Mitteldeutschland

zentral in Deutschland befindliches, wissenschaftlich nicht eindeutig definiertes Gebiet
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Die Bezeichnung Mitteldeutschland wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, zum einen geografisch, aber auch geschichtlich.

Heutiger Sprachgebrauch

Häufig begegnet man dem Begriff zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Mitteldeutschen Rundfunk, des Rundfunks der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Begriff Mitteldeutschland erfaßt in etwa das zwischen Harz im Westen und Oder/Neiße im Osten sowie Berlin im Norden und Erzgebirge/Thüringer Wald im Süden gelegene Gebiet, dessen Mittelpunkt ungefähr in der Leipziger Tieflandsbucht liegt. Es ist geschichtlich zum größten Teil das Gebiet der ersten Phase der deutschen Ostsiedlung.

Der Gebrauch des Wortes wurde beginnend mit den Grundlagenverträgen und spätestens mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag unüblich und durch Ostdeutschland bzw. DDR ersetzt. Ostdeutschland bezeichnete jedoch bis in die 1970er Jahre die nach dem Zweiten Weltkrieg zum größten Teil abgetretenen Gebiete Pommerns, Ostpreußens und Schlesiens. Diese begriffliche Unschärfe besteht fort.

Nach einer zunächst ablehnenden Haltung großer Teile der Bevölkerung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist in den letzten Jahren eine verstärkte Benutzung des Begriffs zu verzeichnen, der auch auf das Bemühen der Landesregierungen und Unternehmen oder dem MDR zurückgeht, diesen Begriff vorwiegend zu verwenden. Gründe liegen auch darin, dass der Wunsch besteht, sich innerhalb der neuen Bundesländer voneinander abzugrenzen. Insbesondere die wirtschaftsstärkeren südlichen Länder Sachsen und Thüringen wünschen sich eine solche Abgrenzung gegenüber den wirtschaftsschwächeren nördlichen Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Auch die Landesregierungen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kooperieren verstärkt untereinander in der Initiative Mitteldeutschland.

Mitteldeutschland findet sich auch als Namensteil vieler Unternehmen, oder zum Beispiel bei christlichen Vereinigungen, wenn die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammmengefasst werden. Vermutlich ist der Begriff auch heute noch deshalb so populär, weil der Ballungsraum im historischen Sinne gemeint ist und dabei auch auf die heute teils wieder zentrale Lage angespielt werden soll.

Begriff in der Sprachforschung

In diesem Sinne bezeichnet Mitteldeutschland das Gebiet, in dem mitteldeutsche Dialekte gesprochen werden. Die Bezeichnung mitteldeutsch entstand im 19. Jahrhundert, als man die Dialekte im deutschsprachigen Raum untersuchte. Vorher unterschied man nur zwischen oberländischer bzw. oberdeutscher und niederländischer bzw. niederdeutscher Sprache. Bei den Dialektuntersuchungen stellte man allerdings fest, dass die Hochdeutsche Lautverschiebung, die den historisch auffälligsten Unterschied zwischen der oberländischen und der niederländischen Sprache ausmacht, in einem sehr breiten Streifen nur teilweise durchgeführt ist. Aufgrund dieser und einiger anderer Merkmale begann man daher, den Streifen als Übergangsgebiet zwischen dem Oberdeutschen und dem Niederdeutschen zu begreifen. Das mitteldeutsche Gebiet stellt somit das Gebiet der fränkischen sowie der nicht-niederdeutschen Kolonialdialekte dar. Auch die hochdeutsche Schriftsprache gehört zu diesen Dialekten.

Topografischer Begriff

Unter Mitteldeutschland wird das durch Erzgebirge, Thüringer Wald und Harz umgrenzte Gebiet verstanden. Das Kerngebiet Mitteldeutschlands bildet die Leipziger Tieflandsbucht.

Zusammenhänge mit der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg

In der Konferenz von Jalta wurde beschlossen, den Osten Deutschlands staatlich vom Rest Deutschlands abzutrennen und - je nach Sichtweise - Polen und der Sowjetunion anzugliedern bzw. unter polnische und sowjetische Verwaltung zu stellen, bis die endgültigen Grenzen durch einen Friedensvertrag geregelt sind.

Das restliche Deutschland wurde in vier Besatzungszonen eingeteilt. Als sich in den ersten Nachkriegsjahren langsam zeigte, dass die drei Westzonen immer mehr in den Gegensatz zur sowjetisch besetzten Zone rückten, wurde auch der geografische Begriff "Mitteldeutschland" nicht mehr nur wie bisher als Mitte Deutschlands in Nord-Süd-Richtung gebraucht, sondern auch als Bezeichnung zur Sowjetzone, im Gegensatz zu Westdeutschland für die Westzonen und Ostdeutschland für die abgetrennten Ostgebiete des Deutschen Reichs.

Dieser Begriff hielt sich lange Zeit, da ein abschließender Friedensvertrag erst 1990 mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag geschlossen wurde. Spätestens seit dem hat sich der Begriff Ostdeutschland für das bisherige Mitteldeutschland durchgesetzt.

Es kann aber Sinn ergeben, dann weiterhin von Mitteldeutschland zu sprechen, wenn der geschichtliche oder kulturelle Hintergrund so gegeben ist, dass eine Abgrenzung zum bisherigen Osten Deutschlands sinnvoll ist. Beispiel: "In den Nachkriegsjahren waren in Westdeutschland ein Viertel der Bevölkerung Vertriebene aus dem Osten, in Mitteldeutschland sogar ein Drittel."

Es gibt auch Stimmen, die davor warnen, das bisherige Mitteldeutschland einfach als Ostdeutschland zu bezeichnen, da so ein beträchtlicher kultureller und geschichtlicher Teil Deutschlands einfach negiert würde. Andererseits wird der Begriff Mitteldeutschland auch von revanchistischen Kräften benutzt, um die territorialen Realitäten abzuerkennen, wie der nächste Absatz beschreibt:

Revisionistische Verwendung

Die Vertriebenenverbände und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland (einschl. großer Teile der Bevölkerung) erkannten die auf der Konferenz von Jalta beschlossene Grenzverschiebung zunächst nicht an. So wurde die Bezeichnung Ostdeutschland für diese Gebiete weiter propagiert. Gleichzeitig war der Rest des ehemaligen Reichsgebietes nach 1949 auf zwei Staatswesen verteilt. Da man die Bezeichnung Ostdeutschland weiterhin für östlich der DDR gelegene Gebiete verwenden wollte und die offizielle Staatsbezeichnung DDR des östlicheren Staates im Westen aus Gründen der des Alleinvertretungsanspruchs (Hallstein-Doktrin) und der Ein-Staaten-Theorie vermieden werden sollte, verwendete man die Bezeichnung Mitteldeutschland für das gesamte Gebiet der DDR. In revisionistischen Kreisen wird dieser Begriff häufig benutzt, um zu betonen, dass nach deren Meinung auch die östlich davon gelegenen Gebiete des Deutschen Reichs noch zu Deutschland gehörten.

Literaturhinweise

  • Jürgen John: "Deutschlands Mitte". Konturen eines Forschungsprojektes. Mitten und Grenzen 2003, S. 108-144.
  • Jürgen John (Hrsg.): "Mitteldeutschland". Begriff - Geschichte - Konstrukt. Rudolstadt u.a. Hain-Verl., 2001. ISBN 3-89807-023-9. Hierzu Rezension von Peter Hübner in H-Soz-u-Kult, 18.01.2002].
  • Jürgen John: "Mitteldeutschland"-Bilder. In: Geschichte Mitteldeutschlands. Das Begleitbuch zur Fernsehserie. Halle an der Saale : Stekovics, 2000, ISBN 3-932863-90-9.

Weiterführende Informationen

Siehe auch: Ostdeutschland, Westdeutschland, Norddeutschland, Süddeutschland