Der Roman Stalingrad von Theodor Plievier ist Teil einer Trilogie von drei Romanen (Moskau, Stalingrad, Berlin) über den großen Krieg im Osten während des Zweiten Weltkriegs. In dokumentarischer und drastischer Form wird in diesem Band der Untergang der 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad, das Leiden der Frontsoldaten, der Verwundeten und das abgehobene, frontferne Leben der Stäbe und des Feldmarschalls beschrieben. Die Missstände, die durch die bedingungslose Befolgung der Befehle „Kapitulation ausgeschlossen!“ sowie „Wo ihr steht, da bleibt ihr!“ entstanden, werden schonungslos dargestellt und machen dieses Werk zu einem Antikriegs-Roman. Es ist die Schilderung des Rückzugs aus der Sicht der deutschen 6. Armee; auf die Verhältnisse beim entsprechenden russischen Vormarsch wird nur vereinzelt eingegangen.
Aufbau des Werkes
Schilderung der Verhältnisse an der Front und beim Stab
Das Leben und Sterben der Frontsoldaten im Gegensatz zu dem geregelten Ablauf in den Stäben wird verdeutlicht: Das Nebeneinander von Hunger an der Frontlinie sowie der Überfluss in den Rückwärtigen Diensten, beim Verpflegungsamt und bei den Marodeuren in den Höhlen der „Stalingrader Unterwelt“ wird herausgearbeitet.
Das skandalöse Schicksal der Verwundeten wird dokumentiert, die im sich verengenden Kessel von Stalingrad von Hauptverbandplatz zu Hauptverbandplatz weiter ziehen mussten. Auch das Schicksal der vielen, die dabei verhungerten, erfroren oder einfach zurück gelassen wurden (z. B. im Bahnhofsgebäude von Gumrak).
Der gedankliche Rückblick (nach dem letzten Rückzug ins Stadtgebiet von Stalingrad) auf die vorangegangenen Haltebefehle einer Höhe, dann des Flugplatzes von Pitomnik, schließlich des Tartarenwalles ergab als Resultat, dass Menschen-Verluste verursacht wurden, ohne dass die Lage sich verbesserte.
Die Selbstmorde und die Fluchtversuche einzelner Mitglieder des Stabes fanden statt, ohne den Versuch die laufenden Kamphandlungen vorher zu beenden.
Die Radio-Rede (Nekrolog, Leichenrede) über den Tod der Soldaten in Stalingrad fand statt, als sie noch lebten und so erfuhren, dass sie abgeschrieben worden waren. („..Kommst du nach Deutschland so berichte, du habest uns in Stalingrad liegen gesehen, wie das Gesetz es befohlen hat“…)
Schilderung der Phasen des Rückzugs
Auch die objektiven Daten des Rückzugs sind in der Handlung des Romans enthalten: Der Durchbruch der sowjetischen Truppen am 19.11.1942 nordwestlich von Stalingrad, der Befehl zur „Einigelung“ der deutschen 6. Armee am 22.11.1942, die Schließung des Rings am 23.11. 1942 werden dargestellt.
Die ständige Schrumpfung der 6. Armee durch Tod (russische Angriffe, Hunger, Kälte, Krankheit) von 330 000 Mann am 19.11.1942 auf 190 000 am 10.1.1943 bis auf 91 000, die in Gefangenschaft gingen, wird vor Augen gehalten.
Das Angebot der Russen vom 8.1.1943 zur Kapitulation der deutschen Truppen per 10.1.1943, um 10:00 Uhr wird dokumentiert.
Die ständige Schrumpfung des Kessels und die Rücknahme der Hauptkampflinie nach dem Angriff der Russen ab dem 10.1.1943 bis 12.1.1943 wird beschrieben. Der Befehl zum Halten des Brückenkopfes um Dorf und Flugfeld Pitomnik bis zur Räumung des Verpflegungsamtes findet Erwähnung.
Die Spaltung des Kessels in Stalingrad-Mitte und Stalingrad-Nord wird herausgearbeitet. Die zufällige und unkoordinierte Kapitulation des Südkessels und später des Nordkessels, die Abfahrt des Feldmarschalls im PKW als „Privatmann“, während die gefangenen Truppen sich zu Fuß durch den Schnee vorarbeiten mussten, wird festgehalten.
Zitate
Weite Passagen des Romans sind erheblich drastischer und aufrüttelnder als die folgenden Zitate:
„Ein halber Tagessatz! 50 Gramm Knäckebrot (eine Scheibe und dazu eine kleine Ecke), 8 Gramm Mittagskost (7 Erbsen), 25 Gramm Abendkost (einen Bissen Fleisch), 5 Gramm Getränke waren zu diesem Zeitpunkt der volle Tagessatz, und Wedderkop hatte nur einen halben Tagessatz erhalten.“… Quelle: Taschenbuchausgabe von Stalingrad im Wilhelm Goldmann Verlag von 5/1978, S. 131.
…„Eine Wegbezeichnung gab es noch, doch waren es nicht mehr die in den Boden gerammten Pfähle mit daran befestigten Strohwischen. Die waren als Brennholz weggeräumt worden, und jetzt ragten alle zwanzig, alle dreißig, alle vierzig Schritte, das eine mit Schenkel und breitem Beckenknochen, das andere mit Sprunggelenk und Huf nach oben, das eine kerzengerade, das andere schief in einem Schneehaufen steckend, abgenagte Pferdebeine als Wegzeichen auf.“… Quelle: Taschenbuchausgabe von Stalingrad im Wilhelm Goldmann Verlag von 5/1978, S. 210.
Authentizität des Romans und Beurteilung durch Stalingrad-Heimkehrer
Die Schilderungen des Romans klingen plausibel und sollten eigentlich auf Zeitzeugen-Interviews und Dokumenten beruhen. Allerdings gab es nur etwa 5 000 Stalingrad-Heimkehrer aus russischer Gefangenschaft. Plievier war jedoch Emigrant in Russland und musste im Mai 1942 in Ufa die in russische Hände gefallenen Briefe der Soldaten von Stalingrad psychologisch auswerten. Im Mai 1943 erhielt er in Moskau die Erlaubnis, den Roman Stalingrad zu schreiben. Vermutlich konnte er damals Überlebende der 6. Armee in Gefangenenlagern interviewen. Die Botschaft des Romans ist in jedem Falle klar: Krieg und sinnlose Menschenopfer sind zu vermeiden.
Werk
Theodor Plievier: Stalingrad. Roman, Aufbau Verlag, Berlin 1945 (Weitere Ausgaben im Verlag Kurt Desch, München; als Taschenbuch im Wilhelm Goldmann Verlag, 2. Auflage 5/1978, ISBN 3-442-03643-7; im Bertelsmann Verlag, Gütersloh; als Taschenbuch bei Kiepenheuer & Witsch, 2002, ISBN 346203054X. Es wurde in 26 Sprachen übersetzt.)