Nikita Sergejewitsch Chruschtschow

sowjetischer Politiker und Regierungschef (1894-1971)
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Oktober 2007 um 22:32 Uhr durch Wesener (Diskussion | Beiträge) (Komma). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Nikita Sergejewitsch Chruschtschow (russisch Никита Сергеевич Хрущёв [nʲɪˈkʲitə sʲɪˈrgʲejɪvʲɪtʃ xruˈʃtʃof] anhören/?, wiss. Transliteration Nikita Sergeevič Chruščëv; * 17. April 1894 in Kalinowka, Rayon Dmitriew, Gouvernement Kursk, Russland; † 11. September 1971 in Moskau) war ein sowjetischer Politiker und Regierungschef.

Chruschtschow (rechts) mit Richard Nixon (Kreml, Moskau im Juli 1959)

Leben

Frühe Jahre

Nikita Chruschtschow stammte aus einer einfachen russischen Arbeiterfamilie aus der Ukraine. Er absolvierte eine Lehre zum Maschinenschlosser und arbeitete dann im Bergwerk, in dem schon sein Vater gearbeitet hatte. Er schloss sich der Gewerkschaft der Bergleute an. In der Bergbaustadt Jusowka lernte er bereits Lasar Kaganowitsch kennen, der ihn in späteren Jahren förderte und mit dem er im Politbüro lange Jahre zusammenarbeitete. Er trat 1918 in die Kommunistische Partei sowie in die Rote Armee ein. Er nahm als Freiwilliger in der Roten Armee am Bürgerkrieg teil.

Am Ende des Bürgerkriegs 1921 fiel seine erste Frau Galina Chruschtschowa der Hungersnot in Sowjetrussland zum Opfer.

Chruschtschow absolvierte ab 1922 eine Ausbildung an der Arbeiterfakultät von Jusowka und leistete Parteiarbeit unter den Studenten. Hier lernte er auch Nina Petrowna Kuchartschuk kennen, die er 1924 heiratete.

Aufstieg

1925 ernannte man ihn zum Parteisekretär des Bezirks Petrowo-Marinsk im Gebiet Stalino (zuvor: Jusowka) in der Ukrainischen SSR. 1925 nahm er am XIV. Parteitag der KPdSU teil, wo er erstmals persönlich Stalin zu Gesicht bekam. Beim nächsten, dem XV. Parteitag 1927 erlebte er die Niederlage der linken Opposition (Leo Trotzki, Sinowjew u. a.). Er machte sich als Stalin-Anhänger bemerkbar. Als solcher wurde er in den Parteiapparat der Ukraine befördert, in die damalige Hauptstadt Charkiw, später nach Kiew. 1929 nutzte er eine Chance zur Weiterbildung und besuchte die Industrieakademie in Moskau, zu der pro Jahr nur wenige hundert Parteifunktionäre auf Empfehlung zugelassen wurden. Auch hier übernahm er wieder Parteiarbeit. Außerdem lernte er Stalins Frau Nadeschda Allilujewa kennen († 1932). Dadurch wurde auch Stalin auf ihn aufmerksam. Nadeschda, die sich sehr gut mit Chruschtschow verstand, hat ihn Stalin gegenüber immer wieder positiv erwähnt, und das auf Jahre. Dies wurde Chruschtschow bewusst, als er in späteren Jahren oft zu Gast am Tisch Stalins war. Er nannte Nadeschda sein „Lotterielos“, denn ihretwegen habe Stalin ihm vertraut.

Nicht zuletzt durch dessen Wohlwollen wurde er 1931 Parteichef des Industriebezirks Krasnaja Presnja, einer der wichtigsten Parteibezirke Moskaus. Sein Aufstieg in Moskau erfolgte schnell. Schon 1932 wurde er Zweiter Sekretär des Stadtparteikomitees, 1933 Chef des Moskauer Gebietsparteikomitees.

1934 (bis 1966) wurde er auf dem XVII. Parteitag ins Zentralkomitee (ZK) der KPdSU gewählt. Ab 1935 war er für die Neubauten in Moskau verantwortlich, darunter auch für den Bau der Moskauer Metro, wofür er seinen ersten Leninorden erhielt.

Im Zentrum der Macht

Sowjetische Führer der Bolschewiki (1917–1952)
und der KPdSU (1952–1991)
Skalenmarkierungen Start
1915 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1920 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1925 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1930 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1935 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1940 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1945 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1950 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1955 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1960 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1965 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1970 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1975 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1980 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1985 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1990 —
Skalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen Start
1995 —
Skalenmarkierungen Ende

Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende

Skalenmarkierungen StartSkalenmarkierungen Ende
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Triumvirat
Duumvirat
Kollektive Führung
Duumvirat

Im Politbüro

Von 1938 bis 1939 wurde er an Stelle von Pawel Postyschew (1938 erschossen) Kandidat des Politbüros der KPdSU. 1939 stieg er auf in das höchste politische Gremium der UdSSR, er wurde Vollmitglied im Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und zwar in der Zeit vom 22. März 1939 bis zum 14. Oktober 1964.

In der Ukraine löste er Stanislaw Kossior (Kossior wird noch 1938 erschossen) als Parteichef ab. Mit einjähriger Unterbrechung leitete er von 1938 bis 1949 als Erster Sekretär die ukrainische Parteiorganisation (1946 bis 1947 nahm Lasar Kaganowitsch seinen Platz ein). Er unterstützte sowohl als Moskauer wie als Ukrainischer Parteichef, so wie alle überlebenden Politbüromitglieder, die Stalinsche Säuberungen.

Im Zweiten Weltkrieg war Chruschtschow, im Rang eines Generalleutnants aktiv, zunächst als höchster Politoffizier bei Marschall Budjonny und danach bei Marschall Timoschenko an der ukrainischen Front. Hier musste auch er die verheerenden Niederlagen gegenüber Stalin vertreten. Verantwortlich war er auch für den Abtransport des industriellen und landwirtschaftlichen Maschinenparks der Ukraine und für die Organisation des Partisanenkampfs in der Ukraine. Als Frontkommissar war er bei den Stalingradkämpfen 1942 und 1943 bei Generaloberst Jerjomenko und sodann erfolgreich an der Schlacht bei Kursk (Marschall Rokossowski) tätig. Sein Sohn Leonid wurde in dieser Zeit als Flieger abgeschossen.

Vom 16. Dezember 1949 bis zum 7. September 1953 war er Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU und führte dort ab 1950 das Landwirtschaftsressort. Seine Wahlrede vom 7. März 1950 leitete eine großangelegte Kampagne zur Zusammenlegung der Kolchosen ein. Von 1949 bis 1953 war auch Erster Sekretär (Obkomsekretär) der Parteiorganisation des Gebietes von Moskau. Auf dem 1952 stattfindenden XIX. Parteitag der KPdSU spielte er eine prominente Rolle: er hielt das Referat über die bedeutsamen Abänderungen am Parteistatut.

Stalins Tod; Chruschtschow Erster Sekretär

24 Stunden nach dem Tod Stalins am 5. März 1953 wurde kurzerhand eine Reihe von Veränderungen bekanntgegeben: Das Präsidium wurde von 25 auf 10 Vollmitglieder und die Anzahl der Kandidaten von 11 auf 4 reduziert. Die Rangliste führte Georgi Malenkow an (Chruschtschow Nr. 5), der damit als Erster Parteisekretär kurzzeitig Parteichef war, und der gleichzeitig Stalin im Amt des Ministerpräsidenten (Erster Stellvertreter: Lawrenti Beria) beerbte. Das Sekretariat des ZK wurde von sechs auf drei Mitglieder verkleinert, bestehend aus Chruschtschow, Michael Suslow und Pjotr Pospelow. Am 27. Juni 1953 wurde der von allen Politbüromitgliedern gefürchtete Geheimdienstchef Lawrenti Beria kurzerhand verhaftet und noch 1953 mit anderen Geheimdienstlern erschossen. Chruschtschow, nunmehr dienstältester Sekretär, erreichte im Rahmen einer von den Politgrößen angestrebten kollektiven Führung, dass die führenden Ämter Erster Sekretär und Regierungschef getrennt wurden. Er wurde am 7. September 1953 zum neuen Ersten Sekretär des ZKs gewählt und Malenkow blieb Ministerpräsident.

Entstalinisierung

Auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 kritisierte Chruschtschow in der sogenannten „Geheimrede“ den Personenkult um Stalin und die damit verbundenen Verbrechen (Entstalinisierung), nahm dies auch zum Anlass, eine grundlegende Wende in Politik und Wirtschaft zu vollziehen. In der Folge entwickelte sich die Tauwetter-Periode. In der Sowjetunion öffnete er die Lager (Gulag). In Polen und Ungarn wurden die altstalinistischen Parteiführer gestürzt. In Ungarn kam 1953 der liberale Imre Nagy an die Macht, in Polen 1956 Wladyslaw Gomulka. Allerdings wurde Nagy 1955 wieder fallengelassen und sein Vorgänger Rákosi wieder ins Amt gehoben. Den Volksaufstand, der 1956 mehr Freiheiten einforderte und Nagy zum Ministerpräsidenten erklärte, ließ Chruschtschow niederschlagen. Nagy wurde 1958 hingerichtet.

1957 versuchten die altstalinistischen Mitglieder der KPdSU (Wjatscheslaw Molotow, Malenkow, Woroschilow und Kaganowitsch), Chruschtschow zu stürzen, während dieser sich zusammen mit dem Premier Bulganin außer Landes befand. Allerdings schafften sie es nicht, eine Mehrheit im Zentralkomitee gegen Chruschtschow zu bilden. Außerdem hatte Chruschtschow die Armee hinter sich. Nach dem gescheiterten Putsch wurden Malenkow und Molotow aus allen Parteiämtern entlassen. Die Putschisten wurden auf weit entfernte Posten versetzt: Malenkow wurde Leiter eines Kraftwerks in Kasachstan und Molotow wurde Botschafter in der Mongolei. Kaganowitsch und Woroschilow verloren ihre Mitgliedschaft im Politbüro, Woroschilow blieb aber bis 1960 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets (formell Staatsoberhaupt).

Auf dem Gipfel der Macht

1958 wurde Chruschtschow als Nachfolger von Bulganin Ministerpräsident der UdSSR und vereinte damit wieder (wie zur Stalinzeit von 1941 bis 1953) das höchste Parteiamt und das Amt des Regierungschefs in einer Person. Im Verhältnis zu den USA vertrat er das Prinzip der „friedlichen Koexistenz“ der Systeme und verkündete das Ziel, den Kapitalismus vor allem auf wirtschaftlicher Ebene zu besiegen (Systemkonkurrenz). Vom 15. bis zum 27. September 1959 besuchte er auf Einladung Eisenhowers als erster sowjetischer Regierungschef die USA.

Legendär ist seine erregte Rede auf der 15. UNO-Vollversammlung 1960. Anschließend reagierte er mit seinem berühmt gewordenen Hämmern mit dem Schuh auf den Tisch des Delegierten der Sowjetunion. Diese Reaktion galt im Westen als originelle Geste und wurde belächelt. In der Sowjetunion selbst waren die führenden Kreise beschämt. Damit begann der Abstieg Chruschtschows in der UdSSR. Bis heute ist ungeklärt, ob er dabei tatsächlich mit seinem Schuh auf den Tisch hämmerte oder ob er den Schuh nur auszog und auf den Tisch stellte.

Unter Chruschtschows und Kennedys Führung kam es 1962 zur Kuba-Krise mit den USA, die zu einem Dritten Weltkrieg hätte führen können. Wegen seines Kurses der „friedlichen Koexistenz“ distanzierte sich die Volksrepublik China von der Sowjetunion, eine Spaltung, die bis zum Untergang der Sowjetunion bestehen blieb.

Sturz

Datei:Chruschtschow-grab.jpg
Das Grab von Chruschtschow auf dem Friedhof des Neujungfrauen-Klosters in Moskau wurde von Ernst Iossifowitsch Neiswestny gestaltet

Einer sehr vorsichtig agierenden Opposition im Präsidium gelang es seit etwa 1960 zunehmend, die Macht von Chruschtschow zu schwächen. Zunächst verloren die Mitglieder des Politbüro (damals Präsidium genannt) und Chruschtschow-Anhänger Nikolai Beljajew und Alexei Kiritschenko im Mai 1960 ihre Mandate und Nikolai Podgorny sowie Dmitri Poljanski stiegen ins Politbüro auf. Politbüromitglied Frol Koslow stärkte seinen Einfluss und war seit 1961 nach Chruschtschow der zweite Mann in der Partei und praktisch sein potentieller Nachfolger. Auch wurde 1961 das Parteienstatut durch Koslow so verändert, dass ein Viertel der führenden Funktionsträger nicht mehr wiedergewählt werden konnten. Chruschtschow-Freunde wie Nikolai Ignatow, Ekaterina Furzewa, Awerki Aristow, Nuritdin Muchitdinow verloren im Oktober 1961 ihre Vollmitgliedschaft im Politbüro, hingegen stiegen Gennadi Woronow und Andrei Kirilenko zugleich in das Politbüro auf. Die Entstalinisierung wurde zwar noch allgemein mitgetragen, aber vorsichtig wurde nunmehr kritisiert: die Politik der Liberalisierung (Stichwort: Tauwetter), die gestörten Beziehungen zu China und zu Albanien, der neue Personenkult, die Kubaniederlage und die scheinbar zu geringe Unterstützung der Schwer- und Rüstungsindustrie.

Auch im Zentralkomitee verlor Chruschtschow zunehmend Anhänger. 1964 wurde dann Koslow krank und Leonid Breschnew rückte nunmehr zur Nummer Zwei in der Führung auf. Letzte Anlässe für den Sturz Chruschtschows waren dann seine Annäherungspolitik an die Bundesrepublik Deutschland und seine Eigenmächtigkeiten gegenüber der staatlichen Planung (Gosplan) mit der Tendenz, die Landwirtschaft zu stärken. Michail Suslow und Breschnew, aber auch Alexei Kossygin, Anastas Mikojan und Poljanski führten am 14. Oktober 1964 u. a. mit der Kritik an der Landwirtschaftspolitik mit Billigung des Zentralkomitees seinen Sturz als Parteichef und als Ministerpräsident herbei. Breschnew wurde sein Nachfolger als Erster Sekretär, Kossygin als Ministerpräsident und Mikojan wurde Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets (faktisch Staatspräsident).

1966 verlor Chruschtschow auch seinen Sitz im ZK der KPdSU und lebte fortan in seiner Datscha bei Moskau. Dort starb er am 11. September 1971 im Alter von 77 Jahren an Herzversagen. Sein Grab in Moskau wurde von Ernst Iossifowitsch Neiswestny gestaltet, den Chruschtschow in einer Ausstellung 1962 als "degenerierten Künstler" bezeichnet hatte. Das Grab ist zur einen Hälfte schwarz und zur anderen weiß.

Im Jahre 1970 erschienen seine Memoiren Khrushchev Remembers (Chruschtschow erinnert sich) in englischer Sprache, deren Autorschaft er jedoch leugnete.

Weiterführende Informationen

Literatur

  • Chruschtschow erinnert sich – Die authentischen Memoiren übersetzt von Margaret Carroux
  • Reinhard-Neumann-Hoditz: Chruschtschow. rororo
  • Wladislaw Subok, Konstantin Pleschakow: Der Kreml im Kalten Krieg: von 1945 bis zur Kubakrise. Hildesheim 1997, ISBN 3-546-00126-5
  • Roy Medwedew: Chruschtschow.
  • Nikita Chruschtschow. Skizzen zur Biographie. Politisdat, Moskau 1989 – deutsche Übersetzung: Dietz Verlag, Berlin 1990, ISBN 3-320-01570-2
  • Dimitri Wolkogonow: Die Sieben Führer. Societäts-Verlag, Frankfurt 2001, ISBN 3-7973-0774-8
  • Michel Tatu: Macht und Ohnmacht im Kreml, Ullstein, Frankfurt, 1967
  • Merle Fainsod: Wie Russland regiert wird; Kiepenheuer & Witsch, 1965
  • Wolfgang Leonhard: Chruschtschows große Säuberung; in der Welt v. 24. 02. 1961 aus Open Society Archives – OSA
Commons: Nikita Chruschtschow – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien