Vesta war die der griechischen Hestia in ihrem Namen wie in ihrem Wesen entsprechende italische, insbesondere latinische, Göttin des Herdes und Herdfeuers, die wie jene neben der Verehrung auf dem Herd jedes Hauses noch einen besondern Staatskultus hatte.
In Rom war derselbe von Numa aus Lavinium eingeführt worden, wohin Äneas das heilige Herdfeuer und die Penaten von Troja gebracht haben sollte, daher auch die römischen Konsuln und Diktatoren bei Antritt und Niederlegung ihres Amtes in dem dortigen Vestatempel opferten. Überhaupt pflegten wie in Griechenland, so in Italien die Pflanzstädte das Feuer ihrer Vesta an dem Herd ihrer Mutterstadt zu entzünden.
In dem von Numa auf dem Abhang des palatinischen Hügels erbauten alten Rundtempel der Vesta, der als Mittelpunkt der Stadt galt, und in dessen Nähe sich das so genannte Atrium der Vesta, die Wohnstätte der jungfräulichen Priesterinnen der Göttin, der Vestalinnen, befand, wurde die Göttin nicht im Bild, sondern unter dem Symbol des ewigen Feuers verehrt, dessen Erhaltung die Hauptobliegenheit der Vestalinnen bildete. An jedem 1. März wurde es erneuert; erlosch es von selbst, so galt dies für ein großes Staatsunglück, und die schuldige Vestalin wurde vom Pontifex gegeißelt; neu entzündet durfte es nur werden durch Brennspiegel oder durch Bohren eines Holzstücks von einem fruchttragenden Baum. Wie am Hausherd die Laren und Penaten, so befanden sich in dem Vestatempel die Penaten des Staats, und wie dort, so wurde auf dem Tempelherd täglich ein Speisopfer dargebracht, die einfachsten Nahrungsmittel in einfachem Tongeschirr. Die täglichen Reinigungen durften nur mit fließendem Wasser vollführt werden, welches die Vestalinnen aus dem Quell der Egeria in Krügen auf dem Kopf herbeitrugen.
Der Tempel war bis auf einen nur den Vestalinnen zugänglichen Raum, in dem sich das Palladium mit andern geheimen Heiligtümern befand, bei Tage jedem zugänglich; nur nachts war der Zutritt Männern untersagt. Als Göttin des heiligen Herdfeuers der einzelnen Häuser und der ganzen Stadt war Vesta auch die Göttin jedes Opferfeuers, daher wurde sie wie Janus bei jedem Gottesdienst mit verehrt, und wie jener zuerst, so wurde sie zuletzt genannt. Ein eignes Fest, die Vestalia, wurde ihr am 9. Juli gefeiert; die Matronen der Stadt wallfahrteten dann barfüßig zu ihrem Tempel, um den Segen der Göttin für den Haushalt zu erflehen, und brachten ihr in einfachen Schüsseln Speisopfer dar, und zur Erinnerung an die Zeit, wo der Herd allgemein auch zum Backen des Brots diente, hielten Müller und Bäcker Feiertag, wurden die Mühlen bekränzt und den Müllereseln Kränze und Brote umgehängt.
Der Dienst der Vesta erhielt sich bis in die letzten Zeiten des Heidentums; erst 382 n. Chr. hob ihn Gratian auf. Gab es auch in den Tempeln kein Bild der Göttin, so fehlte es doch im spätern Rom daran nicht; wie die griechische Hestia wurde sie bald stehend, bald sitzend dargestellt, ganz bekleidet und verschleiert, mit den Attributen der Opferschale, der Fackel, des Zepters und des Palladiums.
Aus: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl. 1888/89