Kriegsdienstverweigerung
So wie der Artikel jetzt ist, ist er Theoriefindung. Praktisch jede Aussage kann Fabulation sein - und viele Aussagen sind es auch. Statt Referenzen werden Talkshows assoziiert. Derzeit löschwürdig. Mononykus 08:14, 7. Nov. 2007 (CET)
Kriegsdienstverweigerung (KDV) ist die bewusste Weigerung einer Person, am Kriegsdienst eines Staates teilzunehmen. Bezieht sich die Verweigerung auch auf Ersatzdienste, spricht man von Totalverweigerung.
Geschichte
Spätantike
Im Christentum der ersten beiden Jahrhunderte galt der Militärdienst mit dem Getauftsein meist als unvereinbar. Bei fast allen Theologen der Patristik findet man deshalb kritische Aussagen zum Soldatendienst, so bei Tertullian. Die Traditio Apostolica, eine frühchristliche Gemeindeordnung (um 200 n. Chr.), formuliert als Anforderung an die Taufbewerber (Katechumenen) im Satz 16:
- Ein Soldat, der unter Befehl steht, soll keinen Menschen töten. Erhält er dazu den Befehl, soll er diesen nicht ausführen, auch darf er keinen Eid leisten. Ist er dazu nicht bereit, soll er abgewiesen werden. (...) Der Katechumene wie auch der Gläubige, der Soldat werden will, muss abgewiesen werden, weil er Gott verachtet hat.
Während der Christenverfolgungen im Römischen Reich unter Kaiser Diokletian verweigerten viele Christen den Kriegsdienst, z.B. der Märtyrer Maximilian, der am 12. März 295 hingerichtet wurde.
Die Konstantinische Wende (ab 313) und die Erhebung des orthodoxen Christentums zur römischen Staatsreligion (380) drängten den ursprünglichen christlichen Pazifismus rasch in den Hintergrund; nun galt Kriegsdienstverweigerung eher als Ausnahme, die von Staat und Kirche gemeinsam abgelehnt und später rigoros verfolgt wurde. Die zuerst von Augustinus von Hippo formulierte kirchliche Lehre vom Gerechten Krieg rechtfertigte den Kriegsdienst von Christen und Nichtchristen. Sie blieb in zahlreichen Modifizierungen und Erweiterungen bis heute die maßgebende ethische Basis der Großkirchen.
Mittelalter
Im Mittelalter, das religiös weitgehend unter der Alleinherrschaft des Katholizismus und politisch unter der Doppelherrschaft von Kaiser und Papst stand, blieb Kriegsdienstverweigerung eine seltene Haltung unbedeutender Minderheiten. Nur als Ketzer verfolgte christliche Randgruppen wie die Katharer und Waldenser folgten ihr.
In der Reformationszeit kamen die Böhmischen Brüder und Teile der Täuferbewegung hinzu, darunter die Hutterer, Mennoniten, Quäker und Brethren („Brüder“). Ihre Kriegsdienstverweigerung zwang etwa die Mennoniten noch im 20. Jahrhundert zu großen Wanderungsbewegungen, die sie über Russland in die USA und von dort nach Kanada und Südamerika führten. Nur in einzelnen Regionen wie dem Herzogtum Schleswig-Holstein erlaubte der Herzog ihnen 1623 die Nichtteilnahme am Waffendienst; auch Friedrich der Große sicherte den preußischen Mennoniten gegen ein Jahresentgelt von 5000 Talern die „ewige“ Befreiung von der Kantonalspflicht zu. Dafür wurden ihre Niederlassungs- und Bodenerwerbsrechte regional vielfach beschränkt.
In der Tradition dieser „Friedenskirchen“ stehen auch die in den 1920er Jahren entstandenen Bruderhöfler, die ebenfalls den Dienst mit der Waffe verweigern, und evangelische Gruppen wie Ohne Rüstung leben, die im Rahmen der Friedensbewegung der 1980er Jahre entstanden.
Neuzeit
Von christlichen Pazifisten wie den Quäkern beeinflusst, entstanden seit 1815 zuerst in den USA, Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] und der Schweiz sogenannte Friedensgesellschaften, die auch die Kriegsdienstverweigerung als eine unter mehreren Möglichkeiten zur Durchsetzung einer internationalen Friedens- und Völkerrechtspolitik bejahten. Die etwas später entstandenen Friedensgesellschaften der Staaten Kontinentaleuropas dagegen lehnten die Kriegsdienstverweigerung bis 1914 meist ab. Dort praktizierten sie nur Sekten wie die Adventisten, Dobruloborzen, Dubochorzen, Evangelisten oder Molkianer. In Russland kamen die Tolstojaner hinzu. All diese Gruppen blieben aber zahlenmäßig unbedeutend und ohne Einfluss auf staatliche Politik.
Der Erste Weltkrieg drängte diese Gruppen noch stärker in die Defensive. Auch die Deutsche Friedensgesellschaft lehnte die Kriegsdienstverweigerung strikt ab. Nur einzelne Intellektuelle, wenige Anarchisten und etwa 50 Adventisten verweigerten in Deutschland im August 1914 die Einberufung zum Militär. Sie wurden deswegen als Geistesgestörte inhaftiert oder - häufiger - zu schweren Zuchthausstrafen verurteilt, die einige von ihnen nicht überlebten. Auch in anderen Staaten Europas verweigerten Einzelne zwischen 1914 und 1918 den Kriegsdienst. Aber nur in Großbritannien entstand eine organisierte Verweigerungsbewegung daraus, die politisch wirken wollte: die No conscription fellowship. Der radikale Flügel dieser Gruppierung verweigerte als Absolutisten auch jeden Ersatzdienst; diese frühen Totalverweigerer wurden besonders oft Opfer gerichtlich verhängter hoher Strafmaße.
Doch diese Bewegung erreichte, dass Kriegsdienstverweigerung aus ethischen und religiösen Gewissensgründen auch in anderen europäischen Staaten nach Kriegsende erstmals eine gewisse Anerkennung als individuell mögliche, nicht generell staatsfeindliche und strafbare Haltung erhielt. Dafür wurden in Skandinavien, den Niederlanden und der UdSSR ab 1918 Ausnahmegesetze geschaffen. 1921 entstand in Bilthoven die internationale Verweigererorganisation Paco, die sich 1923 in War Resisters International (WRI, deutsch Internationale der Kriegsdienstgegner) umbenannte. Bis 1939 wuchs ihre Mitgliedschaft langsam, aber stetig auf 54 Sektionen in 24 Ländern an. Diese unterstützen Verweigerer moralisch und finanziell, bekämpfen aber auch die allgemeine Wehrpflicht und streben die politische Beseitigung von Kriegsursachen an.
In Deutschland wandte sich der radikalere Flügel der DFG nun der Kriegsdienstverweigerung zu. Man begriff diese wie der Bund der Kriegsdienstgegner (BdK), der Kreis jungjüdischer Pazifisten und die Großdeutsche Volksgemeinschaft als Mittel zur Kriegsverhütung. Auch die gemäßigten Pazifisten erkannten diese Haltung als legitime individuelle Möglichkeit an. 1927/28 sammelte die DFG etwa 224.000 Selbstverpflichtungen zur Kriegsdienstverweigerung. Dies blieb politisch jedoch fast wirkungslos, da damals keine Wehrpflicht bestand.
Zur Konferenz in Lyon am 1. August 1931, dem deutschen Antikriegstag, begrüßte Albert Einstein die Delegierten der WRI aus 56 Ländern mit den Worten:
- Ich wende mich an Sie,... weil Sie diejenige Bewegung vertreten, die am sichersten die Abschaffung des Krieges verbürgt. Wenn Sie klug und mutig handeln, können Sie die wirksamste Gemeinschaft in der größten aller menschlichen Bestrebungen werden. Die Männer und Frauen, die Sie vertreten, können zu einer größeren Weltmacht werden als das Schwert. Alle Nationen der Welt sprechen von Abrüstung. Sie müssen sie lehren, mehr zu tun, als bloß davon zu sprechen. Die Völker müssen den Staatsmännern und Diplomaten die Abrüstung aus der Hand nehmen. Die Völker müssen die Abrüstung selbst verwirklichen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden die pazifistischen Organisationen verboten und viele ihrer führenden Persönlichkeiten in Konzentrationslager inhaftiert. Dennoch gab es im Dritten Reich seit Wiedereinführung der Wehrpflicht 1934 etwa 8.000 Verweigerer, davon etwa 6.000 unter den Zeugen Jehovas, die übrigen unter Adventisten, Katholiken, Protestanten und Quäkern, nur sehr selten unter Nichtchristen.[1]
Die Bekennende Kirche verpflichtete ihre Mitglieder bei ihrer Gründung 1934 auf Glaubensgehorsam zu Jesus Christus im Widerspruch zu totalitären Staatsforderungen, trug aber den Polenfeldzug zusammen mit den Deutschen Christen geschlossen mit. Eine der wenigen Ausnahmen war der evangelische Christ Hermann Stöhr, der am 2. März 1939 seine Einberufung zu einer Wehrübung mit Bezug auf Mt 26,53 EU verweigerte:
- Mir mit meinem Volk sagt Christus: 'Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen'...So halte ich die Waffenrüstungen meines Volkes nicht für einen Schutz, sondern für eine Gefahr. Was meinem Volk gefährlich und verderblich ist, daran vermag ich mich nicht zu beteiligen.
Stöhr, von der BK-Leitung heftig gerügt, wurde am 31. August 1939 von der deutschen Feldpolizei verhaftet und am 10. Oktober wegen Fahnenflucht zu KZ-Haft, am 16. März 1940 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tod verurteilt und am 21. Juni geköpft.[2]
Bundesrepublik Deutschland
Grundrecht und Wehrpflicht
Wegen der Erfahrungen aus zwei Weltkriegen garantiert das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland das Grundrecht, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf (GG Artikel 4, Absatz 3). Die Bundesrepublik Deutschland war der erste Staat der Welt, der diesem Recht Verfassungsrang einräumte.
Nach der Gründung der Bundeswehr 1955 wurde das KDV-Grundrecht 1956 mit dem ersten Wehrpflichtgesetz und seinen späteren Novellierungen stark eingeschränkt. Seine Wahrnehmung wurde von einer behördlichen Überprüfung („Gewissensprüfung“) durch ein Antragsverfahren abhängig gemacht. Dennoch stieg die Zahl der Verweigerer allmählich an, besonders stark 1968. Bis 1983 betrug sie etwa zehn Prozent eines Musterungsjahrgangs.
1969 versuchte das Bundesverwaltungsamt, die Kriegsdienstverweigerer unter anderem in Schwarmstedt zu kasernieren. Zu dieser Zeit wohnten die Zivildienstleistenden noch bei den Dienststellen. Nach einem bundesweiten Streik der Zivildienstleistenden zu Ostern stellte das Amt seine Bestrebungen ein. Nach und nach vermehrte sich die Anzahl von Zivildienstleistenden, die zu Hause schliefen und jeweils nur zum Dienst (wie andere Menschen zur Arbeitsstelle) anreisten, sogenannter Heimschläfer.
KDV-Prüfungsverfahren
Anerkennungsgründe
Basis für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer sind ausschließlich Gewissensgründe. Im Art. 4 Abs. 3 Grundgesetz heißt es:
- Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.
Das Bundesamt für Zivildienst schreibt:
- nach § 2 Abs. 2 Kriegsdienstverweigerungsgesetz (KDVG) ist ein Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eine persönliche und ausführliche Darlegung der Beweggründe für die Gewissensentscheidung beizufügen.
- Die Darlegung ist persönlich und ausführlich, wenn Sie nach bestem Können erläutern, wie Sie zu der Überzeugung gekommen sind, unter keinen Umständen Menschen verletzen oder töten zu können. Dies müssen sie nachvollziehbar darstellen, z.B. in dem Sie prägende Einflüsse (Elternhaus, Schule, Religion usw.), Erlebnisse und Überlegungen schildern. Bei der Entscheidung, ob Ihre Begründung ausreichend ist, wird auch Ihr Bildungsgrad berücksichtigt. [...]
- Eine Darlegung, bei der ausschließlich oder zum Teil Vorlagen oder Muster (z.B. aus dem Internet) verwendet werden, reicht nicht aus. Die Begründung muss unterschrieben sein.
Die reine Behauptung, dass das Gewissen den Kriegsdienst verbiete, reicht nicht aus. Ebenfalls sind religiöse Gründe unzureichend. Beispielsweise wurden der Glaube und die Furcht, wegen der Tötung von Menschen im Krieg in die Hölle zu kommen, nicht anerkannt. Dagegen kann die Religion für den Gewissensbildungsprozess, der im Rahmen des Antrags dargestellt werden muss, durchaus wichtig sein. Zu Zeiten der deutschen Teilung wurde auch nicht akzeptiert, dass man eigenen Verwandten gegenüber stehen könnte und diese gegebenenfalls töten müsste.
Für eine Anerkennung muss der Antragsteller glaubhaft darlegen, dass er irreparablen seelischen Schaden erleiden und die Persönlichkeit zerbrechen würde, sollte er als Soldat einen Menschen töten müssen. Dagegen ist persönliche Notwehr (die von der kollektiven Notwehr unterschieden wird, in die ein Soldat gezwungen wird) akzeptabel. Sowohl in persönlicher Notwehr (Angriff auf das eigene Leben) als auch in persönlicher Nothilfe (z.B. Angriff auf Freundin/Freund) kann die Tötung des Angreifers in Kauf genommen werden, ohne dass die eigene Persönlichkeit zerbrechen muss. Dasselbe gilt, wenn man als Zivilist im Kriegsfall einen feindlichen Soldaten tötet, der sich rechtswidrig verhält (Genfer Konventionen). - Irrelevant dabei ist letztendlich die tatsächliche Gewissenslage. Die Ablehnung persönlicher Notwehr oder der Unwillen, das Leben eines Täters höher als das des Opfers zu bewerten, wurde im Einzelfall so ausgelegt, dass der Antragsteller unglaubwürdig sei.
Da heute in der Regel eine schriftliche Verweigerung zur Anerkennung ausreicht und es einen sinkenden Bedarf an Wehrdienstleistenden bei steigendem Bedarf an Zivildienstleistenden gibt, sind solche "Spitzfindigkeiten" kaum noch relevant.
Spätestens seit der Bundeswehrmajor Florian Pfaff die indirekte Mitwirkung am Irakkrieg erfolgreich verweigerte, ist es jedoch auch möglich, aus Gewissensgründen die Mitwirkung an besonders verwerflichen Handlungen, insbesondere an einem Angriffskrieg, zu verweigern. Dies gilt auch für aktive Soldaten. Voraussetzung ist, dass die Gewissensgründe nachvollziehbar dargelegt werden können.
Antrag
Wer in den Kriegsdienst an der Waffe verweigern will, muss dazu beim zuständigen Kreiswehrersatzamt einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (kurz KDV) stellen. Dieser Antrag kann schriftlich oder zur Niederschrift eingereicht werden. Bei der Niederschrift gibt es meistens vorgefertigte Formulare für den Antrag, die nur noch unterschrieben werden müssen. Die übrigen Unterlagen, Begründung und Lebenslauf können entweder sofort beigefügt oder nachgereicht werden. Der Antrag kann auch direkt bei der Musterung gestellt werden. Beim schriftlichen Antrag muss ein Hinweis auf Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes enthalten sein, ein tabellarischer Lebenslauf und eine schriftliche Darlegung der Gewissensgründe ist beizufügen. Bis 2004 gehörte auch ein polizeiliches Führungszeugnis dazu; es wird nur noch bei begründeten Zweifeln vom Bundesamt für den Zivildienst selbst eingeholt. Das Kreiswehrersatzamt leitet den Antrag an das Bundesamt weiter, das über ihn entscheidet. Zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ist in Deutschland das schriftliche Antragsverfahren vorgesehen. Für Form und Inhalt der Begründung gibt es keine Vorschrift. Nur wenn Zweifel bestehen, wird noch eine mündliche Anhörung durchgeführt. Für Kriegsdienstverweigerer, die bis zum 30. Juni 1983 ihren Antrag stellten, war eine Anhörung zwingend vorgesehen, weiterhin war bis 2006 die Anhörung bei Soldaten in der Regel vorgesehen.
Eine Kriegsdienstverweigerung kann jederzeit eingereicht werden, aufschiebende Wirkung hat aber nur ein Antrag vor der Einberufung. Wer danach verweigert, kann dennoch zur Bundeswehr eingezogen werden, bis über den Antrag entschieden wird. Allerdings wird dann in der Regel auf die militärische Ausbildung verzichtet und der Betreffende wird in der Regel bis zur Anerkennung seines Antrages vom Dienst befreit. Im Verteidigungsfall hindert ein Antrag nicht an der Einberufung.
Beratung für Kriegsdienstverweigerer bieten vielerorts die jeweiligen Beauftragten der christlichen Kirchen und die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner). Letztere unterstützt auch Totalverweigerer.
Kritik
Kritisiert wird oft, dass die Annahmeverfahren, die früher durch das Kreiswehrersatzamt und heute durch das Bundesamt für den Zivildienst durchgeführt werden, ob der großen Anzahl von Anträgen (etwa 30% eines Jahrgangs verweigern) sehr mangelhaft sind. So kann es sein, dass zwei gleiche Anträge von verschiedenen Antragsstellern zu gegensätzlichen Ergebnissen führen. Ebenfalls sind eindeutig rechtswidrige Anerkennungen bekannt, in denen der Antragsteller keinerlei Bezug auf Art. 4.3 GG nahm. Ein Fall wurde gar auf Basis ökologischer Gewissensgründe anerkannt, da Militärfahrzeuge im Gelände die Natur schädigen würden. Als noch in den ersten beiden Instanzen die Kreiswehrersatzämter entschieden, wurde zudem bemängelt, dass die Ausschüsse und Kammern naturgemäß parteiisch sein müssten. Diskutiert wurde daher immer wieder, ob nicht besser unabhängige Richter über die Anträge entscheiden sollten.
Ein genereller Kritikpunkt an den in Deutschland in der Vergangenheit und heute gegebenen Anerkennungsverfahren von Kriegsdienstverweigerern war die Fraglichkeit der Prüfbarkeit eines Gewissens. Bei den bis in die achtziger Jahre üblichen mündlichen Verfahren, die als Gewissensprüfung bezeichnet wurden, wurden teilweise ungewöhnliche Szenarien konstruiert, zu denen der Antragsteller eine seinem Gewissen konforme Stellungnahme abgeben sollte. Ein solches Szenario war, dass man versehentlich als Autofahrer jemanden tötet. Ein Antrag wurde abgelehnt, da sich der Antragsteller weigerte, seinen Führerschein abzugeben. Die Folge war, dass eine Reihe Zivildienstleistender im Fahrdienst Fahrten verweigerten. De facto wurden die Antragsteller jedoch von Organisationen, die Kriegsdienstverweigerer unterstützten, sowie von ihren Rechtsbeiständen darauf trainiert, rechtmäßig einwandfreie Antworten zu geben, sodass spätestens in dritter Instanz vor einem Verwaltungsgericht eine Anerkennung erstritten wurde.
Es ist kritisierbar, dass das Verfahren (auch in der heutigen Form) der Lüge Vorschub leistet. Wer den Zivildienst für wesentlich sinnvoller hält als den Wehrdienst, ohne diesen prinzipiell aus Gewissensgründen abzulehnen, hat einen starken Anreiz zu lügen – mit stillschweigender Billigung der meisten Beteiligten. Dies kommt dadurch zustande, dass es formell keine Entscheidung zwischen Wehr- und Zivildienst gibt, sondern aus rechtlicher Sicht die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer noch immer eine Ausnahme aus Sondergründen darstellt.
Die Art und Weise der Interaktion der Gewissensprüfer mit den Antragstellern wurde ebenfalls erheblich kritisiert. Antragsteller, die alleine ohne Beistand in die Verhandlungen gingen, berichteten regelmäßig von Voreingenommenheit, Beleidigungen und Provokationen. Teilweise wurde in Frage gestellt, ob ein Verfahren im Einzelfall noch der Menschenwürde gerecht würde.
Die konstruierten Szenarien in den mündlichen Verhandlungen waren ein dauerhafter Streitpunkt. Bevorzugt wurden hoch interpretierbare Szenarien vorgestellt, die teilweise jenseits jeder Wahrscheinlichkeit lagen. Ein Beispielszenario war, dass man sich nach dem Untergang eines Schiffes dank eines Stückes Treibholz über Wasser halten konnte. Ein anderer Schiffbrüchiger schwimmt heran, aber das Treibholz reicht nicht aus, um beide zu tragen. Was tut der Antragsteller? Weist er den anderen zurück, so konnte er offensichtlich doch die Tötung eines anderen Menschen akzeptieren. Sagte er aus, er würde sich opfern und das Treibholz dem anderen überlassen, so war die Antwort offensichtlich unglaubwürdig. Sagte er, es käme zu einem Kampf, so versuche der Antragsteller entweder einer Antwort auszuweichen, oder aber er sollte Stellung beziehen, ob er im Rahmen des Kampfes die Tötung des anderen in Kauf nahm. Es wurde jedoch gerichtlich festgestellt, dass die Bereitschaft zur persönlichen Notwehr und Nothilfe nicht zu Ungunsten des Antragstellers ausgelegt werden darf und die Glaubwürdigkeit einer Gewissensentscheidung nicht mindert.
Umstritten war, ob die Kreiswehrersatzämter informell Anerkennungsquoten hätten und somit die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern in den mündlichen Anhörungen eher von der Anzahl der benötigten Wehrpflichtigen bestimmt wurde, als von der Argumentation des Antragstellers. Dieselbe Frage wurde gestellt, als mit Abschaffung der mündlichen Anhörungen die Dauer des Zivildienstes von 16 auf 20 Monate erhöht wurde (Wehrdienst damals 15 Monate). Dabei wurde argumentiert, dass die Dauer des Wehrdienstes inklusive späterer Wehrübungen durchaus 20 Monate erreichen könne, was aber nur ausnahmsweise der Fall war. Mit derselben Argumentation wurde zuletzt auch die Verkürzung des Zivildienstes auf 9 Monate vertreten.
In Teilen der Gesellschaft fand man es stets bedenklich, dass ein Kriegsdienstverweigerer nachweisen musste, dass er irreparablen seelischen Schaden erleiden würde, sollte er gegen sein Gewissen Kriegsdienst an der Waffe leisten (und bei dieser Gelegenheit einen anderen Menschen töten) müssen. Dagegen wurde postuliert, dass ein normaler Soldat keinen solchen Schaden erleiden müsste, was allerdings der Gefechtsrealität widersprach. Einige Gruppierungen regten daher in den siebziger und frühen achtziger Jahren immer wieder eine analoge Prüfung für Soldaten an, in denen die angehenden Rekruten glaubhaft darlegen sollten, dass sie ohne irgendwelche psychischen Probleme Menschen töten könnten, da sie sonst zum Kriegsdienst mit der Waffe nicht geeignet seien. Der Vorschlag wurde zwar politisch niemals aufgegriffen, jedoch wird er nach wie vor diskutiert.
Kriegsdienstverweigerungen von Frauen
Seit dem 1. November 2003 können auch Soldatinnen den Kriegsdienst verweigern.
Davon abgesehen verweigern auch Frauen, die nicht in der Bundeswehr dienen, gelegentlich den Kriegsdienst, was aber oft nur zu Verwirrung bei den Ämtern führt. Basis ist hierbei Art. 12a Absatz 4 GG: Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden. Eine Frau, die, ohne der Bundeswehr anzugehören, diesen Dienst verweigert, tut das ohne Rechtsgrundlage und könnte mit einem Totalverweigerer gleichgesetzt werden. Rechtliche Konsequenzen aus Frauen-KDV sind nicht bekannt, da Verpflichtungen nach den Sicherstellungsgesetzen nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall ausgesprochen werden können und die Strafvorschriften auch nur dann greifen.
Im Verteidigungsfall ist aber sowohl das Nichtnachkommen einer Dienstverpflichtung als auch die Arbeitsverweigerung und das Kündigen einer Arbeitsstelle als Dienstverpflichteter ohne Zustimmung der zuständigen Behörde in jedem Fall eine Ordnungswidrigkeit. Die Handlung ist eine Straftat, wenn sie geeignet ist, die Sicherstellung der Arbeitsleistung merkbar zu beeinträchtigen und kann nach dem Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden.
Debatte um Wehrpflicht und soziales Dienstjahr
Derzeit findet in Deutschland eine Diskussion um die Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht statt, die letztendlich auch die Abschaffung des Zivildienstes mit sich brächte. Eine Kriegsdienstverweigerung beträfe im gesetzten Fall nur Zeit- und Berufssoldaten, die sich im Nachhinein auf Gewissensgründe berufen.
Da jedoch eine Reihe von sozialen Einrichtungen in erheblichen Maße auf Zivildienstleistende als engagierte und billige Arbeitskräfte angewiesen sind, würde dies zu finanziellen Problemen oder Personalengpässen bei diesen Einrichtungen führen. Diskutiert wird derzeit ein soziales Pflichtjahr („Dienstpflicht“) oder die Förderung freiwilligen Sozialdienstes, sollte die Wehrpflicht abgeschafft werden. Insofern wird die Zukunft der Wehrpflicht, der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes in Deutschland vom Gesetzgeber eher als eine politische Frage diskutiert, etwa angesichts des Problems, wie soziale Interessengruppen und die Finanzierung des Sozialstaats berücksichtigt werden können.
Die Frage der nationalen Verteidigungsfähigkeit und die Forderungen vieler Politiker und militärischer Kreise nach neuen Aufgaben der Bundeswehr nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und des Kalten Krieges, die deren Flexibilität und internationale Einsatzfähigkeit ermöglichen soll, wird mit einer Umstrukturierung der Armee beantwortet. Der Artikel 4 Absatz 3 in seinem moralischen Ursprung spielt bei diesen Diskussionen derzeit nur eine untergeordnete Rolle.
DDR
In der DDR gab es kein Grundrecht zur Wehrdienstverweigerung. Durch einen Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates am 7. September 1964 wurde jedoch die Bildung von sogenannten Baueinheiten angeordnet. Diese „Bausoldaten“ mussten keinen Waffendienst leisten, sondern wurden innerhalb der NVA unter anderem als Gärtner, Krankenpfleger oder bei Bauvorhaben eingesetzt. Vor allem in den letzten Jahren der DDR kam es auch zu Hilfseinsätzen in Großbetrieben der Industrie. Bausoldaten hatten nach ihrer Dienstzeit unter Umständen mit Nachteilen zu rechnen. Eine Totalverweigerung war mit Freiheitsstrafe bedroht. Dennoch gab es über die gesamte DDR-Zeit hinweg zahlreiche Wehrdienstverweigerer, so. z.B. die Zeugen Jehovas oder auch andere vor allem aus Glaubens- und Gewissensgründen. Viele wurden mehrfach inhaftiert. Ab 1985 wurde kein Wehrdienstverweigerer mehr eingesperrt. 1988 gründete eine kirchliche Initiative einen Diakonischen Friedensdienst als inoffizielle Alternative zur NVA.
Andere Staaten
Auch in vielen anderen demokratischen Staaten mit einer Wehrpflichtigen-Armee gibt es rechtlich die Möglichkeit, den Militärdienst zu verweigern. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird in den verschiedenen Ländern unterschiedlich liberal oder streng gehandhabt und ausgelegt. Manchmal ist dieses Recht nur auf bestimmte, meist religiöse Gruppen beschränkt, oder es ist verbunden mit der Überwindung von unterschiedlich hohen rechtlichen Hürden.
In vielen diktatorisch regierten Ländern war und ist Kriegsdienstverweigerung rechtlich nicht möglich; jeder kann dort zum Dienst an der Waffe gezwungen werden. Kriegsdienstverweigerung wird in solchen Staaten in der Regel als Fahnenflucht (Desertion) verfolgt und ist mit teilweise harten (Gefängnis-)Strafen verbunden. Im Kriegszustand kann die Kriegsdienstverweigerung bzw. Desertion mit der Todesstrafe geahndet werden.
Internationales Recht
1987 wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung durch die Vereinten Nationen mit nur zwei Gegenstimmen (Irak, Mosambik) als internationales Menschenrecht anerkannt.
Literatur
- Oberschachtsiek, Bernd. Aktiv gegen oliv. Leitfaden für Kriegsdienstverweigerer. 2., überarbeitete Auflage. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998. ISBN 3-462-02535-X.
- PDF-Download von: Rosenke, Jens, Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung in Artikel 4 Absatz 3 im Spannungsverhältnis mit der Landesverteidigung, FU Berlin SoSe 1999 (www.leistungsschein.de)
- Totalverweigerer BRDDR. ami-Verlag, Berlin 1990, ISSN 0342-5789
- Dr. Klemens Richter: Die Verweigerung des Waffendienstes in der DDR. ARB-WK 10/79. Hrsg: Katholischer Arbeitskreis Entwicklung und Frieden, Kommission Justitia et Pax in der BRD. Selbstverlag, Bonn April 1979. 108 Seiten.
Siehe auch
Weblinks
- Beispiel einer Musterverweigerung -isoliert.de - Ein Muster einer Kriegsdienstverweigerung zum Download
- bundesrecht.juris.de - Gesetz über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen (Deutschland)
- Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen
- Pfarramt für Friedensarbeit, KDV und ZDL - Hinweise zur Abfassung der Begründung
- Der Weg zur Kriegsdienstverweigerung - Unterseite des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen mit weiterführenden Links
- Online-Bibliographie Theologie und Frieden des IThF - Die Online-Bibiliographie Theologie und Frieden des Instituts für Theologie und Frieden (IThF), Hamburg, enthält ca. 148.000 durch detaillierte Deskriptoren sacherschlossene Titel. Berücksichtigung findet dabei für friedensethische Forschung relevante Literatur aus einzelnen Disziplinen der Theologie und anderen Wissenschaften
- Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung in den Ländern der Welt (engl.)
- Kampagne zur Abschaffung von Zwangsdiensten
- Schweizer Beratungsstelle für Militärverweigerung und Zivildienst
- ↑ G. Grünewald: Kriegsdiesntverweigerung, in: Hermes Handlexikon (Hrsg.: Helmut Donat, Karl Holl): Die Friedensbewegung, Econ Taschenbuch Verlag, Düsseldorf 1983, ISBN 3-612-10024-6, S. 236-239
- ↑ Hans Prolingheuer, Thomas Breuer: Dem Führer gehorsam: Chrsiten an die Front. Publik Forum 2005, ISBN 3-88095-147-0, S. 121-140