Hyperventilation

über den Bedarf gesteigerte Lungenbelüftung
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Bei Hyperventilation (von Griechisch ὑπέρ „über“ und Lateinisch ventilare „fächeln“) ist die Atmung zu schnell und/oder zu tief, so dass der Kohlendioxidgehalt im Blut unter normale Werte sinkt. Dabei ist die Ventilation primär frequenzunabhängig, ausschlaggebend ist der Gasaustausch in den Alveolen. Selbst bei einer tiefen Atmung kann man nicht von einer Hyperventilation sprechen, wenn der Patient eine Lungenfibrose hat und somit die Alveolen zu einem Gasaustausch nicht in der Lage sind.

Das Gegenteil (zu viel Kohlendioxid im Blut, insbesondere durch zu flaches Atmen) heißt Hypoventilation. Das Phänomen einer zu schnellen Atmung, ohne Berücksichtigung der Kohlendioxidkonzentration im Blut, bezeichnet man korrekt als Tachypnoe.

Ursachen

Außer zugrundeliegenden inneren Krankheiten (Azidose, Lungenembolie und andere Lungenerkrankungen, Calcium- oder Magnesiummangel, Fieber, Leberschaden, Salicylatvergiftung, Hirnentzündung (Enzephalitis)) kann auch psychischer Stress unbewusst zur Hyperventilation führen. Neben Stress auch Angst, Depression, Panik, Aggression. Bei Pop-Konzerten geraten häufig aufgeregte Fans in die Hyperventilation. Es kann auch zum Hyperventilieren kommen, ohne eigenen Einfluss, z. B. Allergiker sind oft betroffen.


Ein besonderer Fall der (willentlichen, aber nicht beabsichtigten) Hyperventilation kann auftreten bei der Zirkularatmung, wie sie Blasinstrumentenspieler, v. a. beim Didgeridoo verwenden. Eine Anwendung mit gewollter Hyperventilation stellt hingegen das holotrope Atmen, einer Spezialform einer Atemtherapie dar.

Symptome

Die Hyperventilation führt zu einer respiratorischen Alkalose (Respiratorisch = Durch die Atmung bedingt. Alkalose = Alkalisches Blut, d.h. erhöhter pH-Wert. Es handelt sich also um eine pH-Verschiebung des Blutes richtung Alkalisch, bedingt durch die Atmung), durch die es zu Krämpfen (Hyperventilationstetanie) mit typischer Pfötchenstellung der Arme und Hände, zu Kribbeln und zu Taubheitsgefühl (besonders um den Mund herum; "Karpfenmund") und zu Schwindel kommt. Mit den Krämpfen und dem Kribbeln steigt meist auch die Panik. Dies kann bis zur Bewusstlosigkeit führen.

Wirkungsweise

Die Atemfrequenz des Menschen wird primär durch Kohlendioxid-Rezeptoren geregelt, die sich im verlängerten Rückenmark befinden. Steigt der CO2-Gehalt im Blut, erhöht sich die Atemfrequenz. Eine sekundäre Atemsteuerung (unter Normalbedingungen deutlich geringerer Einfluss) übernehmen Sauerstoff und pH-Rezeptoren. Die erhöhte Durchlüftung führt kaum zu einer Mehraufnahme von Sauerstoff im Körper, da die Aufnahmefähigkeit des Blutes für Sauerstoff schon bei normaler Atmung meist voll gedeckt wird (etwa 97 % Sättigung). Allerdings kommt es zur vermehrten Abatmung des im Körper entstehenden Kohlendioxid. Da Kohlendioxid im Blut als Kohlensäure gebunden ist, verschiebt sich dadurch der Säure-Basen-Haushalt des Betroffenen in Richtung basisch, der pH-Wert des Blutes steigt. Im Normalfall würde das Atemzentrum nun gegenregeln und die Atemfrequenz senken. Wieso dies nicht geschieht, lässt sich in wenigen Sätzen erläutern: Durch die niedrigere Wasserstoff-Ionen-Konzentration (erhöhter pH-Wert) kommt es zum Freiwerden von Bindungsstellen am Albumin für Calcium. Calcium binden sich an Albumin, die Menge der freien Calcium-Ionen im Blut sinkt. Die verringerte Ca-Konzentration im Blut führt zu einem verringerten Ruhepotential an Muskelzellen - diese kontrahieren sich. Auch in Gefäßen befindet sich glatte Muskulatur - es kommt zur Vasokonstriktion, vor allem bei Hirngefäßen. Das Atemzentrum wird mit zu wenig Sauerstoff versorgt. Unter Normalbedingungen ist der Einfluss der O2-Rezeptoren gering, unter diesen "Ausnahmebedingungen" steigt er deutlich über den der CO2-Rezeptoren. Die O2-Rezeptoren melden einen Sauerstoffmangel, es kommt zu einer pathologisch erhöhten Atemfrequenz und einem Teufelskreis.

Diese Wirkungsweise macht man sich in Diagnostik von Epilepsien zu Nutze, da hierdurch während einer EEG-Ableitung epileptische Entladungen aktiviert bzw. provoziert werden können.

Bei unangenehmen Nebenwirkungen hilft auch hier die nachfolgend beschriebene Methode.

Komplikationen

Normalerweise kommt es bei der Hyperventilation nicht zu schwerwiegenden Komplikationen. Im Extremfall kommt es, bedingt durch die Verkrampfung der Hirngefäße, zu einer Sauerstoffminderversorgung im Gehirn und dadurch zu einer Synkope. Die Hauptgefahr besteht also in der Aspiration bzw. Verlegung der Atemwege durch den Zungengrund.

Bewusst herbeigeführte Hyperventilation (Reinkarnationstheorie, Astralreise) kann einen Trancezustand bewirken. Diese Art der Hyperventilation kann im Extremfall zu tetanischen Anfällen, epileptischen Anfällen und sogar zu Hirnschädigungen führen.

Behandlung

  • Ausgleich des Säure-Basen-Haushalts über Infusion (wird heute nicht mehr praktiziert)
  • Die Verabreichung von Calcium intravenös wird von vielen Ärzten angewandt, obwohl es sich hierbei um reine Laborkosmetik handelt, die zudem nicht ganz ungefährlich ist. Wie oben erläutert, kommt es bei der Hyperventilation nur zu einem relativen Calcium-Mangel, da das Calcium vermehrt an das Albumin gebunden ist. Wird Calcium verabreicht, kommt es nach Normalisierung des pH-Wertes zu einer gefährlichen Hypercalcämie.
  • Bei Lungenembolie: Sauerstoffgabe und Krankenhauseinweisung.
  • Bei psychischer (Angst, Stress, Panik, Hysterie) Hyperventilation: diskutiert wird Rückatmung (mehrmals in eine Plastik- oder Papiertüte bzw. eine Hyperventilationsmaske aus- und einatmen). Durch das mehrmalige Ein- und Ausatmen in die Tüte und den dadurch vergrößerten Hohlraum atmet der Patient seinen eigenen Atem ein und nimmt so mehr Kohlendioxid auf (Der Diffusionsdruck in den Alveolen steigt). Dadurch normalisiert sich der pH-Wert, das Atemzentrum wird wieder mit Sauerstoff versorgt, der Atemreiz sinkt. Allerdings Vorsicht, da dies bei zugrundeliegenden ernsthaften Erkrankungen gefährlich sein kann, außerdem kann es die Panik verstärken, wenn man einer Person, die glaubt, keine Luft mehr zu bekommen, eine Tüte vor das Gesicht hält. Da eine Beruhigung der Person oft nicht möglich ist (verkrampfte Hirngefäße führen zu einem temporär verminderten Denkvermögen), ist eine Rückatmung oft die einzig sinnvolle Alternative. Statt einer Plastiktüte kann auch eine nach oben gehaltene Zeitungsrolle vor Mund und Nase helfen, da diese den Hohlraum vergrößert und somit die CO2-Rückatmung verstärkt.
  • Klinisch ggf. pharmazeutische Sedierung z. B. mit einem Benzodiazepin.

Erste-Hilfe-Maßnahmen

  • Notruf (selten Notarztindikation)
  • Beruhigen (!)
  • Flachlagerung mit leicht erhöhtem Oberkörper
  • Rückatmung des Patienten in eine Plastiktüte (wenn vorhanden: Anlage einer Hyperventilationsmaske)

Gefahren und Differentialdiagnose

Im Normalfall tritt eine primäre Hyperventilation auf. Dies kann dazu verleiten, bei jeder Hyperventilation eine primäre Hyperventilation zu unterstellen und eine sekundäre Hyperventilation zu übersehen. So können auch andere Krankheitsbilder wie eine Hyperglykämie (saure Ketonkörper im Blut) eine Hyperventilationsatmung (Kussmaul-Atmung) auslösen. In diesem Fall versucht der Körper, die metabolische Azidose (Stoffwechselbedingte Übersäuerung) durch vermehrtes Abatmen von CO2 auszugleichen.

Vorsicht ist auch geboten, wenn der Patient zyanotisch ist. Eine Zyanose entsteht bei einer niedrigen Sauerstoffsättigung des Hämoglobins im Blut. Da bei der Hyperventilation allerdings kein Sauerstoffmangel besteht, sollte eine Zyanose immer Grund zu einer genaueren Untersuchung des Patienten sein (Blutzuckerbestimmung, etc.).

Als Differentialdiagnose ist ebenso die Lungenembolie sowie ein stummer Herzinfarkt zu bedenken.

Begriffsklärung

Hyperventilation kann man nur auf Grund eines durch Blutgasanalyse ermittelten zu niedrigen CO2-Wert diagnostizieren, nicht auf Grund einer erhöhten Atemfrequenz, die man Tachypnoe nennt. Umgangssprachliche Aussagen, etwa ein hysterisches Kind „hyperventiliere“, sind also fachlich nicht ganz korrekt, andererseits gibt es zu Tachypnoe aber auch keine gebräuchliche Verbform.

Siehe auch