Sumerisch
Diĝir, Dingir ist entweder Determinativ und wird vor entsprechende Namen hochgestellt. In Schreibform ohne Hochstellung ist es entweder die Bedeutung von Gott als Singular oder mit entsprechendem Anhang ene die Bezeichnung für die Götter. Eine Unterscheidung im Singular für die/der/das wurde nicht vorgenommen.
Gilgamesch-Epos
- lu2-tur-ĝu10 gud an-na u2-gu7-bi in-nu an-ur2-ra u2 gu7-bi-im / luturĝu gud anna ugubi innu ankisikil...
- ki-sikil dinana gud an-na ki dutu ed2-a-še3 u2 im-da-gu7-e / ...dingir inana gud anna ki dutu edasche u imzae...
- za-e gud an-na nu-mu-e-da-ab-ze2-eĝ3-en / ...gud anna numuedabzegen
- Meine Kleine, der Himmelsstier hätte keine Weide, beim Horizont ist seine Weide. Göttin Inanna, der Himmelsstier weidet im Land, wo die Sonne aufgeht. Dir werde ich den Himmelsstier nicht mitgeben.
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- Ischtar „führt“ (iredde) den Himmelsstier an einem Nasenseil (saman za-gin3) nach Uruk. Im sumerischen Text wird das Verbum e3 (var. ed3) verwendet.Die Bedeutung dieses Verbums ist doppeldeutig. Transitiv verwendet, bedeutet es entweder „hinaus-“ oder „hineinführen“ bzw. entweder „hinauf-“ oder „hinabführen“. Dabei handelt es sich um die gängige astronomische Terminologie, die beim Aufgang und Untergang von Himmelskörpern und Sternbildern verwendet wird.
- am su4 am kur-ra-ke4 lu2-ĝešpu2-gin7 im-ma-DU.DU lu2-lirum-ma-gin7 im-ma-ši-gam lipiš-bi im-ta-an-zig3 dutu ed2-a-ra mu-na-an-ĝar
- am su am kurrake luĝešpugin imma.DU.DU lulirummagin immašigam lipišbi imtanzig dutu edara munanĝar
- Den roten Stier, den Stier der Berge – wie ein Athlet trug (?) er ihn, wie ein Ringer rang er ihn nieder. Er riß sein Herz heraus und legte es dem aufgehenden Sonnengott vor.
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- Das Epos gebraucht, wo es Gilgamesch als „Stier“ bezeichnet, nicht weniger als drei verschiedene Begriffe: rīmum („Wildstier“), būrum („Stierkalb“), lī’um („Bulle“). Hiervon können zumindest die beiden letzteren auch auf domestizierte Tiere angewendet werden. Es fällt auf, daß in dieser Aufzählung das Wort für den domestizierten Stier bzw. Ochsen fehlt: alpum, die akkadische Entsprechung zum sumerischen gud. An anderer Stelle im Epos steht alpum für eine wilde, ungebändigte Naturgewalt par excellence: für den umgangssprachlichen Begriff Sintflut. So erzählt Utanapischti, dass der Gott Adad „wie ein Stier“ (kīma alpi (gu4 = gud)) das Land überschwemmt und zerstört.
Begriff Stier
- Welcher Begriff aber wird für den Himmelsstier verwendet? Im akkadischen Text wird kein Stierwort verwendet, sondern alû, eigentlich „der aus der Höhe“.
- Wie verhält es sich in den sumerischen Texten? Der Himmelsstier ist dort stets ein „domestizierter“ Stier bzw. Ochse (gud). Gilgamesch anderseits wird zum einen als „Wildstier“ (am) angesprochen, zum andern aber auch als „Ochse“ (gud). So klagt Inanna, daß Gilgamesch sich benehme wie ein „großer ‚Ochse’, der in Uruk losgelassen wurde“ (gud gal dgilgameš2 šu bar-ra unugki). Um ihn zu bändigen, verlangt sie von ihrem Vater den Himmelsstier bzw. „Himmelsochsen“ (gud an-na). Als gud wird Gilgamesch auch in den Texten „Gilgamesch und Chuwawa“ und „Der Tod des Gilgamesch“ bezeichnet. Das auf den königlichen Helden angewendete Stierwort taucht also als Wort in anderen Formen auf. Man kann z.B. nicht sagen, der König sei eindeutig mit einem bestimmten Stierwort assoziiert, sondern die mesopotamischen Autoren hatten hierin eine große Freiheit. Dies ist verständlich, denn der Stier bleibt auch dann ein gefährliches Tier, wenn er domestiziert ist.
Sternbilder
- Der Widder wurde verstanden als ein auf dem Acker arbeitender „Lohnarbeiter“ (MUL.LÚHUN.GÁ, agru). Auf der anderen Seite des Stieres befindet sich der „Wahre Hirte des Himmels“ (MULSIPA.ZI.AN.NA, šidallu), der teilweise dem heutigen Orion entspricht, allerdings weiter nach Norden reichte als der heutige Orion. Enkidu, der den Stier von hinten packt = der „Lohnarbeiter“, während Gilgamesch, der den Stier von vorn bei den Hörnern packt und ihm ein Messer in den Hals sticht = der „wahre Hirte des Himmels“. Enkidu wird im sumerischen Chuwawa-Mythos von Chuwawa sogar ausdrücklich als „Lohnarbeiter“ (lú huĝ-ĝá) verhöhnt. Der Ausdruck „Hirte“ (SIPA = rē‘û) anderseits ist im Epos ein Titel des Königs. Gilgamesch ist „der Hirte von Uruk-der-Viehpferch“ (šū rē’ûmma (SIPA) ša uruk supūri).
- Man kann die Himmelsszene noch weiter vervollständigen: Hinter dem „Lohnarbeiter“ die befindliche Konstellation des nördlichen Dreiecks, die als ein Pflug (MUL.GIŠAPIN) betrachtet wurde. Die Plejaden (<sup<MULMUL) als Bedeutung für Getreideanbau und wurden in alter Zeit als eine Kornähre beschrieben (siehe Rollsiegeldarstellungen aus dem 3. Jt. v. Chr.). Die späteren Bezeichnungen für die Plejaden machen nicht mehr deutlich, daß es sich um eine Getreideähre handelt. Der akkadische Name zappu bezieht sich auf die “Borsten” im Nacken des Stieres. Beachtenswert: Die erwähnten Darstellungen zeigen Kornähre in der Gegend der Nackenborsten des Stieres. Zusammenhang anderer Verwendung: Stern Spica ebenfalls als eine Ähre vorgestellt, was zu Verwirrung führte: Infolge der Präzession der Äquinoktien, begann die alte Korrelation zwischen dem Untergang der Plejaden, der Herbsttagundnachtgleiche und der Saatzeit sowie die Korrelation zwischen dem Aufgang der Plejaden, dem Frühlingsäquinoktium und der Erntezeit ab Anfang des 2. Jt. v.Chr., ihre Bedeutung zu verlieren.
- Damit ergibt sich die himmlische Stierkampfszene: Ein „Lohnarbeiter“ (= Widder) spannt einen Stier bzw. Ochsen als Zugtier vor einen Pflug (= nördliches Dreieck). Vor dem Stier aber steht der „Hirte“ Orion. „Hirte“ und der „Lohnarbeiter“ pflügen gemeinsam mit dem Stier die Erde und säen gleichzeitig das Korn (= Plejaden). Das Sinken dieser Konstellationen, und insbesondere der Plejaden-Ähre, zur Erde, symbolisiert eindrücklich den Vorgang des Pflügens und Säens. Alle diese Sternbilder standen zur Saatzeit fast auf gleicher Höhe auf dem morgendlichen Westhorizont und gingen also nicht nacheinander, sondern gemeinsam auf und unter. Man sah also zur Saatzeit am Westhimmel zwei Männer einen Stier vor den Pflug spannen.
Inanna
- Inanna steigt zum Himmel hinauf und sendet den Stier zur Erde herab. Sternbild „Ackerfurche“ (MULAB.SÍN, šir’u). Es war auch unter dem Namen „Schala, die Kornähre“ (dšala šubultu4) bekannt und entsprach dem heutigen Sternbild Jungfrau, genauer demjenigen Teil davon, der sich südlich der Ekliptik befindet. Während der Stier über dem Westhorizont stand, war das Sternbild der „Ackerfurche“ bzw. die Göttin mit der Kornähre am östlichen Horizont im Aufstieg.
- Zur Zeit des heliakisch aufgehenden Sternbildes „Ackerfurche“ wurde dem Bauern der Arbeitsbeginn auf dem Feld angezeigt. Die Jungfrau, als Göttin Schala, trägt in MULAPIN selbst den Beinamen „Kornähre“ (šubultu4). Explizit war die Kornähre der Fixstern Spica (= lat. „Ähre“), aber weil Spica der erstaufgehende Stern der Konstellation war, wurde das Sternbild nach diesem Stern benannt.
Neujahr
- Die Beziehung der Sternbilder Stier und Jungfrau zum Getreide erklärt sich daraus, dass die Zeit des Pflügens und Säens ab September mit dem heliakischen Aufgang der Jungfrau/Ackerfurche und dem Untergang des Himmelsstiers und der Plejaden zusammenfiel. War die Saatzeit durch den morgendlichen Untergang der Plejaden-Ähre und des Stieres angezeigt, so fiel die Erntezeit (ab April) mit deren heliakischem Aufgang zusammen. Die Assoziation der beiden Äquinoktien mit Saat und Ernte wird im Kalender von Ur im 3. Jt. v.Chr. in den Monatsnamen zum Ausdruck gebracht.
- Der erste Monat , in dem die Frühlingstagundnachtgleiche lag, hieß še-kin-ku5 šekinku/šeginku („Getreideernte“).
- Der siebte Monat , der das Herbstäquinoktium enthielt, trug den Namen des Äquinoktialfestes á-ki-ti = ezem-á-ki-ti-še-kin-ku5 ezem akiti šekingu („Akiti-Fest der Getreideernte“).
- Akiti-Feiern wurden jedoch in beiden Monaten abgehalten, daher auch ezem-á-ki-ti-šu-numun ezem akiti šunumun
- Der Festkalender von Uruk und Ur waren sich in späterer Zeit sehr ähnlich. In einem sumerischen Text heißt es entsprechend: ud mul an-na šu im-ma-ab-du7-a-ta10-am3 a<ub>2 gud a-šag4 zi-zi-i-da-še3 igi-zu nam-ba-e-gid2-i / ud mul anna šu imma abdu atam a gud ašag zizi daše igizu namba e gidi = Wenn die Konstellationen (oder: Konstellation) des Himmels stimmen (oder: stimmt), dann mach dich immer wieder (oder: zehnmal) auf zum Feld mit der Kraft der Ochsen; du sollst nicht mürrisch dreinblicken.