Die Militärmacht Preußen konzentrierte sich stets auf ihre Landmacht und strebte zur See nie eine große Geltung an. Gleichwohl gab es in der Geschichte immer wieder preußische Seestreitkräfte.
Kurbrandenburgische Marine
Das Kurfürstentum Brandenburg, der Vorgänger des Königreichs Preußen, besaß seit dem 16. Jahrhundert eigene Seestreitkräfte, die unter dem Großen Kurfürsten ab etwa 1657 zu einer schlagkräftigen Marine ausgebaut wurden. Er bezeichnete Schifffahrt und Kommerzien als die vornehmsten Aufgaben eines Staates und betrieb energisch den Erwerb von Kolonien in Übersee. Die Nachfahren Friedrich Wilhelms hatten jedoch nur wenig Interesse an dessen überseeischen Erwerbungen und an einer eigenen Seemacht. Sein Sohn, seit 1701 als Friedrich I. König von Preußen, war froh, den Kolonialbesitz günstig an die Niederlande verkaufen zu können. Zur Zeit der Erhebung Brandenburgs zum Königreich Preußen hatte der Abstieg der Kurbrandenburgischen Marine begonnen. Mit dem Verkauf der Kolonien war ihr Ende gekommen.
18. Jahrhundert
Die preußischen Könige des 18. Jahrhunderts hatten wenig Interesse an einer eigenen Marine. Aufgrund seiner kontinentalen Lage ohne natürliche Grenzen musste Preußen seine militärischen Aufwendungen auf die Landstreitkräfte konzentrieren. Außerdem hatte man freundschaftliche Beziehungen zu den benachbarten Seemächten Dänemark und den Niederlanden.
Friedrich II. war der Ansicht, dass Preußen sich nie zur Bildung einer Kriegsmarine entschließen dürfe. Man könne den großen Flotten Englands, Frankreichs, Spaniens, Dänemarks und Russlands niemals gleichkommen und werde mit wenigen Schiffen immer hinter den anderen Nationen zurückbleiben. Er glaubte, dass Seeschlachten nur selten eine Entscheidung herbeiführten, und zog es vor, das erste Landheer in Europa zu halten als die schlechteste Flotte unter den Seemächten.
Gleichwohl wollte er am internationalen Seehandel teilhaben und gründeten mehrere Handelsgesellschaften mit wechselndem Erfolg. Eine von Ihnen, die 1772 gegründete "Societé de Commerce maritime" besteht noch heute in Form einer Stiftung mit dem Namen Preußische Seehandlung.
19. Jahrhundert
Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege begann Preußen sehr langsam mit dem Aufbau einer kleinen Küstenflotte. Wiederum wurde mehr Wert auf den Aufbau einer Handelsflotte gelegt als auf die Marine. Dabei kam der Preußischen Seehandlung eine besondere Rolle zu. Ihre Schiffe waren zum Schutz gegen Piraten bewaffnet und führten die preußische Kriegsflagge. Diese Hilfsmarine bestand bis etwa 1850.
Einer der Ersten, der sich für den Aufbau einer wirklichen Marine einsetzte, war Prinz Adalbert von Preußen. Er hatte eine Reihe von Reisen unternommen und den Wert einer Flotte zur Unterstützung von Handelsinteressen und zum Schutz der eigenen Schifffahrt erkannt. Während der Revolutionszeit 1848-1852 war er am Aufbau der Reichsflotte beteiligt, den die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche angesichts des Krieges gegen Dänemark beschlossen hatte. Der Deutsche Bund besaß praktisch keine eigene Marine, sondern verließ sich auf die verbündeten Mächte Großbritannien, Niederlande und Dänemark. Während des Schleswig-Holsteinischen Krieges (1848-1851) zeigte sich das Scheitern dieser Strategie, weil Großbritannien und die Niederlande neutral blieben und Dänemark Kriegsgegner wurde. Innerhalb weniger Tage brachte die dänische Marine den deutschen Seehandel in Nord- und Ostsee zum Erliegen. Die Marine des Bundesmitglieds Österreich lag im Mittelmeer und konnte erst später in den Krieg eingreifen.
Nach dem Scheitern der Revolution konnte Adalbert seine Pläne umsetzen und mit dem Aufbau einer preußischen Marine beginnen. Man begann mit der Beschaffung geeigneter Schiffe und mit einer regen Ausbildungs- und Reisetätigkeit. Ab Mitte der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts waren preußische Korvetten und Fregatten auf allen Weltmeeren zu finden.
Zugleich wurde ein erster Stützpunkt in der Nordsee erworben. Im Jade-Vertrag von 1853 trat Oldenburg das so genannte Jadegebiet an Preußen ab. Hier erstand in den folgenden Jahren ein großer Marinehafen, der 1869 den Namen Wilhelmshaven erhielt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die preußische Marine bereits aufgehört zu existieren. Nach dem Deutschen Krieg 1866 schlossen sich die norddeutschen Staaten unter preußischer Führung zum Norddeutschen Bund zusammen. Aus der preußischen Marine wurde die Marine des Norddeutschen Bundes, die wiederum nach dem Deutsch-Französischen Krieg zur Kaiserlichen Marine wurde.
Bilanz
Auch wenn Preußen sich stets als kontinentale Landmacht verstanden hat, waren doch Aufstieg und Untergang eng mit dem Schicksal brandenburgisch-preußisch-deutscher Seestreitkräfte verbunden. Es war der ehrgeizige Auftritt des Großen Kurfürsten, der die Anhebung Brandenburgs zum Königreich Preußen vorbereitete. Seemacht und Kolonien gehörten zu den Machtattributen der damaligen Zeit, die auch für kleinere und mittlere Mächte wie Dänemark und die Niederlande selbstverständlich waren.
Für einhundertfünfzig Jahre verzichtete Preußen – anders als alle anderen europäischen Mächte - auf eine Marine, ehe es während des Krieges gegen Dänemark 1848-1852 die Notwendigkeit erkannte, auf See wenigstens eine gewisse militärische Handlungsfähigkeit zu besitzen. Aber schon nach 15 Jahren übergab es seine jungen Seestreitkräfte an den entstehenden deutschen Zentralstaat, ein Akt, der für die preußische Armee undenkbar gewesen wäre. Die Marine wechselte zunächst zum Norddeutschen Bund und 1871 als Kaiserliche Marine an das neue Reich.
Die Vorliebe des letzten preußischen Königs, Kaiser Wilhelm II., für die Marine bereitete das Ende der preußischen Monarchie vor. Die deutsche Flottenrüstung war einer der Gründe für den Ersten Weltkrieg und es waren die meuternden Matrosen der Hochseeflotte, die während der Novemberrevolution 1918 die Abdankung des Kaisers erzwangen. Die Marine bestand als Reichsmarine und später Kriegsmarine fort, bis sie am Ende des Zweiten Weltkriegs ebenfalls ihr Ende fand.
siehe auch Deutsche Marine, Deutsche Marine (Geschichte)