemühen und Begehren, Glück und Erfüllung durch den Erwerb und Besitz von Dingen zu erlangen. Die Lust an immer neuem Konsum soll stimuliert werden, doch eine nachhaltige, innere Befriedigung bleibt aus. Im einfachen Leben versucht man, sich diesem durch Werbung künstlich geschürten, frustrierenden Kreislauf bewusst zu entziehen, indem man beispielsweise TV- und Rundfunkgeräte oder Zeitungen in vermindertem Umfange nutzt oder völlig darauf verzichtet. Oft kommt dabei dem Internet als unabhängigerem, interaktivem Kommunikationsmittel ein besonderer Stellenwert zu.

Praxis

Viele Menschen, die ein einfaches Leben begonnen haben, berichten von einem starken Bedürfnis, ihr bisheriges Leben neu zu ordnen, um mehr innere Befriedigung und Erfüllung zu erlangen. Die Motivation dazu kann aus reiner Überzeugung oder aus äußeren Umständen (z. B. Arbeitsplatzverlust, Lebenskrise, Überschuldung, Neuorientierung) herrühren. In vielen Lebenswegen ist dabei die Entrümpelung des eigenen Lebensumfeldes und dessen praktischere, einfachere Organisation von Wichtigkeit. Unbenutzte oder unsinnige Dinge werden als Ballast angesehen und entfernt, um nicht wertvolle Lebenszeit mit deren Pflege verwenden zu müssen. Oft wird von einer drastischen Verminderung von persönlichen Gegenständen und Haushaltsgegenständen berichtet. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die stärkere Konzentration auf eine unkomplizierte, naturnahe Ernährung, vorzugsweise aus frischen Basisrohprodukten. Statt der Verwendung industriell vorgefertigter Nahrungsmittel (z. B. Fertigmenüs) werden Speisen in wachsendem Umfang selber zubereitet. Dabei kommen Rohstoffe und Zutaten, wenn möglich, aus dem eigenen Garten. Viele Zubereitungsarten zeichnen sich dabei durch eine große Einfachheit und Unkompliziertheit aus. Viele, aber bei weitem nicht alle, einfach Lebenden bevorzugen eine vegetarisch ausgerichtete Ernährung. Weiterhin werden die häuslichen Einsparpotenziale, z. B. bei Wasser, Strom, Müll und Energie bewusst genutzt.

Als körperliche Aktivitäten im Sinne des einfachen Lebens erfreuen sich das Wandern oder auch das Barfußgehen wachsender Beliebtheit. Viele positive Erfahrungen, die es dazu gibt, haben sogar die Schulmedizin dazu veranlasst, mehr und mehr auf den gesundheitlichen Nutzen des Barfußlaufens hinzuweisen.

Das einfache Leben stellt kein einheitliches Lebensschema oder festgefügtes Dogma dar, sondern führt, ganz im Gegenteil, zu äußerst unterschiedlichen, sehr individuellen Ausprägungen. Beispiele zeigen, dass die Spanne vom sog. „Total-Aussteiger“ bis zum lediglich konsumkritischen „Normalverbraucher“ reicht. Kennzeichnend ist dabei stets eine erhöhte Achtsamkeit und die genauere Beobachtung des eigenen (Konsum)-Verhaltens.

Während die Bewegung in den USA schon weit verbreitet und ihrerseits oft schon kommerzialisiert ist, beginnt sich dieser Trend und Lebensstil in Europa und den deutschsprachigen Ländern erst langsam zu verbreiten. Vielleicht ist er in Europa aber auch schon immer als alternatives Modell zur unreflektierten und oft von den Massenmedien gelenkten konsumorientierten Lebensweise gelebt worden, ohne dabei als ein werbefähiges Label des „simple Living“ zusammengefasst worden zu sein. Eine Art Basismodell, dessen Aneignung individuelle Wege beschreibt, eine kritische und verantwortungsvolle Reflexion der eigenen Lebensumstände bedarf und als Trend nicht funktionieren kann.

Religiöse Bestrebungen

Einige Religionen sehen die Einfachheit als anzustrebendes Ziel oder als einzigen Weg zur Erfüllung. In der Bergpredigt (vgl. Matthäusevangelium Kapitel 6, Verse 19-33) beispielsweise fordert Jesus seine Jünger zur Sorglosigkeit in materiellen Dingen und zum Vertrauen auf Gott auf. Ein einfacher Lebensstil soll es außerdem ermöglichen, Geld für Arme spenden zu können.

Christliche Orden sehen einen einfachen Lebensstil als zentralen Bestandteil ihres Lebens an. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Kartäuser, solche Orden, die nach Regel Benedikts leben (Benediktiner, Zisterzienser, Trappisten) mit ihrem Motto Bete und arbeite. und Bettelorden (Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner). Frei sein von weltlichen Zwängen bedeutet für christliche Orden immer frei sein für den Gottesdienst und die Betrachtung (vacare Deo). Erwerbsarbeit, insbesondere körperliche Arbeit, gehört für christliche Orden zum Lebensprogramm, dem ein frommes Müßigsein nicht entspricht.

Siehe auch

Literatur