Protobulgaren

Ethnie der Turkvölker
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Als Protobulgaren oder Hunno-Bulgaren bezeichnet man in der modernen Ethnologie das ausgestorbene turksprachige nomadische Volk der Bulgaren.[1]. Teile dieses Reitervolks wurden später slawisiert und zählen zu den Vorfahren der heutigen, slawischen Bulgaren.[1]. Die Protobulgaren hatten eine eigene Runenschrift, einen eigenen Kalender und eine eigene Religion, deren oberste Gottheit der Himmelsgott Tangra war.

Khan Krum Anfang des 9. Jahrhunderts

Ethnonym

Über die Bedeutung des Volksnamens „Bulgaren“ (griech. Βούλγαροι) gab es schon zahlreiche Theorien. Man leitete ihn gerne vom Flussnamen der Wolga (Wolgaren) oder, besonders unter den Vertretern der indogermanischen Theorie beliebt, von „Bulg“ und „Ar“ (Ar für Arier, einem antiken indogermanischen Volk) ab. Zu den neuesten Theorien über das bulgarische Ethnonym zählt die des tatarischstämmigen bulgarischen Philosophen und Anthropologen Geser Kurultaew (Гесер Курултаев), der das Wort "Bulgar" vom türkischen „Bash“ und „Gar“, beziehungsweise „Ogur“ ableitet. „Bash“, in den älteren Turksprachen „Bal“, bedeutet „Haupt-“, „Ober-“, während „Gar/Ogur“ soviel wie Stamm oder Volk bedeutet. „Bulgar“ bedeutet demnach „Hauptstamm“. Einige Forscher wie Prof. Owtscharow zählen die Protobulgaren zu den Nachfahren der antiken Baktrer, die die Region um Balkh besiedelten, woher sich auch der Name abgeleitet wird (Balkhar - Bolgar). Am verbreitetsten ist allerdings die Theorie, dass sich der Name „Bulghar“ aus dem alttürkischen „bulganmış“ ableitet, was „vermischt“ bedeutet und auf eine Föderation ethnisch heterogener Verbände hindeutet.

Geschichte

 
Großbulgarien um 650 n. Chr.

Bei den Protobulgaren handelte es sich um mehrere turksprachige Nomadenstämme aus Zentralasien. Sie hatten sich im 5.- 7. Jahrhundert aus mehreren Steppennomaden zusammen geschlossen. Unter anderem aus Restgruppen der Hunnen, die nach dem Tod des ihres Führers Attila (453) in die pontischen Steppe (südrussische Steppe) nördlich des Schwarzen Meeres und Mittelasiens geflohen waren. Dazu kamen finno-ugrische beziehungsweise ural-altaische Stämme. Zu ihnen schlossen sich die Turkvölker der Kutriguren, Utriguren, Saguren und Oguren (alttürkisch: ogur, Oguz, „Sammelliga“) an, die um 463 von den sprachverwandten Sabiren aus ihrer Heimat im heutigen Westsibirien und Kasachstan nach Westen verdrängt worden waren. Die neue „Liga“, der auch die Altungarn (Onogur - „Zehn Stämme“)[1] und alanische Elemente angehörten, stand unter der Führung des Attilasohnes Irnik (laut dem Namensbuch der bulgarischen Khane).[1]

 
Das Großbulgarische und das Donaubulgarische Reich (650–922)

Um 567 wurden die Protobulgaren von den Awaren besiegt. Einige schlossen sich den Awaren an und zogen mit diesen weiter westwärts. Große Teile der Protobulgaren, Hunnen und der anderen Reiternomaden verblieben aber in den südrussischen Steppen. 635 erhoben sich die Protobulgaren-Onoguren unter Kubrat (auch Kobrat, von qobrat - „sammle das Volk“) mit Erfolg gegen die Herrschaft der Awaren. Khan Kubrat vereinte die Völker zum Großbulgarischen Reich (griech. Η παλαια μεγαλη Βουλγαρια; megale Boulgaria - „Großbulgarien“). Mit Byzanz war er verbündet. Das Reich an der Nordküste des Schwarzen Meeres reichte von der Maeotis bis nach Kuban. Hauptstadt war Phanagoria am Azowschen Meer, das heutige Taman.[1]. Das Reich wurde schon in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts von den ebenfalls turkstämmigen Chasaren vernichtet.

Kubrats ältester Sohn Bayan hatte sich den Chasaren unterworfen und blieb in der alten Hauptstadt Phanagoria. Seine vier Brüder aber spalteten sich mit bedeutenden Stammensteilen ab. Die nordwärts ziehenden Protobulgaren unter der Führung von Kotrag, des zweiten Sohn von Kubrat, gründeten das Reich der Wolgabulgaren mit ihrer Hauptstadt Bolgar. Das Reich der Wolgabulgaren existierte bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts als es von der Goldene Horde der Mongolen besiegt wurde.

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Khan Asparuch

Die westwärts beziehungsweise südwärts ziehenden Teile unter Kubrats Sohn Asparuch überquerten die Donau und verbündeten sich (nach andere Meinungen unterwarfen) mit der lokaler slawischen Bevölkerung der Seweren und den Sieben Stämmen und errichteten 678 das Donaubulgarische Reich mit der Hauptstadt Pliska. Asparuch gilt daher als Gründer des heutigen Bulgarien auf dem Balkan. Dieses bulgarische Reich war das erste Reich das ein byzantinischer Kaiser Tribut zahlen musste, was als große Schmach in Konstantinopel empfunden wurde. Obwohl vom byzantinischen Kaiser Konstantin IV. vertraglich anerkannt, belagerten die Protobulgaren mehrfach Konstantinopel (705 und 813) und dehnten unter Khan Krum (802-814) ihr Reich nach Westen bis zur Theiß aus. Bis zum Einbruch der Ungarn 895 umfaßte das Reich faktisch den gesamten (nicht-byzantinischen) Balkan und reichte im Norden nach dem Sieg über die Awaren bis nach Budapest.[1].

 
Das Donaubulgarische Reich unter Khan Krum

Die beiden jüngsten Söhne Kubrats, Kuver (Kuber) und Alzek zogen mit ihren kleineren Stammesverbänden ebenfalls Richtung Westen und schlossen sich in Pannonien (Ungarn) den Awaren an. Nach einer misslungenen Revolte gegen die Stammesführung trennten sich ihre Wege. Kuver zog Richtung Süden zusammen mit Teile der römischen Bevölkerung die von Awaren (626) nach Pannonien verschleppt wurde und lies sich im unbesiedelten Gebiet um Bitola in Makedonien nieder, das zum byzantinische Thema Thesalonika gehörte. Später konnte Kuver sich mit dem Bulgarenreich von Asparuch vereinigen. Im Jahr 1000 sollte seine Hauptstadt unter Zar Samuil und seinen Nachfolgern auch Hauptstadt ganz Bulgariens werden. Noch heute sehen viele Bulgarien die Mazedonier nicht als eigenes Volk an, sondern als Westbulgaren und deren Sprache als einen Dialekt des Bulgarischen.

Alzek zog weiter westlich, überquerte 667 die Alpen und zog friedlich nach Norditalien in die Gegend um Ravenna. Die Gastfreundschaft der Römer war aber nur eine Tarnung. Im selben Jahr mussten die Bulgaren sich bei mehreren Hinterhalten um ihr Überleben kämpfen. Dadher zogen sie immer weiter südwärts bis sie schließlich das Herzogtum Benevent errichteten. Der Historiker Paolo Varnefrido berichtet, das dort Khan Alzek von den langobardischen König Grimoald empfangen wurde[2]. Alzek wurde die Region Molise zugesprochen, unter der Voraussetzung, das er auf seinen Titel und Herrschaftsanspruch verzichtet. Noch heute tragen in ganz Italien Berge, Regionen, Dörfer, Flüsse und Familien bulgarischen Namen, oder die Bezeichnung „Bulgaren“ (bulg. Bulgari). Beispiele dafür sind der italienische Hersteller von Luxusartikeln Bulgari, Bartolomeo Bulgarini, Kardinal Pietro Bulgaro oder der Name del Bulgaro.

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Reiter von Madara

Das kulturelle Erbe der Protobulgaren blieb in einer Reihe von Baudenkmälern erhalten, so in rund 100 gemeißelten Schriftdenkmäler mit protobulgarischer Kerbschrift aus der Zeit des Donaubulgarischen Reiches oder in bildlichen Darstellungen. Einige wie der Reiter von Madara sind zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt worden.

In Bulgarien verschmolzen die Protobulgaren vor allem mit den Anten, die teils schon auf dem Balkan siedelten, teils erst mit den Protobulgaren aus Südrussland gekommen waren, und anderen slawischen Stämmen, sowie den Resten der römischen Provinzialbevölkerung zum heutigen Volk der Bulgaren. Die relativ dünne protobulgarische Herrscherschicht ging in der Bevölkerungsmehrheit der vier unterworfenen Slawenstämmen rasch auf, jedoch wird erst nach der Christianisierung der Bulgaren nicht mehr zwischen Bulgaren und Protobulgaren unterschieden. Die Protobulgaren regierten das Donaubulgarische Reich bis es 1018 unter byzantinische Herrschaft fiel.


Andere Erklärungsversuche

Neben der obengenannten Theorie existieren noch andere, vor allem in Bulgarien selbst weit verbreitete Thesen, die - wohl auch aufgrund der antitürkischen Geschichtsschreibung der heutigen slawischen Bulgaren - die Turkabstammung der Protobulgaren sowie eine mögliche Verbindung des protobulgarischen Gottes Tangra mit dem von antiken Turkvölkern verehrten Gott Tengri meist ablehnen.

Die indogermanische Theorie

Die Erforschung der Protobulgaren begann im Jahre 1832 damit, dass Christian Martin Frähn bei der Interpretation arabischer Nachrichten über die Wolgabulgaren den Namen des Asparuch als persisch einordnete. Seither sind dann häufiger ähnliche Interpretationen für diese Namen erwogen worden. Da Personennamen besonders häufig aus anderen Sprachen entlehnt werden, ist ihre Aussagekraft jedoch begrenzt.

Dabei wurden die Protobulgaren mit den antiken Pamir-Völkern und ihren Sprachen somit mit dem Avestischen und Sanskrit in Verbindung gebracht vor allem mit dem antiken Baktrien. Dabei beziehen sich diese Theorien auf eine deutlich frühere Zeitspanne als die Zeit der protobulgarischen Wanderung nach Europa. Inzwischen gelten diese Theorien als widerlegt. Da aber die bulgarische Geschichtsschreibung traditionell antitürkisch geprägt ist ("Türkisches Joch"), erfreuen sich Abstammungstheorien, nach denen die Bulgaren nichts mit Türken zu tun haben, in Bulgarien immer noch einer gewissen Beliebtheit.

Wesselin Beschewliew rollte im Jahre 1967 mit zwei neuen Artikeln über die Abstammung der Bulgaren die Diskussion darüber auf. Darin akzeptierte er zwar die türkische Abstammung der Protobulgaren, machte aber gleichzeitig auf iranische Einflüsse aufmerksam.

 
Die alte protobulgarische Hauptstadt Pliska

Neuere Arbeiten Petar Dobrews, mit denen er die Protobulgaren erneut mit indogermanischen Stämmen Zentralasiens in Verbindung bringt, sind in Bulgarien sehr populär, aber werden im Ausland als spekulativ kritisiert, da Dobrew ausschließlich Elemente wie etwa einige Namen berücksichtigt, und andere Erkenntnisse über die Protobulgaren unberücksichtigt lässt.

Als gesichert gilt der kulturelle Einfluss iranischer Völker auf die Proto-Bulgaren, und wurde als solches auch von R. Schmitt[3] und S. Runciman[4] diskutiert. Auch die Encyclopaedia Iranica weist auf den kulturellen Einfluss hin, vor allem auf die mitteliranischen Namen Asparuch ("der mit dem scheinenden Pferd") und Berzmer (von pers. Burzmehr, "Hochgelobter Mithras"), sowie die Figur des "Madara Reiters", welche in der nähe der Ruinen von Pliska in Stein gemeißelt ist und sehr stark an die "Naqše Rustam" Felsreliefs der persischen Sassaniden erinnert.[5]

Religion

Die Protobulgaren hatten eine eigene ursprünglich anmistische Religion, die durch Schamanismus und Ahnenkult geprägt wurde. Oberster Gott war der Himmelsgott Tangra. Es könnte sich dabei um eine Namensvariation des alttürkischen Himmelsgottes Tengri handeln. Tangra wird in nahezu allen protobulgarischen Runeninschriften erwähnt.[6] Als Opfergabe an den Himmelsgott wurden weisse Pferde bevorzugt. Mit dem Eingeweide der geopferten Tiere wurde dann gewahrsagt.

Aufgrund der traditionellen Verehrung von Bergen (siehe auch Khan Tengri) erhielt der höchste Berg auf dem Balkan den Namen des Gottes Tangra. Dessen Name wurde erst im 15. Jahrhundert durch die Osmanen in Musala (arabisch: Maschallah "Gott sei gelobt") umbenannt[7]. Es wurden auch kleinere Berge verehrt, wie etwa der Perperikon, der jedoch auch schon vor den Protobulgaren ein heiliger Ort für die Thraker und andere ansässige Völker gewesen ist. Am Hang dieses Berges befinden sich noch heute gut erhaltene Kultbauten, die dem altgriechischen Weingott Dionysos (bei Thrakern Zagreus) gewidmet waren. Auf dem höchstgelegenen Felsen von Perpenikon findet man protobulgarische Runeninschriften mit einem Relief der tengristischen Fruchtbarkeitsgöttin Umay[8].

Desweiteren verehrten die Protobulgaren auch die Sonne, den Mond und die ihnen damals bekannten fünf Planeten Jupiter, Venus, Merkur, Mars und Saturn.

In den Vielvölkerstaaten der bulgarischen Reiche herrschte Religionsfreiheit. Innerhalb der Protobulgaren gab es bereits in der Zeit als sie am Nordufer des Schwarzen Meers lebten christliche, jüdische und buddhistische Minderheiten. Archäologische Ausgrabungen und schriftliche Überlieferungen bestätigen dies.[9].

Siehe auch

Großbulgarisches Reich, Donaubulgarien, Wolgabulgaren

Literatur

Quellenhinweise

  1. a b c d e f Hösch/Nehring/Sundhaussen, 2004, S.553 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Hösch/Nehring/Sundhaussen“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  2. Lexikon des Mittelalters, S. 914 „..die mit den Langobarden verbündete Bulgaren...“
  3. R. Schmitt, “Asparuch und Konsorten im Lichte der iranischen Onomastik”, Linguistique Balkanique 28, 1958, pp. 20-30
  4. S. Runciman, “A History of the First Bulgarian Empire”, London, 1930, pp. 19-30, 273-78
  5. D.M. Lang, "Asparukh", in Encyclopaedia Iranica, 2006
  6. University of Saskatchewan, Andrei Vinogradov, Abteilung für Religionswissenschaft und Anthropologie, November 2003 Seite 78
  7. en:Tangra
  8. Siehe hier unter Perpenikon:[1]
  9. "Bulgaria Illustrated History" Bojidar Dimitrov, Februar`94

Geschichte:

Protobulgarischen Religion:

Protobulgarischen Schrift und Kalender:

Strittige Theorien bezüglich der Herkunft der Protobulgaren: