Babylonisches Exil

Epoche der jüdischen Geschichte
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Die Babylonische Gefangenschaft (auch Babylonisches Exil) ist eine Epoche der Geschichte Israels. Sie beginnt mit der Eroberung des Südreiches Juda durch den babylonischen König Nebukadnezar II. im Jahr 586/587 v. Chr. und dauert bis zur Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros II. im Jahr 539 v. Chr.

Verlauf

Der Beginn der babylonischen Gefangenschaft wird auf das Jahr 586/587 v.Chr. datiert, in dem der babylonische König Nebukadnezar II. in seinem 19. Regierungsjahr die judäische Hauptstadt Jerusalem eroberte und den Tempel zerstörte. Ein Großteil der judäischen Bevölkerung, vor allem die Oberschicht, wurde - wie es babylonische Praxis war - nach Babylon verschleppt und dort angesiedelt.[1]

Im babylonischen Exil konnten die Juden ihre Traditionen und ihre religiöse Identität bewahren. Die in und um Babylon angesiedelten Juden assimilierten sich dann recht schnell in die babylonische Gesellschaft. So tauchen bald jüdische Namen auf Inschriften auf, die belegen, dass Juden im Hofstaat und im Militär Nebukadnezars Karriere machen konnten. Auch gibt es Berichte über jüdische Bankiersdynastien. Diese schnelle Assimiliation war wohl auch der Grund, warum im Alten Testament ein recht düsteres Bild der Babylonischen Gefangenschaft gezeichnet wird.[2]

Um zu verhindern, dass die Eigenart der Juden komplett im Vielvölkergemisch Babylons verschwand, betonten die jüdischen Theologen und Gelehrten die Besonderheit des Judentums und vor allem des jüdischen Glaubens. Mittelpunkt des Lebens wurden die Torah und die Gelehrsamkeit. So wurde die babylonische Gefangenschaft ironischerweise zu einer der fruchtbarsten Zeiten der jüdischen Theologie. Mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch Nebukadnezar endete die Fixierung der Juden auf den Tempel als alleinigen Ort des Gebets, und es entstanden die ersten Synagogen.[3]

Nach der Eroberung des babylonischen Reiches erlaubte der Perserkönig Kyros II. den Gefangenen ab 539 v. Chr. die Rückkehr in ihre Heimat und den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels, welcher dann im März des Jahres 515 v. Chr. soweit fertig gestellt war, dass die Juden ihren Kultus in Jerusalem wieder aufnehmen konnten.[4]

Das Kyrosedikt galt nach Darstellung der Bibel jedoch nur für den Jerusalemer Tempel und nur für den Kreis der Heimkehrer, was deren Integration in die Landbevölkerung behinderte. Schon während des Tempelbaus wurde unter Berufung auf das Kyrosedikt die Landbevölkerung vom Bau und vom Kultus ausgeschlossen. Bis in die Zeiten Esras galten nur die „Erben“ des Kyrosediktes als Juden.

Ein Teil der Juden blieb in Babylon zurück und bildete dort ein kulturelles jüdisches Zentrum. Aus der dortigen jüdischen Gemeinde und den dort geführten Diskussionen der Schriftgelehrten entstand im 6. Jh. n. Chr. der babylonische Talmud.

Theologische Deutungen

Wie die Juden ihre Lage während des Exils empfanden, kommt sehr gut im Psalm 137 zum Ausdruck:

An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangenhielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: „Singet uns ein Lied von Zion!“ Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande? Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein. HERR, vergiß den Söhnen Edom nicht, was sie sagten am Tage Jerusalems: „Reißt nieder, reißt nieder bis auf den Grund!“ Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert! (Lutherbibel revidierte Fassung von 1984)

Anders als häufig angenommen, dauerte die babylonische Gefangenschaft nicht 70 Jahre. Die Angabe "70 Jahre" enstammt Jer 29,10, gemeint sind allerding 70 Jahre „für“ (nicht „in“) Babylon und beziehen sich auf die Herrschaft des neubabylonischen Reiches (609 v.Chr. bzw. 605 v.Chr. bis 539 v.Chr.). Die 70 Jahre in 2Chr 36,21 reichen wahrscheinlich von der Zerstörung des Tempels 587 v.Chr. bis zu der Einweihung des s.g. Zweiten Tempels im Jahr 515 v. Chr.. Sie können aber auch in Verbindung mit den 70 Jahren „für Babylon“ stehen.

Wirkungsgeschichte

Die frühen Christen benutzten den Begriff Babylon als geheimes Synonym für das Römische Reich. So konnten sie -- versteckt in Texten über das babylonische Exil der Juden -- Kritik an den Machthabern üben.

Martin Luther verwendet den Begriff im übertragenen Sinne und spricht von der „Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, um Missstände in der damaligen katholischen Kirche aufzuzeigen, die er in Irrtümern und falschen Abhängigkeiten quasi gefangen und entführt sah.

Vor dem Hintergrund der Babylonischen Gefangenschaft spielt die Oper Nabucco von Giuseppe Verdi. Auch der Hit "Rivers of Babylon" von Boney M. beschreibt dieses Ereignis in Form einer Vertonung des 137. Psalms.

Die Anhänger der Rastafari-Religion sprechen ebenfalls von Babylon bzw. dem Babylon-System und meinen damit in Anlehnung an das Exil der Juden im Altertum die Situation der Verschleppung und Versklavung ihrer afrikanischen Vorfahren, unter deren Folgen sie bis in der Gegenwart leiden. Die Metapher hat inzwischen einen festen Platz in den Texten (auch europäischer) Reggae- und Hip-Hop-Musiker eingenommen und bezeichnet das herrschende politische und wirtschaftliche System, das als korrupt, ungerecht und unterdrückend wahrgenommen wird.

Fußnoten

  1. Vgl. Donner, Geschichte von elena, 370-381.
  2. Vgl. Donner, Geschichte, 381-387.
  3. Vgl. Donner, Geschichte, 381-387.
  4. Vgl. Knauf, Umwelt, 157-163.

Literatur

  • Herbert Donner: Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 2, ATD.Erg 4/2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. ISBN 3-525-51666-5
  • Ernst Axel Knauf: Die Umwelt des Alten Testaments, NSK.AT 29, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 1994. ISBN 3-460-07291-1

Siehe auch