Die Neutronenstreuung ist eine physikalische Methode zur Untersuchung kondensierter Materie. Eine zu untersuchende Probe wird in einen Neutronenstrahl gehalten. Aus der Verteilung der gestreuten Neutronen kann auf bestimmte Eigenschaften der Probe zurückgeschlossen werden.
Der Begriff Neutronenbeugung wird selten verwendet. Die Wortwahl "Streuung" statt "Beugung" bringt zum Ausdruck, dass Neutronenstreuung, anders als typische Beugungsmethoden (Röntgenbeugung, Elektronenbeugung) nicht nur für Strukturuntersuchungen, sondern unter Berücksichtigung inelastischer Streuprozesse auch zur Erforschung molekularer Dynamik eingesetzt wird.
Übersicht: Wozu Neutronenstreuung?
Da Neutronen keine elektrische Ladung besitzen, dringen sie recht tief in Materie ein: ihre freie Weglänge in kondensierter Materie ist von der Größenordnung Millimeter (der genaue Wert hängt von der Isotopenmischung der Probe ab). Deshalb ist Neutronenstreuung geeignet, Volumeneigenschaften von Materie zu untersuchen - im Gegensatz etwa zur Elektronenbeugung, die auf oberflächennahe Bereiche beschränkt ist.
Wie alle Elementarteilchen haben Neutronen nicht nur Teilchen-, sondern auch Welleneigenschaften. Die Wellenlänge langsamer Neutronen beträgt ungefähr 0,1 bis 1 nm und ist somit von der gleichen Größenordnung wie Atomabstände in Molekülen und Festkörpern. Ähnlich wie bei der Beugung von Licht an einem Gitter kommt es auch bei der Streuung von Neutronen an einer regelmäßig aufgebauten Probe zu wellenmechanischen Interferenzen; die Winkelverteilung der gestreuten Neutronen besitzt die Regelmäßigkeit eines Beugungsbildes, aus dem auf die atomare Struktur der untersuchten Probe zurückgeschlossen werden kann.
Die bis hierhin genannten Eigenschaften - elektrische Neutralität und Wellenlänge im nm-Bereich - teilen Neutronen mit Röntgenstrahlung. Für Strukturuntersuchungen setzt man daher in erster Linie die konzeptionell ähnliche, experimentell aber wesentlich unaufwändigere Röntgenbeugung ein. Neutronenstreuung ist von Vorteil, wenn man die folgenden weiteren Eigenschaften des Neutrons ausnutzen kann:
Der Streuquerschnitt von Neutronen hängt von kernphysikalischen Eigenschaften der streuenden Atomkerne ab und variiert deshalb von Isotop zu Isotop. Im Gegensatz dazu wird Röntgenstrahlung vor allem von Elektronen gestreut, weshalb der Streuquerschnitt mit der Ordnungszahl ansteigt und Wasserstoff für Röntgenbeugung beinahe unsichtbar ist. Insbesondere bei der Untersuchung biologischer Proben wird Neutronenstreuung komplementär zur Röntgenbeugung eingesetzt, um die Position von Wasserstoffatomen zu bestimmen. Durch Isotopenaustausch kann man die Aussagekraft von Neutronenstreuexperimenten gezielt steigern.
Neutronen besitzen ein magnetisches Moment und streuen daher an magnetischen Gittern. Neutronenstreuung ist daher eine essentielle Methode zur Untersuchung magnetischer Strukturen.
Die Energie langsamer Neutronen beträgt wenige meV und ist daher von gleicher Größenordnung wie die Anregungsenergie von Phononen und Magnonen. Inelastische Neutronenstreuung ist daher die Standardmethode zur Vermessung der Dispersion von Phononen und Magnonen.
Wo wird Neutronenstreuung betrieben?
Als Neutronenquelle benötigt man einen Forschungsreaktor oder einen Teilchenbeschleuniger mit Spallationstarget. Deshalb ist Neutronenstreuung nur an dedizierten Großforschungseinrichtungen möglich. Die bedeutendsten Forschungszentren für Neutronenstreuung sind
- In Europa
- das Institut Laue-Langevin in Grenoble
- das Laboratoire Léon Brillouin im Centre d'Etudes nucléaires de Saclay bei Paris
- der Forschungsreaktor München 2 in Garching
- das Hahn-Meitner-Institut in Berlin
- das Paul-Scherrer-Institut in Villigen AG in der Schweiz
- das Rutherford-Appleton Laboratory bei Oxford
- In Amerika
- das NIST in Gaithersburgh MD bei Washington DC
- Brookhaven, historisch bedeutend, inzwischen stillgelegt (?)
- Chalk River (Kanada?), historisch bedeutend