Kleinasien

Kleinasien oder Anatolien (türkisch Anadolu aus dem griechischen Anatole (ανατολη) für Aufgang, Osten) ist jener Teil der Türkei, der zu Vorderasien gehört. Häufig wird auch Zypern zu Kleinasien gerechnet.
Geografie
Fläche und Abgrenzung
Kleinasiens Fläche beträgt 757.000 km² und macht 96 Prozent des türkischen Staatsgebietes aus, aber nur etwa 3% von ganz Asien.
Es wird im Süden begrenzt vom Mittelmeer (türk. Akdeniz, siehe auch Rhodos und Zypern). Im Norden liegt das Schwarze Meer, im Westen die Ägäis (griechische Inseln), im Nordwesten Bosporus, Marmarameer und Dardanellen. Die östliche Grenze von Kleinasien ist nicht genau definiert, der Einfachheit halber wird sie meist mit der östlichen Landesgrenze der Türkei gleichgesetzt und verläuft durch das ehemalige Gebiet Armeniens.
Bevölkerung und Religion
Die Bevölkerung hat sich seit 1920 auf derzeit knapp 60 Millionen verdoppelt. Sie besteht heute zu etwa 65% aus Türken und Turkmenen, 25% [Kurden]], je 2-3% Zaza und Araber, ferner Armenier (früher rund 10%), Assyrer, Georgier, Griechen (die bis zum "Bevölkerungstausch" 1922/23 über 10 Prozent ausmachten) sowie weitere Minderheiten wie Bulgaren, Tataren und Tscherkessen.
Hinsichtlich der Religion dominiert der Islam (95%, davon 60-65% Sunniten und über 30% Aleviten. Die Christen machen 0,2% aus, zählten aber um 1910 noch etwa 20 % (vornehmlich Griechen im Westen). Von anderen kleinen Religionsgemeinschaften (genaue Zahlen werden nicht erhoben) sind etwa 20.000 Juden zu erwähnen.
Zwei Hauptstädte und zwei Meerengen
Als Grenze zwischen Europa und Asien gilt seit der Antike der Bosporus. Das an ihm liegende Istanbul hat sich seit 1970 von 2 auf etwa 10 Millionen Einwohner vergrößert (gegen Ankara mit 2 bzw.3 Millionen). Es war osmanische und auch türkische Hauptstadt bis 1923, als sie in das viel kleinere, aber für Kleinasien zentrale Ankara verlegt wurde.
Die "Stadt am Bosporus" hat wegen der interkontinentalen Meeresenge einen europäischen Stadtteil (früher Konstantinopel bzw. Stambul) und einen Stadtteil in Kleinasien (Üsküdar). Sie werden durch dichten Schiffsverkehr und mehrere Brücken miteinander verbunden.
Die zweite Meeresenge zu Kleinasien sind die Dardanellen (antiker Hellespont) zwischen der europäischen Halbinsel Gallipoli (türk. Galibolu)und der Region von Troja und Canakkale. Geologisch gesehen gehören aber Asien und Europa zusammen - als zusammenhängender Großkontinent Eurasien.
Geschichte
Frühgeschichte und antike Provinzen
Der Name "Kleinasien" leitet sich historisch von der römischen Provinz "Asia" ab, die aber nur den westlichsten Teil der heutigen Türkei bildete.
Um 2000 v. Chr. bestand in Anatolien das Fürstentum der Hatti. Es wurde von Indoeuropäern abgelöst, deren Migration einige Völker vom Kaukasus hierher brachte: Die Völker der Pala ließen sich im Norden (speziell in Paphlagonien) nieder, die Nesi und Luvier in Mittel- und Südanatolien. Nach ersten Fürstentümern (ab 1660 v. Chr. gründeten sie das große Königreich der Hethiter (1460 - 1190 v Chr.). Diese Föderation war neben Ägypten die zweite Supermacht des Zeitalters.
Nach 700 begannen griechische Ionier und Dorer an den Küsten zu siedeln. In den Jahrhunderten danach wurden u.a. folgende Landschaften unterschieden:
- Vom Nordwesten nach Süden Hellespont (Dardanellen), Mysien, Lydien, Karien und Lykien,
- an der Südküste Pamphylien, Pisidien und Kilikien,
- im Norden Bithynien, Pontus, Paphlagonien und Armenien
- und im Landesinneren Galatien (bzw. Phrygien) und Kappadokien.
Um 500 v. Chr. wurde Südanatolien dem Perserreich angegliedert, im 4. Jahrhundert dem Reich Alexander d.Gr..
Römerreich, Christentum und Byzanz
Ab 60 v.Chr. kamen die Küstenregionen durch Pompeius zum römischen Reich. Ein starker Gegner war König Mithridates VI. Eupator von Pontus (121-63 v.Chr.). Später wurde auch das Landesinnere annektiert und um das Jahr 65 die Provinzen neu gegliedert (Pontus im Norden, Cilicia (Kilikien) im Süden und Syria im Osten). Die Könige von Galatien, Kappadokien, und Paphlagonien behielten als Vasallen Roms und als "Puffer" gegen Nachbarvölker ihren Thron.
Mit der "Pax Romana" des Augustus begann um die Zeitenwende eine Blütezeit bis zum 2. Jahrhundert n.Chr. (Kaiser Trajan und Hadrian). Um das Jahr 50 begann das Christentum Fuß zu fassen (zuerst in Perge, später bis zur Hauptstadt Efesos und bis Griechenland - siehe z.B. die Paulusbriefe an verschiedene Gemeinden. Auch einige Bischofssitze entstanden - u.a. in Myra, in dem um 350 der heilige Nikolaus wirkte - und auch die ersten Konzile fanden in Kleinasien statt.
Um 350 wurde Konstantinopel (Byzanz, Stambul, Istanbul) zur Residenz des oströmischen Reiches. Nach dem Untergang Westroms (476 blieb Kleinasien für 700 bis 1100 Jahre unter der Regierung von Byzanz und wirkte in die weitere Umgebnung (z.B. bis nach Russland) hinein.
Seldschuken, Mongolen und Osmanen
Im 11. Jahrhundert drangen aus dem Osten die turkmenischen Seldschuken vor und wurden von Arabien unterstützt. Nach der Schlacht bei Malazgirt (1071) fiel der Großteil Anatoliens an sie. Das Zentrum ihres Reiches war Ikonion (die heutige Großstadt Konya), 200 km südlich von Ankara (Ankyra, ab 1023 Angora).
Im 12. Jahrhundert konnte Byzanz einige Gebiete wieder zurückgewinnen. Das oströmische Reich endete erst 1453 mit dem Fall von Konstantinopel an die Osmanen.
Mit den Mongolen Mitte des 13. Jhdts zerfiel das Seldschukenreich in viele Turkfürstentümer. Eine ihrer Dynastien, nach ihrem Führer Osman (1281-1326)die Osmanen benannt, unterjochte die umliegenden Gebiete und eroberte 1326 auch den byzantinischen Norden bei Bursa. Im Osmanischen Reich verloren alle o.a. antiken Provinzen endgültig ihre Autonomie und meist auch ihren Namen.
Erster Weltkrieg und "Bevölkerungstausch"
Vor und nach dem 1. Weltkrieg zerfiel das Osmanenreich, das im 16. Jahrhundert bis Bosnien und Ungarn expandiert war. Sein kleinasiatischer Teil wurde unter Atatürk im Krieg gegen die Griechen vereint, die von Symyrna (Izmir) aus nach Osten vorgedrungen waren. Diese Kämpfe endeten erst 1922 mit der Vertreibung einiger Millionen Menschen und dem "Bevölkerungsaustausch" im Frieden von Lausanne 1923.
Auch das in Sevre 1920 vereinbarte freie Armenien kam nicht zustande, sondern nur (als kleiner Rest) in Form der späteren Sowjetrepublik rund um Eriwan. Die Armenier im Osten der Türkei hatten 1895 und 1914/15 massive Verfolgungen zu erleiden und stellen heute nur eine kleine Minderheit dar.
Heute gliedert sich die Türkei in 81 Provinzen - davon 77 in Kleinasien und 4 im europäischen Teil westlich Instanbuls - siehe Liste der türkischen Provinzen.