Pataria

Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Oktober 2007 um 23:08 Uhr durch Olaf zumhagen (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Pataria war eine religiöse Bewegung im 11. Jahrhundert in Oberiatlien.

Die Bewegung, die Mitte des 11. Jahrhunderts in Mailand entstanden und spätestens seit 1075 als Pataria bezeichnet wurde, hatte sich von Mailand aus nach Cremona, Piacenza und Brescia ausgeweitet und besaß auch Verbindungen nach Florenz. Bestehende Formen städtischer Schwureinigung nutzend, versuchten in dieser Bewegung Kleriker und Laien eine sittliche und religiöse Erneuerung des die Sakramente verwaltenden Weltklerus zu erzwingen, indem sie die gesamte städtische Gemeinschaft zum Kampf gegen Nikolaitismus (Priesterehe) und Simonie mobilisierten. Diese Mobilisierung der Laien wird von der zeitgenössischen, ungewöhnlich reichen Überlieferung stark - und meist kritisch - hervorgehoben. Die Träger der Pataria rekrutierten sich aus allen Ständen, doch ihren stärksten Rückhalt fand sie in den nichtadligen Bevölkerungsschichten. So erhielt die Auseinandersetzung auch eine soziale Komponente, was in Verbindung mit der Nutzung frühkommunaler Strukturen zur Durchsetzung religiöser Ordnungsvorstellungen die Ausbildung der städtischen Kommune beschleunigte.

Ariald, der Begründer der Bewegung, ein aus niederem Adel stammender Mailänder, predigte schon früh gegen den Nikolaitismus des Weltklerus und wandte sich dann unter dem Einfluss römischer Reformideen auch gegen die Simonie. Er fand breitere Resonanz, als sich ihm vom Mailänder Domklerus der rhetorisch begabte und gebildete Capitanensohn Landulf anschloss. Beiden gelang es in einer Überraschungsaktion am 10. Mai 1057, mit Unterstützung der Mailänder Bevölkerung den örtlichen Klerus zur Unterschrift eines vorbereiteten Dekrets de castitate servanda zu zwingen, in dem sich die Kleriker verpflichteten, sich von Frauen zu trennen und keusch zu leben. Sonst sollten sie ihre Priesterwürde, Kirchengüter und auch ihren Eigenbesitz verlieren. Auf einer vom Mailänder Erzbischof einberufenen Synode in Fontaneto wurden Ariald und Landulf exkommuniziert. Ihre Stellung in der Stadt wurde dadurch aber nur gestärkt; zudem wurde die Exkommunikation in Rom aufgehoben. Die Päpste Stephan IX. (1057), Nikolaus II. (1059/60) und Alexander II. (1067) griffen durch Legaten in den Mailänder Konflikt ein.

Seit 1059 initiierte Ariald zusätzlich auch die Schaffung neuer geistlicher Gemeinschaften, die ein gemeinsames Leben nach dem Vorbild der vita canonica führten. Nach dem Tode Landulfs (†1062) begann unter der Führung seines mächtigen und angesehenen Bruders Erlembald, eines Laien, die zweite Phase der Pataria (1064-1075), die besonders durch eine enge Verbindung der Patarener mit den römischen Reformern gekennzeichnet war. Erlembalds Engagement für die Pataria zog Teile des Lehnsadels mit, wodurch die Pataria offen militante Züge erhielt, die in den nun folgenden, zum Teil bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen immer deutlicher hervortraten.

Als Erlembald 1066 in Rom die Exkommunikation Erzbischof Widos erreicht hatte, eskalierte der Konflikt. Die Pataria verlor wegen der Herabsetzung der Mailänder Kirche, zeitweise den Rückhalt der Bevölkerung und Ariald wurde auf der Flucht ermordet. Nach dem Märtyrertod Arialds handelte die Pataria unter Erlembalds Führung, dessen sichtbare Legitimation das von Alexander II. verliehenene vexillium sancti Petri war, als ein fest organisierter Verband. Gestützt auf eine breite - wenn auch in ihrer Größe schwankende - Gefolgschaft, seine eigenen militärischen Machtmittel und sein Prestige als Capitan erschien Erlembald in der Überlieferung für diese Jahre als mächtigster Mann der Stadt. Im Mittelpunkt der weiteren Kämpfe stand die umstrittene Nachfolge Erzbischof Widos, an der sich schließlich der offene Konflikt zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. entzündete. Mit Gregor VII. erhielt die Pataria seit 1073 uneingeschränkten Rückhalt aus Rom.

Erlembald bot durch überzogene öffentliche Aktionen seinen Gegnern eine immer größere Angriffsfläche. Einen Stadtbrand im Jahre 1075 interpretierten die Vertreter der altambrosianischen Ordnung, die immer wieder die Eigenständigkeit der Mailänder gegenüber der römischen Kirche betonten (s. Ambrosianischer Ritus), als göttliches Strafgericht. Eine Schwurgemeinschaft von Adligen nutzte den Umschwung innerhalb der Bürgerschaft und tötete Erlembald am 15. April 1075 bei einem Überraschungsangriff im Straßenkampf. Die nun führerlose Bewegung brach zunächst zusammen, mehrere der engsten Anhänger Erlembalds wurden getötet oder verstümmelt, anderen gelang die Flucht nach Cremona, wo sich Reste der Pataria halten konnten. Ende September 1075 investierte Heinrich IV. den von der Adelspartei erhobenen Kleriker Tedald zum neuen Erzbischof, was zur raschen Zuspitzung des Konfliktes mit Gregor VII. (s. Investiturstreit) führte.

Eine sehr viel schlechterer Quellenlage bietet für die Folgezeit nur vereinzelte Anhaltspunkte dafür, dass die Pataria im Rahmen der Auseinandersetzungen des Investiturstreits fortbestand. In Mailand gewann sie unter der Führung des Klerikers Liprand, eines engen Getreuen Erlembalds, noch einmal an Bedeutung im Kampf gegen Erzbischof Grossolan, der 1103 aus der Stadt vertrieben wurde. Verbindungen zu häretischen Bewegungen des 12. und 13. Jhs. sind auf der Basis neuerer Forschungen äußerst zweifelhaft, wenn auch für italienische Katharer seit 1179 die Bezeichnung patarini belegt ist, mit der dann über Italien hinaus häretische, vor allem wohl katharische Gruppen bezeichnet wurden.

Literatur

  • Hagen Keller, Pataria und Stadtverfassung, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, Sigmaringen 1973, S. 321 350.
  • Cesare Alzati, I motivi ideali della polemica antipatarina, in: Ders., Ambrosiana ecclesia, Milano 1993, S. 221-247.
  • Paolo Golinelli, La pataria, Milano 1984.
  • Paolo Golinelli, Art. Pataria: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6 (1993), Sp. 1776f.
  • Olaf Zumhagen, Religiöse Konflikte und kommunale Entwicklung. Mailand, Cremona, Piacenza und Florenz zur Zeit der Pataria. Köln 2002 [S. 209 - 255: Quellen- und Literaturverzeichnis].