Fundamentalismus

Überzeugung, die ihre Interpretation einer inhaltlichen Grundlage (Fundament) als einzig wahr annimmt
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Fundamentalismus bezeichnet religiöse Strömungen, deren Ziel eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der Religion ist. Der Begriff stammt von den im 19. Jahrhundert entstandenen evangelikalen Bewegungen in den USA und leitet sich aus dem Namen einer von 1909 bis 1915 unter dem Titel The Fundamentals herausgegebenen Zeitschrift ab.
Fundamentalistische Bewegungen existieren in allen großen Weltreligionen, wenn auch die genaue Einordnung einer Bewegung als fundamentalistisch oft problematisch ist.

Charakteristisch für den Fundamentalismus sind die wortgetreue Interpretation heiliger Texte und die Ablehnung kritischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit religiösen Texten (siehe Verbalinspiration). Fundamentalistische Bewegungen lehnen die Errungenschaften der Moderne wie politischen Pluralismus und Säkularismus radikal ab und propagieren ein Modell der Rückkehr zu traditionellen Werten und des strikten Festhaltens an Glaubensdogmen. Für manche fundamentalistische Gruppen sind darüberhinaus eine starke Betonung religiöser Missionsgedanken typisch.

Fundamentalistischen Anschauungen liegt oft ein dualistisches Muster zugrunde, nach dem die Anhänger des Wahren und Guten im Kampf gegen die Schlechten, anders Denkenden und anders Gläubigen begriffen sind.

Eine Wurzel des Fundamentalismus lässt sich in religiösen Protestbewegungen sehen, die sich diversen Erneuerungs- und Reformationsbewegungen artikulierten. Der Fundamentalismus bildet dabei das grundsätzlich reaktionäre Moment. Er bleibt strukturell konservativ, antiaufklärerisch und antiemanzipatorisch.

Christlicher Fundamentalismus

Viele christliche Fundamentalisten lehnen die Darwinsche Evolutionstheorie ab und suchen die biblischen Aussagen über die Schöpfungsgeschichte gegen eine naturwissenschaftliche Betrachtung und Erforschung der Herkunft von Mensch und Kosmos auszuspielen. In den USA erreichte diese Kreationismus-Debatte in den 1930er Jahren ihren Höhepunkt im sogenannten Affenprozess, in dessen Folge die Lehre der Evolutionstheorie an den Schulen in einigen amerikanischen Staaten gesetzlich verboten wurde. Im Protestantismus existieren heute zahlreiche fundamentalistische Gruppen, die häufig auch als biblizistisch, evangelikal oder pietistisch bezeichnet werden. Auch in der katholischen Kirche gibt es fundamentalistische Tendenzen (siehe auch Ultramontanismus, Integralismus), vertreten u.a. von Organisationen wie dem Opus Dei oder dem Engelwerk.

Islamischer Fundamentalismus

Der islamische Fundamentalismus, der die Selbstbezeichnung Islamismus bevorzugt, versteht sich als ein kritisches Moment am vermeintlichen Niedergang des Islam in der arabischen Welt und der Diaspora. Sowohl im Glaubenssystem wie auch in den Handlungsanweisungen stellt er Abweichung von den wörtlich verstandenen Texten aus Koran und Hadit fest, und macht als ideen- und sozialkritische Bewegung für Unmoral, Korruption und andere politische Übel der islamischen Länder ihre "Verwestlichung" verantwortlich. Sayyid Qutb (von...bis... wo?), einer der Vordenker der Muslimbruderschaft, propagierte romantisierend einen islamischen Staat als Garant sozialer Gerechtigkeit. Hierbei unterscheiden sich Fundamentalisten von "Konservativen" in der Verwerfung der historischen bis an die Gegenwart gewachsenen islamischen Traditionen als "degeneriert".

Im Islam bildeten sich fundamentalistische Bewegungen im engeren Sinne in den 1930er Jahren, gleichwohl hatte es in der Geschichte des Islam immer wieder radikale religiöse Bewegungen gegeben, so z.B. die Wahhabiten im 18. Jahrhundert, die später den heutigen Staat Saudi Arabien prägten. Bis heute maßgeblich ist vor allem die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (Al-Ikhwan al-muslimun). Die islamischen Fundamentalisten opponieren dem säkularen Staatsmodell und fordern die Einführung des islamischen Rechts, das politische, wirtschaftliche und soziale Probleme beseitigen solle.

Fundamentalistische Gruppen sind nicht hierarchisch organisiert, sondern treten quer durch die islamische Welt verbreitet auf. Viele davon erhalten finanzielle Unterstützung vom Staat Saudi-Arabien.


Jüdischer Fundamentalismus

Im Judentum manifestiert sich der Gegensatz fundamentalistischer und liberaler Haltungen besonders in der Frage der engeren oder weiteren Auslegung des Religionsgesetzes, des sogenannten "Zauns um die Tora". Politisch bedeutsam ist der von jüdischen Fundamentalisten, z.B. der Bewegung Gush-Emmunim (Block der Gläubigen), vertretene göttliche Anspruch der Juden auf Eretz Israel, das heilige Land.


Interpretationsansätze

Die Hinwendung vieler Menschen zu fundamentalistischen Bewegungen lässt sich als Flucht vor der Komplexität der Moderne interpretieren. Der deutsche Politologe Thomas Meyer beschreibt beispielsweise die Gemeinsamkeiten der einzelnen Fundamentalismen als Umkehrung des Aufklärungsbegriffs, wie Immanuel Kant ihn definierte: "Fundamentalismus ist der selbstverschuldete Ausgang aus den Zumutungen des Selberdenkens, der Eigenverantwortung, der Begründungspflicht, der Unsicherheit und der Offenheit aller Geltungsansprüche, Herrschaftslegitimationen und Lebensformen, denen Denken und Leben durch Aufklärung und Moderne unumkehrbar ausgesetzt sind, in die Sicherheit und Geschlossenheit selbsterkorener Fundamente. Vor ihnen soll alles Fragen haltmachen, damit sie absoluten Halt geben können..."

Politische Bedeutung des Fundamentalismus

Im späten 20. Jahrhundert erlangten einige fundamentalistische Bewegungen vor allem wegen ihrer Verbindung mit Gewalt und Terrorismus weltweite Aufmerksamkeit. Der sich gewaltsam äußernde Fundamentalismus wird deshalb von Einigen als eines der größten weltpolitischen Probleme des 21. Jahrhunderts gesehen (siehe auch Huntingtons Theorie vom Kampf der Kulturen). Gewalttätige fundamentalistische Gruppen sind z.B. Al-Qaida, die libanesische Hisbollah (Hizb Allah "Partei Allahs") und die amerikanische "Jewish Defense League".

Im 20. Jahrhundert fand der Begriff Fundamentalismus auch in einer etwas harmloseren Variante Eingang in die Sprache der Politik, insbesondere in der Auseinandersetzung innerhalb der Grünen Partei zwischen den Fundis und den Realos; neuerdings auch in Auseinandersetzungen innerhalb der PDS.