Judenretter

Unterstützung jüdischer Personen dabei, dem Holocaust zu entkommen
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Als Judenretter, Stille Helden, Judenhelfer und in der Nachkriegszeit evtl. durch Israels Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet, werden Personen aus dem Rettungswiderstand bezeichnet, die im Bereich der NS-Herrschaft von 1938 bis 1945, in vielen Fällen erfolgreich, versucht haben, jüdische Mitmenschen vor der Deportation zu bewahren (also in Deutschland und im davon besetzten Teil Europas). Dabei konnte es um wenige Tage aber in vielen Fällen auch um eine immer länger werdende Zeit gehen und es gibt Fälle von Helfern, wo sich auch immer mehr Personen in einer Wohnung versammelt habem, weil sie keine andere Zuflucht hatten.

Zum Teil bestand die Hilfe im Organisieren von falschen Papieren und Lebensmittelkarten. Zum Teil ging es um Hilfe beim Übertritt über eine grüne Grenze nach Österreich oder in die Schweiz.

Über 1.700 der geschätzt 7.000 in Berlin untergetauchten Personen sollen als Illegale das Kriegsende überlebt haben. Aus Sicht der Nazi-Behörden waren diese Judenhelfer keine Helden sondern Judenbegünstiger, die ebenfalls verfolgt wurden. Die genaue Zahl derjenigen, die sich als U-Boot dem Zugriff der Gestapo entzogen kann für Deutschland heute kaum mehr exakt ermittelt werden. Zwischen 1941 und Kriegsende waren es schätzungsweise 10.000 bis 15.000 Personen, von denen bis 5.000 auf diese Weise überlebten.[1] Das heißt aber auch, die Zahl der Stillen Helfenden, der Mitverschworenen aus der Nazi-Sicht, bewegt sich in dieser Dimension (vielleicht auch das Drei- bis Fünffache; aber kaum wesentlich mehr Personen - aus heutiger Sicht eben doch so viele leisteten praktischen Widerstand).


Zitat eines Helfers[2]

„Was ich Ihnen und Ihren Freunden tun konnte und durfte, war nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern noch viel zu wenig, gemessen an der entsetzlichen Lage, in der sie sich alle damals befanden."


Wenige jüdische Deutsche legten den Judenstern ab

Geschichte

Vorausgegangen war bis 1938 die immer existenzbedrohlicher werdende Verfolgung von jüdischgläubigen Deutschen nach dem 1. April 1933. Zwischen 1933 und 1938 verlieren die meisten jüdischen Deutschen nach und nach ihre Berufe, ihre wirtschaftliche Existenz, viele ihre Wohnungen und alle jeglichen Zugang zum öffentlichen Leben. Es kommt zu einer Auswanderungswelle. Dennoch blieben in Deutschland viele Juden im Vertrauen auf die gegenüber dem Mittelalter veränderte Kultur ihres Heimatlandes. So weist W. Wette darauf hin, dass die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 für viele eine schier unfassbare Bilanz jüdischen Lebens in Deutschland zog: 1406 Synagogen und Betstuben wurden in Deutschland niedergebrannt oder vollständig zerstört. Etwa 30.000 Menschen jüdischen Glaubens verschleppten die NSDAP- bzw. SS-Trupps und die Polizei in die Konzentrationslager.

 
Gedenkplatte an die Synagoge in Wittmund

Es wurden reichsweit sofort ungefähr 400 Menschen ermordet; weitere 400 Menschen kamen in den Tagen danach zu Tode und vermutlich mehrere Hundert Verfolgte nahmen sich aus Furcht vor dieser Entwicklung selbst das Leben. Insgesamt soll der von der NSDAP-Spitze inszenierte Gewaltakt (spöttisch Reichskristallnacht genannt) mehr als 1300 Menschenleben gefordert haben. Tausende waren bis dahin unter enormen finanzziellen Verlusten ausgewandert oder illegal aus Deutschland geflohen. Aber auch die noch zurückgebliebenen Optimisten (es kann ja nicht lange dauern, bis eine andere Regierung drankommt) mußten nun einsehen, dass Hitler und seine Parteigenossen es mit dem Ende des Judentums bitter ernst meinten. Und auch Stillhalten und nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten bot nun keinen Schutz mehr. Von offenem Protest aus der nicht der Partei nahestehenden Bevölkerung gegen die Übergriffe und Morde gibt es fast nichts zu berichten. Und viele erlebten mit der Arisierungswelle unvorstellbare Begehrlichkeiten in ihrer direkten Nachbarschaft. Seit dem Kriegsbeginn gegen Polen wurde der Verfolgungsdruck massiv weiter erhöht. Bekannt wurde z. B. in Berlin, dass bei der Fabrikaktion Ende Februar 1943, einer Judenjagd in den Rüstungsbetrieben, etwa 4.000 der dabei gesuchten deutschen Juden sich der Verhaftung gerade noch – zunächst – entziehen konnten.

Untertauchen von inländischen Flüchtlingen

Ohne Unterkunft konnte sich ein Flüchtling kaum längere Zeit verbergen. Mitgeführte Gepäckstücke würden bei Kontrollen einen Verdacht erregen. Ein längerer Aufenthalt in einer Gaststätte, Bibliothek oder einem Kino konnte Nachfragen zur Identität auslösen. Manche der Untergetauchten, die man auch „U-Boote“ nannte, hatten ihr Verschwinden geplant, sich mit Helfern abgesprochen, Unterkunft und eine glaubhafte Legende für die Nachbarschaft gefunden und Lebensmittel gehortet.

Das Untertauchen einer Person in einem von Kriegswirtschaft geprägten Land über viele Wochen und Monate war auch rein technisch sehr schwierig durchzuführen. Ohne gültige Papiere konnte ein angebliches Untermietverhältnis nicht legalisiert werden. Lebensmittel waren auf dem freien Markt nur gegen Abschnitte von Lebensmittelkarten erhältlich, die eine Bezugsberechtigung voraussetzten. Regelmäßige Zukäufe auf dem Schwarzen Markt konnten auffallen und zur Entdeckung führen und verlangten außerdem erhebliche Geldmittel. Gefälschte Ausweispapiere oder verfälschte Dienstausweise waren ohne Beziehung kaum zu beschaffen.

Das zufällige Zusammentreffen mit Personen, die vom Verschwinden wissen und die zugleich potentielle Unterstützer der Naziregierung sind, musste möglichst vermieden werden. Die Gestapo versuchte gezielt Spitzel in solche Netzwerke einzuschleusen (in Berlin - Februar 1943 ist z. B. Stella Goldschlag als Greiferin bekannt geworden).

Für Helfer wie Untergetauchte waren die beengten Wohnverhältnisse, die knappen Lebensmittel und die Angst vor der Entdeckung eine schwer erträgliche Belastung. Häufig mussten neue Helfer gesucht und Ausweichquartiere gefunden werden. Neue Untersuchungen gehen davon aus, dass „für jede untergetauchte Person bis zu zehn, bisweilen auch erheblich mehr, nichtjüdische Helfer aktiv wurden, um das Überleben im Untergrund zu ermöglichen.“[3] Hinzu kamen meist zahlreiche Mitwisser, die bewusst wegsahen und schwiegen.

Motive der Helfer

Entgegen einer früheren Hypothese, dass allen Helfern idealtypisch eine altruistische Persönlichkeitsstruktur eigen sei, lassen sich in der Schilderung konkreter Fälle, evtl. gleichzeitig, unterschiedliche Motive für die Hilfeleistung nachweisen.[4] Manche Helfer sprangen aus Nächstenliebe oder aus religiöser Überzeugung ein, andere wegen ihrer Opposition gegen das NS-Regime und wieder andere wollten Freunde nicht im Stich lassen. Manche knüpften ihre Hilfszusage an Geldzahlungen und Arbeitsleistungen oder erhofften eine Fürsprache nach dem absehbaren Kriegsende. Manche Helfer gerieten aus reinem Zufall in die Situation und handelten spontan, ohne die Konsequenzen abzuwägen. So irrte eine Jüdin ziellos durch Berlin und folgte einer ihr gänzlich unbekannten Frau bis in die Wohnung. Dort schilderte sie ihre verzweifelte Lage und drohte, sich das Leben zu nehmen. Die völlig fremde Frau versprach, sie für eine Nacht aufzunehmen und behielt die Flüchtige dann drei Jahre lang in ihrer Wohnung und unterstützte später noch eine weitere untergetauchte Jüdin.[5]

Gelegentlich bildeten sich kleine konspirative Netzwerke von Helfenden. Solche Netzwerke sind zum Teil aus den verfolgten politischen Parteien und Organisationen heraus entstanden zum anderen aus christlichen Gruppierungen.

Einzelne Personen

Etwa 3.000 Helferinnen und Helfer wurden in Deutschland namentlich bekannt. Daran läßt sich ersehen, dass ein großer Teil der Helfer in der Öffentlichkeit unbekannt geblieben ist. Es können 100.000, 200.000 oder sogar noch etwas mehr Personen, nur im Deutschen Reich, gewesen sein. Über den Anteil in den anderen besetzten Staaten liegen keine Schätzzahlen vor.

Viele der Helferinnen und Helfer waren in dem Sinne „gewöhnliche“ Deutsche, Polen, Franzosen etc., dass sie nicht durch ein Amt oder gesellschaftliche Stellung aus der Bevölkerung hervorgehoben waren. Das wird durch die folgende Beispielliste aufgrund des Wegs der schriftlichen Überlieferung etwas verzerrt widergegeben. Sie kamen aus allen sozialen Schichten, es gab keine besonderen Schwerpunkte der Beteiligung von Personen einer bestimmten Konfession oder politischen Richtung. B. Kosmala ist aufgefallen, dass die meisten von ihnen im Alter zwischen 40 und 50 Jahre waren. Knapp zwei Drittel der (bekanntgewordenen) Hilfe leistenden Personen waren Frauen. Es folgen einige Namen von Personen, deren Handeln überliefert ist:

  • Willi Ahrem, Wuppertal
  • Hugo Armann, Hauptfeldwebel, Baranowitschi
  • Wilm Hosenfeld, Reserveoffizier, Warschau
  • Günter Krüll, Leiter einer Feldwasserstraßenabteilung
  • Gertrud Luckner, Freiburg im Breisgau
  • Maria Nickel, Berlin-Kreuzberg
  • Karl Plagge, Major, Kommandeur eines Heereskraftfahrparks im litauischen Wilna
  • Alfons Zündler, SS-Unterscharführer
  • Anton Schmid, ein österreichischer Feldwebel
  • Josef Kimmerling, Polizist; Max Maurer, Polizist; Anna Gnadl, Bauersfrau (13 geflüchtete KZ-Häftlinge in Bayern 1945)
  • Georg Steffen, Landwirt, Dorfbürgermeister
  • Otto Weidt, Besen- und Bürstenbinderei in Berlin
  • Herta Zerna, Berlin


Bestrafung von Helfern

Es gab zwar keine gesetzliche Bestimmung, die eine Hilfeleistung für Juden ausdrücklich verbot. Kurz nach der Einführung des Judensterns erging jedoch am 24. Oktober 1941 ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes, der denjenigen deutschblütigen Bürgern eine Schutzhaft von drei Monaten androhte, die „in der Öffentlichkeit freundschaftliche Beziehungen zu Juden“ erkennen ließen. [6] Den „deutschblütigen Volksgenossen“ wurde beim Abholen der Lebensmittelkarten ein Flugblatt ausgehändigt, das diesen Erlass im Wortlaut enthielt. [7]

Jeder Unterstützer, der mit Lebensmitteln half, musste mit der Einlieferung ins Konzentrationslager rechnen. Wer Unterschlupf gewährt hatte, wurde wegen „verbotswidrigen Umgang mit Juden“ festgenommen und von der Gestapo verhört. Oftmals wurde der Vorgang wegen weiterer Delikte wie Urkundenfälschung, Rundfunkverbrechen, Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordung oder wegen Devisenvergehen an die Staatsanwaltschaft übergeben. Haftstrafen von mehr als 24 Monaten wurden selten ausgesprochen, wenn nicht zusätzlich Anklagepunkte nach der Volksschädlingsverordnung oder wegen Hochverrat hinzukamen.[8]

Im Gegensatz zu Polen mussten „Judenretter“ im Deutschen Reich nicht mit einer Todesstrafe rechnen, doch war die zu erwartenden Strafe unberechenbar, vermittelte das „subjektive Gefühl der Angst in einer Atmosphäre totaler Rechtsunsicherheit“ [9] und wirkte dadurch abschreckend.

Rehabilitation bestrafter Helfer, Gedenken

Einrichtungen, die sich mit der Dokumentation von Menschen befassen, die Juden Hilfe leisteten:

Siehe auch

Literatur

(Eine Auswahl)[10]

  • Eugen Herman-Friede: Abgetaucht! Als U-Boot im Widerstand. Gerstenberg, Hildesheim 2004. 255 Seiten. ISBN 3-8067-5072-6

Forschungsliteratur:

  • Bernward Dörner: Justiz und Judenmord. Todesurteile gegen Judenhelfer in Polen und der Tschechoslowakei 1942-1944. In: Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit. Neue Studien zur nationalsozialistischen Lagerpolitik. Hrsg. von Norbert Frei. München, 2000, S. 249-263.
  • Anton M. Keim (Hrsg.), Benyamin Z. Barslai: Yad Vashem: Die Judenretter aus Deutschland. Matthias-Grünewald, 2. Auflage 1984, ISBN 3-7867-1085-6
  • Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe und Rettung für Juden in Deutschland 1941-1945. Berlin, Metropol Verlag, 2002. Reihe: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit Nr. 5. ISBN 3-932482-86-7 (Jana Leichsenring: Rezension In: H-Soz-u-Kult vom 11. Nov.2003.)
  • Herbert Rosenkranz: Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945. Wien 1978. 399 Seiten. ISBN 3700801505
  • Wolfram Wette: Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2004. 361 S. ISBN 3-596-15852-4
  • Wolfram Wette: Stille Helden. Judenretter im Dreiländereck während des Zweiten Weltkrieges. Herder-Taschenbuch, 2005. 287 S. ISBN 3-451-05461-2

Literatur:
(z. B. Biographien, autobiograph. Erzählungen. Und anderes)

  • Else R. Behrend-Rosenfeld: Ich stand nicht allein. Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland 1933-1944. Frankfurt/M. 1963.
  • Franz Severin Berger, Christiane Holler, Holly Holunder: Überleben im Versteck. Schicksale in der NS-Zeit. Ueberreuter, 2002. ISBN 3-8000-3836-6
  • Michael Good: Die Suche. Karl Plagge, der Wehrmachtsoffizier, der Juden rettete. Beltz, Weinheim, 2006. ISBN 3-407-85773-X (aus dem Engl. von Jörg Fiebelkorn)
  • Alexander Bronowski: Es waren so wenige. Retter im Holocaust. (1991) Hänssler, 2002, ISBN 3775138110

Zitatnachweise, Fußnoten:

  1. Kosmala, a a O S. 9
  2. schrieb K. Plagge einem der geretteten Juden 1948, cit. zdf.de, Zugriff 1.11.07
  3. Beate Kosmala, Claudia Schoppmann: Überleben im Untergrund – Zwischenbilanz eines Forschungsprojekts. S. 22; ISBN 3-932482-86-7
  4. Wolfgang Benz, Juliane Wetzel: Möglichkeiten und Formen der Hilfe für verfolgte Juden. In: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Band 1, Berlin 1996, ISBN 3-926893-43-5, S. 15
  5. Isabel Enzenbach: Zur Problematik des Begriffs „Retter“. S. 244. In: Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Band 5, Berlin 2002, ISBN 3-932482-86-7
  6. Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst... München 2006, ISBN 3-88680-843-2, S. 181
  7. Beate Meyer: „Goldfasane“ und „Narzissen“. Die NSDAP im ehemals „roten“ Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel. Hamburg 2002, ISBN 3-9808126-3-4, S. 104
  8. vergl. Beate Kosmala: Missglückte Hilfe und ihre Folgen: Die Ahndung der „Judenbegünstigung durch NS-Verfolgungsbehörden. In: ISBN 3-932482-86-7
  9. Beate Kosmala: Missglückte Hilfe..., S. 220, In: ISBN 3-932482-86-7
  10. Ein längere Liste befindet sich hier - auf der Diskussionsseite

Film

  • Im Schatten des Krieges. Geschichten von Opfern, Tätern und Rettern. Dokumentation, 45 Min., Produktion: ZDF, Erstsendung: 29. Juli 2007, Inhaltsangabe des ZDF
  • Die Greiferin. Die Geschichte einer jüdischen Gestapo-Agentin Eine tv-Dokumentation von Ferdinand Kroh. BRD. 1995. 43 Min. (Nach der Vita von Stella Goldschlag)
  • Nicht alle waren Mörder, Fernsehfilm, D, 2006, Michael Degen, Regie Jo Baier
  • Helene Maimann: Die Sterne verlöschen nicht - Überleben im Versteck. tv-Dokumentarfilm, Österreich, 2005, ORF, 45 Minuten. (Begleittext 3sat)